Markus Feldenkirchen
Mein Rentner und ich
Glosse
Es ist nicht mehr genau nachzuvollziehen, wann genau uns
Deutschen der Schwung aus den Lenden gewichen ist. Vielleicht war
auch dafür das Tor von Wembley der Auslöser oder die IG
Metall, wir wissen es nicht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit
trägt die Deutsche Einheit eine Mitschuld und sicherlich auch
die SPD. Aber eigentlich ist es nun auch zu spät, um nach den
Schuldigen zu suchen. Reglos schauen wir uns beim Aussterben zu.
Wir bleiben hüftsteif. Es fehlt das Aufbäumen.
Doch bis dahin sind auf diesem langen Marsch noch ein paar
Zwischenstufen zu absolvieren. Es werde der Tag kommen, so predigt
uns nicht nur der Bundeskanzler täglich aufs neue, da wird auf
einen Rentner genau ein beitragszahlender Arbeitnehmer kommen.
Manche halten dies für ein Schreckensszenario. Dabei wird es
wunderschön werden, zu einem völlig anderen Umgang
zwischen den Generationen führen. Während alte Menschen
von den jüngeren heutzutage am liebsten ins Altersheim
abgeschoben werden, wird es künftig ein viel intensiveres
Miteinander geben.
Denkbar wäre ein Modellprojekt, Titel: "Mein Rentner und
ich". Mit diesem einfachen Modell wäre das heutige
komplizierte Rentensystem endlich überflüssig. Jeder noch
arbeitende Deutsche bekommt ganz einfach seinen privaten Rentner
zugewiesen, um den er sich dann kümmern muss. Das schafft eine
bis dato unbekannte Nähe zwischen Jung und Alt.
Treffen sich also zwei Arbeitnehmer vor dem Senior Health Club:
"Mein Rentner frisst mir die Haare vom Kopf. Ich weiß nicht
mehr was ich machen soll."
"Das Problem kenne ich. Wie heißt er denn, Dein
Rentner?"
"Günther. Und Deiner?"
"Es ist eine sie. Sie heißt Margot."
"Günther wird unverschämt: er bekommt bereits 490 Euro
Taschengeld im Monat. Aber jetzt hat er noch eine 20-prozentige
Erhöhung beantragt. Er sagt, die anderen in seiner
Senioren-Bauch-Beine-Po-Gruppe bekämen alle mehr als 500
Euro."
"Margot hat bisher recht bescheiden gelebt. Sie hat früher
beim Finanzamt gearbeitet. Aber seit sie frisch verliebt ist, fragt
sie ständig nach Extra-Geld für frische
Stützstrümpfe. Aber insgesamt ist mein Leben schöner
geworden. Du musst wissen: Sie kann sehr leckere Bratkartoffeln
zubereiten."
"Günther ist auch frisch verliebt, leider. Das kommt mich
teuer zu stehen, weil er seine Süße nun immer zum Essen
ins Restaurant einlädt. Und sobald die ihren Damen gefallen
wollen, ist der Seniorenteller ja nicht mehr gut genug."
"Sag mal, wie regelt ihr das mit dem Urlaub?"
"Hör mir bloß auf mit dem Thema."
"Wir hatten neulich auch ne heftige Diskussion. Ich wollte
Margot ja - großzügig wie ich bin - eine Kaffeefahrt
spendieren. Aber nein, es musste ja unbedingt Paragliding und
Wildwasser-Rafting sein."
"Weißt Du was: Der Rentner an sich ist auch nicht mehr das,
was er mal war."
Wir sehen einer kommunikativen Zeit zwischen den Generationen
entgegen. "Mein Rentner und ich" könnte rasch zum
international innovativsten Modell der Altersvorsorge werden.
Gesetzlich geregelt werden müsste allenfalls die Frage, ob man
seinen Senior bei knapper Kasse auch am internationalen Rentenmarkt
handeln kann und ob der private Rentner bei äußerst
renitentem Verhalten gegen ein pflegeleichteres Exemplar
umgetauscht werden darf. Zu empfehlen wäre dies freilich
nicht. Denn so leicht man sich von seinem Ehepartner trennen kann -
das Modell "Mein Rentner und ich" ist eigentlich ein Projekt
für das ganze Leben. Die Devise heißt ja auch: Die Rente
ist sicher.
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