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Das Parlament
Nr. 47 / 15.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Johanna Metz

"Lasst uns pflügen, lasst uns bauen"

Vor 55 Jahren wurde die DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen" aus der Taufe gehoben

Am 5. November 1949, gegen 10 Uhr morgens, herrschte bei Wilhelm Pieck zu Hause mächtig Trubel. Fast das gesamte SED-Politbüro hatte sich in der Wohnung des Staatspräsidenten im Majakowskiring in Berlin-Pankow versammelt, um über eine Angelegenheit von größter nationaler Tragweite zu beraten. Kaum vier Wochen war es her, dass die Deutsche Demokratische Republik aus der Taufe gehoben wurde, allein es fehlte an einem Symbol, um dem neuen sozialistischen Bruderstaat auf dem nationalen wie internationalen Parkett Gewicht und Stimme zu verleihen. Eine Nationalhymne musste her. Schnell.

Gespannt lauschten die SED-Kader an diesem Morgen den Melodien der Komponisten Hanns Eisler und Ottmar Gerster. Begleitet wurden sie von zwei professionellen Opernsängern der Berliner Staatsoper, die den Text des Dichters und Parteifunktionärs Johannes R. Becher dazu sangen. Die Genossen beschäftigten wichtige Fragen: Welche Melodie passte besser zu Zeilen wie "Lasst uns pflügen, lasst uns bauen, lernt und schafft wie nie zuvor"? Welche Komposition schwor die frisch gebackenen DDR-Bürger am ehesten auf ihr künftiges Leben im Arbeiter- und Bauernstaat ein? Die Wahl fiel schließlich auf Eislers Werk, und so wurde eiligst Ministerpräsident Otto Grotewohl verständigt, dessen Ministerrat auf seiner Sitzung am Nachmittag dem Beschluss des Politbüros noch zustimmen musste. Nur wenige Stunden später hatte die DDR ihre Hymne.

Das Politbüro hatte schon auf seiner Sitzung vom 13. September 1949 in Ost-Berlin dem Dichter Johannes R. Becher und dem Komponisten Hanns Eisler die Schaffung einer Nationalhymne aufgetragen. Der Lyriker und überzeugte Kommunist Becher, 1954 wurde er übrigens erster Kulturminister der DDR, hörte fortan stundenlang Schallplatten mit den Nationalhymnen anderer Länder, "um an das Geheimnis der Wirksamkeit des Textes" zu kommen, wie ein Genosse erzählt. Schließlich sollte die neue Hymne, das wünschte sich Becher, "von allen Schichten des Volkes (auch von der Gemüsefrau) mit leidenschaftlicher Anteilnahme gesungen werden". Wahrscheinlich griff er bei seinen Überlegungen auf ein Gedicht zurück, das er schon 1942 im Moskauer Exil geschrieben hatte.

Vertonen sollte den Text zunächst der Komponist Ottmar Gerster, doch während der noch an den Noten bastelte, traf sich Becher mit Hanns Eisler in Warschau. Der Komponist, nach dem Ersten Weltkrieg Meisterschüler Arnold Schönbergs, sprang, kaum hatte er von dem Auftrag erfahren, begeistert ans Klavier und entwarf eine Melodie nach Bechers Versen. Zurück aus Warschau, stürmte der Dichter wie von Hummeln gestochen in sein Büro, berichtete später seine Sekretärin Erika Wiens: "?Also - der Eisler hat eine Melodie gefunden, so eine schöne Melodie! Eine großartige Melodie - hören Sie mal: la la la-la, la la la-la…' Und ich hörte meinen Dichter singen, der doch überhaupt nicht singen konnte".

Schon am 4. November 1949 wurden im "Klub der Kulturschaffenden" in Berlin-Mitte Angestellte des Kulturbundes zu einem Laienchor zusammengetrommelt. Eisler und Gerster spielten für die Anwesenden an zwei Flügeln ihre Melodie, der Chor intonierte dazu mehr schlecht als recht den Text. Am folgenden Tag war der Komponistenwettstreit entschieden. Die Eisler-Becher-Komposition "Auferstanden aus Ruinen" wurde zur offiziellen DDR-Staatshymne gekürt. Nach der Zustimmung des Ministerrates, wurden Text und Partitur unverzüglich dem Leiter des Berliner Rundfunkchores übergeben. Der Chor hatte kaum einen Tag Zeit, um das Stück einzustudieren, denn bereits am 7. November sollte "Auferstanden aus Ruinen" auf der Feier zum 32. Jahrestag der Oktoberrevolution in der Staatsoper uraufgeführt werden.

Die Premiere war ein Erfolg. Der Chor musste die Hymne, begleitet von stürmischem Beifall, gleich noch einmal singen. Doch während sich das SED-Regime an der positiven Resonanz seiner Hymne erfreute, wurde die in den westdeutschen Medien als "Spalterhymne" verspottet, Becher als "Parteidichter" abgekanzelt. Komponist Hanns Eisler blieb eine musikalische Karriere in der Bundesrepublik ein Leben lang verwehrt.

Ungeachtet dieser Verstimmungen beeilten sich die Druckereien im Osten, die Noten auf Zellulose zu bannen, damit sie zu Tausenden an Schulen, Behörden, Rundfunk- und Fernsehsender verteilt werden konnten. Bei allen sich bietenden Gelgenheiten sollte die Hymne erklingen, bei öffentlichen Veranstaltungen, im Radio, bei Staatsbesuchen sowieso. Als Wilhelm Pieck 1951 in Prag weilte, ertönte sie in den drei Tagen seines Aufenthaltes offiziell zwölf Mal. Wo auch immer Pieck einen Fuß hinsetzte, schmetterte es "Auferstanden aus Ruinen". Natürlich blieben auch die Schüler von so viel Eifer nicht verschont. Der Lehrplan des Jahres 1961 sah schon in der ersten Klasse vor, den kleinen Pennälern ein "politisch-emotionales Verständnis" für die Hymne einzutrichtern, in der 4. Klasse dann sollten neben dem Erlernen von Text und Melodie, Inhalt, Bedeutung und "Vaterlandsliebe zum sozialistischen deutschen Friedensstaat" vermittelt werden. Es gab wohl kaum einen Schüler in den 60er-Jahren, der die Hymne nicht im Schlaf herunterbeten konnte.

Doch die Hymne wurde der SED-Führung bald zum Ärgernis. Als "Auferstanden aus Ruinen" geschrieben wurde, galt den Genossen die deutsche Einheit noch als nationale Doktrin. Zu Beginn der 70er-Jahre, am Ende der Ära Ulbricht, betonte die neue Führung unter Erich Honecker dann zunehmend die eigenständige Existenz der DDR. 1971 verabschiedete die SED auf ihrem VIII. Parteitag eine programmatische Erklärung, in beiden deutschen Staaten existierten eine "kapitalistische und eine sozialistische Nation" nebeneinander. Für die DDR war die Bundesrepublik damit Ausland - "kapitalistisches Ausland". Was sollte man da mit einer Hymne anfangen, die in der vierten Zeile der ersten Strophe von "Deutschland, einig Vaterland" schwadronierte? So wurde der Text der Hymne in den letzten 20 Jahren der DDR stillschweigend unter den roten Teppich gekehrt und nur noch die Instrumentalversion gespielt. Erst in den Wendemonaten 1989/90 tauchten die verschütteten Becher-Zeilen wieder auf, als Demonstranten Spruchbänder mit den Parolen "Deutschland, einig Vaterland" oder "Auferstanden aus Ruinen" umherschwenkten. Daraufhin beschloss der DDR-Ministerrat am 4. Januar 1990 die Verbreitung der DDR-Nationalhymne mit Text wieder aufzunehmen. Doch "Auferstanden aus Ruinen" erlebte nur ein kleines Zwischenhoch von wenigen Monaten. Mit dem Volkskammerbeschluss vom 3. Oktober 1990 übernahm die ehemalige DDR auch das bundesdeutsche Symbolsystem, samt Fahne, Bundesadler - und Nationalhymne.

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