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Achim Wüsthoff
Die Zellen kommen aus dem Takt
Forschung an der Altersgrenze
"Langes Leben war von jeher ein Hauptwunsch, ein
Hauptziel der Menschheit, aber wie verworren, wie
widersprüchlich waren und sind noch jetzt die Ideen über
seine Erhaltung und Verlängerung!", schreibt der Arzt und
Goethe-Freund Christoph Wilhelm Hufeland im Vorwort seines 1796
veröffentlichten Buchs "Die Kunst das menschliche Leben zu
verlängern". Zu jener Zeit lag die durchschnittliche
Lebenserwartung unter 40 Jahren, heute ist sie hierzulande
mindestens doppelt so hoch. Obwohl dieser Trend weiter anhält,
rätseln die Wissenschaftler immer noch an den Mechanismen des
Alterns. Doch mittlerweile bieten sie uns durchaus einige Theorien,
wieso ewiges Leben auf Erden mit unserer Biologie nicht vereinbar
ist.
Daran scheint die Abnutzung oder
Störanfälligkeit im Innern der Zellen schuld zu sein. Es
treten im Laufe des Lebens Irrtümer bei der Synthese von
Eiweißen auf, die Zellen aus dem Takt bringen. Oder
Abfallprodukte des Stoffwechsels, die so genannten freien Radikale,
schädigen auf Dauer die Moleküle mit den Erbanlagen, die
DNA. Eine weitere Ursache der Lebensbegrenzung liegt vermutlich an
den Enden der Chromosomen, den Telomeren. Erlahmt ihre Funktion,
können sich die Zellen nicht mehr vernünftig teilen - es
wird Herbst im Organismus. Auch das Abwehrsystem oder der
Insulinstoffwechsel spielen beim Altern eine wichtige
Rolle.
Es gibt also ganz unterschiedliche Faktoren,
die uns früher oder später das Zeitliche segnen lassen.
Und diesen komplexen Vorgängen ist die Biologin Almut Nebel
auf der Spur. Am Institut für klinische Molekularbiologie des
Universitätsklinikums Kiel leitet sie die Forschungsgruppe
"gesundes Altern". Im Rahmen eines groß angelegten EU-Projekts
(GEHA, Genetic of Healthy Aging), in das 7,2 Millionen Euro
über die nächsten fünf Jahre fließen, sind
Forscher aus elf europäischen Ländern sowie Israel und
China auf der Suche nach 2.800 Geschwisterpaaren, die über 90
Jahre alt sind. Diese Zahl gaben die Statistiker vor, damit die
Ergebnisse der Untersuchungen aussagekräftig sind. Die
Wissenschaftler interessieren sich vor allem für
Besonderheiten der Erbanlagen, aber auch für die
Lebensumstände und Gewohnheiten dieser Senioren, die dann mit
einer etwas jüngeren Kontrollgruppe verglichen werden. "Wir
möchten herausfinden, ob die Langlebigkeit Resultat von der
Abwesenheit für krankmachende Gene, zum Beispiel für
Krebs, Alzheimer oder Herzinfarkt ist", sagt Almut Nebel. Aber
vielleicht fänden sie auch spezifische Gene, die
Stoffwechselprozesse lebensverlängernd beeinflussen
können.
Schon jetzt gibt es im Tierversuch
erstaunliche Ergebnisse in diese Richtung. Forscher aus
Pennsylvania, USA, beschrieben letztes Jahr in der Fachzeitschrift
Nature die Auswirkung von Sirtuinen, eine für die
Energiegewinnung wichtige Eiweißfamilie, auf die
Lebenserwartung von Hefen. Diese Einzeller lebten ganze 70 Prozent
länger, wenn die Produktion der Sirtuine angeregt wurde, was
zum Beispiel durch Entzug von Nährstoffen oder die Gabe von
Resveratrol, einer im Rotwein vorkommenden Substanz, geschieht.
Fasten erhöht auch bei anderen Labor-Tieren die
Lebenserwartung. Forscher der Universität Connecticut haben
das so genannte Sir2-Gen überexprimiert und erreichten damit,
dass die Fruchtfliegen Drosophila 57 Prozent länger durch das
Forschungsterrarium summten, sofern sie zusätzlich weniger zu
futtern bekamen. Wurde das Gen ausgeschaltet, verhalf eine
Diät nicht zu längerem Leben. Bei Menschen ist dieser
Nebeneffekt des Nahrungsentzugs mehr als umstritten.
Die Forscher in Kiel haben eine ähnliche
Arbeitsteilung mit ihren europäischen Kollegen wie die
Flugzeugbauer von Airbus, die zum Beispiel halbfertige Flieger
zwischen Toulouse und Hamburg hin- und herschicken. Bei der
Altersforschung tauschen die unterschiedlichen Institute Daten oder
Blutproben miteinander aus, denn sie haben spezielle Schwerpunkte
bei den Untersuchungsmethoden. Drei Kandidaten-Regionen auf den
Chromosomen nehmen die Wissenschaftler dabei ganz besonders ins
Visier: Gene auf dem Chromosom 4, vermutlich verantwortlich
für den Fettstoffwechsel; den kurzen Arm des Chromosoms 11,
mit Genabschnitten, die beim Energiestoffwechsel eine Rolle
spielen, und ein Gen auf Chromosom 19, das mit der
Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht wird. Noch haben die
Kieler allerdings kein einziges greises Geschwisterpaar für
ihre Studie gefunden - und der deutsche Datenschutz macht ihnen die
Rekrutierung auch nicht einfach. Denn eigentlich haben die Forscher
schonmehr als 1000 Proben von Deutschen über 95 Jahren in
ihrem Labor zur Verfügung; könnten sie diese anschreiben
und nach Geschwistern fragen, hätten sie bestimmt einige rasch
beisammen. Doch bei allen Analysen muss die Anonymität der
Probanden gewährleistet sein. Was bei den bisherigen
Untersuchungen herauskam, die vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung, sowie vom Nationalen Genomforschungsnetz
finanziert wurden, will Almut Nebel unter keinen Umständen
preisgeben: "Es gibt auf diesem Gebiet einen erheblichen Wettbewerb
und vielleicht lassen wir auch einige unserer Erkenntnisse
patentieren." Immerhin ist es denkbar, dass künftig eine
Gentherapie zur Lebensverlängerung eingesetzt werden
könnte. "Leider ist diese Entwicklung nicht ausgeschlossen,
doch das streben wir keinesfalls an", sagt die Biologin Nebel. Sie
wolle nur verstehen, wieso der Mensch altert, aber nicht in die
Natur eingreifen, denn die Lebenserwartung würde ja ohnehin
schon drei Monate pro neuem Jahrgang steigen.
Nachdem kaum noch Seuchen, Infektionen oder
Hungersnöte Menschen der Industrienationen hinwegraffen,
scheinen die wichtigsten Faktoren für ein langes Leben die
Erbanlagen, der Lebensstil und die medizinische Versorgung zu sein.
Ein Viertel der Langlebigkeit ist offensichtlich den Genen zu
verdanken. Ein hohes Alter war auch in der Familie von Jeanne
Calmet, die mit 122 Jahren bisher den Altersrekord hält, keine
Seltenheit: Der Vater wurde 94, die Mutter 86 und der Bruder 93.
Rauchen reduziert die Lebenserwartung durchschnittlich um zehn
Jahre, und starkes Übergewicht ist ähnlich
schädlich. Dass die medizinische Versorgung im hohen Alter
eine sehr entscheidende Rolle spielt, zeigt eine Untersuchung des
Max-Planck-Institutes für demographische Forschung in Rostock.
Vor der Wende lebten Ostdeutsche durchschnittlich drei Jahre
kürzer als die kapitalistischen Landsleute. Etwa zehn Jahre
nach dem Fall der Mauer glich sich die Lebenserwartung bei den
Frauen an - bei den Männern zeigt sich zumindest ein Trend in
die gleiche Richtung.
Wieso leben Männer eigentlich immer drei
bis fünf Jahre kürzer als Frauen? Vielleicht sind es die
unterschiedlichen Hormone, der riskantere Lebensstil, mit mehr
Unfällen, Gewalt oder Drogen. Doch Jutta Gampe, Leiterin des
Statistischen Labors am Max-Planck-Institut für demographische
Forschung in Rostock, verdächtigt in erster Linie das
männliche Verhalten im Umgang mit Krankheiten: "Männer
sind feige, sie gehen seltener zum Arzt wenn eine
Unregelmäßigkeit in ihrem Körper auftritt." Das
würde ganz klar am Beispiel des Hautkrebses, der beide
Geschlechter gleichermaßen betrifft. Doch weil Männer
sich meist zu spät behandeln lassen, ist ihre Sterblichkeit
für diese Krebsform signifikant höher als bei Frauen.
Außerdem sind Männer unbeholfener in häuslichen
Dingen und pflegen weniger Freundschaften als Frauen. Deshalb
scheint ihr psychisches Gleichgewicht dermaßen durcheinander
zu kommen, wenn die Partnerin stirbt, dass sie ein wesentlich
höheres Risiko haben, ihrer Liebsten bald darauf ins Jenseits
zu folgen, als umgekehrt der Fall - selbst unter
Berücksichtigung des Altersunterschieds.
Einen kleinen statistischen Trost hat Jutta
Gampe parat, der besonders für die Männer zutrifft: "Es
ist nie zu spät, den Lebensstil zu verbessern." Selbst das
Rauchen noch mit 80 aufzugeben, könne das Leben
verlängern. Einer dänischen Studie zufolge, ließ
auch ein ganz sanftes Fitnessprogramm in einem Pflegeheim die
Greise älter werden. Viele Menschen wollen aber gar nicht an
sich selber arbeiten, sondern das lieber Medikamenten
überlassen. So tauchen immer wieder Berichte über
alternde Prominente auf, die sich das extrem teure Wachstumshormon
spritzen lassen, um ihre Körper jung zu halten. Vor
Nebenwirkungen wird allerdings von Forschungsinstituten
gewarnt.
Die Biologin Almut Nebel, die sich
tagtäglich mit der Frage nach dem gesunden Altern
beschäftigt, hat außer einem vernünftigen
Lebenswandel keine besonderen Tipps: "Ich lebe überhaupt nicht
anders als früher." Nicht einmal die klassischen
vermeintlichen Lebensverlängerer wie Vitamin C, Knoblauch oder
Rotwein würde sie verstärkt konsumieren.
Achim Wüsthoff ist freier Journalist in
Hamburg und schreibt unter anderem für "Die Zeit".
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