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Das Parlament
Nr. 48 / 22.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Claudia Heine

Zwischen Verehrung und Ausgrenzung

Kulturgeschichte des Alterns
Die Alten haben es wirklich gut heute! Müssen sie doch nicht mehr, so eine Vorstellung des Mittelalters, in einem riesigen Kessel gekocht oder verbrannt werden, um danach als junge Menschen wiedergeboren zu werden. Einfach nur ein bisschen Make-up aufgetragen, die Haare gefärbt, und schon wird man erst gar nicht alt. Der Traum von der ewigen Jugend ist nicht so neu, wie gemeinhin angenommen. Mit seinem "Jungbrunnen" legte Lucas Cranach d. Ä. im 16. Jahrhundert einen Grundstein für viele ähnliche Motive in der Kunst.

Auch die Bibelwelt dieser Zeit setzte sich in vielen Variationen, wie der oben erwähnten, mit dem Wunsch nach Verjüngung auseinander. Ludwig XI., französischer König von 1461 bis 1483, ließ für einen heiligen Eremiten aus Süditalien eine Zelle in seinem Schlossgarten errichten, damit dieser für die Verlängerung seines Lebens bete. Gab es sie jemals, die glorreichen Zeiten, in denen das Alter geachtet und nicht, weil es sich in seiner Nähe befindet, wie der Tod gefürchtet wurde?

Ein einheitliches Bild ergibt sich für keine Epoche der Geschichte. Fast immer erfuhren alte Menschen beides: Anerkennung und Ausgrenzung. Allerdings schlug das Pendel in Zeiten historischer Krisen und Umbrüche wie dem Dreißigjährigen Krieg oder der fortschreitenden Industrialisierung einseitig aus. Ob am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit die Verachtung der Alten ihren Höhepunkt erreichte; ob im 19. Jahrhundert die späte Lebensphase idyllisiert wurde: Beide Male handelt es sich auch um Antworten auf eine als bedrohlich empfundene Umwelt.

Pest machte den Tod zum Begleiter

Glaubenskriege, Rebellionen, Hungersnöte und vor allem die Pest machten den Tod zum ständigen Begleiter der Menschen in einer Zeit, die von Wissenschaftlern als bislang altersfeindlichste Epoche bezeichnet wird. Im 16. und 17. Jahrhundert galten schon 40-Jährige als alt, waren sich die Menschen sicher, früh und unverhofft zu sterben. Sie erlebten es täglich in ihrer Umgebung. Wen wundert es, dass davon auch die Einstellungen zum Leben und zum Alter ungeheuer geprägt wurden. Zuflucht aus einem Alltag voller Grauen, der seinen Höhepunkt im Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) erreichte, bot eine Gedankenwelt, in der die Jugend geradezu vergöttert wurde. Alt zu sein war kein Wert, sondern stigmatisiert mit dem Makel des Zerfalls. Man versuchte, sich zu entziehen, indem man verdrängte und sich in eine übertriebene Ausgelassenheit und Lebensgier flüchtete, in der die Alten nichts verloren hatten.

Ihren Ausdruck fanden diese Umstände auch in der Kunst. Häufiger als jemals zuvor zeigte sie Darstellungen von Gewalt und Leiden, von Sadismus und Wahnsinn, die nichts von einer gelassenen Todesbereitschaft oder gar Mystifizierung des Todes erzählten.

Ein negatives Bild des Alters in der Kunst findet sich bereits in der Komödienwelt der Antike, einer Zeit, in der sehr unterschiedliche Einstellungen gegenüber dieser Lebensphase existierten. Zwar verstand sich die Komödie als Gegenwelt zur Realität, sie liefert jedoch gleichzeitig ein aufschlussreiches Zeugnis von ihr. Hier lachte man über menschliche Schwächen, die einen selbst nicht betrafen, und als eine davon galt offenbar das Alter: "Der Alte war der Übel allerschlimmstes, von allen Gästen der besoffenste! (...) Er aber trieb's am tollsten doch von allen. Kaum hat er sich mit

Leckereien gestopft, da springt er, tanzt und furzt und lacht dazu", schreibt Aristophanes in "Die Wespen". Der Alte als lächerliche, komische Figur, die sich nicht mehr im Griff hat und deren körperliche Gebrechen zum Gespött der Jüngeren gemacht werden: Ein Bild der Ablehnung, das weit verbreitet war und den griechischen Philosophen Platon veranlasste, Maßstäbe für einen würdevollen Umgang mit alten Menschen zu formulieren. Sein Bild des Alters war ein sehr positives: Ihre Würde berechtige alte Menschen zu einer Erzieher- und Beraterfunktion für die Jugend. Ihre Weisheit und Erfahrung sollten Vorbild sein, um die Jungen auf einen tugendhaften Weg zu führen. Die Realität sah offenbar etwas anders aus. So heißt es in der "Politeia": "Einige beschweren sich auch über die üblen Behandlungen des Alters von Seiten der Angehörigen und stimmen aus diesem Ton vorzüglich ihre Klagelieder an, wie vieler Übel Ursache es ihnen ist." Entsprechend fordert Platon in "Der Staat" sogar Schläge und Gefängnisstrafen für jene, die ihre Eltern vernachlässigen. Für den Umgang der Jugend mit den Älteren empfiehlt er: "Jeder zeige Scheu in Wort und Tat vor dem, welcher älter ist als er."

Wie wichtig die Erfahrungen alter Menschen für ein gut funktionierendes Staatsgebilde seien, darauf verwies hingegen der römische Politiker und Redner Cicero, dessen Reflexionen zu den bekanntesten Lobpreisungen des Alters gehören: "Nicht durch Kraft oder körperliche Behändigkeit und Schnelligkeit werden große Leistungen vollbracht, sondern durch besonnenen Rat, das Gewicht der Person, gereiftes Urteil: Eigenschaften, die im Alter nicht verloren gehen, sondern sogar noch zuzuwachsen pflegen." An diesen Gedanken knüpften die Aufklärer des 18. Jahrhunderts in ihren "Moralischen Wochenschriften" an, die ein Millionenpublikum erreichten, und in denen sie für den Aufbau einer jung und alt gleichermaßen umfassenden Gesellschaft plädierten.

Der Zusammenbruch jeglicher Zivilisation mit dem Verlust allgemeingültiger moralischer Maßstäbe als Folge des Dreißigjährigen Krieges bedeutete einen Schock, aus dem sich Europa nur mit einer radikalen Wende befreien konnte. Mehr als vorher spürten die Menschen, dass sie nur in gegenseitigem Respekt einen Neuanfang versuchen können, dass Disziplin und stabile Regeln die Grundlage für eine funktionierende menschliche Gesellschaft sind. Was folgte, war ein Prozess der "Versittlichung" und Sozialdisziplinierung, in dessen Rahmen das Alter eine neue Anerkennung erfuhr. Diese drückte sich auch in der heftig diskutierten Frage aus, die Altersphase zu verlängern; Ratschläge in Zeitschriften und Hilfsbüchern wiesen den richtigen Weg dorthin. Das Buch des Arztes Christoph Wilhelm Hufeland "Makrobiotik oder die Kunst das menschliche Leben zu verlängern" löste 1796 eine wahre Volksbewegung aus. Im 18. Jahrhundert fanden die Menschen also wieder zu einer optimistischen Einstellung, in der das Leben an sich einen Wert darstellte. Davon profitierte auch das Alter: Es wurde geehrt, und jeder hohe Geburtstag galt als Triumph der Menschheit über den Tod. In der Literatur übernahmen die Alten nun die Rolle von Helden, in der Pädagogik jene der Vorbilder, als Garanten von Weisheit und Erfahrung.

Ihren Höhepunkt an Verehrung erlebten die alten Menschen jedoch im 19. Jahrhundert. Die Bewegung des Biedermeiers kreierte eine neue Kultur des Alterns, die von einer Verklärung geprägt war, in der die Alten als unantastbare Personen der Familienwelt über allem schwebten. Familienromane, Wandkalender und Kinderbücher entwarfen eine Traumwelt, die aber reale Wirkung entfaltete. Sie setzte Normen und entwarf ein positives Lebensmodell mit durchschlagender Wirkung. Tradition wurde in dieser Lesart nicht nur mit Rückschritt und Modernisierung nicht nur mit Fortschritt verbunden. Die Familie galt als Fluchtpunkt in einer beängstigenden Modernisierung des Lebens. Als deren eigentliche Repräsentanten galten die Alten, als Träger von Tugenden. Als Gegenleistung forderte die Gesellschaft - wie von allen anderen - auch Unterwerfung unter die Normen und Zwänge eines bürgerlichen Weltbildes, das wenig Raum zum Ausbrechen bot. So drohte den Alten zum Beispiel Verachtung, wenn sie ihr Vermögen nicht in den Dienst der Gemeinschaft und Gesellschaft stellten, sondern es etwa zum "Eigennutz" verwendeten.

Claudia Heine ist freie Journalistin in Berlin.

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