K. Rüdiger Durth
Schulreform - die Zeit drängt
Brandenburg: Kompromiss von SPD und
CDU
Noch im Dezember soll der brandenburgische Landtag darüber
entscheiden, ob mit dem Beginn des Schuljahres 2005/06 die neue
Oberschule eingeführt wird. Die Zeit drängt. Denn nur
wenn der von der SPD/CDU-Koalition unter Ministerpräsident
Matthias Platzeck (SPD) und seinem Stellvertreter Jörg
Schönbohm (CDU) ausgehandelte Kompromiss in der strittigen
Schulfrage zum 1. Januar 2005 in Kraft treten kann, kann mit den
umfangreichen organisatorischen Veränderungen zügig
begonnen werden.
Da gleichzeitig Brandenburg das Abitur nach zwölf
Schuljahren einführen will, braucht es dazu auch die
Zustimmung der durch den angekündigten Austritt Niedersachsens
ins Schlingern geratenen Kultusministerkonferenz (KMK). Denn diese
muss ihre Zustimmung dazu geben, wie die von der fünften
Klasse bis zum Abitur notwendigen zusätzlichen 265
Wochenstunden untergebracht werden. Da fügt es sich ganz gut,
dass Brandenburg ab 1. Januar 2005 für ein Jahr den Vorsitz in
der KMK übernimmt.
Vorsitz in der KMK
Doch nun gibt es über diesen Vorsitz Streit, weil ihn
gleich zwei Minister für sich beanspruchen, nämlich
Kultur- und Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) und
Bildungsminister Holger Ruprecht (parteilos). Platzeck und
Schönbohm haben intern ausgemacht, dass jeder von beiden den
Vorsitz für ein halbes Jahr übernimmt, beginnend mit
Johanna Wanka. Doch das löst nicht nur in der
Kultusministerkonferenz Kopfschütteln aus, sondern auch in der
brandenburgischen Regierungskoalition. Schließlich hat
Minister Ruprecht keinerlei bundespolitische Erfahrungen, zumal er
bis vor wenigen Wochen noch Direktor eines Postdamer Gymnasiums
war.
Um in der KMK Gewicht zu haben und die Potsdamer Schulpläne
durchzusetzen - wegen der bundeseinheitlichen Anerkennung der
Schulabschlüsse - ist ein durchsetzungsfähiger Minister
in diesem Gremium notwendig. Im konkreten Fall also ein
handlungsfähiger Präsident oder eine Präsidentin.
Wahrscheinlich ist in dieser Frage noch nicht das letzte Wort
gesprochen.
Bessere Lernergebnisse
Nun interessiert die Brandenburger ohnehin vor allem die neue
Oberschule, die von der CDU im Sommerwahlkampf noch vehement
abgelehnt worden war. Um was geht es dabei? Durch den großen
Geburtenrückgang im Land und den anhaltend hohen Wegzug junger
Familien in den Westen fehlt es in Brandenburg an Schülern. Um
funktionsfähige Schulen in erreichbarer Nähe anzubieten,
fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
beispielsweise eine Gesamtschule für die Klassen eins bis acht
(beziehungsweise neun). Eine so verlängerte gemeinsame
Schulzeit hätte - wie die PISA-Studie belege - bessere
Lernergebnisse nach sich gezogen. Doch eine solche Gesamtschule war
bei der CDU nicht durchsetzbar. Allerdings auch nicht bei den
Eltern.
Die Christdemokraten hätten am liebsten das viergliedrige
Schulsystem durchsetzt: Grundschule für die Jahrgänge
eins bis vier, dann Haupt- und Realschule für die
Jahrgänge fünf bis zehn, und Gymnasium für die
Jahrgänge vier bis künftig zwölf. Doch das war mit
der SPD nicht zu machen. Denn dies hätte die Errichtung vieler
neuer Schulen notwendig gemacht. Für die das Land aber weder
ausreichend Schüler noch das notwendige Geld hat.
Großes Informationsbedürfnis
Also kommt die Oberschule. Die bisherige Grundschule (Klassen
eins bis sechs) bleibt erhalten. Wie in Berlin. Auf diese baut sich
dann die Oberschule auf, die die bisherigen Gesamtschulen ersetzt -
sofern diese keinen gymnasialen Zweig haben. Gleichzeitig wird der
Wechsel von der Grundschule zum Gymnasium (ab Klasse sieben) zum
Normalfall. Freilich, das hat die CDU durchgesetzt: Besonders
begabte Schüler können auch schon nach dem vierten
Schuljahr auf das Gymnasium wechseln. Auch sollen 43 bisherige
Gesamtschulen erhalten bleiben, sofern sie genügend
Schüler für die Klasse elf haben. Das erleichtert in
einiger Zeit auch einen Leistungsvergleich zwischen den
Schulsystemen, über die ja weiterhin bundesweit gestritten
wird.
Bildungsminister Rupprecht: "Für das Flächenland
Brandenburg, das nach der Wende einen dramatischen
Schülerzahleneinbruch erlebte, ist die Einführung der
Oberschule ein besonders wichtiges und drängendes Vorhaben."
Er macht auch eine verstärkte Konkurrenzsituation zwischen
Gesamtschule und Realschule aus, die pädagogisch "unfruchtbar"
sei und auf die Dauer ein gleichwertiges Bildungsangebot im Land
nicht sichere. Er sieht in der Einführung der Oberschule eine
klare Schulstruktur, die auch den Eltern besser zu vermitteln
sei.
Die Oberschule wird den erweiterten Hauptschulabschluss
(erweiterte Berufsbildungsreiefe) und den Realschulabschluss
(Fachoberschulreife) anbieten. Die Unterrichtsorganisation kann auf
Entscheidung der Schulkonferenz im Benehmen mit dem Schultäger
integrativ oder kooperativ erfolgen. Die integrativen Oberschulen
werden in einzelnen Fächern fachleistungsdifferenzierte Kurse
auf dem Hauptschulniveau (A-Kurse) und auf Realschulniveau
(B-Kurse), die kooperativen Oberschulen abschlussbezogene Klassen
bilden. Mischformen sind ebenfalls möglich. Die
Lehrstundenzuweisung für die Schulen erfolgt unabhängig
von der inneren Organisationsform. Die Schülerinnen und
Schüler, die vor der Umwandlung ein Schulverhältnis
begründet haben, sollen ihren Bildungsgang nach bisherigem
Recht beenden können.
Weil auf Seiten der Eltern und Schüler, wohl aber auch der
Lehrer, ein großes Informationsbedürfnis besteht, soll
eine "umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit" (Rupprecht) den
Umwandlungsprozess begleiten. Hier sind vor allem die staatlichen
Schulämter gefordert. GEW-Landeschef Günther Fuchs sieht
durch die Einführung der Oberschule "eine historische Chance
vertan". K.Rüdiger Durth
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