|
|
Cordula Tutt
"Wir werden viele sein, die von wenigen etwas
wollen"
Der Ton zwischen den Generationen wird rauer -
der wahre Konflikt aber wird künftig zwischen Arm und Reich
ausgetragen
Viele Ältere hören nicht gern, was Hanne Schweitzer
fordert. "Es muss doch möglich sein, dass sich jemand mit 80
Jahren an die Kinokasse setzt, um Geld zu verdienen", sagt die
Kölnerin. Was für viele nach Arbeitszwang statt Ruhestand
klingt, ist für die Leiterin des "Büros gegen
Alterdiskriminierung" etwas Positives. Ihr Verein beklagt zwar,
dass der Ton zwischen Jung und Alt rau geworden ist, dass
Ältere kaum noch Chancen am Arbeitsmarkt haben und von manchen
sogar als Last betrachtet werden. Schweitzer und ihre Mitstreiter
wollen deshalb aber Regeln abschaffen, die viele als Schutz
empfinden. Schweitzer argumentiert, Extra-Regeln für
Ältere hätten sich inzwischen zu unüberwindbaren
Hürden für sie entwickelt.
Zum Beispiel die Bezahlung nach Lebensalter: Die schade
Älteren auf Jobsuche, weil sie Arbeitgebern zu teuer
wären. "In Deutschland wird man im öffentlichen Dienst ja
teils fürs Sesselpupen bezahlt, und nach drei Jahren gibt es
die Gehaltserhöhung", sagt Aktivistin Schweitzer. "Wir
brauchen eine Bezahlung nach Leistung." Niemand solle auch das
Arbeiten verwehrt bleiben, wenn die Rente künftig nicht mehr
reicht oder es einfach Spaß macht. Auch Politiker
verstünden oft noch nicht, was Älteren nütze, meint
die Frau, die ihr eigenes Alter nicht preisgibt. Sie schürten
den Kampf zwischen den Generationen. "Sie helfen dabei, die Alten
zu Sündenböcken zu machen. Alte sind an allem schuld: Es
sind so viele, und dann leben die auch noch so unverschämt
lange."
Die Wirtschaft in Deutschland lahmt, die Sozialkassen sind
marode. Das Volk altert und schrumpft. Die Alten leben länger,
es werden weniger Junge geboren. Da wird der Ton schärfer,
weil viele glauben, nicht mehr den gerechten Anteil an Chancen und
Sicherheit zu bekommen. Besonders umstritten ist der
Generationenvertrag der Sozialversicherungen für Rente,
Gesundheit und Pflege, nach dem Jüngere die Älteren
über ihre Beiträge mit finanzieren.
Wer ist schuld? Die Alten, sagen Junge - Deutschland sei auf dem
Weg zur Altersdiktatur. Die Jungen, sagen Alte - mit dem Jugendwahn
müsse Schluss sein. Manche sprechen schon von
Sozialdarwinismus, jenem kruden Gesellschaftsverständnis,
wonach das Dasein ein Kampf ist und der Stärkere
überlebt.
Der Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, fordert im Buch
"Das Methusalem-Komplott", seine Generation 40+ solle sich
zusammenrotten und den neuen Rassismus, den Jugendwahn,
bekämpfen. Der heute 25 Jahre alte Chef der Jungen Union,
Philipp Mißfelder,brachte sich wirksam ins Gespräch, als
er forderte, nicht jeder 85-Jährige brauche ein
Hüftgelenk auf Kosten der Sozialkassen. Junge klagen, sie
zahlten zuviel, nämlich mehr als ein Drittel ihres Gehalts und
die Ökosteuer in die Renten- und Krankenkassen. Die britische
Lobby-Gruppe "Age Concern" beklagt, auf der Insel hätten
Ältere Probleme, einen Kredit zu bekommen, und sie würden
durch die Wartelisten-Medizin benachteiligt. Der Moderator Max
Schautzer verlor seinen ARD-Vertrag und fühlt sich wegen
seiner 63 Jahre abgestempelt. Kommunen streiten mit Kindern um
Pflegekosten für deren Eltern, Gerichte setzen den
Generationenvertrag zwangsweise ein.
Das Gewicht der Alten in der Gesellschaft steigt. Das macht
manchen Angst. Ob das mehr Macht oder eher mehr erzwungene
Abstriche bedeutet, ist aber noch nicht ausgemacht. Nach der
mittleren Prognose des Statistischen Bundesamtes (Destatis) wird
2050 die Hälfte der Bevölkerung älter als 48 Jahre
alt sein, ein Drittel sogar über 60 Jahre. Schon bald nach dem
Jahr 2010 wird sich der Anteil der Alten - und damit der von
Rentenzahlungen Abhängigen - stark vergrößern. Schon
seit Jahren werden mit statistisch gesehen 1,4 Kindern je Frau
weniger Menschen geboren als sterben. Zurzeit ist noch ein
Fünftel der Menschen im Land jünger als 20, sie werden in
45 Jahren aber nur noch ein Sechstel der Bevölkerung
ausmachen.
Schon jetzt spielt das Argument der Masse eine Rolle - in der
Demokratie hilft es ja eigentlich, viele zu sein. Zur letzten
Bundestagswahl drohte der Präsident des Sozialverbandes VdK,
Walter Hirrlinger, wegen der Rentenreform indirekt mit Boykott
gegen Rot-Grün: "Ich kann den 20 Millionen Rentnern nur raten,
sich ihre Stimmzettel genau anzusehen." Der
Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen
Industrie (BDI), Ludolf von Wartenberg, argumentierte umgekehrt:
"Schon heute hängen die Hälfte der Wähler von
Sozialtransfers ab. Reformen werden da in Zukunft noch schwerer
durchzusetzen sein."
Wirtschaftsforscher warnen vor schärferen
Verteilungskämpfen. Das ohnehin schwache deutsche
Wirtschaftswachstum werde langfristig kläglich ausfallen, wenn
künftig weniger Menschen arbeiten. Alle reden vom lebenslangen
Lernen, aber kaum einer investiert in die Fortbildung von
Mitarbeitern, damit die auch mit über 50 oder 60 noch
innovativ und motiviert sind. Die rot-grüne Regierung
propagiert das Prinzip der Nachhaltigkeit, tut aber wenig, die
nächste Generation von der erdrückenden Staatsschuld zu
befreien, die rund 1,4 Billionen Euro ausmacht. Der Freiburger
Ökonom Bernd Raffelhüschen hat dazu noch die implizite
Verschuldung draufgeschlagen, also zum Beispiel auch Ansprüche
an die Solidarsysteme, die noch nicht bezahlt sind. Er kommt auf
das Fünffache und spricht von "Zechprellerei auf Kosten
unserer Kinder".
Das wirkt erdrückend. Einiges geht aber beim Streit um
Gerechtigkeit zwischen Jung und Alt auch durcheinander. Die, die
jetzt meinen, man müsse besser auf Seiten der Jungen stehen,
gehören wahrscheinlich zu den ersten Alten, die wirklich
bangen müssen um ihre Rente, ihre Dritten Zähne und die
Pflege. Trotz gängiger Argumente haben nicht die heutigen
Alten "Schuld". Sie haben ja meist ihren Teil des
Generationenvertrags erfüllt: Auch wenn sie früh in Rente
geschickt wurden, haben sie jahrzehntelang in die Kassen eingezahlt
und sie haben Kinder bekommen. Die, die heute im mittleren Alter
sind, stehen anders da.
"Das sind die größten Verlierer der Sozialreformen,
aber sie können auf hohem Niveau jammern", sagt
Finanzwissenschaftler Raffelhüschen. "Die heute 30- bis
50-Jährigen haben eigentlich kein Problem, sie sind das
Problem. Nur manche haben ihre Bringschuld erbracht: die Kinder."
Im Grunde geht es darum, dass Kinder haben teuer ist. Darauf
verzichten viele. Keine Kinder zu haben, wird für die
Gesellschaft in Zukunft teuer. Raffelhüschen, der in der
Rürup-Kommission der Bundesregierung saß, sieht den
Generationenkonflikt erst noch kommen. "Wir werden viele sein, die
von wenigen was wollen." Ist dann Sozialdarwinismus in Sicht? "Das
wird vielleicht zum Unwort des Jahres 2012 erklärt", sagt
er.
Wenn das Sozialsystem nicht mehr so viel leistet, wenn
Lebensläufe unterschiedlicher werden, ist auch naheliegend,
dass ein anderer Gegensatz wichtiger wird. Es deutet einiges darauf
hin, dass der Konflikt zwischen Arm und Reich härter
ausgefochten wird. Kinderlose haben mehr Geld als Familien. Wer
erbt, steht besser da, als der, in dessen Familie kein Geld
übrig ist. Die Alten werden bis zum Jahr 2010 in Deutschland
schätzungsweise 2,2 Billionen Euro vererben. Und statistisch
gesehen verschenken Großeltern im Monat etwa 300 Euro an
Kinder und Enkel, hat das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) errechnet. Nur fallen solche Wohltaten
sehr unterschiedlich aus.
Wenn der Staat sich zurückzieht und Unterschiede wachsen,
wird es auch wichtiger sich zu wehren. Deshalb setzen viele
Hoffnung auf ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das die
rot-grüne Regierung seit langem versprochen hat. In den USA
gibt es schon seit 1967 ein Gesetz speziell zum Schutz vor
Altersdiskriminierung. Jobsuchende geben im Lebenslauf ihr Alter
nicht an, auf Fotos wird verzichtet, selbst die
Beschäftigungsdauer in einzelnen Firmen ist tabu. Das
könnte auch in Deutschland langsam kommen. Ältere werden
dann künftig weniger als bisher nach dem
Senioritätsprinzip die besser bezahlten Posten bekommen. Sie
werden aber eher als heute überhaupt einen Job finden - auch
wenn die Rente nicht mehr reicht.
In den USA ist Arbeit bis ins hohe Alter schon heute nicht
ungewöhnlich. 67-Jährige suchen Teilzeitjobs, geschiedene
Frauen machen sich mit 63 selbstständig, wenn die Rente nicht
reicht.
Hanne Schweitzer hält deshalb Regeln zum Schutz vor
Diskriminierung für wesentlich: "So ein Gesetz ist ganz
wichtig, um den gesellschaftlichen Frieden aufrecht zu erhalten."
Es sei aber nicht nur gut für Ältere. "Das wird ja umso
wichtiger für die Jungen, wenn die mal in der Minderheit
sind." Die Kölnerin aus einer deutsch-amerikanischen Familie
hofft zudem auf Einfallsreichtum und Optimismus unter den neuen
Alten. Ältere hätten bisher noch kaum Vorbilder, meint
sie. Die künftigen Alten hätten sich schon früher
anders engagiert und könnten das fortsetzen. "Die sind
bürgerbewegt." Schweitzer hat vor Jahren, als 20-Jährige,
aber bereits ein Bild für selbstbewusstes Altern in
Kalifornien gefunden. "Da fuhren Motorradfahrer auf
Harley-Davidsons heran - und als sie die Helme abnahmen, hatten sie
weiße Haare. Ich war die einzige unter all diesen Amerikanern,
die das verblüffend fand."
Die Autorin ist Redakteurin bei der "Financial Times
Deutschland" und lebt in Berlin.
Zurück zur
Übersicht
|