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Ulrike Baureithel
Das Recht zu sterben darf keine Pflicht
werden
Der letzte Wille: Die Diskussion um Sterbehilfe
und Patientenverfügung
Selbstbestimmung ist heutzutage in medizinischen
Zusammenhängen ein Zauberwort geworden. Die Ikone des
mündigen Patienten, der als "Kunde" auf gleicher
Augenhöhe mit dem Arzt "verhandelt", unterstellt, dass
medizinische Leistung eine Ware wie jede andere ist - obwohl jeder
vernünftig denkende Mensch weiß, dass Gesundheit im
Warenhaus der Medizin nicht einfach ein käufliches Gut ist.
Besonders in den sensiblen Phasen des Lebens, am Beginn und seinem
Ende, ist der Mensch dieser Tatsache besonders ausgeliefert: Die
Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau
über ihren Körper einerseits und das gesellschaftlich
verbürgte Recht eines gezeugten Fötus auf Leben auf der
anderen Seite kennzeichnete den langen Streit um den
Schwangerschaftsabbruch; die Hoffnung kranker Menschen auf das
Organ eines "hirntoten" Patienten und die Unantastbarkeit des
sterbenden Menschen standen im Mittelpunkt der Debatte um die
Organspende. Selbstverständlich scheint auch das Recht,
über Art und Dauer einer medizinischen Behandlung zu
bestimmen. Wie jedoch steht es um jene Patienten, die durch
Krankheit oder Alter so schwer beeinträchtigt sind, dass sie
ihren Willen nicht mehr kundtun können?
Patientenverfügungen scheinen einen
Ausweg zu weisen: Im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte kann
man bestimmen, was in Situationen, in denen man nicht mehr
entscheidungsfähig ist, geschehen soll. Doch das
uneingeschränkte Recht auf körperliche Selbstbestimmung
ist problematisch, weil es Dritte dazu nötigen kann, in einer
Weise in den Krankheitsverlauf einzugreifen, der einen Patienten zu
Tode bringt.
Was also soll, was kann, was darf getan
werden, um das Leid kranker, todgeweihter Menschen zu lindern und
ihren - mutmaßlichen oder expliziten Willen zu erfüllen?
Was soll, was kann, was muss gleichzeitig getan werden, um zu
verhindern, dass Menschen, dass dieser vorletzte Wille missbraucht
und kranke Patienten aktiv getötet werden? Ist der
ärztliche Behandlungsauftrag, der aufgibt, Menschenleben zu
retten, überhaupt zu vereinbaren mit einem irgendwann im Leben
geäußerten Wunsch, in einer bestimmten Situation nicht
mehr weiter behandelt werden zu wollen? Die Spannweite der
Entscheidung ist bei Experten und in der gesellschaftlichen
Diskussion höchst umstritten, denn aktive Sterbehilfe, das
heißt Maßnahmen, die den Tod eines Patienten
beschleunigen, ist nach heutigem deutschen Recht untersagt; erlaubt
sind nur Unterlassungshandlungen, die verhindern, ein Leben -
beispielsweise durch intensivmedizinische Behandlung -
künstlich zu verlängern.
Doch mittlerweile gibt es - auch mit Blick
auf einige europäische Nachbarländer, die die aktive
Sterbehilfe erlauben - eine Lobby, die das Selbstbestimmungsrecht
über den ärztlichen Behandlungsauftrag stellt und
Paragraf 216 des Betreuungsrechts entsprechend verändert sehen
will. Stellvertretend macht sich der FDP-Abgeordnete Michael Kauch
für Patiententestamente, in denen die Begrenzung von
Behandlungen verfügt werden kann, stark. Seine Argumentation:
Ein entscheidungsfähiger Patient sei jederzeit berechtigt, auf
eigenes Risiko eine Behandlung abzulehnen; handle ein Arzt dem
zuwider, mache er sich strafbar. Es sei nicht einzusehen, dass
diese Möglichkeiten nicht einwilligungsfähigen Menschen
vorenthalten werde und sie der willkürlichen ärztlichen
Fürsorge ausgeliefert würden. Brisant ist diese Position,
weil sie darauf abzielt, die Reichweite von
Patientenverfügungen auszuweiten. Kauch plädiert
nämlich dafür - wie übrigens auch eine von
Justizministerin Zypries eingesetzte Arbeitsgruppe, die im Sommer
Richtlinien für die Abfassung von Patiententestamenten
vorstellte -, dass Patienten über Situationen verfügen
können, die nicht zwingend zum Tode führen. Das für
eine solche Situation immer wieder genannte Beispiel ist das
Wachkoma: Einem Patientenwillen folgend, hätte der Arzt die
Behandlung des Patienten einzustellen und ihn von den Apparaten zu
nehmen, obwohl der Zustand des Patienten nicht zwingend
tödlich ist.
Innnerhalb der Enquete-Kommission "Recht und
Ethik der modernen Medizin", die kürzlich ihren
Zwischenbericht zum Thema Patientenverfügungen an den
Bundestag übergeben hat, repräsentiert Kauch allerdings
eine Minderheitenposition. Die große Mehrheit will
Patientenverfügungen auf Fälle beschränkt sehen, "in
denen das Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer
Behandlung zum Tode führen wird". Damit soll ein Klima
verhindert werden, "in dem Druck auf ältere und/oder
schwerkranke Menschen ausgeübt werden kann, ihr Leben mittels
einer Patientenverfügung willentlich beenden zu lassen".
Patientenverfügungen, heißt es weiter, dürften nicht
zum Mittel der "Kostenminimierung" "instrumentalisiert"
werden.
Damit spricht der Bericht sehr offen eine
Befürchtung aus, die Sterbehilfe-Gegner schon seit
längerem ins Feld führen: Wenn erst einmal die
Kostenfrage im Raum steht, müssen sich Kranke und Alte nur
noch als Last empfinden: für die Angehörigen, die
Pflegenden, die Sozialversicherungsträger, die Gesellschaft.
Wie dramatisch die Situation heute schon ist, zeigt eine
kürzlich veröffentlichte Untersuchung aus Berlin, die die
schreckliche Tatsache ans Licht brachte, dass alte Menschen
zunehmend lieber Hand an sich legen, als ins Pflegeheim zu gehen.
Die dort herrschenden Zustände, (die, das sei angemerkt, am
wenigsten von den dort Beschäftigten zu verantworten sind),
empfinden viele so abschreckend, dass manchem Betroffenen der Tod
als die bessere Alternative erscheint. Sie wollen sterben, weil sie
ihre Lebensqualität als schlecht erleben.
Der Kommissionsbericht macht umgekehrt auch
darauf aufmerksam, dass Patientenverfügungen zu einer
"Pflichtenkollision" des medizinischen Personals führen
können. Das ärztliche Ethos gerät in Konflikt mit
dem vom Patienten gewünschten Behandlungsabbruch. In der
unmittelbaren Sterbephase sei die Unterlassung von Maßnahmen
im Sinne des Patientenwohls vertretbar; nicht jedoch in Fällen
wie Wachkoma oder Demenz. Von Ärzten und Pflegern, so meint
auch die Sterbehilfe-Kritikerin Erika Feyerabend, würde dann
nämlich eine Art "Dienstleistung" gefordert, die kein Staat
von sich aus je verordnen könnte: das "aktive Zu-Tode-Bringen
von Schwerkranken, Bewusstlosen oder Verwirrten."
Mehr noch, so die Ethikkommission,
könnte diese unter Umständen zu einer von Dritten
einklagbaren "Unterlassungsverpflichtung" werden und der
Rechtsprechung unter der Maßgabe knapper Mittel eine
"zweideutige Richtung" geben. Der Bundesgerichtshof hatte sich mit
dieser Frage schon mehrmals zu beschäftigen, zuletzt im April
2003. Damals ging es um den Abbruch der künstlichen
Ernährung eines 72-Jährigen einwilligungsunfähigen
Wachkoma-Patienten. Dieser hatte zwei Jahre zuvor schriftlich
verfügt, im Falle einer irreversiblen Schädigung solle
die Intensivbehandlung und die künstliche Ernährung
eingestellt werden. Während das Oberlandesgericht
Schleswig-Holstein dem Antrag des Sohnes stattgab, die
Verfügung ohne weitere Prüfung durch das
Vormundschaftsgericht anzuerkennen, und damit von anderen
Entscheidungen abwich, plädierten die Bundesrichter zwar
ebenfalls für die Respektierung des Patientenwillens, machten
den Abbruch der künstlichen Ernährung aber dennoch von
der Zustimmung des Vormundschaftsgerichts abhängig. Dies gelte
auch, so das BGH-Urteil, wenn ein erklärter Wille nicht
feststellbar und nur ein mutmaßlicher Wille anzunehmen
sei.
Die Empfehlungen der Enquete gehen noch
über das Urteil des Bundesgerichtshofs, der nur im
Konfliktfall das Vormundschaftsgericht eingeschaltet sehen will,
hinaus. Die Kommission hält den Abbruch einer medizinisch
indizierten lebenserhaltenden Maßnahme für so gravierend,
dass diese Entscheidung in jedem Fall von einem Gericht
geprüft werden müsse: "Es kann nicht der
Übereinkunft privater Personen übertragen werden, ob
Eingriffe in Grundrechte überprüft werden können
oder nicht."
Die Realitäten vor der deutschen
Haustüre machen diese eher restriktiv gehandhabte
Sterbehilfe-Praxis plausibel. In der Schweiz, den Niederlanden und
in Belgien ist aktive Sterbehilfe erlaubt. Nach dem umstrittenen
holländischen Gesetz bleibt sie zwar grundsätzlich
strafbar, wird jedoch geduldet; ähnliches gilt in Belgien. Die
dort kürzlich bekannt gewordenen Zahlen sprechen für
sich: In den ersten 15 Monaten der Legalisierung der aktiven
Sterbehilfe wurden in Belgien 260 Menschen gezielt von Ärzten
getötet, davon 80 Prozent im niederländischen Teil. In
der Schweiz können Hilfeleistungen zum Sterbe- und
Suizidversuch von jedermann erbracht werden, daraus hat sich ein
regelrechter Sterbehilfetourismus entwi-ckelt, der erst, nachdem
die Schweiz deshalb immer mehr in negative Schlagzeilen geriet,
juristisch eingedämmt wird. Doch man macht wenig Hehl
darüber, dass die "demografischen Entwicklungen" und die damit
verbundenen "Pflegeengpässe" das "sozialverträgliche
Frühableben" beförderten.
Es ist auch kein Widerspruch, wenn das
niederländische Sterbehilfe-Gesetz oder der Schweizer
Sterbehilfetourismus einerseits Empörung auslösen und
andererseits in der Bevölkerung vielfach der Wunsch
geäußert wird, nicht hilflos an lebenserhaltende
Apparaturen gekettet sein zu wollen. Darin drückt sich
vielmehr ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber der modernen
Medizin und ihrer Allmacht aus. So wichtig es ist, den
Patientenwillen bei den ärztlichen Entscheidungen zu
berücksichtigen, so notwendig ist es auch, zu verhindern, dass
das Recht, menschenwürdig zu sterben, sich nicht in eine
Pflicht zu sterben umkehrt und Leidvermeidung austauschbar mit
Kostenvermeidung wird.
Die noch junge, personell recht
aufwändige Palliativmedizin, die statt das "cure" (heilen)
mehr das "care" (sorgen) in den Mittelpunkt rückt und bestrebt
ist, Schmerzen zu lindern und beim Sterben zu begleiten, weist hier
einen möglichen Ausweg aus dem Sterbehilfe-Dilemma. Immer
wieder betonen Palliativmediziner, dass ihre Patienten nie um
aktive Sterbehilfe bäten, sondern dankbar die Schmerztherapien
in Anspruch nähmen. Nicht immer ist der einfachste (und
kostengünstige) Weg auch der ethisch billige.
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