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Claus-Peter Hutter
Geschmackssinn verkümmert
Zusatzstoffe im Essen
Es ist unbestritten: Deutschland hat mit die intensivsten
Lebensmittelüberwachungen weltweit. Dennoch leben die
Deutschen nicht gerade gesund. Dass viele Bürger zu viele
Zuckerstoffe, zu viele Fette und zu viele Kohlehydrate zu sich
nehmen, ist eine Seite. Die andere Seite ist die Tatsache, dass
unser Geschmack regelrecht verkümmert.
Schuld daran, so Ernst-Ulrich Schassberger, Präsident der
Vereinigung der Spitzenköche Europas (Eurotoques), sind die
vielen Geschmacks- und anderen Zusatzstoffe in den Fertigprodukten,
die uns zunehmend feilgeboten werden. Längst haben sich die
Gewichte verschoben. In den Supermärkten überwiegen heute
Fertig- und Halbfertigprodukte. So manches Fertiggericht hält
bei fachgerechter Lagerung zwei bis drei Jahre, und im
Tiefkühlregal gibt es nahezu alles fertig zu kaufen. Gäbe
es die vielen Zusatzstoffe, die die Haltbarkeit solcher Produkte
ermöglichen, nicht, könnten die meisten Supermärkte
gleich morgen dicht machen, so der Wissenschaftsjournalist und
Sachbuchautor Hans-Ulrich Grimm. Er kritisiert, worüber sich
viel zu wenige Gedanken machen: dass Produkte nach etwas schmecken,
was gar nicht drin ist. So kann die Hühnersuppe von Knorr
etwa, so Grimm, mit zwei Gramm Trockenhuhn, was sieben Gramm
Naturhuhn entspricht, natürlich nur den Anschein von
Hühnersuppe erwecken, wenn man Aroma dazugibt.
Doch die Menschen nehmen auch infolge der Aromastoffe immer mehr
zu. Gesundheitsprobleme wie Diabetes sind die Folge, und dies wird
langfristig für die Sozialkassen ziemlich teuer. Laut
Schätzungen der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte (BfA) machen die Folgen der ernährungsbedingten
Krankheiten in Deutschland rund 40 Milliarden Euro im Jahr aus.
Würden bereits Kinder und Jugendliche in Kindergärten und
Schulen zu mehr Bewegung angehalten, und würden sich die
Menschen gesünder ernähren und letztlich nur zehn Prozent
der Gesundheitskosten durch Übergewicht eingespart, so
wäre das Reformprogramm von Bundesgesundheitsministerin Ulla
Schmidt (SPD) locker zu finanzieren und weder politisch noch
ökonomisch ein Thema.
Geprägt durch Fertigprodukte
Doch davon sind wir noch weit entfernt. Denn viele Zusatzstoffe
in den Nahrungsmitteln, wie Ge-schmacksstoffe und
Geschmacksverstärker, führen dazu, dass die mit solchen
Produkten erwachsen gewordenen Menschen den natürlichen
Geschmack einer frischen Erdbeere, einer Pflaume oder eines Apfels
einer alten Streuobstwiesen-Sorte gar nicht mehr mögen. Wer
von Fertigprodukten geprägt wird, hat es schwer, davon wieder
wegzukommen, da ihm das Ganze ja schmeckt und er glaubt, dies sei
alles auch gut. Wir verdrängen, dass Fertignahrung tendenziell
zu fett ist und zu viel Zucker enthält. Von diesen Mechanismen
weiß die Nahrungsmittelindustrie. Sie baut Produkt- und
Werbestrategien darauf auf. So enthalten viele Fastfood-Produkte zu
viel Fett, tierisches Eiweiß und Zucker und zu wenig frische
Vitamine.
Hinzu kommen andere Schadstoffe, die durch die Massenproduktion
in die Nahrung gelangen können. So wunderte man sich vor nicht
allzu langer Zeit darüber, dass in der Milch von Kühen
plötzlich schädliche Dioxine enthalten waren. Der Ursache
auf den Grund gegangen, ergab, dass die Kühe mit fertigem
Tierfutter aus südamerikanischen Zitruspellets gefüttert
wurden, die unsachgemäß gelagert waren. Doch fragt man
sich, warum müssen unsere heimischen Kühe Zitruspellets
aus Südamerika fressen, während die heimischen Wiesen
zunehmend verbuschen und die Bauern nicht mehr wissen, wohin sie
mit dem Gras sollen. Es sind die regionalen, überschaubaren
Kreisläufe, die wir vielfach verlassen haben; auch, weil daran
viel Geld zu verdienen ist. Auf der Strecke bleibt unser Geschmack,
bleibt die Gesundheit vieler Bürger und bleibt die biologische
Vielfalt in der Landschaft.
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