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O. Ulrich Weidner
... aufgekehrt
Eine nicht unerwartete Nachricht kommt aus Berlin: Der Palast
der Republik, dieser skelettierte einstige Prachtbau der DDR, wird
nun doch nicht, wie vom Bundestag bereits beschlossen, Anfang 2005
abgerissen, die Demontage wird weiter ins Jahr verschoben. Die
Vergabe des Demontageauftrages muss neu ausgeschrieben werden. Aber
die Berliner sind bekanntlich im Umgang mit "Erichs Lampenladen"
sehr erfahren. Ältere Ostbürger erinnern sich gern an die
Abende mit Speis und Trank, Kegelpartie und Tanzvergnügen,
Westdeutsche dagegen finden den Protzpalast architektonisch
geschmacklos. Jedenfalls wurde der Bau dieses Jahr neu entdeckt -
kulturelle Zwischennutzung heißt das Motto. Die jüngste
Zwischennutzung ist jedoch ebenso so geschmacklos wie das
goldverspiegelte Äußere. Es gibt eine künstlerische
Installation: Der Boden des Foyers ist mit grüner Teichfolie
ausgelegt und mit 300 Kubikmetern Wasser rund 30 Zentimeter hoch
geflutet. Auf Inseln ist eine so genannte "Fassadenrepublik"
errichtet; die Inseln heißen "Parlament", "Rotlichtbezirk",
"Viertel der Bourgeoisie" oder "Ahnenamt" und können per
Schlauchboot besucht werden. Ein besonders künstlerisch und
kulturell wertvoller Einfall: Vor einer schwarzen Wand hängen
Pappfiguren von Politikern wie Bundestagspräsident Wolfgang
Thierse und der kürzlich verstorbene FDP-Politiker Günter
Rexrodt. Das Publikum kann die Pappfiguren mit Bällen bewerfen
und so gegen den Abriss des Palastes protestieren. Aggressionsabbau
nach Kirmes-Schießbudenmanier - aber kulturelle
Zwischennutzung? Eher niveaulos und genau so unverständlich
wie seinerzeit die stundenlangen Reden der obersten Genossen, die
immerhin minutenlang rhythmisch beklatscht wurden. Damals waren die
Vorstellungen wenigstens noch kostenlos, heute kostet eine
dreiviertelstündige Floßfahrt durch die Fassadenrepublik
immerhin acht Euro. Das Irrsinn-Kunstereignis geht nur bis zum 11.
September, weswegen sich an der Kasse bereits lange Schlangen
bilden wie beim MoMA-Besuch an der Nationalgalerie im Westen der
Stadt.
Für das finanzschwache Land Berlin rechnet sich eine
derartige kulturelle Zwischennutzung. Der Bund als Eigentümer
der Ruine muss für das "Bespielen" eine höhere
Grundsteuer zahlen. Waren das 80.000 Euro im Jahr für die
Ruine, so will das Land jetzt über eine Million Euro haben,
wobei als Miete für eine kulturell wertvolle Nutzung monatlich
allenfalls 5.000 Euro zu erzielen sind, wie ein Sprecher der
Oberfinanzdirektion jetzt mitteilte. Das Skelett könnte also
demnächst aus Kostengründen leer stehen.
Ein vernünftiger Vorschlag kommt von Kulturstaatsministerin
Christina Weiss - sie schlägt vor, eine Ausstellung über
die Geschichte des Gebäudes zu zeigen. Da können Berliner
mit Ostbiographie noch einmal den Palast klammheimlich bewundern
und Westler mit Honi-Abneigung ihre Aggressionen verbal ausleben -
aber bitte ohne Papp-Erich. O. Ulrich Weidner
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