Manfred Funke
Prinzipienfest
Ulrich von Hassells Aufzeichnungen
Auf die eigenmächtige Verkündigung der deutschen
Wehrhoheit reagierten im April 1935 Paris, London und Rom gemeinsam
mit einer antideutschen Riegelpolitik. Doch im Herbst zerbrach
diese, als Mussolini das Völkerbundsmitglied und Kaiserreich
Abessinien angriff. Der damit eröffnete Kampf Roms gegen
England um die Vormachtstellung im Mittelmeer trieb den "Duce" an
Hitlers Seite, um im Norden ein Gegengewicht gegen London
verfügbar zu haben.
Umgekehrt suchte auch Hitler durch ein Bündnis Rom-Berlin
britische Kräfte im Süden zu binden. Und in der Tat zog
der Locarno-Garant England nicht blank, als deutsche Truppen am 7.
März 1936 das entmilitarisierte Rheinland besetzten. Rom war
über diese Ablenkung der Weltpolitik vom Krieg gegen Haile
Selassie erfreut, aber auch entsetzt. Der mit dem Duce nicht
abgestimmte Coup ließ das Misstrauen Mussolinis rasch wieder
emporschnellen. Wollte Hitler Italien letztendlich doch noch gegen
England ausspielen?
Einmal mehr musste der deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von
Hassell, all seine Beschwichtigungskünste aufbieten und
zugleich über diesen Vorfall hinaus die deutschen Interessen
gegen den Expansionismus Hitlers abschirmen, für den Italien
als Ersatz für das widerborstige England immer bedeutsamer
wurde.
Unter dem Eindruck der Rückschläge der italienischen
Hilfstruppen für Franco im Spanischen Bürgerkrieg warnte
von Hassell in Berlin offen vor einer Überschätzung
Italiens als einzigem Bundesgenossen des Reichs. Gegenüber
Göring sprach er von der Gefahr, die darin läge, dass
Deutschland und Italien sich als zwei Lahme unterhakten, um durch
die Gegend zu humpeln.
Am 19. März 1937 wies von Hassell Hitler persönlich
auf die Möglichkeit eines westlichen Gegenblocks
einschließlich amerikanischer und sowjetischer
Unterstützung hin. Aus deutscher Sicht sei deshalb eine
elastischere Politik gegenüber London und Moskau
vernünftigerweise geboten. Doch der Botschafter konnte Hitlers
Illusionen über Italiens Kampfstärke nicht
entkräften. Resigniert notierte er: "Ich stellte wieder die
eigentümliche Mischung einer weiten Schau im Stile des
Propheten mit auf der einen Seite soldatischer Entschlossenheit,
auf der anderen naiven Milchmädchenrechnungen fest."
In dieser Aufzeichnung über das Gespräch Hitlers mit
seinem Missionschef in Rom besitzt ein Satz
Schlüsselcharakter: "Wie die letzten Male immer kreisten seine
Gedanken um den militärischen Pol, um die
Kriegsmöglichkeit, um die Kriegschancen..." Da sich Hassell
dieser Vabanque-Politik entzog, wurde er am 17. Februar 1938 aus
Rom abberufen.
Immer stärker verband sich von Hassell danach der
konservativen Opposition. Im Fall des Gelingens des Attentats vom
20. Juli 1944 sollte er Außenminister in einem Kabinett
Goerdeler werden. Mutig und aufrecht trat er Freisler entgegen, der
am 8. September 1944 das Todesurteil über ihn sprach und es
noch am selben Tag vollstrecken ließ.
Die Briefe von Hassells an seine Frau Ilse, geb. von Tirpitz,
seine geheimen Aufzeichnungen und Dossiers über Gespräche
mit den Großen seiner Zeit dokumentieren die faszinierende
Lebenswelt der europäischen Diplomatie am Vorabend der
Katastrophe. Die Papiere sind zugleich bedrückende Zeugnisse
einer konservativen Großdeutschland-Politik, die sich partiell
mit der Hitlers verband und dann von der rassistischen
NS-Lebensraumideologie ebenso geschmeidig wie brutal liquidiert
wurde.
Ulrich von Hassell
Römische Tagebücher und Briefe 1932 - 1938.
Herausgegeben von Ulrich Schlie unter Mitarbeit von Thies
Schulze,
Herbig Verlag, München 2004; 384 S., 34,90 Euro
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