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Johanna Metz
"Nicht alle waren so wie Sie, Frau Bohley"
Helmut Kohl und Bärbel Bohley blicken auf
15 Jahre Mauerfall zurück
Den Fall der Mauer hat Bärbel Bohley verpennt. Als die
ersten Bilder am 9. November 1989 über die Mattscheiben
flimmerten, ist sie ins Bett gegangen, wohlwissend, "dass die DDR
erledigt ist".
15 Jahre später sitzt die frühere
DDR-Bürgerrechtlerin ausgeschlafen neben dem damaligen
Bundeskanzler Helmut Kohl im Tränenpalast am Berliner
S-Bahnhof Friedrichstraße. Auf Einladung der
Konrad-Adenauer-Stiftung und der Gedenkstätte
Berlin-Hohenschönhausen sind beide gekommen, um nachzudenken,
über den "Mauerfall und was wir daraus gemacht haben".
CDU-Chefin Angela Merkel bauchpinselt den Bundeskanzler a. D.
schon in ihrer Begrüßungsrede. Ohne den "Kanzler der
Einheit", hätte "die Geschichte unseres Landes nicht diese
Entwicklung nehmen können". Helmut Kohl wiegt sich zufrieden
in seinem Stuhl. Auch Bärbel Bohley habe großen Mut
bewiesen, fährt Merkel fort. Sie und andere Mitstreiter
hätten "sich ohne Rücksicht auf persönlichen Schaden
gegen das SED-Unrechtsregime gewehrt". Beiden Wendefiguren
gebühre daher "großer Dank". Mit stockender Stimme
erzählt Merkel auch Persönliches. Zusammen mit ihrer
Mutter habe sie die Oma aus dem Westen, die nur selten zu Besuch
kommen konnte, jedes Mal tief traurig am Tränenpalast
verabschieden müssen. Man habe nie gewusst, wann man sich
wiedersehen werde. Es "war ein Ort der Trennung und der
Tränen", sagt Merkel gerührt, aber heute sei der
Tränenpalast ein "Ort der Begegnung".
Sie geht nicht ohne deutliche Worte an den jetzigen
Bundeskanzler. Schröders Vorschlag, den Nationalfeiertag
abzuschaffen, offenbare eine "beängstigende
Geschichtslosigkeit" und "einen beispiellosen Mangel an
Verständnis für die Würde unserer Nation". Im Saal
gibt es Applaus und einige Buh-Rufe. Das Thema regt auf.
Während sich Kohl und Bohley auf dem Podium warmreden,
läuft weiter nördlich auf der Bornholmer Brücke,
einem der ersten Grenzübergänge, der vor 15 Jahren
geöffnet wurde, längst das eher behäbige
Alternativprogramm. Die FDP Prenzlauer Berg begeht das Gedenken mit
Generalsekretärin Cornelia Pieper. Die CDU Schönhauser
Allee hält eine Ökumenische Andacht und bringt eine
Gedenkplatte an. Auch die Bezirksverbände der SPD in Pankow
und Mitte haben eine Gedenkplatte dabei. Keine
Publikumsmagneten.
Kein Wunder also, dass es im Tränenpalast schon 40 Minuten
vor Beginn der Veranstaltung keine freien Plätze mehr gibt.
Die Ex-Revoluzzerin und der Einheitskanzler auf einem Podium, das
versprach Unterhaltung; fast 500 Zuhörer folgten dieser
Verheißung. Und Kohl genoss es sichtlich. Gewitzt und
schlagfertig parierte er die Fragen des Moderators.
Schließlich ist die Einheit sein Lebenswerk, sein Baby, da
wird auch Kohl mal milde. Ja, räumt er freimütig ein, er
habe den Faktor Zeit bei der Wiedervereinigung unterschätzt.
Unerwartet schnell seien die osteuropäischen Märkte
für die Ost-Produkte weggebrochen. Auch hätten viele
Industrielle im Westen 17 Millionen Ostdeutsche lange Zeit nur als
Konsumenten angesehen, sie aber nicht mit Arbeit versorgt.
Darüber sei er "bitter enttäuscht" gewesen. Dann ist der
Anflug von Selbstkritik schon vorüber. "Ich bin ein
auslaufendes Modell, ich darf alles sagen", freut er sich, und
getreu dieser Devise schüttet er bald reichlich Hohn über
all jene, die ihm die Einheit schlecht reden wollen oder sie nicht
ausreichend zu würdigen wissen: Gregor Gysi - für Kohl
ein "Entertainer". Schröders Plan von der Abschaffung des
Nationalfeiertags - eine "Schnapsidee". "Aber", scherzt er, "das
ist eine Beleidigung für den Schnaps." Die Aufbauhelfer, die
man nach der Wende in den Osten geschickt habe - zu großen
Teilen "Armleuchter", die schon als Kommunalpolitiker im Westen
gescheitert seien und dann im Osten viel Unheil angerichtet
hätten. So viele Feiglinge habe es damals gegeben, schimpft er
und schnurrt Bohley entgegen: "Nicht alle waren so Sie."
Bärbel Bohley, über deren Kopf an diesem Abend
längst ein Heiligenschein hätte kreisen müssen,
nachdem Hubertus Knabe, der Direktor der Gedenkstätte
Berlin-Hohenschönhausen, ihr in seiner Einführungsrede
als "Jeanne d'Arc der friedlichen Revolution in Ostdeutschland"
gehuldigt hatte, lächelt artig. Wie eine Schulsprecherin sitzt
die frühere Bürgerrechtlerin in der Mitte des Podiums und
erzählt mit leiser Stimme, dass es sie anwidere, Leute wie
Markus Wolf auf der Frankfurter Buchmesse ihr Kochbuch vorstellen
zu sehen. Oder zu erleben, wie Gregor Gysi von den westdeutschen
Medien hofiert würde, "als wäre er ein Exot". Der
Gedanke, mit "solchen Leuten" an einem Tisch sitzen zu müssen,
habe sie krank gemacht. Das sei der Grund gewesen, warum sie 1996
für die EU nach Bosnien gegangen sei. Sie habe geglaubt, dort
eher "etwas bewirken zu können".
"Wir wollten keine politische Macht"
Bohley ist, anders als Kohl, der Meinung, dass der Umbruch im
November 1989 nicht mal durch Schüsse auf Demonstranten zu
stoppen gewesen wäre. "Da wäre viel Blut geflossen",
erzählt sie leise, aber die Leute hätten gewusst, der
Augenblick ist gekommen, "jetzt oder nie". Es ist ihr wichtig zu
erwähnen, dass die Bürgerrechtler von damals keine
politische Macht gewollt hätten, nur um die Macht über
ihr Leben sei es gegangen. Aber: "Warum haben Sie denn nicht gleich
nach dem Mauerfall mit uns geredet, sondern nur mit Leuten wie
Peter Michael Diestel oder Günther Krause?", fragt sie Kohl,
denn irgendwie hätte die Bürgerbewegung ja doch in den
Vereinigungsprozess mit einbezogen werden sollen. Kohl wiegelt ab,
er habe als Kanzler politische Rücksichten nehmen müssen.
Er habe außerdem, betont er, bis Dezember 1989 jeden Kontakt
zur Ost-CDU abgelehnt. Und überhaupt, habe er nicht 1995 in
Bohleys Wohnung gesessen, um mit ihr über die Gründung
des "Bürgerbüros" zu sprechen, einer Anlaufstelle
für Opfer des SED-Regimes? Bohley stellt dazu fest: "Wir
hätten eher miteinander reden sollen, nicht erst 1995."
Einig sind sich beide in einem Punkt: Die Deutschen wüssten
zu wenig über die Bedeutung des 9. November 1989. Am
Geschichtsunterricht würde leider zu oft gespart. Umfragen
hatten ergeben, dass jeder dritte Deutsche mit dem Datum "9.
November" nichts anfangen kann. Hubertus Knabe hatte deshalb zuvor
in seiner Eröffnungsrede die Erziehung von Kindern zu
"historischen Analphabeten" kritisiert.
Aber trotz vieler Probleme, betont Kohl, sei das Land 15 Jahre
nach dem Mauerfall "in seinem Kern gesund", nur mehr arbeiten
müssten die Menschen und weniger verzagt sein. Und Bohley
fügt hinzu, sie als "Malerin und Augenmensch" sehe schon
"blühende Landschaften".
Da war es, das Stichwort. Auf Kohls Versprechen zur
Wiedervereinigung angesprochen, erklärt der Ex-Bundeskanzler
dem Moderator des RBB-Inforadios gelassen: "Ich habe gewusst, dass
Sie jetzt mit diesem Ladenhüter kommen." Dann hält er
triumphierend ein Papier in den Händen, auf dem steht, was er
damals wirklich gesagt hat. Zum Beispiel, dass alle Bürger zu
Opfern bereit sein müssten. "Ich muss Ihnen sagen, der Text
ist völlig ok", wischt er das Thema vom Tisch. Und er legt
nach: "Wir haben eine tolle Sache gemacht, und keiner hat's uns
zugetraut". Damit ist alles gesagt. Kohl ist zufrieden und
Bärbel Bohley wohl auch, denn die stellt zum Schluss beinahe
demütig fest: "Erich Honecker hätte nicht mit mir
gesprochen." So viel Einigkeit war selten zwischen Ost und
West.
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