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Aschot Manutscharjan
Georgien will seine Konflikte notfalls
militärisch lösen
Der Kaukasus zwischen strategischen Interessen
Russlands und der USA
Im Schatten des Weltgeschehens versucht der neue
georgische Präsident Michail Saakaschwili die seit mehr als
einem Jahrzehnt de facto von Georgien unabhängigen Provinzen
Abchasien und Südossetien zurückzugewinnen. Der
erfolgreiche friedliche Anschluss Adschariens Anfang Mai ermutigte
Saakaschwili, sich anschließend gegen Südossetien und
Abchasien zu wenden. Hier handelt es sich um alte
Nationalitätenkonflikte. Anders als in Adscharien, wo der
Konflikt rein politischer Natur war und zwischen dem herrschenden
regionalen Klan und der Regierung ausgetragen wurde.
Die nationalen Minderheiten, Abchasen und
Südosseten, fürchten sich vor georgischer Gewalt und
haben Moskau um militärischen Schutz gebeten, was
natürlich auch den sicherheitspolitischen Interessen Russlands
in der Region entspricht. Zwar betont Moskau seit 1992, dass
Abchasien und Südossetien Teil Georgiens seien, dennoch werden
die Konflikte vom Kreml in eigenen Interesse instrumentalisiert, um
die georgische Politik beeinflussen zu können. Die Opfer sind
die Minderheiten, die sich als Spielball zwischen beiden Seiten
wiederfinden.
Die Entwicklung in Abchasien ist für
Deutschland vor allem deshalb von besonderer Bedeutung, weil die
Bundeswehr seit Juni 1994 am UNOMIG (UN Observer Mission in
Georgia) mit Beobachtern und Sanitätspersonal beteiligt ist.
Sechsmal sind in dieser Zeit Bundeswehrangehörige
entführt worden. Am 8. Ok-tober 2001 wurde ein deutscher
Oberstabsarzt beim Abschuss eines UN-Hubschraubers getötet: Er
war der erste Bundeswehrsoldat, der bei Kampfhandlungen
starb.
Anfang Mai stand die Kaukasusrepublik
Georgien am Rande eines Bürgerkrieges. Während sich die
beiden Provinzen Abchasien und Südossetien bereits 1991/92 von
Tiflis losgesagt hatten, ließ Adschariens Herrscher, Aslan
Abaschidse, wieder einmal die Muskeln spielen und versuchte, der
Zentralmacht militärisch zu trotzen. Um seinem Willen
Nachdruck zu verleihen, sprengte Abaschidse kurzerhand die
Brü-cken nach Adscharien. "Es gab zwar die Möglichkeit,
diesen Konflikt militärisch zu lösen, aber wir wollten
keinen Krieg gegen die Provinz führen", sagte der
Sekretär des Sicherheitsrates und frühere georgische
Verteidigungsminister, Gela Beshuaschwili, gegenüber "Das
Parlament". "Wir hatten schließlich nur einen Konflikt mit
Abaschidse, dem die neue demokratische Entwicklung in Georgien
überhaupt nicht passte."
Bereits seit zwölf Jahren herrschte
Abaschidse unumschränkt in Adscharien, so dass seine Gegenwehr
niemanden überraschen konnte. "Er hat wohl geglaubt, er habe
es mit einer jungen, unerfahrenen Regierung zu tun, mit impulsiven
Jungs, die auf seine Provokationen hereinfallen würden", sagte
der Verteidigungsminister weiter. Tatsächlich war Abaschidse
offensichtlich davon überzeugt, dass Präsident Michail
Saakaschwili seinen Soldaten den Befehl geben würde,
Adscharien anzugreifen. Dieser Angriff hätte ihm dann als
Vorwand gedient, Russland um Hilfe zu bitten, das im Hafen Batumi
einen Militärstützpunkt unterhält.
Die georgische Regierung war jedoch
genauestens darüber informiert, dass für Abaschidse kaum
200 Anhänger, darunter viele Verwandte, kämpfen
würden. Aber selbst viele seiner Angehörigen zogen die
Flucht vor, nachdem ihr Anführer das Land verlassen
hatte.
Wie im Falle des Rücktritts von
Präsident Eduard Schewardnadse war Russland ohnehin mehr an
einer Schlichterrolle interessiert. "Als uns klar wurde, dass die
Bevölkerung in Batumi auf unserer Seite ist, telefonierte
Präsident Saakaschwili mit dem russischen Präsidenten und
bat ihn, Abaschidse außer Landes zu bringen. Denn so konnte
Blutvergießen verhindert werden", sagte Beshuaschwili.
Daraufhin entsandte Wladimir Putin den Sekretär des russischen
Sicherheitsrates, den früheren Außenminister Igor Iwanow,
nach Adscharien, um den Provinz-Fürsten nach Mos-kau zu
schaffen. "Russland hat eine richtige, pragmatische Entscheidung
getroffen", betonte er. "Putin wollte mit Georgien keinen Streit
anfangen wegen so einem Menschen." Auch für die "strenge
Neutralität" von General Studenikin, dem Befehlshaber der
russischen Truppen im Transkaukasus, findet Beshuaschwili lobende
Worte. Im gleichen Atemzug versäumt es der georgische
Politiker jedoch nicht, "die herausragende Rolle" der USA zu
würdigen. Washington habe "von Anfang an eine eindeutige
Haltung eingenommen und die georgische Politik gegenüber
Adscharien unterstützt". Allerdings habe Tiflis die in der
Kaukasusrepublik stationierten US-Soldaten nicht um Hilfe gebeten,
denn erst kürzlich hätten die Vereinigten Staaten der
Regierung empfohlen, eine "sehr ausgewogene Politik in der Region
zu führen".
Dessen ungeachtet weht im Kaukasus ein neuer
Wind. "Nachdem Präsident Saakaschwili am Grab König
Davids geschworen hatte, er werde Georgien wiedervereinigen, sind
die Menschen davon überzeugt, dass er es schaffen wird",
versicherte Beshuaschwili. "Wir werden uns Abchasien und
Südossetien mit friedlichen Mitteln, aber hart in der Sache
zurück-holen". Die Regierung in Tiflis glaubt, dass dies im
Rahmen der gültigen Verträge, also dem Moskauer
Waffenstillstandsvertrag von 1993 und der Resolution des
UN-Sicherheitsrates über die Beobachter-Mission in Georgien
(UNOMIG), möglich sei.
Dennoch schwingen neue Töne mit: "Wenn
uns die Verträge stören, werden wir sie aussetzen.
Sollten also die Abkommen den Wiedervereinigungsprozess unseres
Landes behindern, werden wir sie einseitig für ungültig
erklären." Im Unterschied zu Ex-Präsident Schewardnadse
will der neue Regierungschef die Lage in der Region Abchasien nicht
mittels georgischer Partisanen eskalieren lassen. "Als Erstes haben
wir die Partisanen-Einheiten entwaffnet", erklärte dazu
Beshuaschwili. Die Partisanen haben früher
regelmäßig das Waffenstillstandabkommen gebrochen und
Abchasien angegriffen.
Auf die Frage, ob er garantieren könne,
dass Tiflis keine militärische Offensive beginnen würde,
ohne vorher die UNOMIG zu informieren, antwortete der Georgier
diplomatisch: Die UN-Beobachter würden schon mitbekommen, wenn
sich die Lage zuspitzen sollte und von sich aus das Land verlassen.
"Aber bevor es zum Krieg kommt, werden wir alles versuchen, um die
Wiedervereinigung Abchasiens mit Georgien für beide Seite so
interessant wie möglich zu gestalten. Wir werden ideologisch,
politisch und wirtschaftlich alles tun, um unser Ziel zu
erreichen". Eine militärische Lösung wollte Beshuaschwili
jedoch ausdrücklich nicht ausschließen.
Dass die UN-Militärbeobachter
rechtzeitig die Waffenstillstandszone verlassen könnten,
garantieren zurzeit die vor Ort stationierten
"GUS-Friedenschaffenden Truppen" aus Russland. Fragt sich nur, wie
lange noch, meint Beshuaschwili: "Die GUS-Mission können wir
innerhalb von drei Wochen beenden". Während des letzten
Treffens zwischen Putin und Saakaschwili Anfang Februar 2004
hätten beide Seiten vereinbart, dass dieses Mandat zwar
unbefristet laufe, aber jederzeit gekündigt werden könne.
Die Entwick-lung in Abchasien ist für Deutschland vor allem
deshalb von besonderer Bedeutung, weil sich die Bundeswehr am
UNOMIG-Einsatz mit Beobachtern und Sanitätspersonal seit Juni
1994 beteiligt.
Obwohl die georgische Regierung mit Russland
nicht militärisch zusammenarbeitet, weiß Beshuaschwili
von gemeinsamen Aktionen zu berichten: "Wir haben mit Moskau
vereinbart, das Pankisi Tal zu säubern." Jahrelang war dieses
Grenzgebiet zu Tschetschenien ein Dorn in den Augen des großen
Nachbarn im Norden, weil es als Rückzugsgebiet für
tschetschenische Einheiten gilt. Umgekehrt fordert Tiflis die
Schließung von zwei russischen Basen, da die georgische
Regierung das Land in das transatlantische Sicherheitssystem
eingliedern will. Als einen wichtigen Fürsprecher auf dem Weg
zu einem NATO-Beitritt hat die Kaukasusrepublik Washington
ausgemacht. Seitdem will Tiflis die Amerikaner für sich
einnehmen, indem es beispielsweise militärische Infrastruktur
für US-Operationen in Afghanistan oder im Irak
bereitstellt.
Mit den USA als starkem Partner in
Rücken versuchte Saakaschwili Anfang Juni auch,
Südossetien zurückgewinnen. Georgien verlegte Truppen des
Innenministeriums zur Grenze nach Südossetien und stationierte
sie dort unter dem Vorwand der Bekämpfung des Schmuggels. Die
georgische Armee, die mit Hilfe der NATO, vor allem der USA und
Deutschlands, ausgebildet ist, konnte durch militärische
Erfolge Tatsachen schaffen. Ohne Absprache mit Russland. Wladimir
Putin, der sich getäuscht fühlte, forderte Saakaschwili
ultimativ auf, seine Truppen zurückziehen.
Verkehrte Welt: Anstelle der NATO, die auf
dem Balkan die Minderheiten militärisch schützte, tritt
Russland als Land auf, das den Minderheitenschutz proklamiert.
Moskau wird aber in Georgien keine internationale
Unterstützung bekommen, da die USA selbst den Kaukasus
kontrollieren wollen. Weshalb es nicht ausgeschlossen werden kann,
dass sich Tiflis innerhalb kurzer Zeit Südossetien, das de
iure zu Georgien gehört, auch de facto angliedert. Statt mit
dem Säbel zu rasseln, sollte Tiflis sich darauf konzentrieren,
vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber seinen
Minderheiten zu schaffen, weil es fraglich ist, ob sich Washington
wegen georgischer Kalamitäten auf einen Krieg mit Russland im
Kaukasus einlässt.
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