Michael Edinger
Die politische Elite
Ein Handbuch zur deutschen Politik
Nach der Veröffentlichung des von Vierhaus
und Herbst herausgegebenen Handbuchs zu den Mitgliedern des
Deutschen Bundestags 2002/2003, das bereits heute den Status eines
Standardwerks beanspruchen kann, hat der Saur Verlag mit dem
Handbuch der deutschen Politik sein Spektrum biografischer Lexika
um einen Doppelband erweitert. Auf knapp 1.300 Seiten finden sich
Einträge zu mehr als 4.400 Personen, die - wie es im Vorwort
heißt - "die Politik der Bundesrepublik Deutschland
gestalten".
Den Kern bilden die Abgeordneten des
Bundestags und der Landesparlamente sowie die 99 deutschen
Mitglieder des Europäischen Parlaments. Darüber hinaus
sind die Regierungsmitglieder, die Bundesverfassungsrichter,
sämtliche (Ober-) Bürgermeister in Städten mit mehr
als 50.000 Einwohnern, die Vorstands- und Präsidiumsmitglieder
der in mindestens einem Parlament vertretenen Parteien sowie die
Spitzenfunktionäre ausgewählter kommunaler und sonstiger
Interessenverbände berücksichtigt. Als Anhänge
finden sich Mitgliedslisten der jeweiligen Institutionen, teils mit
zusätzlichen Informationen wie etwa
Wahlergebnissen.
Die Einträge folgen in ihrem Aufbau
weitgehend dem Muster des erwähnten Handbuchs der
Bundestagsmitglieder: Nach Angaben zur schulischen, beruflichen und
universitären Ausbildung finden sich Informationen zum
beruflichen Werdegang, zu Parteimitgliedschaften und
Parteifunktionen; danach werden die Parlamentsmitgliedschaften und
die Exekutivpositionen in ausführlicher Form
aufgelistet.
Der Bearbeiter Bruno Jahn, der schon als
Redaktionsleiter entscheidenden Anteil am Zustandekommen des
MdB-Handbuchs hatte, hat jedoch beim Handbuch der Politik durch
typografische Mittel für eine klarere Gliederung gesorgt. So
sind Ehrenämter, Aufsichtsratsfunktionen, kommunale
Positionen, Parteikarriere, Parlamentszugehörigkeit und
Ministerämter auf den ersten Blick ersichtlich. Dem
Aktualitätsbezug entsprechend folgen auf Geburtsdatum und -ort
die (höchste) zur Zeit ausgeübte politische Funktion und
die Kontaktkoordinaten. Das Handbuch ermöglicht so einen
schnellen Zugriff auf die Viten des politischen
Führungspersonals in Deutschland. Dabei erfasst es über
den politischen Kernbereich hinaus auch Teile der Rechts-,
Wirtschafts- und Verbands-
eliten. Die Aktualität der Angaben macht
den Doppelband für Nutzer aus Politik, Verwaltung und
Wissenschaft zu einem geeigneten Hilfsmittel.
Allerdings ist diese gegenüber
herkömmlichen biografischen Lexika scheinbare Stärke
zugleich auch seine große Schwäche. Mit dem
Redaktionsschluss 31. Oktober 2003 ist das Handbuch bereits bei
seinem Erscheinen nicht mehr aktuell gewesen. Hinzu kommt, dass bei
den meisten Biografien die Handbucheinträge nur punktuell
über die auf den jeweiligen Websites oder anderweitig
zugänglichen Informationen hinaus gehen. Dies mag
erklären, weshalb sich das Vorwort über die
herangezogenen Quellen ausschweigt.
Offenbar ist aber auch nicht versucht worden,
fehlende Informationen etwa bei Lücken in der Vita oder zum
Parteieintritt zu recherchieren. Damit stellt sich umso
schärfer die Frage nach der Konzeption. Im Unterschied zur
übergroßen Mehrheit der biografischen Lexika ist das
Handbuch hinsichtlich seines Untersuchungsgegenstands nicht
längsschnittlich angelegt, sondern bietet einen Querschnitt.
Dieser Ansatz ist in Zeiten des Internets zumindest problematisch,
wenn der systematischen Aufbereitung des Quellenmaterials für
eine Momentaufnahme des politischen Führungspersonals anno
2003 nicht ein Wert an sich zugesprochen wird.
Besondere Bedeutung kommt der inhaltlichen
Bestimmung von Führungspositionen zu. Das Handbuch folgt hier
scheinbar dem Positionsansatz in der Elitenforschung. Danach ergibt
sich die Zugehörigkeit zur Elite durch die Position, die eine
Person einnimmt. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass in modernen
Gesellschaften der Zugang zu Macht und Einfluss über
Positionszuweisungen geregelt ist.
Vor diesem Hintergrund mutet aber die
vorgenommene Positionsauswahl fragwürdig an. Weshalb der
gesamte 35-köpfige FDP-Landesvorstand in
Mecklenburg-Vorpommern die Politik in Deutschland gestalten soll,
obwohl die Partei nicht einmal im Landtag vertreten ist,
erschließt sich nicht unmittelbar. Im Ergebnis wird das
biografische Handbuch an dieser Stelle ad absurdum geführt,
denn zu Dutzenden von Landesvorstandsmitgliedern beschränken
sich die Angaben auf die Geburtsdaten und die
Parteizugehörigkeit.
Der Respekt vor der gewaltigen Leistung, die
Jahn und seine Mitarbeiter bei der Sichtung und Aufbereitung des
Datenmaterials erbracht haben, verbietet ein scharfes Urteil
über das wohl präzedenzlose Wagnis eines aktuellen
biografischen Handbuchs der deutschen Politik. Paradoxerweise
könnte es mit schwindender Aktualität sogar an Bedeutung
gewinnen - zunächst als Nachschlagewerk, im Falle eines nach
gleichem Muster erarbeiteten späteren Querschnitthandbuchs
aber auch für Analysezwecke.
Voraussetzung dafür dürfte aber
wohl sein, dass auf die Buchveröffentlichung die
Bereitstellung computerlesbarer Daten etwa auf CD-ROM folgt.
Gleichwohl bleiben Zweifel, ob Aufwand und Ertrag hier in einem
sinnvollen Verhältnis stehen. Eines jedoch ist sicher: Den
einmal mehr prohibitiven Preis des Saur Verlags von annähernd
400 Euro rechtfertigt das zweibändige Werk nicht.
Bruno Jahn (Bearbeiter)
Biographisches Handbuch der deutschen
Politik.
K. G. Saur, München 2004; zwei
Bände mit zusammen 1262 S., 398,- Euro
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