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Susanne Balthasar
"Was für das Püppchen mit 18 schick
ist, ist nichts für mich"
Konsumenten über 50 werden für die
Wirtschaft immer wichtiger
Wenn Inge Hintringer einkaufen geht, dann macht
sie es richtig. Nicht, dass sie übermäßig viel
kaufen würde, manchmal verlässt sie den Laden auch wieder
mit leeren Taschen, aber dann hatte sie auch gute Gründe:
Schlechte Beratung, komplizierte Produkte, keine Qualität. Wie
zum Beispiel die Sache mit dem Camcorder. Was es für Modelle
gab, konnte der Verkäufer ja noch erklären, aber die
Unterschiede zwischen all den Dingern?
Kameras sind sowieso ein heikles Feld. Die
meisten haben drei Mal so viele Funktionen, wie man
tatsächlich braucht, und dann ist die Bedienungsanleitung auch
noch auf Englisch. So ein Produkt fällt für die
79-Jährige gleich aus der Wahl. Der Grund: Nicht
altersgerecht. Aber wer denkt bei der Vermarktung von Camcordern
schon an 80-Jährige als Zielgruppe? "Das hat mich schon immer
geärgert", sagt Inge Hintringer, "aber jetzt habe ich eine
Möglichkeit das auszudrücken." Jetzt, das heißt seit
vier Jahren, ist sie als Einkäuferin im Auftrag von A.GE
unterwegs, einer Nürnberger Agentur, die das Konsumverhalten
von Senioren erforscht, und testet Produkte auf ihre
Seniorentauglichkeit. Das Ergebnis ist mitunter niederschmetternd.
Ob Camcorder, Bankberatung, Matratzen, Parfüms oder
Anti-Faltencremes, für Alte ist das meiste nicht gemacht. Inge
Hintringer wundert das: "Was die Geschäftsführer sich
denken - das ist doch ein großer Markt!"
Das findet auch Andreas Reidl,
Geschäftsführer der Agentur A.GE Schließlich lebt in
jedem zweiten Haushalt eine Person über 50, und es werden
jedes Jahr mehr. Sind heute rund 14 Millionen Menschen in diesem
Land älter als 65 Jahre, werden es im Jahr 2030 bereits 20,5
Millionen sein. Auf 36 Prozent belaufen sich die Schätzungen
für das Jahr 2050. Trifft die Prognose zu, gäbe es dann
mehr als doppelt so viele Rentner wie Kinder. Im
Marktanalystendeutsch heißt das: Mit abnehmender
Bevölkerung schrumpft zwar die Zahl der Konsumenten, aber die
Zielgruppe der Generation 50+ nimmt zu. Dass die Firma A.GE noch
schneller wächst als der Altenanteil - seit 1996 hat sich die
Mitarbeiterzahl verdreifacht - spricht dafür, dass es im
Bereich seniorengerechte Produkte noch einiges zu tun
gibt.
Wenn die Schrift liederlich klein
ist
Wenn es um dieses Thema geht, kommt Inge
Hintringer in Fahrt: "Ich kauf doch keine Creme, wenn ich die
Zusatzstoffe nicht lesen kann, weil sie so klein gedruckt sind. Das
ist so was von liederlich!" Oder: "In der Drogerie kommt ein
Püppchen von 18 Jahren auf mich zu, aber was für die
schick ist, ist es doch nicht für mich." Oder: "Ich kauf doch
kein technisches Gerät, wenn ich die Bedienungsanleitung nicht
lesen kann, weil sie auf Englisch ist." Letztendlich sind Inge
Hintringers Ansprüche einfach. Sie lassen sich in vier
Schlagworten zusammenfassen: Seniorenfreundliche Aufmachung, guter
Service, Haltbarkeit, Qualität und Überschaubarkeit. Was
ihr und anderen Seniorscouts aufstößt, sind immer wieder
dieselben Mängel: Verpackungen, in denen sich die Finger
verheddern; eine Fülle von Funktionen, die
Ottonormalverbraucher nicht anwenden kann; englische Werbeworte
oder unverständliche Abkürzungen; Texte, die kaum zu
entziffern sind. Der Grund dafür ist einfach: An ältere
Kunden wird bei der Produktentwicklung zu wenig gedacht. Nicht nur,
weil junge Menschen als konsumfreudiger, gelten, sondern auch wegen
des Seniorenbildes in den Köpfen: Die Nachkriegsoma, die ihre
Röcke so lange flickt, bis sie auseinander fallen. Sparsam,
genügsam, nicht in der Konsumgesellschaft angekommen. Andreas
Reidl findet die Zeit reif für eine mentale Kehrtwende: "Das
Alter muss man anders betrachten, heute bleibt man länger
jung."
Die Erkenntnis reift allerdings nur langsam.
1992 wurden ältere Menschen von der Düsseldorfer
Werbeagentur "Grey" erstmals als "Master Consumers" entdeckt:
Verbraucher mit hohen Ansprüchen, eben weil sie schon ein
langes Leben Einkaufserfahrung mitbringen und wissen, was sie
wollen. Andreas Reidl stieß schon 1990 auf das Thema. Auf
einem Seminar lernte er einen älteren Designer kennen, der ihm
von seinem Lebensabendplan erzählte. "Das war nur Konsum",
sagt Reidl. Es dauerte bis 1996, ehe er diesen Anstoß in
seiner Agentur für Generationenmarketing umsetzte. Seither
wurde das Thema immer präsenter. Wenn die Absatzzahlen sinken
und neue Wachstumsmärkte gefunden werden müssen, suchen
die Firmen nach neuen oder bislang unerschlossenen
Verbrauchergruppen. Und auf einmal sind sie im Blickfeld, die Alten
mit den hohen Renten und den dicken Sparbüchern. Die kaufen
schließlich nicht nur Knoblauchpillen und Lesebrillen, sondern
auch Joghurt, Fotoapparate und Haarspray. Die Frage ist: Wie wird
man deren Bedürfnissen gerecht?
Betuliche Spots für
Treppenlifte
Das ist gar nicht so einfach. Als groben
Fehler stufen die Reidls Scouts es ein, Produkte als explizit
seniorengerecht zu verkaufen. Das endet oft in betuliche Spots
für Treppenlifte, Blasenschwächeprodukten und Herzpillen.
"Das wird als Stigma wahrgenommen", sagt Andreas Reidl. Nicht gut
angekommen ist bei den Seniorscouts auch die Werbung eines
Tiefkühlkostherstellers, in der eine betagte Frau auf der
Suche nach "jungem Gemüse" war. Andreas Reidl urteilt: "Die
Frau war zu aufgedreht und überzogen. Ältere Konsumenten
legen Wert auf eine authentische Darstellung." Keine pink
gefärbten Schmetterlinsgbrillenträger, sondern Menschen
mit grauen Haaren und altersgerechtem Lifestyle. Als solche wollen
sie gleich- berechtigt neben jungen Käufern angesprochen
werden, also alte Gesichter, die mit nichtalten an einem Tisch
sitzen. Andreas Reidl resümiert: "Wünschenswert ist eine
Kultur des Miteinanders, in der Ältere auch wieder einen
Stellenwert bekommen."
Am Ende behindern die Konsumansprüche
der Alten die Jüngeren schließlich nicht. Wenn die
Handytastatur auch für schwache Augen lesbar ist und
überflüssige Funktionen entsorgt werden, glaubt Andreas
Riedl, sei allen geholfen: "Telefone, mit denen man in erster Linie
telefonieren kann, werden alle ansprechen." Seinen Kunden rät
er also, die Senioren nicht als Extra-Zielgruppe anzuvisieren,
sondern Produkte und Werbung so auszurichten, dass unter anderem
auch Ältere etwas damit anfangen können. Dass sich diese
Einsichten angesichts der zu erwartenden Seniorenschwemme zwar
gemächlich, aber sicher durchsetzen, glaubt er auch: "Ab 2010
wird der Wandel dann spürbar, wenn die Babyboomer in den
Ruhestand gehen." Dann ist eine neue Generation im Rentenalter, die
mit der Nachkriegsmentalität nichts mehr gemein hat und
Weichen für die Zukunft setzt."
Susanne Balthasar lebt in Berlin und arbeitet
als freie Journalistin.
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