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Johanna Metz
"Lasst uns pflügen, lasst uns bauen"
Vor 55 Jahren wurde die DDR-Hymne "Auferstanden
aus Ruinen" aus der Taufe gehoben
Am 5. November 1949, gegen 10 Uhr morgens, herrschte bei Wilhelm
Pieck zu Hause mächtig Trubel. Fast das gesamte
SED-Politbüro hatte sich in der Wohnung des
Staatspräsidenten im Majakowskiring in Berlin-Pankow
versammelt, um über eine Angelegenheit von größter
nationaler Tragweite zu beraten. Kaum vier Wochen war es her, dass
die Deutsche Demokratische Republik aus der Taufe gehoben wurde,
allein es fehlte an einem Symbol, um dem neuen sozialistischen
Bruderstaat auf dem nationalen wie internationalen Parkett Gewicht
und Stimme zu verleihen. Eine Nationalhymne musste her.
Schnell.
Gespannt lauschten die SED-Kader an diesem Morgen den Melodien
der Komponisten Hanns Eisler und Ottmar Gerster. Begleitet wurden
sie von zwei professionellen Opernsängern der Berliner
Staatsoper, die den Text des Dichters und Parteifunktionärs
Johannes R. Becher dazu sangen. Die Genossen beschäftigten
wichtige Fragen: Welche Melodie passte besser zu Zeilen wie "Lasst
uns pflügen, lasst uns bauen, lernt und schafft wie nie
zuvor"? Welche Komposition schwor die frisch gebackenen
DDR-Bürger am ehesten auf ihr künftiges Leben im
Arbeiter- und Bauernstaat ein? Die Wahl fiel schließlich auf
Eislers Werk, und so wurde eiligst Ministerpräsident Otto
Grotewohl verständigt, dessen Ministerrat auf seiner Sitzung
am Nachmittag dem Beschluss des Politbüros noch zustimmen
musste. Nur wenige Stunden später hatte die DDR ihre
Hymne.
Das Politbüro hatte schon auf seiner Sitzung vom 13.
September 1949 in Ost-Berlin dem Dichter Johannes R. Becher und dem
Komponisten Hanns Eisler die Schaffung einer Nationalhymne
aufgetragen. Der Lyriker und überzeugte Kommunist Becher, 1954
wurde er übrigens erster Kulturminister der DDR, hörte
fortan stundenlang Schallplatten mit den Nationalhymnen anderer
Länder, "um an das Geheimnis der Wirksamkeit des Textes" zu
kommen, wie ein Genosse erzählt. Schließlich sollte die
neue Hymne, das wünschte sich Becher, "von allen Schichten des
Volkes (auch von der Gemüsefrau) mit leidenschaftlicher
Anteilnahme gesungen werden". Wahrscheinlich griff er bei seinen
Überlegungen auf ein Gedicht zurück, das er schon 1942 im
Moskauer Exil geschrieben hatte.
Vertonen sollte den Text zunächst der Komponist Ottmar
Gerster, doch während der noch an den Noten bastelte, traf
sich Becher mit Hanns Eisler in Warschau. Der Komponist, nach dem
Ersten Weltkrieg Meisterschüler Arnold Schönbergs,
sprang, kaum hatte er von dem Auftrag erfahren, begeistert ans
Klavier und entwarf eine Melodie nach Bechers Versen. Zurück
aus Warschau, stürmte der Dichter wie von Hummeln gestochen in
sein Büro, berichtete später seine Sekretärin Erika
Wiens: "?Also - der Eisler hat eine Melodie gefunden, so eine
schöne Melodie! Eine großartige Melodie - hören Sie
mal: la la la-la, la la la-la…' Und ich hörte meinen
Dichter singen, der doch überhaupt nicht singen konnte".
Schon am 4. November 1949 wurden im "Klub der Kulturschaffenden"
in Berlin-Mitte Angestellte des Kulturbundes zu einem Laienchor
zusammengetrommelt. Eisler und Gerster spielten für die
Anwesenden an zwei Flügeln ihre Melodie, der Chor intonierte
dazu mehr schlecht als recht den Text. Am folgenden Tag war der
Komponistenwettstreit entschieden. Die Eisler-Becher-Komposition
"Auferstanden aus Ruinen" wurde zur offiziellen DDR-Staatshymne
gekürt. Nach der Zustimmung des Ministerrates, wurden Text und
Partitur unverzüglich dem Leiter des Berliner Rundfunkchores
übergeben. Der Chor hatte kaum einen Tag Zeit, um das
Stück einzustudieren, denn bereits am 7. November sollte
"Auferstanden aus Ruinen" auf der Feier zum 32. Jahrestag der
Oktoberrevolution in der Staatsoper uraufgeführt werden.
Die Premiere war ein Erfolg. Der Chor musste die Hymne,
begleitet von stürmischem Beifall, gleich noch einmal singen.
Doch während sich das SED-Regime an der positiven Resonanz
seiner Hymne erfreute, wurde die in den westdeutschen Medien als
"Spalterhymne" verspottet, Becher als "Parteidichter" abgekanzelt.
Komponist Hanns Eisler blieb eine musikalische Karriere in der
Bundesrepublik ein Leben lang verwehrt.
Ungeachtet dieser Verstimmungen beeilten sich die Druckereien im
Osten, die Noten auf Zellulose zu bannen, damit sie zu Tausenden an
Schulen, Behörden, Rundfunk- und Fernsehsender verteilt werden
konnten. Bei allen sich bietenden Gelgenheiten sollte die Hymne
erklingen, bei öffentlichen Veranstaltungen, im Radio, bei
Staatsbesuchen sowieso. Als Wilhelm Pieck 1951 in Prag weilte,
ertönte sie in den drei Tagen seines Aufenthaltes offiziell
zwölf Mal. Wo auch immer Pieck einen Fuß hinsetzte,
schmetterte es "Auferstanden aus Ruinen". Natürlich blieben
auch die Schüler von so viel Eifer nicht verschont. Der
Lehrplan des Jahres 1961 sah schon in der ersten Klasse vor, den
kleinen Pennälern ein "politisch-emotionales Verständnis"
für die Hymne einzutrichtern, in der 4. Klasse dann sollten
neben dem Erlernen von Text und Melodie, Inhalt, Bedeutung und
"Vaterlandsliebe zum sozialistischen deutschen Friedensstaat"
vermittelt werden. Es gab wohl kaum einen Schüler in den
60er-Jahren, der die Hymne nicht im Schlaf herunterbeten
konnte.
Doch die Hymne wurde der SED-Führung bald zum
Ärgernis. Als "Auferstanden aus Ruinen" geschrieben wurde,
galt den Genossen die deutsche Einheit noch als nationale Doktrin.
Zu Beginn der 70er-Jahre, am Ende der Ära Ulbricht, betonte
die neue Führung unter Erich Honecker dann zunehmend die
eigenständige Existenz der DDR. 1971 verabschiedete die SED
auf ihrem VIII. Parteitag eine programmatische Erklärung, in
beiden deutschen Staaten existierten eine "kapitalistische und eine
sozialistische Nation" nebeneinander. Für die DDR war die
Bundesrepublik damit Ausland - "kapitalistisches Ausland". Was
sollte man da mit einer Hymne anfangen, die in der vierten Zeile
der ersten Strophe von "Deutschland, einig Vaterland"
schwadronierte? So wurde der Text der Hymne in den letzten 20
Jahren der DDR stillschweigend unter den roten Teppich gekehrt und
nur noch die Instrumentalversion gespielt. Erst in den Wendemonaten
1989/90 tauchten die verschütteten Becher-Zeilen wieder auf,
als Demonstranten Spruchbänder mit den Parolen "Deutschland,
einig Vaterland" oder "Auferstanden aus Ruinen" umherschwenkten.
Daraufhin beschloss der DDR-Ministerrat am 4. Januar 1990 die
Verbreitung der DDR-Nationalhymne mit Text wieder aufzunehmen. Doch
"Auferstanden aus Ruinen" erlebte nur ein kleines Zwischenhoch von
wenigen Monaten. Mit dem Volkskammerbeschluss vom 3. Oktober 1990
übernahm die ehemalige DDR auch das bundesdeutsche
Symbolsystem, samt Fahne, Bundesadler - und Nationalhymne.
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