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Claudia Heine
Zwischen Verehrung und Ausgrenzung
Kulturgeschichte des Alterns
Die Alten haben es wirklich gut heute!
Müssen sie doch nicht mehr, so eine Vorstellung des
Mittelalters, in einem riesigen Kessel gekocht oder verbrannt
werden, um danach als junge Menschen wiedergeboren zu werden.
Einfach nur ein bisschen Make-up aufgetragen, die Haare
gefärbt, und schon wird man erst gar nicht alt. Der Traum von
der ewigen Jugend ist nicht so neu, wie gemeinhin angenommen. Mit
seinem "Jungbrunnen" legte Lucas Cranach d. Ä. im 16.
Jahrhundert einen Grundstein für viele ähnliche Motive in
der Kunst.
Auch die Bibelwelt dieser Zeit setzte sich in
vielen Variationen, wie der oben erwähnten, mit dem Wunsch
nach Verjüngung auseinander. Ludwig XI., französischer
König von 1461 bis 1483, ließ für einen heiligen
Eremiten aus Süditalien eine Zelle in seinem Schlossgarten
errichten, damit dieser für die Verlängerung seines
Lebens bete. Gab es sie jemals, die glorreichen Zeiten, in denen
das Alter geachtet und nicht, weil es sich in seiner Nähe
befindet, wie der Tod gefürchtet wurde?
Ein einheitliches Bild ergibt sich für
keine Epoche der Geschichte. Fast immer erfuhren alte Menschen
beides: Anerkennung und Ausgrenzung. Allerdings schlug das Pendel
in Zeiten historischer Krisen und Umbrüche wie dem
Dreißigjährigen Krieg oder der fortschreitenden
Industrialisierung einseitig aus. Ob am Übergang vom
Mittelalter zur Neuzeit die Verachtung der Alten ihren
Höhepunkt erreichte; ob im 19. Jahrhundert die späte
Lebensphase idyllisiert wurde: Beide Male handelt es sich auch um
Antworten auf eine als bedrohlich empfundene Umwelt.
Pest machte den Tod zum Begleiter
Glaubenskriege, Rebellionen, Hungersnöte
und vor allem die Pest machten den Tod zum ständigen Begleiter
der Menschen in einer Zeit, die von Wissenschaftlern als bislang
altersfeindlichste Epoche bezeichnet wird. Im 16. und 17.
Jahrhundert galten schon 40-Jährige als alt, waren sich die
Menschen sicher, früh und unverhofft zu sterben. Sie erlebten
es täglich in ihrer Umgebung. Wen wundert es, dass davon auch
die Einstellungen zum Leben und zum Alter ungeheuer geprägt
wurden. Zuflucht aus einem Alltag voller Grauen, der seinen
Höhepunkt im Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648)
erreichte, bot eine Gedankenwelt, in der die Jugend geradezu
vergöttert wurde. Alt zu sein war kein Wert, sondern
stigmatisiert mit dem Makel des Zerfalls. Man versuchte, sich zu
entziehen, indem man verdrängte und sich in eine
übertriebene Ausgelassenheit und Lebensgier flüchtete, in
der die Alten nichts verloren hatten.
Ihren Ausdruck fanden diese Umstände
auch in der Kunst. Häufiger als jemals zuvor zeigte sie
Darstellungen von Gewalt und Leiden, von Sadismus und Wahnsinn, die
nichts von einer gelassenen Todesbereitschaft oder gar
Mystifizierung des Todes erzählten.
Ein negatives Bild des Alters in der Kunst
findet sich bereits in der Komödienwelt der Antike, einer
Zeit, in der sehr unterschiedliche Einstellungen gegenüber
dieser Lebensphase existierten. Zwar verstand sich die Komödie
als Gegenwelt zur Realität, sie liefert jedoch gleichzeitig
ein aufschlussreiches Zeugnis von ihr. Hier lachte man über
menschliche Schwächen, die einen selbst nicht betrafen, und
als eine davon galt offenbar das Alter: "Der Alte war der Übel
allerschlimmstes, von allen Gästen der besoffenste! (...) Er
aber trieb's am tollsten doch von allen. Kaum hat er sich
mit
Leckereien gestopft, da springt er, tanzt und
furzt und lacht dazu", schreibt Aristophanes in "Die Wespen". Der
Alte als lächerliche, komische Figur, die sich nicht mehr im
Griff hat und deren körperliche Gebrechen zum Gespött der
Jüngeren gemacht werden: Ein Bild der Ablehnung, das weit
verbreitet war und den griechischen Philosophen Platon veranlasste,
Maßstäbe für einen würdevollen Umgang mit alten
Menschen zu formulieren. Sein Bild des Alters war ein sehr
positives: Ihre Würde berechtige alte Menschen zu einer
Erzieher- und Beraterfunktion für die Jugend. Ihre Weisheit
und Erfahrung sollten Vorbild sein, um die Jungen auf einen
tugendhaften Weg zu führen. Die Realität sah offenbar
etwas anders aus. So heißt es in der "Politeia": "Einige
beschweren sich auch über die üblen Behandlungen des
Alters von Seiten der Angehörigen und stimmen aus diesem Ton
vorzüglich ihre Klagelieder an, wie vieler Übel Ursache
es ihnen ist." Entsprechend fordert Platon in "Der Staat" sogar
Schläge und Gefängnisstrafen für jene, die ihre
Eltern vernachlässigen. Für den Umgang der Jugend mit den
Älteren empfiehlt er: "Jeder zeige Scheu in Wort und Tat vor
dem, welcher älter ist als er."
Wie wichtig die Erfahrungen alter Menschen
für ein gut funktionierendes Staatsgebilde seien, darauf
verwies hingegen der römische Politiker und Redner Cicero,
dessen Reflexionen zu den bekanntesten Lobpreisungen des Alters
gehören: "Nicht durch Kraft oder körperliche
Behändigkeit und Schnelligkeit werden große Leistungen
vollbracht, sondern durch besonnenen Rat, das Gewicht der Person,
gereiftes Urteil: Eigenschaften, die im Alter nicht verloren gehen,
sondern sogar noch zuzuwachsen pflegen." An diesen Gedanken
knüpften die Aufklärer des 18. Jahrhunderts in ihren
"Moralischen Wochenschriften" an, die ein Millionenpublikum
erreichten, und in denen sie für den Aufbau einer jung und alt
gleichermaßen umfassenden Gesellschaft
plädierten.
Der Zusammenbruch jeglicher Zivilisation mit
dem Verlust allgemeingültiger moralischer Maßstäbe
als Folge des Dreißigjährigen Krieges bedeutete einen
Schock, aus dem sich Europa nur mit einer radikalen Wende befreien
konnte. Mehr als vorher spürten die Menschen, dass sie nur in
gegenseitigem Respekt einen Neuanfang versuchen können, dass
Disziplin und stabile Regeln die Grundlage für eine
funktionierende menschliche Gesellschaft sind. Was folgte, war ein
Prozess der "Versittlichung" und Sozialdisziplinierung, in dessen
Rahmen das Alter eine neue Anerkennung erfuhr. Diese drückte
sich auch in der heftig diskutierten Frage aus, die Altersphase zu
verlängern; Ratschläge in Zeitschriften und
Hilfsbüchern wiesen den richtigen Weg dorthin. Das Buch des
Arztes Christoph Wilhelm Hufeland "Makrobiotik oder die Kunst das
menschliche Leben zu verlängern" löste 1796 eine wahre
Volksbewegung aus. Im 18. Jahrhundert fanden die Menschen also
wieder zu einer optimistischen Einstellung, in der das Leben an
sich einen Wert darstellte. Davon profitierte auch das Alter: Es
wurde geehrt, und jeder hohe Geburtstag galt als Triumph der
Menschheit über den Tod. In der Literatur übernahmen die
Alten nun die Rolle von Helden, in der Pädagogik jene der
Vorbilder, als Garanten von Weisheit und Erfahrung.
Ihren Höhepunkt an Verehrung erlebten
die alten Menschen jedoch im 19. Jahrhundert. Die Bewegung des
Biedermeiers kreierte eine neue Kultur des Alterns, die von einer
Verklärung geprägt war, in der die Alten als unantastbare
Personen der Familienwelt über allem schwebten.
Familienromane, Wandkalender und Kinderbücher entwarfen eine
Traumwelt, die aber reale Wirkung entfaltete. Sie setzte Normen und
entwarf ein positives Lebensmodell mit durchschlagender Wirkung.
Tradition wurde in dieser Lesart nicht nur mit Rückschritt und
Modernisierung nicht nur mit Fortschritt verbunden. Die Familie
galt als Fluchtpunkt in einer beängstigenden Modernisierung
des Lebens. Als deren eigentliche Repräsentanten galten die
Alten, als Träger von Tugenden. Als Gegenleistung forderte die
Gesellschaft - wie von allen anderen - auch Unterwerfung unter die
Normen und Zwänge eines bürgerlichen Weltbildes, das
wenig Raum zum Ausbrechen bot. So drohte den Alten zum Beispiel
Verachtung, wenn sie ihr Vermögen nicht in den Dienst der
Gemeinschaft und Gesellschaft stellten, sondern es etwa zum
"Eigennutz" verwendeten.
Claudia Heine ist freie Journalistin in
Berlin.
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