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Annette Rollmann
Editorial
Wenn es wahr ist, was Cynthia, eine humorvolle alte Dame, in
einem vor kurzem ausgestrahlten Fernseh-Krimi sagte, dann braucht
Deutschland Mut. "Das Alter ist nichts für Feiglinge",
verkündete die lebenskluge Frau, die zusammen mit zwei
gerissenen alten Herrn in einer Alten-WG lebt.
Schon im Jahr 2050 wird ein Drittel der Bevölkerung 60
Jahre oder älter sein. Immer weniger junge Menschen werden in
Zukunft immer mehr ältere Menschen versorgen müssen.
Deutschland geht in Rente. Lange hat die Politik geglaubt, die
Arbeitslosigkeit durch Frühverrentung bekämpfen zu
können. Diese sozialpolitische Lösung ist nicht
aufgegangen. Die Frühverrentung macht unsere Gesellschaft arm.
Noch ärmer macht sie, dass zu wenig Kinder geboren werden.
Viele Menschen stehen als letzte in ihrem Stammbaum. Wer wird mich
anlächeln, wenn ich 80 bin?
Immer weniger steht für den Einzelnen die Frage im
Vordergrund, wie alt man wird, sondern wie man alt wird. Immer mehr
Menschen werden immer länger leben. Jedes zweite Mädchen,
das in diesen Tagen auf die Welt kommt, wird 100 Jahre alt. Aber
wir werden uns auch fürchten - und zwar mit jedem Jahr mehr -
welches wir so rüstig nehmen und hinter uns lassen. Wir werden
uns sorgen vor dem Hinabgleiten in den Nebel der Demenz. 50 Prozent
der 90-Jährigen leiden darunter. Wir werden gebrechlich
werden. Die Wege werden länger, irgendwann zu weit.
Doch davor werden wir lernen müssen, diese riesige
Zeitspanne zu füllen - und zwar mit Leben und nicht mit
Siechtum. Wir werden länger und anders arbeiten müssen.
Wir, die dann jungen Alten, werden am Arbeitsmarkt wieder gefragt
sein. Wir werden anders wohnen, wir werden unseren Körper
trainieren, wir werden als Konsumenten ernst genommen werden. Es
wird High-Heels mit orthopädischen Einlagen geben,
Anti-Faltencremes, die wirklich funktionieren, Pillen, die unseren
Gang federnd erhalten. Sweet dreams? Vielleicht. Vielleicht aber
auch eine Beschreibung von Zukunft. Wer hätte vor 20 Jahren
gedacht, dass es Viagra geben würde?
Die Gesellschaft wird ein viel differenzierteres Altersbild
entwickeln müssen. Ein gebrechlicher 85-Jähriger hat
wenig mit einem vitalen 65-Jährigen zu tun. Der junge Alte
leitet seinen Betrieb, passt auf Enkelkinder auf, studiert an der
Uni. Alt ist nicht gleich alt. Zum Charakter kommt das Erlebte, das
Erlernte, das Erfahrene. Anders als junge Menschen unterwerfen sich
alte Menschen weniger schnell Trends, können freier denken und
auch handeln. Sie können.
Doch bisher hat diese Generation der jetzigen jungen Alten eine
wichtige Herausforderung nicht angenommen: Sie ist nicht
stilbildend. Als Generation lebt sie bislang nicht eine neue Kultur
vor, die die Vorstellung von einem engagierten jungen Alter mit
Herausforderungen und der Gelassenheit der gelebten Jahre
verbindet.
Die Jungen brauchen die Alten. Sie brauchen sie als Spiegel, als
Vorbild, als Gegenentwurf. Die Alten brauchen die Jungen als
Fortführung von Leben, von Kultur, von Gesellschaft. Die
Altersgruppe der 60- bis 80-Jährigen wird, wenn sie die
Herausforderungen annimmt, anders als heute, keine Angst mehr haben
müssen, nicht mehr gebraucht zu werden. Denn sie werden
gebraucht werden - und sich brauchbar machen müssen. Die
Gebrechlichkeit von Rentenkassen, Krankenkassen und Arbeitsmarkt
übersteigt längst den Verfallsgrad der
Vorruheständler. Die Konfliktlinie wird nicht nur zwischen
Jung und Alt verlaufen, sondern auch zwischen Arm und Reich. Die
satten Jahre der Bundesrepublik werden dann endgültig ein
Kapitel im Geschichtsbuch sein. Genauso wie die jungen Alten, die
kaum Aufgaben haben.
Annette Rollmann
Annette Rollmann ist freie Journalistin und lebt in Berlin.
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