Dirk Klose
Wider Rassismus und Vorurteile
Hearing im Bundestag zum Antisemitismusbeschluss
der OSZE
Wie kann der virulente Antisemitismus in Europa angemessen
bekämpft werden? Ist Kritik an der Politik des Staates Israel
bereits Antisemitismus? Und wie soll man sich auf den islamistisch
gefärbten Antisemitismus einstellen, der immer nachhaltiger
auch die Debatten zwischen christlicher und islamischer Welt
prägt? All diese Fragen standen im Mittelpunkt einer
kontroversen Anhörung vor der deutschen Delegation in der
Parlamentarischen Versammlung der OSZE am 22. November im Deutschen
Bundestag, bei der es um konkrete Maßnahmen zur
Antisemitismusbekämpfung ging.
Im April dieses Jahres hatte im Auswärtigen Amt in Berlin
eine Konferenz der OSZE (Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa) zum Thema Antisemitismus getagt und in
einer einstimmig angenommenen "Berliner Erklärung" die
Teilnehmerstaaten zu einer nachdrücklichen Abwehr des
Antisemitismus in Europa verpflichtet. Bei dem jetzigen, vom
SPD-Abgeordneten Gert Weisskirchen geleiteten Hearing im Bundestag
ging es um die konkrete Umsetzung dieser Beschlüsse. Dabei
standen drei Fragen auf der Tagesordnung: Hat die Berliner
Erklärung den gegenwärtigen Antisemitismus in Europa klar
erkannt, oder gibt es Defizite? Ist die Zielsetzung für einen
Kampf gegen den Antisemitismus klar beschrieben? Wie kann Kritik an
der Politik Israels von Antisemitismus abgegrenzt werden?
Bedrohung der Menschenwürde
Staatssekretär Klaus Scharioth vom Auswärtigen Amt
wies zu Beginn auf die politische Wirkung des einstimmig
angenommenen Beschlusses der OSZE-Konferenz hin. Antisemitismus sei
angesichts der Bedrohung der Menschenwürde von Betroffenen
immer zugleich auch eine Bedrohung der Sicherheit und somit eine
politische Bedrohung. Konkret soll jetzt, so Scharioth, das in
Warschau arbeitende "Office for Democratic Institutions and Human
Rights" (ODIHR) eine zuverlässige Datenbasis liefern; ferner
wird auf deutsche Initiative der OSZE-Ministerrat im Dezember
voraussichtlich einen Sonderbeauftragten zum Thema Antisemitismus
berufen, ebenso wird es einen Beauftragten für Rassismus und
Diskriminierung der Muslime geben.
Als erster Experte hatte Professor Alfred Grosser, wegen seiner
jüdischen Abstammung in jungen Jahren aus Deutschland geflohen
und heute einer der besten Deutschlandkenner in Frankreich,
gesprochen und harsche Kritk an der israelischen Politik
gegenüber den Palästinensern geübt: "Ich spreche von
israelischen Kriegsverbrechen; man darf das sagen." Nach seinen
Worten komme es im Nahen Osten vor allem darauf an, das Leiden
anderer zu verstehen; "das aber ist auf jüdischer Seite in der
Regel nicht vorhanden".
Opfer des Rassismus in Frankreich sind heute nach Grossers
Worten weniger die Juden als vielmehr jugendliche Moslems, und
Antisemitismus werde ungewollt dadurch gefördert, dass man
nicht auch diesen Rassismus nennt. Grosser nannte als Beispiele
für "Taten gegen den Antisemitismus" die jüdische
Schriftstellerin Amira Haas, die seit Jahren in den besetzten
Gebieten lebt und von dort berichtet, und den Musiker Daniel
Barenboim, der gemeinsam mit jungen Israelis und
Palästinensern Konzerte gibt.
Heftige Kontroversen
Grossers Erklärung rief bei mehreren Teilnehmern heftigen
Widerspruch hervor bis hin zur Kritik daran, dass er überhaupt
als Experte eingeladen worden sei. Die Abgeordnete Claudia Roth
(Bündnis 90/Die Grünen) bedauerte den Stil der
Auseinandersetzung und nannte die gegen Grosser gerichteten
Anwürfe "unangemessen und unakzeptabel". Grosser selbst
äußerte, er fühle sich "zurückgeworfen in die
Zeit der Berufsverbote" in Deutschland. Er habe eine
Mitverantwortung, "und ich fühle mich verpflichtet, mich zu
äußern, wenn Israel Grundregeln verletzt, die mir wehtun
wegen meines Judentums".
Die am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin
arbeitende Wissenschaftlerin Juliane Wetzel wies in einem
historischen Rückblick auf die "Langlebigkeit von
Weltverschwörungstheorien" hin, die im Laufe der Geschichte
immer wieder und mit jeweils neuer Stoßrichtung wirkten. Nach
ihren Worten werden Juden heute nicht wegen ihrer Rasse und
Religion diskreditiert, sondern per se als Bedrohung empfunden:
"Statt Juden sagt man heute Zionisten oder Israel. Das ist der neue
Antisemitismus." Es gebe einen "antisemitischen
Stereotypenkatalog", der in einer "unheiligen Allianz" von
Rechtsextremisten und jugendlichen Zuwanderern gleichermaßen
genutzt werde. Der "teuflische Staat Israel" ersetze das
frühere Vorurteil des "teuflischen Juden".
Der ebenfalls in Berlin arbeitende Sozialwissenschaftler
Jörg Rensmann ("Die Jüdische") hielt es für
unzulässig, die Kämpfer des Warschauer Ghettos mit den
bewaffneten Gruppen in den Palästinensergebieten
gleichzusetzen. Heute werde zunehmend ein arabischer Antisemitismus
nach Europa "zurücktransportiert". Durch die
Unterstützung palästinensischer Bildungseinrichtungen
etwa bei Schulbüchern seien einige europäische
Länder mitverantwortlich für diese antisemitische
Indoktrination in den Palästinensergebieten.
Die Schlussdiskussion konzentrierte sich vor allem auf konkrete
Maßnahmen gegen Antisemitismus und Diskriminierung. Gerd
Weiskirchen unterstrich dabei die Notwendigkeit, das Thema
Antisemitismus in bi- und multilaterale Verhandlungen einzubringen.
Wichtig sei deshalb der zügige Aufbau einer zentralen
Datenbank bei ODHIR in Warschau und in Ergänzung zu diesem
Plan ein ressortübergreifender nationaler Aktionsplan.
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