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Das Parlament
Nr. 48 / 22.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Hartmut Hausmann

Die neue EU-Kommission kann ihre Arbeit sofort aufnehmen

Eindeutige Mehrheit für Barrosos Mannschaft
Mit der deutlichen Mehrheit von 449 gegen 149 Stimmen bei 82 Enthaltungen hat das Europäische Parlament am 18. November in Straßburg der neuen EU-Kommission im zweiten Anlauf das Vertrauen ausgesprochen. Die Mehrheit für das 25-köpfige Kollegium wurde von den drei größten Fraktionen, den Christdemokraten, den Sozialdemokraten und den Liberalen sowie von der kleinen Fraktion Europa der Nationen erbracht. Die Grünen lehnten die Kommission ebenso einmütig ab wie die Vereinigte Linke und die in den Unabhängigen Demokraten versammelten Europagegner.

Damit kann die Kommission bereits am 22. November ihre Arbeit in Brüssel mit dreiwöchiger Verspätung aufnehmen. Die ursprünglich für Ende Oktober geplante Abstimmung war auf Antrag Barrosos vertagt worden, nachdem sich eine klare Abstimmungsniederlage abgezeichnet hatte, weil einige der Kommissarskandidaten bei den Anhörungen in den Parlamentsausschüssen nicht überzeugen konnten. Daraufhin war der frühere portugiesische Ministerpräsident den Wünschen der Abgeordneten nach Austausch einzelner Kommissare und Umbesetzungen von Ressorts teilweise entgegengekommen. Weitergehende Umbesetzungen waren an der Weigerung der Regierungen Ungarns und der Niederlande gescheitert, ihre ebenfalls kritisierten Kandidaten auszutauschen. Vor der Abstimmung hatte das Parlament deshalb auch in einer von den selben Fraktionen eingebrachten Entschließung einerseits die neu formierte Kommission ausdrücklich begrüßt, andererseits aber bedauert, dass mit Blick auf mögliche Interessenskonflikte keine greifbare Lösung gefunden wurde. Damit wurde vor allem auf den Aufgabenbereich der niederländischen Wettbewerbskommissarin Kroes verwiesen, die in rund 20 Unternehmen wichtige Funktionen ausgeübt hat.

Zugleich wurde in der Entschließung, wie in Vorgesprächen mit Barroso bereits vereinbart, eine Rahmenvereinbarung zwischen Parlament und Kommission über die Zusammenarbeit beider Institutionen gefordert, die deutlich die Handschrift des Parlaments tragen müsse. Danach soll bei einem Vertrauensentzug für einen einzelnen Kommissar durch das Parlamentsplenum der Kommissionspräsident "ernsthaft prüfen, ob er dieses Mitglied zum Rücktritt auffordert". Wenn dies der Fall ist, soll sich der Nachfolger dem parlamentarischen Verfahren stellen müssen, indem er vor seinem Amtsantritt die Anhörungsprozedur durchlaufen muss. Dieses strenge Verfahren soll selbst bei einer Ressortumverteilung während der Amtsperiode gelten.

Da die Kommission bisher das alleinige Initiativrecht in der Europäischen Gesetzgebung hat, soll sie sich außerdem bereit erklären, bei vom Parlament geäußertem gesetzgeberischem Handlungsbedarf in bestimmten Fragen tätig zu werden. Mit diesen Verpflichtungen, die über die in den Verträgen und der europäischen Verfassung festgelegten Verfahren hinausgehen, würde die neue Kommission deutlich stärker vom Parlament abhängig als ihre Vorgängerinnen. In seiner Stellungnahme zu der Entschließung erklärte der Kommissionspräsident in allen wesentlichen Punkten seine Bereitschaft, die Forderungen zu erfüllen. Er begrüßte es sogar ausdrücklich, dass mit dieser Entschließung die individuelle Verantwortung der Kommissare hervorgehoben werde, ohne das Kollegialprinzip in der Kommission zu beeinträchtigen.

Angesichts dieser Zusagen sprach der Vorsitzende der christdemokratischen EVP, Hans Gert Pöttering, der in seiner Gruppe wegen des zu langen Festhaltens an dem inzwischen ausgetauschten Kommissarsanwärter Buttiglione heftig kritisiert worden war, von einem deutlichen "parlamentarischen Fortschritt". Er erklärte, dass sich angesichts der blockierenden Haltung mancher Regierungen Kommission und Europaparlament in Zukunft noch stärker als Verbündete verstehen sollten.

Der Fraktionschef der Sozialisten, Martin Schulz, erklärte, das Parlament befinde sich jetzt auf gleicher Augenhöhe mit den Vertretern der Regierungen. Es sei das Recht des Parlaments, darüber zu entscheiden, wer in die Exekutive kommt und wer nicht. Zufrieden zog Schulz aus der Entwicklung der letzten Wochen den Schluss, dass es dem Parlament gelungen sei, den Trend in der EU zu einer immer größeren Dominanz der im Ministerrat vertretenen Regierungen umzukehren.

Der Vorsitzende der Liberalen, Graham Watson, versicherte, auch wenn man nicht ganz zufrieden sein könne, wolle man Barroso doch nicht zur Geisel der Regierungen machen und sagte ihm die konstruktive Zusammenarbeit mit seiner Gruppe zu. Er kündigte zugleich aber auch eine sehr wachsame Beobachtung der einzelnen Kommissare, besonders der umstrittenen, an.

Die erneut als Kommissarin bestellte Luxemburgerin Viviane Reding relativierte dagegen die Bedeutung der Zusagen Barrosos etwas. Wenn der Präsident den Fall eines Kommissars, der nicht mehr das Vertrauen des Parlaments genieße, nur ernsthaft prüfen und das Ergebnis der Prüfung den Europaabgeordneten mitteilen müsse, bleibe Barroso stets Herr des Verfahrens. Angesichts des in den letzten Wochen enorm gestiegenen Selbstbewusstseins des Parlaments sei dies aber nur reine Theorie, zeigten sich Beobachter in Straßburg überzeugt.

Zum Auftakt ihrer Straßburger Sitzungswoche hat das Europäische Parlament die Anhörung der beiden neuen Kommissionskandidaten, des Italieners Franco Frattini, und des Letten Andris Piebalgs, durchgeführt. Der bisherige italienische Außenminister Frattini war von Ministerpräsident Silvio Berlusconi nominiert worden, weil das Europaparlament starke Vorbehalte gegen den ursprünglich vorgesehenen Europaminister Roco Buttiglione wegen dessen Haltung zur Rolle der Frau und zur Homosexualität angemeldet hatte. Auf Druck des Parlaments hatte Barroso die Vorschlagsliste für seine Mannschaft Ende Oktober in letzter Minute zurückgezogen und anschließend auch die lettisch Kommissarin Udre gegen ihren Landsmann Piebalgs ausgetauscht.

Da auch der für das Energieressort vorgesehene Ungar Laszlo Kovacz wegen mangelnder Fachkenntnis heftig kritisiert worden war, erhielt er nun das Gebiet Steuern und Zollunion und musste sich erneut einer Anhörung unterziehen. Die ebenfalls umstrittene Dänin Boel (Landwirtschaft), der Grieche Dimas (Umwelt), die Niederländerin Kroes (Wettbewerb) sollen dagegen ihre Aufgabengebiete behalten. Diesem neuen Vorschlag Barrosos hatten die Staats- und Regierungschefs auf dem Brüsseler EU-Gipfel vom 4./5. November bereits zugestimmt. Auch bei den meisten Parlamentsfraktionen waren die Nachnominierungen beziehungsweise die neue Aufgabenverteilung auf breite Zustimmung gestoßen.

In der mit besonderer Spannung erwarteten Anhörung der ausgetauschten Kommissionsanwärter hat der für das Innen- und Justiz-Ressort vorgesehene Italiener Franco Frattini vor dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments einen Zeitplan zur Umsetzung des Haager Programms zu einem gemeinsamen Rechtsraum angekündigt. Der als Kommissionsvizepräsident vorgesehene bisherige italienische Außenminister bedauerte, dass nach den Beschlüssen des Brüsseler EU-Gipfels der Bereich der legalen Einwanderung - im Gegensatz zu früheren Beschlüssen - auch zukünftig unter das Einstimmigkeitsverfahren fallen soll. Zugleich kündigte Frattini eine Europäische Strategie für eine generelle Zuwanderung an. Bis Ende 2005 will die neue Barroso-Kommission einen Aktionsplan vorlegen. Darin sollen auch Vorschläge für eine stärkere Bekämpfung der illegalen Immigration enthalten sein. Insgesamt hinterließ Frattini einen souveränen Eindruck.

Den denkbar besten Eindruck machte allerdings der neue Energiekommissar Andris Piebalgs aus Lettland. Er demonstrierte sein Fachwissen über den Stand der EU-Gesetzgebung. An programmatischen Aussagen hob er eine engere Verknüpfung der Eneergiepolitik mit der Forschungs- und der Umweltpolitik hervor, weil nur so die Ziele der Energieeinsparung und der Erfüllung der mit dem Kyoto-Protokolls verbundenen Verpflichtungen erreicht werden könnten. Dabei sollen sowohl die Windkraft und die Kraft-Wärme-Koppelung eine besondere Rolle spielen. Kritik äußerte der zukünftige Energiekommissar an den Mitgliedstaaten, von denen 18 das EU-Paket zur Energiegesetzgebung noch nicht umgesetzt hätten. So könne der Binnenmarkt seine Vorteile im Sinne der Verbraucher nicht ausspielen. Die durch mehr Wettbewerb erhoffte Preissenkung für Energie dürfe aber nicht zu erhöhtem Energieverbrauch führen. Deshalb will Piebalgs strenge Regeln zur Energieeinsparung und zur Energieeffizienz vorschlagen. Für Ende nächsten Jahres versprach er die Vorlage eines umfassenden Generalplans zur EU-Energiepolitik.

"Wir verteilen hier keine Punkte für Detailwissen", schickte ein Abgeordneter der EVP seiner Frage an den ungarischen Kommissarsanwärter Laszlo Kovacs voraus und wollte von ihm deshalb auch keine Einzelheiten über das neue für den Ungarn vorgesehene Arbeitsgebiet Steuern und Zollunion wissen, sondern lieber Einzelheiten aus seiner früheren politischen und beruflichen Tätigkeit sowie seiner Rolle bei der Öffnung des Eisernen Vorhangs.

Offensichtlich war das Bemühen der Abgeordneten, den schon um mehr als zwei Wochen verzögerten Arbeitsbeginn der neuen EU-Kommission nicht noch einmal wegen einer mangelnden Qualifikation dieses Mannes hinauszuschieben. Doch soviel Rücksichtnahme auf den bei seiner ersten Anhörung wegen fachlicher Inkompetenz im Energiesektor vor drei Wochen kritisierten Kandidaten war gar nicht nötig. Nachdem die ungarische Regierung im Gegensatz zur italienischen trotz der Kritik an ihrem Kandidaten festgehalten hatte, wies ihm Kommissionspräsident Barroso das Steuerressort zu, das er zumindest in seinen Grundlagen soweit verinnerlicht hatte, dass er nun einen wesentlich besseren Eindruck hinterließ. Doch wenn es stärker in Einzelheiten ging, blieben die Aussagen äußerst wage.

Zu den Zielsetzungen in seiner Amtszeit gehören die Konsolidierung der Körperschaftssteuern und die Vereinfachung der Mehrwertsteuerregelungen durch eine im Sinne der Verbraucher liegenden Ziellandorientierung, damit der Binnenmarkt besser funktioniert.

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