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Oliver Heilwagen
Big Nudes oder die Schönheit des
Körpers
Helmut Newton im neuen Museum für
Fotografie in Berlin
Das unbekleidete Mannequin kehrt dem Betrachter den Rücken
zu. Sein Antlitz ist wie der über seine Kamera gebeugte
Fotograf nur verkleinert im Spiegel zu sehen. Die nachdenklich
blickende Frau am Bildrand nimmt der Szene endgültig jede
Erotik und entlarvt sie als nüchterne Arbeitsatmosphäre.
In diesem "Selbstporträt mit Ehefrau und Model" hat der
berühmte Modefotograf Helmut Newton die Beziehung zu seiner
Gattin paradigmatisch eingefangen: Kein Paar hat sich so ausdauernd
und intensiv gegenseitig durch die Kameralinse beobachtet wie er
und seine Frau June, die unter dem Künstlernamen Alice Springs
arbeitete.
Davon kann man sich nun im neuen Museum für Fotografie in
Berlin überzeugen, das zwei Tage nach Newtons Beisetzung
eröffnet wurde. Mit den sterblichen Überresten kehrte
auch sein Bilderschatz in seine Geburtsstadt zurück. Im
September 2003, vier Monate vor seinem überraschenden Tod,
hatte er der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mehr als 1000
seiner Werke als Dauerleihgabe vermacht. Der restliche Nachlass
soll später folgen.
Wie Newtons Werk selbst ist auch das neue Museum von scharfen
Kontrasten geprägt. Untergebracht wurde es im ehemaligen
Casino der Preußischen Landwehr, einem 1909 gegenüber dem
Bahnhof Zoo im wilhelminischen Stil errichteten Prunkbau. Für
Newton hatte er symbolische Bedeutung: Dieses Gebäude war das
letzte, was er von Berlin sah, als er 1938 mit dem Zug aus dem
Dritten Reich floh. Besucher, die heute vom Bahnhof aus die
Straße überqueren, werden gleich auf die Schattenseiten
des Daseins aufmerksam gemacht. Direkt vor dem Museumseingang steht
die in einem Wohnmobil untergebrachte Vertriebszentrale einer
Obdachlosenzeitung.
Im Treppenhaus des Museums wartet der nächste Effekt: Wo
früher preußische Offiziere in Öl hingen, blicken
nun fünf monumentale "Big Nudes" den Betrachter frontal an.
Damit wird er auf die Aktdarstellungen eingestimmt, die den
Fotografen sein Leben lang beschäftigt haben. Auch die
Doppelausstellung zur Eröffnung, die bis Jahresende gezeigt
wird, setzt auf diesen Schlüsselreiz. Die Abteilung "Sex and
Landscapes" kontrastiert Models in extrem freizügigen Posen
mit atmosphärischen Landschaftsaufnahmen, die für Newtons
Verhältnisse seltsam beiläufig und verwaschen wirken. Da
kommt eine lyrische Seite zum Vorschein, die man bisher von ihm
nicht kannte.
Die Abteilung "Us and them" ist dagegen dem Personenkult
gewidmet. Zu sehen sind Porträts, die Helmut und June Newton
in allen Lebensaltern und -lagen voneinander gemacht haben. Sie
schonten einander nicht: Am eindrucksvollsten sind Bilder von ihm,
während ihn Instrumente der modernen Medizin auf das
Krankenbett fesseln. Der Fotograf, der die Schönheit des
Körpers feierte wie kaum ein anderer, scheute sich nicht, auch
seine eigene Hinfälligkeit zur Schau zu stellen.
Aufschlussreicher ist jedoch die Perspektive des Ehepaars auf
Dritte: Beide haben jeder für sich dieselben Prominenten
fotografiert. Dabei wählte Helmut meist ein
repräsentatives Arrangement, June eher einen intimen Moment -
gerne mit Kindern. Die Rede vom spezifisch männlichen
beziehungsweise weiblichen Blick bekommt hier schlagartig einen
Sinn.
Noch ist aber die künftige Gestalt des Museums kaum zu
erahnen. Die Helmut-Newton-Stiftung wird dauerhaft die beiden
unteren Etagen des Gebäudes belegen, die sie auch auf eigene
Kosten renoviert hat. Für andere Ausstellungen bleiben nur
zwei Dachgeschosse übrig. Mit dem so genannten Kaisersaal
enthalten sie zwar einen riesigen Raum im Berlin-typischen
Ruinen-Look. Doch für Fotoschauen ist er wenig geeignet:
Angekündigt ist bislang nur eine Großinstallation des
Bildhauers Raimund Kummer. So macht das Ganze vorerst einen
reichlich improvisierten Eindruck. Die neue Einrichtung muss noch
beweisen, dass sie halten kann, was sie in ihrem Namen verspricht:
Ein nationales Museum für die gesamte Geschichte der
Fotografie zu sein.
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