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Heiko Meinhardt
Demokratie im Schatten religiöser
Auseinandersetzungen
Präsident Muluzi ist der Gewinner der
Wahlen in Malawi, obwohl er gar nicht kandidierte
Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit fanden in dem
südostafrikanischen Agrarstaat Malawi, der nach
Weltbankstatistik an sechster Stelle von unten rangiert, die
dritten demokratischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
statt. Die 10,5 Millionen Einwohner leben größtenteils
vom Subsistenzanbau. Auf einem kleinen Plantagensektor werden
Tabak, Tee und Zucker für den Export produziert. In dem
ehemaligen britischen Protektorat, das über
30 Jahre von Hastings Banda mit eiserner Faust regiert wurde,
war erst 1994 ein demokratisches Regierungssystem eingeführt
worden. Der erste in freien Wahlen gewählte Präsident
Bakili Muluzi durfte gemäß der Verfassung nach zwei
Amtszeiten nicht wieder antreten, nachdem Bemühungen der
regierenden United Democratic Front (UDF), diese Bestimmung zu
ändern, im Parlament knapp gescheitert waren. Die offene
Nachfolgefrage führte zu einer Zerreißprobe in der UDF,
nachdem Muluzi überraschend den ehemaligen stellvertretenden
Zentralbankchef Bingu wa Mutharika als seinen Nachfolger
durchsetzte. Der promovierte Ökonom arbeitete von 1963-1997 im
Ausland, unter anderem für die UN und die Weltbank in
Washington, und war von 1991 bis 1997 Generalsekretär der
südostafrikanischen Wirtschaftsorganisation COMESA. Noch 1999
war er bei den Präsidentschaftswahlen gegen Muluzi angetreten,
trat aber nach einer verheerenden Niederlage - er erhielt nur ein
halbes Prozent der Stimmen - mit seiner Partei in die UDF
über. Der Technokrat dürfte von der Ende März 2003
getroffenen Entscheidung Muluzis, seine Nachfolge anzutreten,
genauso überrascht gewesen sein wie einige
Regierungspolitiker, die ihre eigenen Ambitionen auf das
höchste Amt aufgeben mussten und zur Opposition
überliefen.
Ohne die Hilfe des charismatischen und vor allem in der dicht
besiedelten Südregion des Landes beliebten Muluzi hätte
der zunächst etwas hölzern wirkende und in der
Bevölkerung weitgehend unbekannte Mutharika kaum Siegeschancen
gehabt. Der Wahlkampf wurde im wesentlichen gegen zwei
aussichtsreiche Kandidaten geführt. Mutharika wurde von der
Alliance for Democracy (AFORD), die in der Nordregion
federführend war, als Koalitionspartner unterstützt.
AFORD-Chef Chakufwa Chihana war im April 2003 als zweiter
Vizepräsident in die Regierung eingetreten. Für die
ehemalige Einheitspartei Malawi Congress Party (MCP) trat der
Veteranpolitiker John Tembo an, der als graue Eminenz unter der
Banda-Diktatur galt. Der ständige innerparteiliche
Gegenspieler Tembos, Gwanda Chakuamba, war Anfang des Jahres als
Vizechef der MCP zurückgetreten und hatte die Republican Party
(RP) gegründet. Damit wurde der zehnjährige Machtkampf,
der auch eine persönliche Komponente hatte, beendet. Chakuamba
war 1980 bei Banda, vermutlich auf Betreiben Tembos, in Ungnade
gefallen und wurde zu 22 Jahren Arbeitslager verurteilt, von denen
er 13 Jahre verbüßte. Um seine Wahlchancen zu
erhöhen, bildete er die Mgwirizano "Zusammenhalt"-Koalition
mit sechs kleinen Parteien. Im Wahlkampf hatten sich die
größten christlichen Kirchen massiv und ungewohnt offen,
sogar in Hirtenbriefen, für die Abwahl der UDF-Regierung
eingesetzt, weil sie eine weitere Islamisierung des Landes
fürchteten. Das richtete sich weniger gegen den Katholiken
Mutharika als vielmehr gegen den Muslimen Muluzi und gegen den
ebenfalls muslimischen Vizepräsidentschaftskandidaten Cassim
Chilumpha. Obwohl keine signifikante politische Stärkung des
Islam, dem nur etwa 20 Prozent der Malawier angehören, zu
beobachten ist, wurde der Bau von Moscheen und muslimischen
Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen von den christlichen Kirchen
als Konkurrenz empfunden. Somit wurde erstmals in der Geschichte
Malawis die Religionszugehörigkeit politisch
instrumentalisiert.
Die Wahlen, die von rund 300 internationalen Beobachtern der EU,
des Commonwealth, der Afrikanischen Union und anderen
Organisationen überwacht wurden, waren nicht frei von
technischen Unzulänglichkeiten. Im Vorfeld gab es Probleme bei
der Wählerregistrierung. Da es in Malawi keine
Personalausweise gibt und Geburtsurkunden nur in den wenigen
Städten Verwendung finden, war die fotografische Registrierung
der Wähler die einzige Möglichkeit zur
Identitätsfeststellung. Im Rahmen der Neuregistrierung im
Januar war es zu Doppeleintragungen gekommen, da Wähler, die
ihr Registrierungszertifikat verloren hatten, sich nochmals ins
Wählerregister eintragen ließen, statt ein Duplikat zu
beantragen. 900.000 Doppelregistrierungen waren zu bereinigen. Auf
gerichtliche Anordnung musste der Wahltermin um zwei Tage auf den
20. Mai 2004 verschoben werden, um eine Verifikation des
Wählerregisters durchführen zu können. Insgesamt war
der Wahlgang transparent, er verlief geordnet und friedlich. In
jedem Wahllokal waren Vertreter verschiedener politischer Parteien
und nationale Beobachter der Kirchen anwesend, die auch die
Auszählung, die im jeweiligen Wahllokal an Ort und Stelle
durchgeführt wurde, überwachten und gegenzeichneten. Von
den
5,2 Millionen registrierten Wählern gaben 65 Prozent ihre
Stimme ab, was im Vergleich zu der außerordentlich hohen
Wahlbeteiligung von 1999 - damals wählten 94 Prozent -
enttäuschend war. Aufgrund technischer Schwierigkeiten
verzögerte sich die Verkündigung der Endergebnisse, was
den Kandidaten Chakuamba veranlasste, sich öffentlich zum
Wahlsieger auszurufen. Dies zog die polizeiliche Schließung
einer privaten Radiostation nach sich und führte zur
Verhaftung einer Parteifunktionärin, die dem Sender ein
Interview über die Selbstproklamation ihres Chefs gegeben
hatte.
Bei den Präsidentschaftswahlen konnte sich Mutharika (UDF)
mit 35,2 Prozent der gültigen Stimmen gegen Tembo (28,6
Prozent) und Chakuamba (25,3 Prozent) bei Anwendung der relativen
Mehrheitswahl durchsetzen. Im Parlament gewann die UDF nur
49 der 193 Sitze, während die MCP auf 56 und die RP auf
neun Mandate kamen. Erstmals gelang es 39 unabhängigen
Kandidaten, in die Nationalversammlung einzuziehen. Dabei handelte
es sich größtenteils um UDF-Politiker, die bei den
parteiinternen Vorwahlen durchgefallen waren und nach ihrem Sieg
wieder in die Regierungspartei eintraten. Das Wahlverhalten war
geprägt von ethnisch-regionalen Mustern. Während
Mutharika und die UDF vorwiegend in der Südregion, der Heimat
Mutharikas und Muluzis, punkteten, gelang es Tembo und der MCP nur
in der Zentralregion, aus der er stammt, Mandate zu gewinnen.
Chakuamba erzielte Erfolge in seinem Heimatdistrikt Nsanje im
äußersten Süden sowie in der dünn besiedelten
Nordregion. Programmatische oder ideologische Unterschiede zwischen
den Parteien gab es praktisch nicht. Die regionale Herkunft der
Kandidaten war für das Wahlverhalten entscheidend.
Nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse kam es in den Städten
Blantyre und Mzuzu zu gewaltsamen Ausschreitungen und
Plünderungen. Chakuamba focht die Wahlen gerichtlich an, gab
dieses Vorhaben aber auf, als er Anfang Juni eine
Koalitionsvereinbarung mit der UDF einging und somit der Regierung
zu einer Parlamentsmehrheit verhalf. Der wirkliche Machthaber in
Malawi bleibt Bakili Muluzi, der als Vorsitzender und
Hauptfinanzier der UDF seinen handverlesenen Nachfolger
durchzusetzen vermochte. Er arrangierte auch den Schulterschluss
mit Chakuamba und ebnete damit den Weg für eine stabile und
handlungsfähige Regierung. Ambitionen auf eine zweite Amtszeit
wird der 70-jährige Mutharika möglicherweise nicht haben,
aber dafür könnte sein acht Jahre jüngerer
Vorgänger wieder antreten. Der wirkliche Wahlsieger ist
Muluzi, wobei ihn die Opposition unfreiwillig mit ihrer
Unfähigkeit, sich zu vereinigen, unterstützte. Ob er in
Zukunft weiterhin eine wichtige politische Rolle spielen will und
kann, bleibt abzuwarten. Bisher verfügt Mutharika nicht
über eine eigene Machtbasis in der UDF und bleibt auf das
Wohlwollen seines Gönners angewiesen. Inhaltlich kündigte
der neue Präsident ein deutlich verkleinertes Kabinett und
eine Fokussierung auf die Wirtschaftspolitik und
Korruptionsbekämpfung an.
Der Autor war Mitglied der offiziellen EU-Wahlbeobachtermission
in Malawi.
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