Hartmut Hausmann
Mehrheiten werden im EP künftig nicht leicht
zu erreichen sein
Trotz konservativ-sozialdemokatischer
Zusammenarbeit in Straßburg
Nach der Wahl des spanischen Sozialisten Josep Borell zum neuen
Präsidenten des EU-Parlaments zeigte sich der
christlich-demokratische Fraktionschef der EVP sichtlich
erleichtert: "Wenn das heute schief gegangen wäre, hätte
es auch für den Portugiesen José Manuel Barroso als neuem
Präsidenten der EU-Kommission keine Mehrheit gegeben",
erklärte Hans-Gert Pöttering zufrieden. Die Wahl war der
erste Akt einer umfassenden Absprache, nach der sich die beiden
größten Fraktionen das fünfjährige
Präsidentenamt teilen wollen. Beim vorerst zweiten Akt der
Absprache waren dann die 200 Mitglieder der sozialdemokratischen
Fraktion unter dem deutschen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz
gefordert, eine ausreichende Mehrheit für Barroso zu sichern.
Rein rechnerisch kein Problem, brachten sie doch zusammen 468 von
insgesamt 732 Stimmen auf die Waage. Die Absprache hielt, doch das
Ergebnis war keineswegs überzeugend und dürfte für
die künftige Zusammenarbeit kaum ein tragendes Fundament
bilden.
Mit dieser, den normalen demokratischen Gepflogenheiten
widersprechenden Vorfestlegung in einer für die inhaltliche
politische Arbeit eher unbedeutenden Personalentscheidung hat das
Europäische Parlament eine große Chance vertan. In einer
offenen Wahl, in der über die von jeder Fraktion nominierten
Kandidaten abgestimmt worden wäre, hätte
möglicherweise der frühere polnischen Außenminister
Bronislaw Geremek, ein politisches Schwergewicht, eine faire Chance
gehabt. Mit diesem in ganz Europa bekannten Politiker an der Spitze
des Parlaments wäre von Straßburg das Signal ausgegangen,
einen wirklichen Neuanfang in der um osteuropäische
Länder erweiterten EU wagen zu wollen.
Nach der katastrophalen Wahlbeteiligung bei der Europawahl
greift nun aber wieder bei den Wählern das Schulterzucken um
sich: "Die da in Europa kungeln ja weiter wie bisher." Die
traditionellen Strippenzieher hinter den Kulissen waren auch bei
der Verteilung der Posten für die 14 Vizepräsidenten
erfolgreich: Zwar wurde Polen mit zwei Vizepräsidenten
entschädigt, aber abgesehen von einem Stuhl für
Tschechien gingen die neuen Länder auch hier leer aus.
Dafür erhielten Deutschland und Italien gleich drei.
Das von Pöttering und Schulz vertretene Argument, für
die gewachsenen gesetzgeberischen Aufgaben des Parlaments
könnten durch die Absprache der großen Fraktionen
leichter die notwendigen Mehrheiten gefunden werden, ist ohnehin
trügerisch. Das Bündnis der EVP mit den Liberalen hatte
auch in der letzten Wahlperiode nicht funktioniert.
Zwar ging auch damals die Wahl der Französin Nicole
Fontaine und des Iren Pat Cox glatt über die Bühne, doch
drifteten beide Fraktionen inhaltlich immer weiter auseinander;
besonders stark in der Rechtspolitik, aber auch in
Verbraucherfragen, beim Umweltschutz oder in der Außenpolitik.
Für eine zusätzliche Vertiefung des Grabens im
bürgerlichen Lager sorgte der Wechsel von knapp 20
EVP-Abgeordneten, darunter mehrere Abgeordnete der
französischen UDF, die aus Verärgerung über eine zu
große konservative Rechtslastigkeit der Fraktion zu den
Liberalen gingen.
Spannungen vorprogrammiert
Dass zwischen den neuen Partnern erhebliche Spannungen
vorprogrammiert sind, machte schon die erste Debatte im neuen
Parlament zum niederländischen EU-Vorsitz deutlich. Zu dem im
Dezember anstehenden Beschluss, ob mit der Türkei
Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden sollen, lieferten sich
Pöttering - ablehnend - und Schulz - befürwortend -
gleich heftige Wortgefechte.
Dennoch argumentierte der Vorsitzende der CDU/CSU-Abgeordneten
in Straßburg, Hartmut Nassauer, erneut, die Erfahrungen der
vergangenen Jahre habe eindringlich gezeigt, dass das Parlament
ohne stabile Mehrheiten gegenüber Rat und Kommission unter die
Räder komme. Deshalb dürfe es sich nicht von
herkömmlichen nationalen Denkschablonen daran hindern lassen,
eigene Wege der Mehrheitsfindung zu beschreiten.
Das ist zwar richtig, weil es die einfache Unterscheidung
zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien nicht gibt. Statt
dessen müssen sich die Abgeordneten in Europa nicht in erster
Linie an einer Fraktionsdisziplin orientieren, um eine Regierung zu
stützen oder zu bekämpfen, sondern können sich von
Fall zu Fall viel stärker an der Sache orientieren.
Das hat der Gesetzgebungsarbeit in Europa bisher gut getan.
Allerdings sah sich dabei die Europäische Volkspartei oft
einer Koalition der anderen Parteien gegenüber, weil sie im
festen Griff, beispielsweise der britischen Konservativen, keine
ausreichende Kompromissbereitschaft zeigen konnte, um ihren
Einfluss einbringen zu können. An dieser Grundkonstellation
dürfte sich auch in den nächsten fünf Jahren nichts
ändern. H. H.
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