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Hartmut Hausmann
Die neue EU-Kommission kann ihre Arbeit sofort
aufnehmen
Eindeutige Mehrheit für Barrosos
Mannschaft
Mit der deutlichen Mehrheit von 449 gegen 149
Stimmen bei 82 Enthaltungen hat das Europäische Parlament am
18. November in Straßburg der neuen EU-Kommission im zweiten
Anlauf das Vertrauen ausgesprochen. Die Mehrheit für das
25-köpfige Kollegium wurde von den drei größten
Fraktionen, den Christdemokraten, den Sozialdemokraten und den
Liberalen sowie von der kleinen Fraktion Europa der Nationen
erbracht. Die Grünen lehnten die Kommission ebenso
einmütig ab wie die Vereinigte Linke und die in den
Unabhängigen Demokraten versammelten Europagegner.
Damit kann die Kommission bereits am 22.
November ihre Arbeit in Brüssel mit dreiwöchiger
Verspätung aufnehmen. Die ursprünglich für Ende
Oktober geplante Abstimmung war auf Antrag Barrosos vertagt worden,
nachdem sich eine klare Abstimmungsniederlage abgezeichnet hatte,
weil einige der Kommissarskandidaten bei den Anhörungen in den
Parlamentsausschüssen nicht überzeugen konnten. Daraufhin
war der frühere portugiesische Ministerpräsident den
Wünschen der Abgeordneten nach Austausch einzelner Kommissare
und Umbesetzungen von Ressorts teilweise entgegengekommen.
Weitergehende Umbesetzungen waren an der Weigerung der Regierungen
Ungarns und der Niederlande gescheitert, ihre ebenfalls
kritisierten Kandidaten auszutauschen. Vor der Abstimmung hatte das
Parlament deshalb auch in einer von den selben Fraktionen
eingebrachten Entschließung einerseits die neu formierte
Kommission ausdrücklich begrüßt, andererseits aber
bedauert, dass mit Blick auf mögliche Interessenskonflikte
keine greifbare Lösung gefunden wurde. Damit wurde vor allem
auf den Aufgabenbereich der niederländischen
Wettbewerbskommissarin Kroes verwiesen, die in rund 20 Unternehmen
wichtige Funktionen ausgeübt hat.
Zugleich wurde in der Entschließung, wie
in Vorgesprächen mit Barroso bereits vereinbart, eine
Rahmenvereinbarung zwischen Parlament und Kommission über die
Zusammenarbeit beider Institutionen gefordert, die deutlich die
Handschrift des Parlaments tragen müsse. Danach soll bei einem
Vertrauensentzug für einen einzelnen Kommissar durch das
Parlamentsplenum der Kommissionspräsident "ernsthaft
prüfen, ob er dieses Mitglied zum Rücktritt auffordert".
Wenn dies der Fall ist, soll sich der Nachfolger dem
parlamentarischen Verfahren stellen müssen, indem er vor
seinem Amtsantritt die Anhörungsprozedur durchlaufen muss.
Dieses strenge Verfahren soll selbst bei einer Ressortumverteilung
während der Amtsperiode gelten.
Da die Kommission bisher das alleinige
Initiativrecht in der Europäischen Gesetzgebung hat, soll sie
sich außerdem bereit erklären, bei vom Parlament
geäußertem gesetzgeberischem Handlungsbedarf in
bestimmten Fragen tätig zu werden. Mit diesen Verpflichtungen,
die über die in den Verträgen und der europäischen
Verfassung festgelegten Verfahren hinausgehen, würde die neue
Kommission deutlich stärker vom Parlament abhängig als
ihre Vorgängerinnen. In seiner Stellungnahme zu der
Entschließung erklärte der Kommissionspräsident in
allen wesentlichen Punkten seine Bereitschaft, die Forderungen zu
erfüllen. Er begrüßte es sogar ausdrücklich,
dass mit dieser Entschließung die individuelle Verantwortung
der Kommissare hervorgehoben werde, ohne das Kollegialprinzip in
der Kommission zu beeinträchtigen.
Angesichts dieser Zusagen sprach der
Vorsitzende der christdemokratischen EVP, Hans Gert Pöttering,
der in seiner Gruppe wegen des zu langen Festhaltens an dem
inzwischen ausgetauschten Kommissarsanwärter Buttiglione
heftig kritisiert worden war, von einem deutlichen
"parlamentarischen Fortschritt". Er erklärte, dass sich
angesichts der blockierenden Haltung mancher Regierungen Kommission
und Europaparlament in Zukunft noch stärker als
Verbündete verstehen sollten.
Der Fraktionschef der Sozialisten, Martin
Schulz, erklärte, das Parlament befinde sich jetzt auf
gleicher Augenhöhe mit den Vertretern der Regierungen. Es sei
das Recht des Parlaments, darüber zu entscheiden, wer in die
Exekutive kommt und wer nicht. Zufrieden zog Schulz aus der
Entwicklung der letzten Wochen den Schluss, dass es dem Parlament
gelungen sei, den Trend in der EU zu einer immer größeren
Dominanz der im Ministerrat vertretenen Regierungen
umzukehren.
Der Vorsitzende der Liberalen, Graham Watson,
versicherte, auch wenn man nicht ganz zufrieden sein könne,
wolle man Barroso doch nicht zur Geisel der Regierungen machen und
sagte ihm die konstruktive Zusammenarbeit mit seiner Gruppe zu. Er
kündigte zugleich aber auch eine sehr wachsame Beobachtung der
einzelnen Kommissare, besonders der umstrittenen, an.
Die erneut als Kommissarin bestellte
Luxemburgerin Viviane Reding relativierte dagegen die Bedeutung der
Zusagen Barrosos etwas. Wenn der Präsident den Fall eines
Kommissars, der nicht mehr das Vertrauen des Parlaments
genieße, nur ernsthaft prüfen und das Ergebnis der
Prüfung den Europaabgeordneten mitteilen müsse, bleibe
Barroso stets Herr des Verfahrens. Angesichts des in den letzten
Wochen enorm gestiegenen Selbstbewusstseins des Parlaments sei dies
aber nur reine Theorie, zeigten sich Beobachter in Straßburg
überzeugt.
Zum Auftakt ihrer Straßburger
Sitzungswoche hat das Europäische Parlament die Anhörung
der beiden neuen Kommissionskandidaten, des Italieners Franco
Frattini, und des Letten Andris Piebalgs, durchgeführt. Der
bisherige italienische Außenminister Frattini war von
Ministerpräsident Silvio Berlusconi nominiert worden, weil das
Europaparlament starke Vorbehalte gegen den ursprünglich
vorgesehenen Europaminister Roco Buttiglione wegen dessen Haltung
zur Rolle der Frau und zur Homosexualität angemeldet hatte.
Auf Druck des Parlaments hatte Barroso die Vorschlagsliste für
seine Mannschaft Ende Oktober in letzter Minute zurückgezogen
und anschließend auch die lettisch Kommissarin Udre gegen
ihren Landsmann Piebalgs ausgetauscht.
Da auch der für das Energieressort
vorgesehene Ungar Laszlo Kovacz wegen mangelnder Fachkenntnis
heftig kritisiert worden war, erhielt er nun das Gebiet Steuern und
Zollunion und musste sich erneut einer Anhörung unterziehen.
Die ebenfalls umstrittene Dänin Boel (Landwirtschaft), der
Grieche Dimas (Umwelt), die Niederländerin Kroes (Wettbewerb)
sollen dagegen ihre Aufgabengebiete behalten. Diesem neuen
Vorschlag Barrosos hatten die Staats- und Regierungschefs auf dem
Brüsseler EU-Gipfel vom 4./5. November bereits zugestimmt.
Auch bei den meisten Parlamentsfraktionen waren die
Nachnominierungen beziehungsweise die neue Aufgabenverteilung auf
breite Zustimmung gestoßen.
In der mit besonderer Spannung erwarteten
Anhörung der ausgetauschten Kommissionsanwärter hat der
für das Innen- und Justiz-Ressort vorgesehene Italiener Franco
Frattini vor dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments
einen Zeitplan zur Umsetzung des Haager Programms zu einem
gemeinsamen Rechtsraum angekündigt. Der als
Kommissionsvizepräsident vorgesehene bisherige italienische
Außenminister bedauerte, dass nach den Beschlüssen des
Brüsseler EU-Gipfels der Bereich der legalen Einwanderung - im
Gegensatz zu früheren Beschlüssen - auch zukünftig
unter das Einstimmigkeitsverfahren fallen soll. Zugleich
kündigte Frattini eine Europäische Strategie für
eine generelle Zuwanderung an. Bis Ende 2005 will die neue
Barroso-Kommission einen Aktionsplan vorlegen. Darin sollen auch
Vorschläge für eine stärkere Bekämpfung der
illegalen Immigration enthalten sein. Insgesamt hinterließ
Frattini einen souveränen Eindruck.
Den denkbar besten Eindruck machte allerdings
der neue Energiekommissar Andris Piebalgs aus Lettland. Er
demonstrierte sein Fachwissen über den Stand der
EU-Gesetzgebung. An programmatischen Aussagen hob er eine engere
Verknüpfung der Eneergiepolitik mit der Forschungs- und der
Umweltpolitik hervor, weil nur so die Ziele der Energieeinsparung
und der Erfüllung der mit dem Kyoto-Protokolls verbundenen
Verpflichtungen erreicht werden könnten. Dabei sollen sowohl
die Windkraft und die Kraft-Wärme-Koppelung eine besondere
Rolle spielen. Kritik äußerte der zukünftige
Energiekommissar an den Mitgliedstaaten, von denen 18 das EU-Paket
zur Energiegesetzgebung noch nicht umgesetzt hätten. So
könne der Binnenmarkt seine Vorteile im Sinne der Verbraucher
nicht ausspielen. Die durch mehr Wettbewerb erhoffte Preissenkung
für Energie dürfe aber nicht zu erhöhtem
Energieverbrauch führen. Deshalb will Piebalgs strenge Regeln
zur Energieeinsparung und zur Energieeffizienz vorschlagen.
Für Ende nächsten Jahres versprach er die Vorlage eines
umfassenden Generalplans zur EU-Energiepolitik.
"Wir verteilen hier keine Punkte für
Detailwissen", schickte ein Abgeordneter der EVP seiner Frage an
den ungarischen Kommissarsanwärter Laszlo Kovacs voraus und
wollte von ihm deshalb auch keine Einzelheiten über das neue
für den Ungarn vorgesehene Arbeitsgebiet Steuern und Zollunion
wissen, sondern lieber Einzelheiten aus seiner früheren
politischen und beruflichen Tätigkeit sowie seiner Rolle bei
der Öffnung des Eisernen Vorhangs.
Offensichtlich war das Bemühen der
Abgeordneten, den schon um mehr als zwei Wochen verzögerten
Arbeitsbeginn der neuen EU-Kommission nicht noch einmal wegen einer
mangelnden Qualifikation dieses Mannes hinauszuschieben. Doch
soviel Rücksichtnahme auf den bei seiner ersten Anhörung
wegen fachlicher Inkompetenz im Energiesektor vor drei Wochen
kritisierten Kandidaten war gar nicht nötig. Nachdem die
ungarische Regierung im Gegensatz zur italienischen trotz der
Kritik an ihrem Kandidaten festgehalten hatte, wies ihm
Kommissionspräsident Barroso das Steuerressort zu, das er
zumindest in seinen Grundlagen soweit verinnerlicht hatte, dass er
nun einen wesentlich besseren Eindruck hinterließ. Doch wenn
es stärker in Einzelheiten ging, blieben die Aussagen
äußerst wage.
Zu den Zielsetzungen in seiner Amtszeit
gehören die Konsolidierung der Körperschaftssteuern und
die Vereinfachung der Mehrwertsteuerregelungen durch eine im Sinne
der Verbraucher liegenden Ziellandorientierung, damit der
Binnenmarkt besser funktioniert.
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