Rudolf Seiters
Die größte humanitäre
Bürgerbewegung
Für ein ehrenamtliches Engagement im
Deutschen Roten Kreuz gibt es viele Möglichkeiten
Ein Kennzeichen unseres demokratisch verfassten Staates ist die
aktive Beteiligung seiner Bürger und Bürgerinnen am
Gemeinwesen. Neben den Sektoren Staat und Markt ist es insbesondere
der so genannte "Dritte Sektor", in dem sich die Zivilgesellschaft
manifestiert, das heißt wo die gestaltende Kraft der
Bürger und Bürgerinnen unmittelbar zum Tragen kommt
beziehungsweise kommen kann. Die Lebendigkeit und der Einfluss der
Zivilgesellschaft zeigt sich im Grad der Übernahme
gesellschaftlicher Verantwortung für das Gemeinwohl.
Bürgerschaftliches Engagement zeigt sich vielgestaltig und
ist eine zentrale Ressource für die Qualität von
Gesellschaft und (Sozial-)Politik. Das hat die Enquete-Kommission
"Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" des 14. Deutschen
Bundestages ausführlich und detailreich untersucht und
festgehalten. Neben der Darstellung der vielfältigen
Erscheinungsformen sind eine Reihe von
Verbesserungsvorschlägen und notwendigen Rahmenbedingungen
entwickelt worden, die breit diskutiert und zum Teil bereits
umgesetzt sind (zum Beispiel ausreichender
Versicherungsschutz).
Strategische Neuausrichtung
Trotz des gesellschaftlichen Wandels, der sich in den Motiven
für eine freiwillige Arbeit und den inhaltlichen
Engagementbereichen erkennen lässt, fühlt sich das
Deutsche Rote Kreuz dennoch durch die Ergebnisse der
Enquete-Kommission bestärkt, da sie den traditionellen Hilfs-
und Wohlfahrtsorganisationen weiterhin eine hohe Relevanz
zuspricht. Seit 1997 verfolgt das DRK mit seiner Strategie zum
Ehrenamt unter dem Motto "Das traditionelle Ehrenamt halten - das
neue Ehrenamt gewinnen" das Ziel einer strategischen Neuausrichtung
der DRK-Ortsvereine und Kreisverbände. Im Kern geht es darum,
die Attraktivität dieser Basisgliederungen für alle
Interessierten so zu erhöhen, dass sie sich beim ersten
Kontakt gut aufgenommen fühlen, über unterschiedliche
Mitwirkungsmöglichkeiten informiert und im Rahmen von
professioneller Begleitung umfassend auf ihre Aufgaben vorbereitet
werden.
Die ehrenamtliche freiwillige Arbeit ist Ursprung und Zukunft
des Roten Kreuzes. Sie stellt sicher, dass - überall auf der
Welt - notleidenden Menschen Hilfe zuteil wird. Die Hilfe auf
Gegenseitigkeit war einer der zentralen humanitären
Grundgedanken Henry Dunants.
Bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts fanden auf der
einen Seite Adel und Bürgertum, auf der anderen Seite
große Teile der einfachen Bevölkerung sich in der
Erfüllung humanitärer Aufgaben im Roten Kreuz zusammen:
Im Rahmen des Militärs war der Sanitätsdienst ein
Schwerpunkt (als Übernahme einer staatlichen Aufgabe), auf der
anderen Seite waren es sozialpflegerische und gesundheitliche
Tätigkeiten. Diese Aufgabendopplung finden wir so noch heute
in der Funktion des DRK als Nationale Hilfsgesellschaft und als
Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege. In beiden
Aufgabenbereichen sind die fünf ehrenamtlichen
Rotkreuzgemeinschaften (Bereitschaften, Berg-wacht, Wasserwacht,
Arbeitskreise der Sozialarbeit und Jugendrotkreuz) tätig, je
nach Aufgabenfeld gerade auch ergänzend zu den von den
hauptberuflichen Mitarbeitern wahrgenommenen Aufgaben.
Die humanitäre Hilfe im Inland umfasst sowohl Katastrophen-
und Zivilschutz (Bevölkerungsschutz), Rettungsdienst und Erste
Hilfe als auch Kinder- und Jugendhilfe, Altenhilfe und
Migrationsarbeit sowie - als ein besonderes Spezifikum - die
Verbreitung der Grundsätze des Humanitären
Völkerrechts.
Neben diesen Tätigkeiten gehört zu den Aufgaben des
DRK aber auch die Arbeit in den Krisengebieten dieser Welt.
Häufig fungieren die Mitarbeiter des DRK als sogenannte
Projektleiter, die gemeinsam mit den Schwestergesellschaften des
Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes vor Ort ehrenamtliche Helfer
und Helferinnen ausbilden. Aktuelle Beispiele dieser
internationalen Hilfe sind beispielsweise die medizinische
Versorgung in Dafur (Sudan), viele Aids-Projekte im südlichen
Afrika (Xaixai in Mosambik, in Lesotho und Mombasa in Kenia;
Schulung der ehrenamtlichen Rotkreuzhelfer in häuslicher
Pflege und Prävention/Aufklärung). Der dritte große
Aufgabenbereich umfasst die Themen "Wasser und Sanitär": Die
ehrenamtlichen Helfer werden ausgebildet in Hygiene beziehungsweise
hygienischen Maßnahmen; ehrenamtliche "Wasserkomitees"
gewährleisten die Reinhaltung der Brunnen in den
Dörfern.
Unterschiedlichste Formen ehrenamtlichen Engagements sind unter
dem Dach des DRK möglich: ob als Helfer, Mitarbeiter, als
Führungskraft in den RK-Gemeinschaften oder als
Vorstandsmitglied; aber auch die Mitarbeit (ohne Mitgliedschaft) an
niedrigschwelligen, zeitlich befristeten Projekten ist längst
kein Neuland mehr.
Modell für Freiwilligendienst
Angesichts der öffentlichen Diskussionen um
Veränderungen im Wehr- und Zivildienst und der weiteren
Ausgestaltung der Zivilgesellschaft entwickelte das DRK als
Träger von Zivildienst und Freiwilligendiensten auch seine
Vorstellungen für "neue generationsübergreifende
Freiwilligendienste". Diese sollen ab Herbst diesen Jahres in
verschiedenen Modellvorhaben erprobt werden.
Auch die demografische Entwicklung in unserer Gesellschaft
stellt das DRK vor neue Herausforderungen. Knapp lässt sich
diese Entwicklung so kennzeichnen: Der Anteil der hochbetagten
Menschen nimmt immer stärker zu - sie bedürfen der
Unterstützung, Zuwendung und Pflege - der Anteil der
Jüngeren nimmt ab. Gleichzeitig sind immer mehr ältere
Menschen körperlich und geistig fit und suchen - nach der
Erwerbsphase - sinnstiftende Aufgaben. Wir sollten uns bei der
Ansprache potenzieller Freiwilliger bewusst auf Frauen und
Männer im "höheren" Lebensalter, die sogenannten "Jungen
Alten", konzentrieren - ohne Jugendliche und die mittlere
Altersgruppe aus dem Blick zu verlieren. Ihre sozialen Kompetenzen
sowie ihre wertvolle Lebenserfahrung sind ein "Schatz", der
geachtet und umworben werden will. Mit attraktiven Angeboten zur
Mitarbeit kann das DRK diese Menschen gewinnen, um seine sozialen
und humanitären Aufgaben weiterhin zu bewältigen.
Mit Blick auf die Jugendlichen ist für das Deutsche Rote
Kreuz die Zusammenarbeit mit den Schulen (gerade auch in der
Diskussion um die Ganztagsschulen) evident. Qualifizierte Angebote
wie zum Beispiel Schulsanitätsdienst oder die Ausbildung zu
Streitschlichtern führen Kinder und Jugendliche heran,
Verantwortung für und in einer Gemeinschaft zu übernehmen
und vermitteln zugleich die Werte und Aufgaben des Roten
Kreuzes.
Das Deutsche Rote Kreuz war und ist ein lebendiger und aktiver
Bestandteil der Bürgergesellschaft: Es ist die
größte humanitäre Bürgerbewegung in der
Bundesrepublik, gekennzeichnet durch ehrenamtlich tätige
Vorstände und - neben dem hauptamtlichen Personal -
ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Daten sind
beeindruckend: 4,8 Millionen Mitglieder, mehr als 320.000 sind
ehrenamtlich aktiv, 516 Kreisverbände und ungefähr 5.000
Ortsvereine. ABER: Die Ehrenamtlichen müssen sich mit ihren
Anliegen in der Organisation aufgehoben und geachtet fühlen,
müssen Anerkennung und Unterstützung für ihren
ehrenamtlichen freiwilligen Einsatz finden.
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