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Susanne Balthasar
Goldader getroffen
Mit 50 zu alt für den
Arbeitsmarkt?
Wolfgang Rauschenbach sagt, er hätte keinen
Pfifferling auf die Anzeige gegeben. "Mit 45 zu alt, mit 55
überflüssig" titelte eine Firma keck, die Ingenieure ab
55 Jahre suchte. Kann das denn sein? Wolfgang Rauschenbach, damals
59 Jahre alt und seit einem Jahr arbeitslos, hatte die Erfahrung
gemacht, "wie schwer es ist, als älterer Arbeitnehmer eine
Stelle zu finden". Von den meisten Firmen bekam er überhaupt
keine Rückmeldung, nur eine Telefonstimme gab eine klare
Antwort: "Ihr Berufsbild ist fantastisch. Wie alt sind sie denn?" "
57." "Danke, dann hat sich das erledigt."
Die Anzeige, in der die Maschinenbau-Firma
Fahrion Engineering im Baden-Württembergischen Kornwestheim
gezielt ältere Arbeitnehmer suchte, nahm Wolfgang Rauschenbach
also nicht wirklich ernst und war umso überraschter, als er
nicht nur ein Vorstellungsgespräch, sondern auch die Stelle
bekam. Seit drei Jahren arbeitet er nun in der Firma, die
Fabrikanlagen plant und realisiert, und seither 26 Arbeitnehmer im
50+Alter eingestellt hat. Die Beweggründe des Unternehmers
Otmar Fahrions sind keine sozialen, er sagt: "Das rechnet
sich."
Die allgemeinen Ansichten über Bewerber
kurz vor der Rente ist eine andere: Unflexibel, nicht auf dem
neuesten Stand, wenig lernfähig, also zu teuer. Junge Leute
dagegen, glaubt man, bringen das allerneueste Wissen,
körperliche Belastbarkeit und jede Menge Einsatzbereitschaft
mit, die sich auszahlt. So hat auch Otmar Fahrion mal gedacht, und
so war es ja auch immer gewesen: Neue Ingenieure stellte die
Maschinenbau-Firma im Alter von 28 ein, und die blieben dann bis
zur Rente. Genug Zeit also, um in die Aufgaben in einem
mittelständischen Betrieb hinein wachsen: Wer bei Fahrion
Engineering Projektleiter werden will, muss ein Allrounder sein,
also Aufträge im Fahrzeug-, Flugzeug- und Schiffbau betreuen
zu können. Soviel Erfahrung braucht ihre Zeit, das heißt
zwischen sechs und zwölf Jahren. "Ein steiniger Weg", sagt
Otmar Fahrion. Aber so funktionierte der Betrieb seit 1975
störungsfrei. Spätestens im Jahr 2000 fing es im System
allerdings hörbar an zu knirschen. Da kündigten gleich
ein paar 38-Jährige der Firma auf einen Schlag - denn im
Stuttgarter Speckgürtel werden junge Ingenieure von allen
Seiten abgeworben. Und die Firma blieb auf den "Ausbildungskosten"
von 150 bis 200.000 Euro pro Person sitzen. Für den Chef ist
das nicht nur ein finanzielles Problem: "Ich kann doch nicht zu den
Auftraggebern sagen: Wartet zehn Jahre, und dann haben wir wieder
die Leute beisammen."
Wo kommen also Leute auf die Schnelle her,
die aus dem Stand heraus ein Projekt übernehmen können?
Leute mit hoher Fachkompetenz, Managementfähigkeit,
Sprachkenntnissen, sofortiger Verfügbarkeit und so weiter?
Eine Anzeige schalten. Das Resultat: 17 Bewerbungen, von denen nur
eine das geforderte Profil erfüllte - und das mit Abstrichen.
Der Anreiz für junge und erfahrene Ingenieure, in einem
mittelständischen Unternehmen anzufangen ist nicht eben
groß, wenn sie genauso gut bei einem Global Player einsteigen
können. Allerdings waren zwei perfekte Bewerber schon vorher
und per Zufall bei Otmar Fahrion gelandet. Ehemalige Kunden, die
ihre Stelle verloren hatten, das Metier kannten und sofort voll
einsteigen konnten. Warum also nicht ähnliche Fälle
suchen? Ältere Arbeitnehmer, die die nötigen Erfahrungen
schon gesammelt haben? Was sich logisch anhört, musste sich
erst einmal erfolgreich gegen alle Überzeugungen stemmen und
war aus einer zweijährigen, und mühsamen Analyse hervor
gegangen. Das Resultat war besagte 50+Anzeige, deren Rücklauf
alle erstaunt hat: 527 Bewerbungen aus der ganze Welt, den USA,
China, den Kapverdischen Inseln, von denen 180 gepasst haben. Noch
heute bekommt Fahrion Engineering täglich zwei
Initiativbewerbungen. Otmar Fahrion resümiert: "Wir sind auf
eine Goldader gestoßen."
Zumal sich die Zusammenarbeit bewährt
und auch der Chef inzwischen alle persönlichen Bedenken
ausgeräumt hat: "Dass 50+Leute unflexibel sind, ist ein
Vorurteil: Bei uns sind allein fünf 50+Wochenendpendler aus
der ganzen Republik beschäftigt. Menschen sind in dem Alter
wieder abkömmlich. Sie sind nicht an schulpflichtige Kinder
und ein frisch gebautes Eigenheim gebunden." Oder an sonst etwas.
Als Otmar Fahrion den Mitarbeitern zwischen 30 und 40 anbot, ein
sechsmonatiges Projekt in den USA zu übernehmen, kamen drei
Absagen. Ein Häuslebauer muss-te die Handwerker
beaufsichtigen, eine Frau war schwanger, ein Basketballspieler der
Oberliga wollte seinen Verein nicht im Stich lassen. Am Ende fuhr
ein 62-Jähriger - hoch motiviert. Wie alle ehemaligen
Arbeitslosen, die unverhofft eine späte Chance bekommen. Auch
das Gerücht, dass ältere Arbeitnehmer nicht
lernfähig sind, kann Fahrion nicht bestätigen: "Die
meisten brauchen eine Schulung in CAD, Modellzeichnen am Computer,
aber nach drei Wochen beherrschen sie das und können voll
einsteigen." Dann beginnt seiner Einschätzung nach die
Rechnung aufzugehen.
Statt in die Lehrzeit der Unifrischlinge
investieren zu müssen, kann der Arbeitgeber die Erfahrung der
Älteren ernten - und das zum Sondertarif: Ein arbeitsloser
Neuzugang bezieht weniger Gehalt als ein Mitarbeiter mit 40 Jahren
Firmenzugehörigkeit. "Das ist eine rein ökonomische
Überlegung", betont Fahrion noch einmal. Aber natürlich
ärgert sich der 64-Jährige auch über die
Anti-Altersmentalität auf dem Arbeitsmarkt: "Mit 35 herrscht
doch in der Industrie Einstellungsverbot. Und dann brüsten
sich Unternehmer, die selber kurz vor der Rente stehen am
Stammtisch, dass sie keinen Tag krank waren, aber den Mitarbeitern
wird das nicht zugetraut." Und: "Die Manager großer Konzerne
sind doch schon so weit in den 50ern, dass sie in die eigene Firma
nicht mehr herein kommen würden." Sein eigenes Umdenken in
dieser Frage führt Fahrion auch auf die besondere Situation
des Arbeitsmarktes zurück. Nämlich den Jugendwahn
einerseits und die hohe Arbeitslosigkeit von älteren
Fachkräften, die die Globalisierung produziert hat,
andererseits.
Aber ist die Lage wirklich eine einmalige?
Oder ist sie nicht vielmehr das erste Zeichen einer Zukunft, die
jetzt schon die Mittelständler in boomenden Regionen erwischt?
Wenn von heute aus gesehen im Jahr 2040 die Zahl der
Erwerbstätigen von etwa 41 Millionen auf 34 Millionen im Jahr
2040 zurück gegangen sein sollte, wird sich der Mangel an
Arbeit unter Umständen in einen Mangel an Arbeitskräften
verkehrt haben. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
werden jedenfalls zu wenige junge Mitarbeiter einen Job suchen, als
dass man mit ihnen die leeren Stellen besetzen könnte. Dann
bleibt nicht mehr viel übrig als auf die Alten zurück zu
greifen. Otmar Fahrion ist einer der ganz wenigen Unternehmer, die
dieses Modell bereits in der Gegenwart erproben, und hat es
mittlerweile zu seinem Thema gemacht. Wenn er darüber
Vorträge hält, hören viele interessiert zu, winken
dann aber ab. Doch das stört ihn nicht: "Die sind alle noch
nicht so weit, die wird's auch noch erwischen." Spätestens in
20 Jahren schätzt er, werden auch die großen Firmen sein
Modell übernommen haben. Was dann wie eine Neuerung aussieht,
ist aus einer anderen Perspektive eine Rückkehr zum Status
Quo. Wolfgang Rauschenbach sagt: "Als ich in den 60ern angefangen
habe zu arbeiten, war es völlig normal, das Junge und Alte in
einem Team zusammen gearbeitet haben." Otmar Fahrion jedenfalls ist
schon mit dem nächsten Projekt beschäftigt:
Altersgerechte Arbeitsplätze. Also die Regale bis zur Mitte zu
füllen und nicht bis ganz oben, die Etiketten lesbar zu
machen. Die Zukunft hat begonnen.
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