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Jörg Meyerhoff
Mit einem festen Rhythmus lebt es sich
erfüllt
Seit 67 Jahren gehört der 86-jährige
Biologieprofessor Günter Tembrock der
Humboldt-Universität an
Täglich kommen Schulklassen, Touristen aus aller Welt
lassen sich mit ihm fotografieren. In der Eingangshalle des
Naturkundemuseums in Berlin steht das berühmteste
Saurierskelett Deutschlands. Doch auch der Seitenflügel ist
nicht ohne. Denn hier arbeitet Berlins zähester
Hochschullehrer. Seit 67 Jahren gehört er der
Humboldt-Universität an; über 60 Jahre davon in der
Lehre. Seit 21 Jahren ist er emeritiert. Und trotzdem fährt
der Biologie-Professor Günter Tembrock, 86, noch jeden Tag mit
Bus und Bahn ins Institut, forscht, hält Vorlesungen, betreut
Doktoranden, prüft Lehramtsstudenten, folgt Einladungen ins
Ausland und schreibt vielbeachtete Fachartikel. Den Ausdruck
"lebendes Fossil" hört er als Zoologe nicht so gerne. Aber
irgendwie stimmt er doch.
Als Tembrock 1937 seine erste Vorlesung an der damals noch
Friedrich-Wilhelms-Universität genannten Hochschule besuchte,
nahm er in genau dem Hörsaal Platz, in dem er bis heute jeden
Montag über die Grundlagen der Biologie doziert. In der
zweiten Bank links - vom Pult aus gesehen. An der Wand daneben
hängt heute ein Ölgemälde, das Tembrock in einem
weißen Kittel vor der Tafel zeigt. Bis zur Wende ?89 waren
solche Kittel Pflicht", erzählt Tembrock. Seine Studenten
haben das Bild malen lassen und aufgehängt. Sie wollten auch
den Hörsaal nach ihm benennen. Aber das geht erst, wenn jemand
tot ist", sagt Tembrock mit einer Baritonstimme, die keinen Tag
älter als 50 klingt.
Wenn Tembrock spricht, dann schnell und deutlich. Seine Augen
blitzen hinter der Brille. Sein schmaler Oberkörper mag etwas
nach vorn gebeugt sein, doch alle Bewegungen sind präzise und
vermitteln die innere Anspannung eines Mannes, der immer
diszipliniert gelebt hat. Meine Lebensführung ist
überhaupt die Voraussetzung, um tätig zu sein", sagt er.
Konkret heißt das: Kein Alkohol, keine Zigaretten, dafür
jeden Tag Tagebuch, feste Zeiten für alles und jedes. Die
Umstellung von Winter- auf Sommerzeit und zurück ist ihm jedes
Jahr ein besonderer Gräuel. Die Chronobiologie, die sich mit
Zeitabläufen und Lebensrhythmen beschäftigt, ist nicht
umsonst einer seiner Lieblingsfachbereiche. Doch davon gibt es noch
mehr: Die Evolution zum Beispiel, die in ganzen Jahrtausenden nur
winzige Schritte macht. Die Verhaltensforschung, in deren Beritt
seine Habilitation über das Sozialverhalten von Füchsen
gehört. Oder die Bioakustik, für die er ein
Tierstimmenarchiv mit heute über 130.000 Aufnahmen aufbaute.
Immer noch freut Tembrock sich, wenn eine seiner Doktorantinnen mit
Aufnahmen von Riesenwaldschweinen aus Afrika zurück-kehrt; den
ersten Aufnahmen dieser Art überhaupt.
Ans Aufhören, an den Ruhestand, seine private
Käfersammlung, mehr Auftritte als Sänger, Urlaub oder gar
an Rückzug will Tembrock nicht denken. Das Finanzielle spielt
dabei keine Rolle. Ich arbeite mit meiner Rente von dreiacht
einfach weiter", sagt er. Seine Familie und seine erste Frau leben
nicht mehr. Seine zweite Frau, die 32 Jahre jünger ist,
arbeitet als Verhaltensbiologin an einer Waldschule. "Meine
Lebensgestaltung wird weitestgehend von mir bestimmt", meint er
zufrieden.
Nach dem Wahnsinn des Krieges, den Tembrock als vermeintlich
TBC-Kranker im Stück für Stück ausbrennenden Berlin
erlebte, sehnte er sich nach etwas Dauerhaftem. "Konstanz schafft
innere Stabilität", lautet einer seiner Glaubenssätze
für ein erfülltes Leben.
Der beständige Professor mit dem Zusatz "em." für
emeritus schätzt den Kontakt zu jüngeren Kollegen. Er ist
ein Befürworter von Forscherteams, die sich aus
unterschiedlichen Altersgruppen zusammensetzen. "Die
unterschiedlichen Erfahrungen wirken befruchtend auf die
Forschung", ist er überzeugt. Sobald ein neues Gesicht in
seinem Institut auftaucht, stattet er einen
Begrüßungsbesuch ab und erzählt von der großen
Bibliothek in seinem schönen Arbeitszimmer mit Blick auf den
Innenhof. Er verleiht gerne Bücher, besitzt viele
Originalausgaben und einen riesigen Schrank voller Korrespondenz
mit Biologie-Größen wie Konrad Lorenz oder Irenäus
Eibl-Eibesfeldt. Der Tauch-Pionier Hans Hass bewundert seinen
ehemaligen Dozenten Tembrock noch heute und hat ihm seine
Bücher stets mit persönlicher Widmung geschickt.
Jörg Meyerhoff ist freier Journalist und lebt in
Berlin.
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