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Sandra Schmid
Deutschland schrumpft, aber darin liegen auch
Chancen
Die alternde Gesellschaft in Daten und
Fakten
Die Entwicklung der Gesellschaft hat viele Facetten. Wir haben
einige Themenbereiche herausgegriffen, um einen prägnanten
Überblick zu bieten.
Von 1965 bis ungefähr Mitte der 70er-Jahre gingen die
Geburtenzahlen in Deutschland wie auch in ganz Europa zurück.
Seither herrschte zumindest in Westdeutschland ein stabil niedriges
Geburtenniveau. Im Durchschnitt werden je Frau 1,4 Kinder geboren.
Nur in Osteuropa ist das Geburtenniveau noch niedriger.
Kinderlosigkeit
Die steigende Kinderlosigkeit ist ein bedeutendes Phänomen.
Während im Geburtsjahrgang 1935 nur 6,7 Prozent der Frauen
keine Kinder bekamen, waren es im Geburtsjahrgang 1967 schon 28,6
Prozent. Mit der wachsenden Kinderlosigkeit hat sich auch eine
Polarisierung hinsichtlich der Familienbildung eingestellt. Es
stehen sich also zwei Hauptgruppen gegenüber: einerseits die
Kinderlosen, die größtenteils unverheiratet bleiben.
Andererseits existiert eine größere Gruppe, die dem
traditionellen Muster der Familienbildung folgt, also verheiratet
ist und auch mehr als ein Kind hat. Kinderlosigkeit scheint in zwei
sozialen Gruppen besonders häufig zu sein: Das eine ist das so
genannte "Karrieremilieu". In Deutschland haben viele Frauen
aufgrund schlechter Vereinbarkeit von Familie und Karriere das
Problem, sich zwischen beidem zu entscheiden. Insbesondere bei
Akademikerinnen fallen die Entscheidungen immer häufiger gegen
eine Familiengründung. Über 38 Prozent der Frauen mit
einem Hochschulabschluss leben ohne Kinder. Höher ist dabei
die Quote in Westdeutschland: 40 Prozent der Akademikerinnen im
Alter von 35 bis 39 Jahren leben in einem Haushalt ohne Kind. In
Ostdeutschland sind Frauen dieses Alters mit 16 bis 17 Prozent viel
seltener kinderlos. Aber auch dort hat sich die Kinderlosenquote
überdurchschnittlich erhöht. Eine andere Gruppe, bei der
Kinderlosigkeit verstärkt vorkommt, ist die mit relativ
niedrigem Einkommen.
Lebenserwartung und Sterblichkeit
Seit Mitte der 60er-Jahre ist die Lebenserwartung im
früheren Bundesgebiet fast kontinuierlich angewachsen. Dies
lässt sich anhand der abgekürzten Sterbetafeln erkennen.
Nach der Wende wurde dieses Berechnungsschema auch auf
Ostdeutschland erweitert. Damit sind die Entwicklungen in Ost und
West vergleichbar geworden. Insgesamt ist die Lebenserwartung in
den vergangenen 35 Jahren in Westdeutschland von 67,6 auf 75,1
Jahre angestiegen, bei den Frauen von 73,5 auf 80,9. Im vereinten
Deutschland liegt die Lebenserwartung heute bei 73,5 Jahren
für Männer (-1,6 gegenüber dem früheren
Bundesgebiet) und bei 80,4 Jahren für die Frauen (-0,5 Jahre).
Innerhalb der nächsten 25 Jahre wird die Zahl der
100-Jährigen in Deutschland von jetzt 10.000 auf 45.000
steigen, im Jahr 2050 wären es sogar 114.000.
Der demografische Wandel wird sich in Umfang und Struktur massiv
auf das Potenzial der Erwerbspersonen auswirken. Dieses liegt
derzeit bei etwa 41 Millionen Menschen, von denen circa 36,5
Millionen erwerbstätig und circa 4,5 Millionen erwerbslos
sind. Ohne Zuwanderung wird das Arbeitskräfte Potential -
vorausgesetzt die Erwerbspersonenquote bleibt unverändert - ab
2015 stark abnehmen. Sie wird dann im Jahr 2050 bei 24 Millionen
liegen, das sind 17 Millionen weniger als im Jahr 2002. Auch die
Altersstruktur der erwerbstätigen Bevölkerung wird sich
verändern. Zur Zeit bilden die 35- bis 49-Jährigen mit 20
Millionen Menschen die größte Altersgruppe. Knapp 50
Prozent befinden sich momentan im Erwerbsalter. Der Umfang dieser
Altersgruppe wird sich jedoch bis zum Jahr 2050 um 31 Prozent auf
14 Millionen verringern. Bereits im Jahr 2020 werden die 50- bis
64-Jährigen den größten Teil der erwerbstätigen
Bevölkerung stellen. Ältere Arbeitnehmer stellen ein
unzureichend genutztes Potenzial des Arbeitsmarktes dar: 2001
standen nur 36,8 Prozent aller 55- bis 64-Jährigen in
Deutschland im Erwerbsleben - zum Vergleich: in Schweden waren es
67,1 Prozent. Deutschland weist also mit seinem effektiven
Rentenzugangsalter von 60,4 Jahren bei den Frauen und 61 Jahren bei
den Männern eine große Diskrepanz zwischen effektiven und
gesetzlichem Rentenzugangsalter auf.
Rente
Das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und
Renten-empfängern wird sich zunehmend verschieben. Gemessen
wird dieses Verhältnis anhand des Altenquotienten, der angibt,
wie viele Menschen im Alter von 20 bis 60 Jahre einer Zahl von
Menschen gegenüberstehen, die 60 Jahre und älter sind. Im
Jahr 2002 lag dieser Altenquotient bei 44. Bis zum Jahr 2050 wird
er sich fast verdoppeln: Auf 100 Personen im Erwerbsalter werden
dann rund 78 Personen im Rentenalter kommen. Würde man ein
Renteneineintrittsalter von 67 den Berechnungen zugrunde legen,
würde der Altenquotient 2050 mit 47 wesentlich niedriger
ausfallen. Eine größere Anzahl von Rentenempfängern
hat Auswirkungen auf den Rentenbeitrag: verdoppelt sich die Zahl
der Ruheständler, müsste auch der Beitragssatz stark
erhöht (zur Zeit liegt er bei 20 Prozent, erhöht dann 40
Prozent) oder alternativ das Rentenniveau gesenkt werden. Da beides
allein nicht sinnvoll ist, muss über Alternativen,
beziehungsweise eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen
(Erhöhung des Beitragssatzes, Senkung des Rentenniveaus,
Erhöhung der Zahl der Beitragszahlenden (Anhebung der
Geburtenrate, höhere Frauenarbeitsquote, Verkürzung von
Ausbildungszeiten, Zuwanderung von Erwerbstätigen) Anhebung
des Ruhestandalters) nachgedacht werden.
Die Belastungen des demographischen Wandels wirken sich auch auf
die gesetzliche Krankenversicherung aus, da die Pro-Kopf-Ausgaben
für Gesundheit im Alter etwa um den Faktor acht höher
sind als im Alter von 20. Durch die Verlängerung der
Lebenszeit steigt grundsätzlich die Anzahl der Menschen mit
erhöhter Morbidität, insbesondere mit
chronisch-degenerativen Erkrankungen. Wie viele Menschen davon
tatsächlich betroffen sein werden, lässt sich schwer
voraussagen, doch die Tendenz ist klar: mehr Hochbetagte, mehr
chronisch kranke alte Menschen. Wie sich die Gesundheitsausgaben
entwickeln werden, lässt sich allerdings nicht präzise
prognostizieren, doch ein Anstieg der Kosten scheint unvermeidbar.
Auch für die Beitragsentwicklung lassen sich keine genauen
Vorausberechnungen anstellen: Man geht aber von Betragssätzen
zwischen 15,5 und 30 Prozent für das Jahr 2040 aus.
Der Anteil hochbetagter Menschen (80 Jahre und älter) wird
rapide steigen. 2050 werden in Deutschland 9,1 Millionen
Hochbetagte leben. Das sind 12 Prozent der Bevölkerung. Zum
Vergleich: Heute sind es vier Prozent. Da Hochbetagte ein hohes
Risiko haben, pflegebedürftig zu werden, bedeutet das, dass
mit dem Anstieg Hochbetagter auch die Pflegekosten steigen werden.
Das sind große Herausforderungen für die professionelle
und familiäre Pflege, denn der wachsenden Zahl
Hilfsbedürftiger steht eine schrumpfende Zahl von potentiellen
Pflegenden gegenüber (Ehefrauen- und Männer, Töchter
und Schwiegertöchter). Mit Abnahme des familiären
Pflegepotentials wird der Bedarf an professioneller Pflege wachsen:
Während heute rund 220.000 Vollzeit-Pflegekräfte
benötigt werden, sind es im Jahr 2050 wahrscheinlich über
500.000. Auch auf die Rentenversicherungsbeiträge hat die
demographische Alterung Auswirkungen: Simulationsrechnungen zufolge
würde sich der Beitragssatz von heute 1,7 Prozent auf rund
drei bis sechs Prozent im Jahr 2040 erhöhen.
Zuwanderung
Zuwanderung (Migration) ist neben der Fertilität
(Geburtenrate) und der Mortalität (Sterblichkeit) die dritte
demographische Komponente, die die Bevölkerungsentwicklung
bestimmt. Zuwanderung wird im Wanderungssaldo gemessen, der sich
aus der Differenz von Zu- und Abwanderung ergibt. Im Jahr 2002
umfasste die ausländische Bevölkerung 7,3 Millionen
(Bevölkerung insgesamt circa 82,5 Millionen). Der prozentuale
Anteil an der Bevölkerung betrug 8,9 Prozent. Die
größte Gruppe sind derzeit zwei Millionen türkische
Staatsangehörige, die 26 Prozent aller Ausländer in
Deutschland stellen. 2001 wanderten circa 685.000 Ausländer
nach Deutschland ein, rund 497.000 zogen wieder fort. Damit ist das
Wanderungsvolumen hoch. Der Wanderungssaldo lag bei rund 188.000
Menschen. Diese Zuwanderung ist allerdings nicht dauerhaft, denn
ein Teil wird voraussichtlich wieder ins Heimatland
zurück-kehren (Bürgerkriegsflüchtlinge, erfolglose
Asylantragsteller etc.). Dadurch aber, dass im Trend mehr Menschen
nach Deutschland kommen als Deutschland wieder verlassen, ist die
Bevölkerung trotz Geburtenrückgängen bislang nicht
geschrumpft. Besonders die Zuwanderungswellen in den 70er, 80erund
90er-Jahren haben dazu beigetragen, dass die Bevölkerungszahl
sogar noch gewachsen ist. Diese Situation hat zu Überlegungen
geführt, ob mehr Zuwanderung das Altern und seine Konsequenzen
für die Gesellschaft aufhalten könnte. Berechnungen haben
jedoch gezeigt, dass auch verstärkte Zuwanderung nicht den
demographischen Strukturwandel aufhalten könnte. Ein Plus an
Zuwanderung könnte ihn allenfalls abmildern. Außerdem
könnten die mit so großer Zuwanderung entstehenden
Integrationsanforderungen gesellschaftlich kaum geleistet
werden.
Binnenwanderung
Die Binnenwanderung hat deutliche Auswirkungen auf die
demographische Struktur in den Regionen Deutschlands: Wenn
jüngere Menschen aus einer Gemeinde abwandern, gehen ihr auch
die potenziellen Nachkommen verloren. Dieser Sekundäreffekt
der Wanderungen auf die Bevölkerungsveränderungen nimmt
mit der Länge des Prognosezeitraums zu, so dass er
schließlich größer sein kann als der direkte Effekt
der Ab- oder Zuwanderung selbst (Primäreffekt). Verliert eine
Stadt 20 Prozent ihrer Einwohner, so kann die zusätzliche
mittelbare Folge durch eine niedrigere Geburtenrate noch einmal 15
Prozent betragen. Der Gesamtrückgang der Bevölkerung
beträgt damit 35 Prozent. In Deutschland lassen sich folgende
Binnenwanderungstendenzen ausmachen: Grundsätzlich werden
entlegene ländliche Gebiete verlassen. Die Ballungsräume,
dort jedoch eher das Umland (die sogenannten Speckgürtel) als
die Innenstädte, können ein Wachstum verzeichnen. Davon
sind betroffen: Berlin, Hamburg, Bremen und München. Die
größten Wanderungsverluste vermelden wirtschaftliche
schwache Regionen wie das Ruhrgebiet, das Saarland,
Südniedersachsen und Nordbayern. Am massivsten jedoch verliert
der Osten Bevölkerung durch Abwanderung. 2001 zogen 0,7
Prozent nach Westen. Dieser Trend hält an. Bei
gleichbleibender Westwanderung würde sich die Bevölkerung
im Osten bis 2050 noch einmal halbieren. Sinkende Einwohnerzahlen
haben gravierende Auswirkungen auf die Kommunen: Die Nutzerzahlen
öffentlicher Einrichtungen und die Einnahmen durch
Gebühren gehen zurück - das aber bei gleichbleibenden
Fix-Kosten und hohen Kosten durch die Schuldentilgung der
Investitionen. Demografisch bedingte Schließungen von
Einrichtungen der Verwaltung, von Kindergärten, Schulen oder
Freizeiteinrichtungen sind die Folge.
Sandra Schmid ist Journalistin und arbeitet für die
Jugendzeitschrift "fluter" der Bundeszentrale für politische
Bildung in Bonn.
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