|
|
Christoph Oellers
Der Torwart muss den Kasten sauber halten
Der FC Bayern und seine
Talentschmiede
"Der war nicht scharf geschossen." Max
Grüns Linke beschreibt die Flugbahn des Balles, ehe der auf
seinen rechten kleinen Finger prallte. Der Finger brach. Für
vier Wochen kann er nur links die Hand geben. Max ist Torwart in
der B-Jugend des FC Bayern. Mit 17 Jahren hat er die Figur eines
Eishockeyspielers. Ein Alptraum für jeden Stürmer, der
allein auf ihn zuläuft. Er bleibt cool, bis die Nerven des
Gegners versagen. Sein blondiertes Haar hat er gegelt wie zu einem
Hahnenkamm, wie David Beckham 2002. Das Elternhaus in der
mainfränkischen Provinz verließ er vor zwei Jahren. Sein
Talent war den Scouts des deutschen Rekordklubs in der
Bezirksauswahl aufgefallen. Nach einem Probetraining wurde sein
Traum fürs Erste wahr.
Draußen übt die Mannschaft, deren
Kapitän er ist, im kalten Regen. Sie hüpfen einbeinig
über den Platz, sprinten und traben, spielen sechs gegen zwei
mal mit einer Ballberührung, mal mit zwei Kontakten. Gerade
erst haben sie den Kraftraum verlassen, am Abend wartet noch ein
Training. Trotzdem geht es zur Sache. Sie grätschen, sie
hadern, sie kämpfen. "Am Anfang war das ziemlich hart.
Sechsmal die Woche Training war ich nicht gewohnt", sagt Mathias
Schwarz. Er ist der Freund von Max, Mittelfeldspieler und erst 16
Jahre alt. Wie Max kam er vor zwei Jahren zu Bayern. Die Jungs
kennen sich von der Bezirksauswahl Unterfranken. Der Klub schloss
mit ihnen eine Vereinbarung, wonach er Unterkunft, Verpflegung,
Taschengeld sowie das Ticket für eine monatliche Heimreise
gewährt. Beide wohnen mit elf Jungs im Jugendhaus, einem
zweistöckigen Betonwürfel auf dem Trainingsgelände,
vis à vis vom eingezäunten Rasen der Profis.
Drinnen hat Christa Schweinberger das Sagen:
Seit fast zehn Jahren serviert sie Frühstück, kocht
Kaffee, backt Kuchen, achtet streng auf die Gebote hiesiger
Disziplin: bis 23 Uhr im Haus zu sein, Mädchen außen
vorzulassen sowie den Ball, Lustobjekt schlechthin, vom Zimmer
fernzuhalten. "Für Freundin oder so hat man eher weniger
Zeit", sagt Max im Mono-Ton. Mathias klingt ähnlich: "Ich will
mal was erreichen. Da muss man auf manche Sachen
verzichten."
"Die Burschen versuchen mich schon immer
wieder zu blitzen." Frau Schweinbergers Stimme färbt ein
oberbayerisches Idiom. Sie sitzt an einem nüchternen
Allzwecktisch des Aufenthalts-, Eß- und Studierraumes, den ein
FCB-Teppich eröffnet. Die Wände schmücken deckenhohe
Glasvitrinen, in denen Pokale golden und silbern glänzen. Eine
Sofaecke dreht sich um einen Fernseher von der Größe
eines Kneipen-kickers. "Natürlich habe ich meine Lieblinge -
100 Pro." Mit verschränkten Armen auf der Tischplatte
hält sie sich in einer Habachtstellung. "Aber man merkt mir
nicht an, wen ich besonders gerne habe, glaube ich." Wenn sie vom
Vergangenen spricht, schon. Der Titel, den ihr die Generation um
Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm verlieh, beflügelt sie
unverkennbar bis heute. "Die haben mich 'Chefin' genannt."
Schweinsteiger und Lahm gewannen vor zwei Jahren die deutsche
A-Jugendmeisterschaft, nun kämpfen sie in Portugal um die
europäische Fußballkrone. Über Christa
Schweinbergers Kopf rumpelt es. "Da räumt jemand brutal auf.
Das ist der Matze." Mathias bewohnt im ersten Stock ein Apartment
mit Balkon. Da hat er sich aus Tisch und Stuhl einen Hochsitz
gebaut, um das Training der Profis besser verfolgen zu können.
Sein Händedruck ist nicht stark, nicht schwach, ganz normal.
Schüchtern? Eher zurückhaltend, ein guter Beobachter,
vielleicht. Er wirkt noch etwas schmächtig. "Als ich das
erstemal alleine in diesem Zimmer stand, nachdem meine Eltern
gegangen waren, war das schon ein bisschen komisch." Das sei eine
große Umstellung gewesen von den wenigen Einwohnern seines
Dorfes auf die Münchner Millionendimension. "Schon was ganz
anderes als bei uns." Er hätte auch zum VfB nach Stuttgart
wechseln können, seine Mutter hätte das lieber gesehen,
weil Breitenbuch nur zwei statt jetzt fast vier Stunden weg gewesen
wäre. Höchstens einmal im Monat fährt er heim. Auf
dem Kleiderschrank klebt der Franzose Zinedine Zidane, dreifacher
Weltfußballer. Es macht ihn etwas verlegen, wenn er darauf
angesprochen wird. Andererseits ist die Liebe offensichtlich. Wozu
darüber Worte verlieren? Mathias will das Abitur. "Ich bin ja
nicht schlecht in der Schule." Drei Jahre noch.
Max hat die Mittlere Reife seit letztem Jahr
in der Tasche. Im Januar brach er die Fachoberschule ab, weil
Training, Nationalmannschaft und Knieverletzung alle Kräfte
forderten. "Wir legen Wert darauf, dass jeder einen möglichst
hohen Schulabschluss hat, mindestens den bayerischen
Realschulabschluss." Florian Cichlar organisiert das schulische
Begleitprogramm für die A- und B-Jugend. Montags, dienstags,
donnerstags bietet er eine Studierzeit an. "So eine Mischung aus
Hausaufgaben machen und Nachhilfe." Ohne Cichlar würden die
meisten das Schuljahr nicht heil überstehen. Sechsmal
Training, Auswärtsspiele bis nach Saarbrücken und Mainz,
dazu viele Lehrgänge mit der Nationalmannschaft. Die liegen
überdies gerne in der Schulaufgabenzeit. "Das ist eine
Belastung, mathematisch ausgedrückt, die mindestens
vervierfacht ist: doppelte Schulaufgaben und doppelter Stoff." Wem
dreimal die Woche nicht langen, der kann mit einem der drei
Nachhilfelehrer Zusatzschichten fahren. Cichlar lehrt Mathematik
und Physik an einer Münchner Privatschule. Der Job hier
scheint Passion zu sein. Seit acht Jahren sorgt er sich um etwa 30
Jungen. Sein Augenmerk gilt besonders den Auswärtigen, die im
Jugendhaus wohnen. Er übernimmt elterliche Aufgaben: sucht die
Schule aus, hält Kontakt zum Direktor, kontrolliert die
Leistungen. "Von seiten der Eltern heißt es zunächst
immer, das wichtigste für uns ist die Schule." Alle Noten
verbucht er in seinem fc-bayernblauen Ordner. "Wenn mir da jemand
mal was verheimlicht, werde ich genau so sauer wie ein Vater oder
eine Mutter."
Unter Mathias Schwarz reihen sich
überwiegend Zweier. Cichlars Augen leuchten, wenn er auf das
Schuljahr 2000/2001 zurückblickt. Von seinen 33 Schülern
blieb niemand sitzen, A- und B-Jugend gewannen die deutsche
Meisterschaft. "Mannschaften, die bei mir zuverlässig und toll
sind, die stehen auch weit oben in der Tabelle." Bei der Truppe von
Max und Mathias war das im ersten Halbjahr anders herum: In
Cichlars Ringbuch hatten Vierer und Fünfer sowie Kringel
Konjunktur, die Elterngespräch bedeuten, andererseits verlief
die Hinrunde desaströs. Jugendabteilungsleiter Werner Kern sah
den Ausnahmezustand gekommen und hielt eine Gardinenpredigt zu FC
Bayern, Ehre und Leistungsbereitschaft. "Ich hatte Angst, dass wir
absteigen."
Maxens Fingerbruch ist die vierte schwere
Verletzung in seiner Zeit bei Bayern. Nach der Januar-Kata-strophe,
Kreuzbandan- und Innenbandabriss im rechten Knie, kamen Zweifel
auf. "Da hat man schon gedacht: warum ich." Das sei aber nur ein
kurzer, "dummer Gedanke" gewesen, den er seiner Mutter verraten
habe. "Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als Fußball zu
spielen."
Sechs gegen zwei. Mathias muss selten in der
Mitte dem Ball hinterher jagen. Wie er ihn annimmt, führt,
abdeckt, nach kurzem Zögern weiterspielt, die leicht
schleppende Bewegung samt gekrümmter Körperhaltung - das
erinnert an sein Vorbild auf dem Poster. "Der Matze ist eigentlich
ein Zehner", sagt sein erster Bayern-Trainer, Roman Grill. Der
könne in den Straf-raum dribbeln, zwei Mann auf sich ziehen
und habe die Wahl, wo er hinspielt. Grill hat mit Bleistift ein
Rechteck voller Kreuze gemalt, das Kreuz mit der zehn eingerahmt
und davon energische Pfeile gezogen. Er springt vom Schreibtisch
auf und macht vor, was er meint, dreht sich ein paar Mal um die
eigene Achse. "Zack, zack, Täuschung, und dann kann er
spielen. Matze hat immer Optionen. Im Unterschied zu mir
früher, der froh war, wenn der einfache Pass gelang."
Andererseits sei das so eine Sache mit den Optionen. Man hat die
Wahl, und Entscheidungen verlangen Zeit, die es im Spiel kaum gibt.
Nummer zehn, das ist die Position hinter den Spitzen, Mathias hat
aber bei Grill immer den defensiveren Part, die Acht gespielt.
"Vorne, das kann er im Schlaf, hinten aber, das muss man ihm jetzt
beibringen, damit sich das noch automatisieren kann."
Max und Mathias werden in die A-Jugend
übernommen. Die Hälfte ihrer Mitspieler muss sich
verabschieden, weil fortan zwei Jahrgänge eine Mannschaft
bilden. Der Traum, Profi zu werden, rückt näher. Max ist
ein bisschen weiter. Der Kapitän bekommt als einziger seines
Jahrgangs schon einen Vertrag. "Weil wir glauben, dass er in zwei
Jahren Torwart bei den Amateuren wird", sagt Jugendleiter Kern. Da
geht es dann nicht mehr nur um Taschengeld. "Wenn die Leistung
stimmt, belohnen wir das. Logisch." Die anderen müssten sich
noch beweisen und begreifen, nicht für sich, sondern
mannschaftsdienlich und effektiv zu spielen. "Gewinnen wird jetzt
immer wichtiger." Kerns Botschaft ist klar: Spätestens in der
kommenden Saison hat der Spaß ein Ende.
Max redet schon fast wie ein Profi. Sein
Selbstbewusstsein scheint enorm, das nötige Vokabular perlt
ihm von den Lippen. "Ja gut. Sicher. Ja klar", antwortet er, wenn
es um Erwartungshaltung beim FC Bayern geht. Und in Sachen Nummer
eins: "Ich denke mal, dass der Torwart seinen Kasten sauber halten
muss, sonst geht jedes Spiel verloren." In Karlstadt bei
Würzburg scherzen die Freunde schon, dass er 2006 Oliver Kahn
beerbt. Dabei hat Max jahrelang bei seinem Heimatverein Mittelfeld
gespielt. "Im Tor war mir das zu langweilig. Da hätte ich mich
auch schlafen legen können."
Nach dem letzten ernsthaften Training der
Profis unter Ottmar Hitzfeld klettert Mathias von seinem Hochsitz,
streift die Vereinskluft über, schnürt die
Fußballschuhe und präsentiert sich an einer Ecke des
heiligen Profi-Rasens mit Owen Hargreaves dem Photographen.
Lächeln und Bällchen zukicken. Natürlich auch reden.
Hargreaves kam 1997 mit 16 aus Calgary, Kanada, zu den weltweit
präsenten Bayern. "Das war schon ein Traum, sich mit den
besten deutschen Talenten messen zu können." Dafür hat er
seine Heimat, seine Eltern, seine Freundin verlassen. Ein
Schulabschluss fehlt ihm trotz Cichlar. In seinem ersten Profijahr
gewann er Champions League und deutsche Meisterschaft. Nun spielt
er bei der EM für England. Im Jugendhaus hängt sein
Trikot mit der Nummer 23. "Für Mama Schweinberger: danke, dass
Sie immer da waren."
Telefon. Mutter Grün ist besorgt ob der
Berichterstattung über Max. Schlechte Erfahrungen mit einem
Radiosender. Sie sei ja nur vorsichtig. Woher die Narbe auf seinem
linken Daumen stamme? "Mit dem Brotmesser abgerutscht. Da ist er
aweng ungeschickt." Gut, dass der Fußball noch Mütter
kennt.
Zurück zur Übersicht
|