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Volker Koop
Experten fürchten einen
Führerschein-Tourismus in Europa
Schlupfloch für
Alkoholsünder?
"C-476/01" - Hinter diesem schlichten
Kürzel verbirgt sich ein Urteil des Europäischen
Gerichtshofes, das der Politik sicherlich noch zu schaffen machen
wird. Denn mit dem Urteil stellten die Luxemburger Richter fest:
"Ein Mitgliedsstaat darf einem von einem anderen Mitgliedsstaat
ausgestellten Führerschein die Anerkennung nicht deshalb
versagen, weil nach den ihm vorliegenden Informationen der
Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung des
Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im
Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaats hatte, der den Führerschein
ausgestellt hat."
Und weiter heißt es: "Ein Mitgliedsstaat
darf die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins,
der später von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellt worden
ist, nicht weiterhin ablehnen, wenn die frühere Fahrerlaubnis
des Führerscheininhabers im erstgenannten Mitgliedsstaat
entzogen oder aufgehoben wurde, die Sperrfrist für die
Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedsstaat aber
bereits abgelaufen ist."
Was sich äußerst kompliziert liest,
bedeutet nichts anderes, als dass dieses Urteil
Verkehrssündern offenbar die Möglichkeit bietet,
nationale Fahrverbote ganz legal zu umgehen. Im Klartext: Wer
beispielsweise mehrmals den Führerschein - beispielsweise
wegen Alkohol im Straßenverkehr - abgeben musste und eine
angeordnete Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU)
fürchtet, kann in einem anderen EU-Staat einen neuen
Führerschein machen, der dann auch in Deutschland akzeptiert
werden muss. Denn in der entsprechenden EU-Richtlinie 91/439
heißt es explizit: "Die von den Mitgliedsstaaten ausgestellten
Führerscheine werden gegenseitig anerkannt."
Welche konkreten Auswirkungen das Urteil
haben wird, ist noch umstritten. Doch Experten fürchten
bereits jetzt einen "Führerschein-Tourismus" in
Nachbarländer, zumal die Fahrstunden dort auch erheblich
günstiger sind als in Deutschland.
Möglicherweise aber trügen die
Erwartungen derer, die nun darauf hoffen, in einem anderen EU-Land
den "Idiotentest" umgehen zu können. Zunächst sei die
Entscheidung des Gerichtshofes eine Bekräftigung des
Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine
innerhalb der EU, erläutert die SPD-Bundestagabgeordnete Heidi
Wright. Sie bedeute aber auch, dass die europäischen
Mitgliedsstaaten die Gültigkeit eines in einem anderen
Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheines nicht deshalb
ablehnen dürften, weil auf den Inhaber des Führerscheins
eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis angewendet wurde -
sofern die Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis
abgelaufen war. Doch, so unterstreicht die Verkehrsexpertin:
"Obwohl das Urteil Auswirkungen auf das Verwaltungsverfahren in
Deutschland haben wird, sollte seine Bedeutung nicht
überbewertet werden. Denn es ist keineswegs ein Freibrief
für Personen, denen der Führerschein - zum Beispiel wegen
eines Alkoholproblems - entzogen wurde und die sich, zur Umgehung
einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung im europäischen
Ausland unter Angabe eines Scheinwohnsitzes einen Führerschein
besorgen. Auch nach der Entscheidung des EuGH verstößt
dieser "Führerschein-Tourismus" gegen europäisches Recht,
da weiterhin das Wohnsitz-Prinzip gilt. Das heißt, eine
Umgehung der MPU durch Erwerb eines ausländischen
Führerscheins ist nach wie vor nicht möglich."
Dies begrüße sie insbesondere im
Interesse der Verkehrssicherheit. Richtig sei, dass deutsche
Behörden auch nach dem EuGH-Urteil Entziehungsverfahren der
Fahrerlaubnis einleiten könnten, um sicherzustellen, dass eine
Teilnahme am Straßenverkehr nur dann stattfinde, wenn eine
Gefährdung anderer ausgeschlossen sei. Schließlich, so
Heidi Wright abschließend, sei es in diesem Kontext positiv zu
werten, dass in den vergangenen Jahren eine Qualitätssicherung
der MPU gewährleistet und diese einer Reformierung unterzogen
worden sei: "Diese Reform muss im Sinne einer besseren Transparenz
weiterentwickelt werden."
Auf die Tatsache, dass in den vergangenen
Jahren vermehrt bei Führerscheinentzug ins Ausland ausgewichen
wurde, um dort eine neue Fahrerlaubnis zu erwerben, verweist der
CDU-Verkehrsexperte Gero Storjohann. Auf diese Weise sollten die
deutschen Eignungsvorschriften, insbesondere im Hinblick auf die
MPU ausgehebelt werden. Sogar im Internet werde von zahlreichen
Firmen für diese Möglichkeit der Umgehung deutschen
Rechts geworben. Er begrüße durchaus die im Urteil
erfolgte Klarstellung des Europäischen Gerichtshofes, dass
eine Anerkennung dieser Auslandsführerscheine während
einer - von deutschen Gerichten verhängten - Sperrfrist nicht
erfolgen müsse. Allerdings umfasse, so Gero Storjohann weiter,
das Urteil nicht das Problem der Umgehung der MPU. Es komme nicht
nur auf die Sperrfrist, sondern auch darauf an, dass dieses
Rechtsinstrument nicht umgegangen werde. Gerade in diesem Bereich
aber blühe das "verwerfliche Umgehungsgeschäft beim
Führerschein-Tourismus". Die Forderung des
CDU-Bundestagsabgeordneten daher: "In diesen Fragen brauchen wir
endlich Klarheit. Hier muss Rot-Grün sich bewegen. Ich fordere
daher die Bundesregierung auf, bei der Europäischen Kommission
endlich für Rechtssicherheit Sorge zu tragen."
"Die vom Gerichtshof festgestellte Rechtslage
auf europäischer Ebene darf nicht zu weniger Sicherheit im
Straßenverkehr führen", verlangt Hans-Peter Uhl. Eine
Lösung des Problems könne es zwangsläufig nur auf
europäischer Ebene geben. Wenn auf der einen Seite
Führerscheine in den Mitgliedsstaaten gegenseitig anerkannt
werden müssten, sei es nach Überzeugung des
CSU-Bundestagsabgeordneten ebenso erforderlich, dass auch nationale
Rechtsinstrumente untereinander berücksichtigt und respektiert
würden. Dazu gehöre eben auch die Medizin-Psychologische
Untersuchung. Doch unabhängig von dieser Problematik
müssten europaweit einheitliche Kriterien für die
Erlangung des Führerscheins formuliert und durchgesetzt
werden. Wer - beispielsweise aus Kostengründen - in Holland
oder in Polen seinen Führerschein mache, dürfe nicht nur
im polnischen respektive holländischen Verkehrsrecht
unterwiesen werden, sondern ihm müssten auch die deutschen
Verkehrsvorschriften nahegebracht werden.
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