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Matthias Lohre
Das Attentat als moralische Dimension gegen die
Machthaber
Kontroverse um Ziele und Charaktere der
Verschwörer des 20. Juli
Stauffenberg hat Konjunktur. 60 Jahre nach dem Hitler-Attentat
interpretieren Fernsehfilme, Theaterstücke und Romane die
Ereignisse des 20. Juli 1944. Wer Claus Schenk Graf von
Stauffenberg war, was er wollte und was er bewirkt hat -
darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Ob
Vorkämpfer der Menschenrechte, Militarist oder Romantiker:
Jede Seite streitet für ihre Sicht. Ein Ende der Kontroversen
ist nicht in Sicht.
Einige Sekunden lang bleibt es still auf der Bühne. Erst
dann setzt der Applaus ein, freundlich, aber verhalten. Fast so,
als hätten die Premieren-Gäste Mitleid mit den
Schauspielern, die sich auf der Bühne des Berliner
Schiller-Theaters verneigen. Zweieinhalb Stunden lang haben die
Akteure schreiend, flüsternd und singend "Stauffenberg - Die
Tragödie des 20. Juli 1944" aufgeführt. Der Saal scheint
sich einig zu sein: Die Theatertruppe hat wirklich versucht, etwas
aus dem Stück zu machen, das 20 Jahre lang unaufgeführt
geblieben ist. Aber Autor, Regisseur und Schauspieler sind am Thema
gescheitert. Zwischen schwülem Opferpathos und Chaplin-Farce
ist ihre Geschichte zerrieben worden. Die Geschichte, die sie doch
so eindringlich erzählen wollten: Aus welchem Antrieb Oberst
Schenk Claus Graf von Stauffenberg an diesem Sommertag des Jahres
1944 handelte, und mit welchem Ziel. Doch nicht nur nach diesem
Theaterstück bleibt die Öffentlichkeit ratlos
zurück.
Bis heute blicken die Deutschen mit gemischten Gefühlen auf
diesen 36-jährigen Wehrmachts-Offizier aus schwäbischem
Adel, der noch am Abend des 20. Juli 1944 vor einem
Erschießungskommando im Hof des Bendler-Blocks in Berlin
starb, angeblich die Worte "Es lebe das heilige Deutschland" auf
den Lippen. Doch welches Deutschland wollten Stauffenberg und seine
Mitverschwörer aufbauen? Und kann diese Tat die Nachfolgenden
etwas lehren über Deutschland, Verrat, Ehre, Mut und Moral?
Über die Antworten streiten Publizisten und Künstler bis
heute.
Zum 50. Jahrestag des Attentats herrschte in der deutschen
Öffentlichkeit weitgehend Sprachlosigkeit. Als sich damals der
Publizist Joachim Fest daran machte, seine Geschichte vom
"Staatsstreich - Der lange Weg zum 20. Juli" zu schreiben, sah er
um sich herum außer einem Lexikon zum Widerstand kaum
Neuveröffentlichungen auf dem deutschen Buchmarkt. Das
Attentat war noch vor zehn Jahren abseits politischer und
publizistischer Kreise kein Thema. Bis heute, kritisiert der
Historiker Joachim Fest, respektierten die Deutschen den Widerstand
gegen das NS-Regime nicht genug. Langsam ändert sich das. Der
zeitliche Abstand zum Geschehen erlaubt einen offeneren Blick auf
die Ereignisse. Pünktlich zum 60. Jahrestag nehmen sich neben
Theaterstücken auch Bücher und Filme Stauffenbergs und
anderer Nazi-Gegner an. Augenfälligster Beweis für das
gewachsene Interesse: der SWR-Fernsehfilm "Stauffenberg" von
Regisseur Jo Baier. 7,58 Millionen Zuschauer machten die
Erstausstrahlung im Februar zum Quotenerfolg. Der Historiker Gerd
R. Ueberschär schrieb das Buch zum Film: "Stauffenberg - Der
20. Juli 1944". Kurz darauf legte das ZDF nach: mit der
vierteiligen Dokumentation "Sie wollten Hitler töten" aus der
Guido-Knopp-Schmiede und einem gleichnamigen Buch. Zur selben Zeit
füllen die Neuauflagen mehrerer Sachbücher die
Verkaufsregale: Joachim Fests "Staatsstreich" etwa, oder die
Biografie "Claus Schenk Graf von Stauffenberg" des Historikers
Peter Hoffmann. Dabei geraten Fiktion und historische Darstellung
immer wieder aneinander. Je populärer das Stauffenberg-Thema
wird, desto mehr Verkürzungen und Pauschalierungen drohen,
wenn die gesamte Widerstands-Geschichte in wenigen Fernsehstunden
erzählt wird. Die Handlungen stehen oft ohne Bezug im Raum,
Stauffenbergs Motive bleiben nebulös. Ein Held ohne
Hintergrund. Stauffenberg-Biograf Hoffmann sorgte mit seiner
Distanzierung zum Fernsehfilm von Jo Baier für Aufsehen. Ein
Kritikpunkt: Der Film-Stauffenberg wirke, "als habe er den
Massenmord an den Juden nie spezifisch und ausdrücklich
verurteilt." Dabei sei das Gegenteil belegt. Baier hatte Hoffmann
und andere Historiker kontaktiert, um für die Filmhandlung
wissenschaftlichen Segen zu bekommen. Dafür wollte der Autor
des Sachbuchs "Stauffenberg und der 20. Juli 1944" seinen Namen
aber nicht hergeben.
Nicht nur die Charaktere, auch die Ziele der Verschwörer
werden bis heute heftig diskutiert. Für den Historiker Joachim
Fest etwa ist das Attentat zu diesem späten Kriegs-Zeitpunkt
eine symbolische Tat, "eine moralische Dimension, wenn man so will,
um zu zeigen, dass sich nicht alle nur wie die Lämmer zur
Schlachtbank haben führen lassen." Doch auch solche
Äußerungen können nicht vergessen machen, dass die
Zukunftshoffnungen der Attentäter wenig mit heutigem
Demokratieverständnis zu tun hatten. Noch im ersten Kriegsjahr
schrieb der junge Oberleutnant Stauffenberg seiner Frau Nina aus
dem besetzten Polen: "Die Bevölkerung ist ein unglaublicher
Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk,
welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von
Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun." Sätze
wie dieser machen es Theater- und Buchautoren schwer, ihrem
heutigen Publikum ein korrektes und zugleich
sympathisch-demokratisches Bild Stauffenbergs zu
präsentieren.
Mit zum Teil bizarren Folgen: Beim Theaterstück
"Stauffenberg - Die Tragödie des 20. Juli 1944" verfestigt
sich das Stauffenberg-Bild zum einsilbigen Monument der
Entschlossenheit: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Am Ende
geht er, in Weiß gewandet, stumm seinem Opfertod entgegen. Und
Jo Baiers Fernsehfilm "Stauffenberg" kann sich nicht entscheiden,
ob er Stauffenberg heilig sprechen oder zum Kumpel-Typ für
heutige Fernsehzuschauer machen will. Einerseits verordnet Baier
seinem Helden trockenen Humor: Auf die Frage eines Offiziers, ob
er, Stauffenberg, kurz unter vier Augen zu sprechen sei, antwortet
der: "Das wird schwierig. Ich habe nur eins." Auf der anderen Seite
entschwindet der Held auch hier in einsame Höhen. Während
SS-Truppen schon das Büro der Verschwörer stürmen,
hat Stauffenberg-Darsteller Sebastian Koch noch die Zeit für
einen Monolog in aller Stille: "Ich hatte einen Traum…".
Verdammung und Seligsprechung. Zwischen diesen Polen hat sich
die schier endlose Debatte über die Hitler-Attentäter
lange bewegt. Deren Gräben verlaufen seit 60 Jahren quer durch
Deutschland. Ein Rückblick: Bis in die frühe
Bundesrepublik hallte Hitlers Parole von der "ganz kleinen Clique
ehrgeiziger Offiziere" nach. Der Vorwurf des Vaterlandsverrats ging
bald in Verdrängung über. In der Bundesrepublik machte
die Westbindung die Attentäter schnell wieder hoffähig,
und auch die anfangs heftig umstrittene Bundeswehr fand in den
Wehrmachtssoldaten um Stauffenberg willkommene Taufpaten. Die DDR
hingegen kanzelte die Frauen und Männer des 20. Juli nach
anfänglichem Lob ab als Großbourgeois, Junker und
nationalkonservative Hardliner. Zeitgleich ging der kommunistische
Widerstand auf im Gründungsmythos des Arbeiter- und
Bauernstaates: hier das Land der Opfer und Widerständler im
Nazireich, dort das Land der Täter, das man sich mit einem
"antifaschistischen Schutzwall" vom Leibe halten müsse. Im
Gegenzug blieb das Gedenken in Westdeutschland lange auf die
militärischen Planer eingeengt. Ihre Verbindungen zu
Gewerkschaftern und Kommunisten fanden wenig Beachtung.
Erst seit der Wiedervereinigung nähern sich die
Geschichtsbilder der Menschen aus Ost und West einander an. So
haben nicht nur Gewerkschaftsvertreter wie Frank Bsirske bis heute
ein mulmiges Gefühl beim Gedanken an die Herkunft mancher
Widerständler: "Die Nationalkonservativen hatten nichts gegen
die Verhaftung der Linken und die Vorbereitung des Weltkriegs."
Für den Ver.di-Chef ist die Erinnerung an den 20. Juli denn
auch "biografisch eher eine Geschichte der Distanz, nicht der
Nähe." Doch die Sympathie wächst: Die
Dienstleistungsgewerkschaft ist Hauptsponsor des
Stauffenberg-Theaterprojekts, das im Juni das Gelände des
ehemaligen Reichssicherheitshauptamts bespielte. Aufführungen
an der "Wolfsschanze" und dem Nürnberger
Reichsparteitagsgelände sollen folgen.
Vielleicht hat der dänische Schriftsteller Stig Dalager
einen Weg gefunden, wie aus der Helden-Statue wieder ein Mensch
werden kann. Pünktlich zum 60. Jahrestag erscheint Ende Juni
die deutsche Übersetzung seines Romans "Zwei Tage im Juli".
Die Tage rund um das Bombenattentat werden hier aus zwei
Perspektiven erzählt - Stauffenbergs und Hitlers. Dalagers
"Führer" sehnt sich wehleidig nach dem eigenen Tod. Parallel
dazu geht der Romantiker Stauffenberg in seiner selbst
gewählten Rolle auf, "in der Größenwahn, Fanatismus
und Verachtung für Adolf Hitler Hand in Hand gehen
müssen, um Widerstand gegen ihn erfolgreich bündeln zu
können." Stauffenberg, der Besessene. Das Bild, das dabei von
ihm entsteht, ist weniger heroisch oder sympathisch als das derzeit
gepflegte. Aber vielleicht genau darum glaubhafter.
Matthias Lohre
"Sie wollten Hitler töten": 4tlg. Dokumentation,
ab 02.07. freitags 20:15 Uhr auf 3Sat,
ab 03.07. samstags 20:15 Uhr auf Phoenix
"Stauffenberg" - Der Film von Jo Baier:
20.07., 20:15 Südwest Fernsehen
"Mythos Widerstand": 3tlg. Dokumentation, 14./16./19.07., 21:45
Uhr ARD
"Zwei Tage im Juli", Roman von Stig Dalager, 280 S.,
gebunden, 19,90 Euro, erscheint Ende Juni im
Aufbau-Verlag
"Stauffenberg - Die Tragödie des 20. Juli 1944",
Theaterstück von David Sternbach; nächste Open-Air-
Aufführungen auf dem Südgelände des
Martin-Gropius-Baus in Berlin: 24. bis 27. Juni 2004, Beginn: 21.00
Uhr, Einlass:
20.00 Uhr, Karten: 12 und 18 Euro zzgl.
Vorverkaufsgebühr (Abendkasse: 13,50 und 21 Euro),
übliche Ermäßigungen; weitere Aufführungen:
Wolfsschanze in Polen nahe Gierloz (Görlitz) 31. Juli und
1. August 2004, weitere Spielorte:
Wilhelm-Leuschner-Gedenkstätte in Bayreuth, Gelände des
ehemaligen "Kraft-durch-Freude"-Bades Prora auf Rügen.
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