|
|
Erik Spemann
Stoiber und Merkel beschwören die
Geschlossenheit der Union
69. CSU-Parteitag vom 19. bis 20. November in
München
Mit teils einschneidenden Beschlüssen zur
Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, der Arbeitswelt sowie dem
"Bürgerstaat der Zukunft" hat die CSU auf ihrem 69. Parteitag
in München die Weichen für ihre künftige Politik
gestellt. CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber rief in seiner Rede zu
einem "aufgeklärten Patriotismus" und der Verteidigung der
"christlichen Prägung unseres Landes" auf, verbunden mit der
Forderung nach verstärkten Integrationsbemühungen der in
Deutschland lebenden Ausländer. Sowohl Stoiber als auch die
CDU-Vorsitzende Angela Merkel, die ein mit großem Beifall
aufgenommenes Grußwort an die Delegierten richtete, beschworen
die Geschlossenheit der beiden Unionsparteien.
Einen Dissens gab es jedoch innerhalb der
CSU, nachdem der stellvertretende Parteichef und Sozialexperte
Horst Seehofer sich öffentlich dem umstrittenen, zwischen
Stoiber und Merkel ausgehandelte Kompromiss zur Gesundheitsreform
widersetzte. Das Thema drohte den Parteitag unter dem Motto "Klare
Werte, klarer Kurs" völlig zu überlagern. Seehofer selbst
blieb dem Kongress an beiden Tagen fern, was vor allem auch unter
seinen Anhängern Verwunderung und Enttäuschung
auslöste.
Das von rund 500 Medienvertretern beobachtete
Dilemma: Einerseits ging es vielen Delegierten und der
Parteiführung darum, den Kräfte verschleißenden und
von der Basis mit Abscheu betrachteten Streit mit der CDU über
diese Reform endlich beizulegen. Andererseits wertete Seehofer in
Interviews als "Murks" und unsozial, was Stoiber als ausgewogenes
und sozial gerechtes Zukunftsmodell auf dem Parteitag
beschließen lassen wollte.
Am Vorabend des Parteitags hatte sich Stoiber
zwar mit Seehofer zur Entschärfung des Konflikts darauf
verständigt, dass dieser für den Bereich
Gesundheitspolitik nicht mehr zuständig sei, im übrigen
aber seine Stellvertreter-Funktionen in Partei und Fraktion
behalte. Gleichzeitig sollte sich Seehofer nicht mehr
öffentlich zur Gesundheitspolitik äußern, was der
Politiker aber nur wenige Stunden durchhielt.
Auf dem Parteitag warb Stoiber bei den
Delegierten eindringlich um Zustimmung zum Gesundheitskompromiss
und versuchte, eine Bresche in die Phalanx der
Seehofer-Anhänger und Kompromiss-Gegner vor allem im CSA-Lager
zu schlagen: Wer den Kompromiss ablehne, riskiere einen "massiven
Bruch zwischen CDU und CSU", dies könne er nicht
verantworten.
Gleichzeitig rechtfertigte Stoiber seinen
Schritt, Seehofer als gesundheitspolitischen Sprecher der
Bundestagsfraktion zu entbinden: Wer eine Position vertrete, die
der Haltung der Union "diametral widerspricht", könne diese
Funktion nicht mehr ausüben. Dass Seehofer seine anderen
Ämter behalte, würdigte Stoiber als "Bündelung aller
Kräfte" in der CSU und Ausdruck von "hoher Integrationskraft".
Er wolle auch "schwierige Kollegen einbinden und nicht ausgrenzen,
soweit es geht". Daneben schilderte Stoiber den Delegierten
minutiös den Ablauf der endlosen, zunächst ergebnislosen
Einigungsversuche mit der CDU über ein tragfähiges
Gesundheitsmodell und versicherte, er habe sich auch vor den
entscheidenden Gesprächen mit Angela Merkel noch mit allen in
der CSU-Führung abgestimmt. Bis auf Seehofer hätten ihm
letztlich alle zu dem Kompromiss geraten.
In der Debatte mit knapp 20 Wortmeldungen
kritisierten vor allem die Vertreter der Arbeitnehmer den
Kompromiss als "bürokratisches Monster" und kompliziert, als
"Totgeburt" und "Mogelpackung". Dagegen marschierten die
politischen Schwergewichte auf: Wirtschaftsminister Otto Wiesheu
("Schluss mit dem permanenten Eiertanz"), Finanzminister Kurt
Faltlhauser ("das Konzept ist sauber ausgerechnet"),
Staatskanzlei-Minister Erwin Huber, Vize-Vorsitzende Barbara Stamm,
Landtagspräsident und CSU-Oberbayern-Chef Alois Glück
sowie Landesgruppenchef Michael Glos. Stoiber selbst trat erneut
ans Rednerpult und sprach von einem "großen
Gemeinschaftswerk". Die Skeptiker beschwor er: "Das sind doch keine
Substanzfragen, bei denen es um Leben und Tod geht, oder um
Grundsatzfragen." Hier gehe es vielmehr um "Glaubwürdigkeit
und Durchsetzungsfähigkeit der CSU". Eine
Abstimmungsniederlage wäre für Stoiber nach diesem
Einsatz verheerend gewesen. So votierten schließlich 88
Prozent (644 Ja, 85 Nein, 1 Enthaltung bei 730 stimmberechtigten
Delegierten) für den Kompromiss.
Unmittelbar im Anschluss rief die
CDU-Vorsitzende Angela Merkel in ihrem mit Angriffen gegen die
Bundesregierung gespickten Grußwort die Union zur
Geschlossenheit auf: "Wir gehören zusammen, das sollen alle
wissen, weil wir in Berlin die gleichen Gegner haben, und das ist
Rot-Grün, die dieses Land ruinieren." Die Leute erwarteten
gute Zusammenarbeit bis zu den Ortsvorsitzenden. CDU und CSU
marschierten trotz unterschiedlicher Akzente gemeinsam, rief Merkel
und beschwor am Ende ihrer einstündigen Rede das Bewusstsein,
"dass es schön ist, eine Schwester zu haben".
Nach kontroverser Debatte beschloss der
Parteitag mit großer Mehrheit einen Leitantrag zur Belebung
des Arbeitsmarktes. Er sieht unter anderem die Aufhebung des
Kündigungsschutzes für neu eingestellte Mitarbeiter in
Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten vor. Einige
CSA-Vertreter hielten dagegen und meinten, da könne man gleich
beschließen, die Bundestagswahl 2006 zu verlieren. Weiter
wurden Erleichterungen für Abweichungen vom Tarifvertrag auf
den Weg gebracht, um verstärkt "betriebliche Bündnisse
für Arbeit" bilden zu können. Ein weiterer einstimmig
angenommener Antrag befürwortet die privilegierte
EU-Partnerschaft der Türkei und lehnt eine Vollmitgliedschaft
in der Europäischen Union ab.
Ebenso geschlossen votierten die Delegierten
dafür, nicht integrationswilligen Ausländern die
Sozialleistungen zu kürzen. Ausländer müssten zur
Teilnahme an Sprachkursen verpflichtet werden und die Leitkultur
akzeptieren. Bayerns Innenminister Günther Beckstein sagte,
das von Rot-Grün lange Jahre propagierte "Multikulti" habe
sich als Illusion herausgestellt.
In seiner knapp zweistündigen
Parteitagsrede warnte auch Stoiber vor der Gefahr von
Parallelgesellschaften. Wer sich bewusst selbst abschotte, wie das
viele Muslime täten ("die allermeisten leben gesetzestreu,
gewissenhaft und leistungsbereit"), wer die Deutschen als
ungläubig ansehe und damit abwerte, der könne nur schwer
integriert werden und wolle sich auch nicht integrieren - "das
dürfen wir nicht dulden".
Der CSU-Chef rief weiter zur
Rückbesinnung auf die christlichen Werte und Traditionen auf
und betonte, ein moderner, aufgeklärter und selbstbewusster
Patriotismus sei für die Zukunft des Landes unverzichtbar.
"Offenheit und Toleranz ja, islamistische Kopftücher nein."
Mit der CSU werde es keine Symbole der Unterdrückung und
Unfreiheit von Frauen an den Schulen geben. Mit deutlichen Worten
wandte sich der CSU-Chef gegen die Einführung eines
muslimischen Feiertags: "Nationale und christliche Feiertage
abschaffen und islamische einführen wollen, so weit kommt es
noch in unserem Land - nicht mit uns, aber wirklich
nicht."
Scharfe Kritik richtete Stoiber an die
Bundesregierung, die durch zögernde und zerfahrene Politik
"Deutschlands Zukunft verspielt". Auf dem Land laste ein
Schuldenberg von 1,4 Billionen Euro mit 100 Millionen Zinsen jeden
Tag, "der unsere Zukunft und vor allem die Zukunft unserer Kinder
zu erdrücken droht". Dazu zitierte der CSU-Vorsitzende den
Bundesrechnungshof mit der Bemerkung, "Die Schieflage ist so
extrem, dass es einem den Atem verschlägt". Die Bundesrepublik
falle im globalen Wettbeerb immer weiter zurück, die
Arbeitsplatzverluste seien dramatisch. Auf Deutschland, so Stoiber
weiter, lasteten viel zu viele fesselnden Vorschriften und endlose
Genehmigungsverfahren.
Der Parteivorsitzende verlangte eine Reform
der bundesstaatlichen Ordnung mit einer Reform des
Föderalismus sowie weitreichende Änderungen, um Dynamik
und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft wieder herzustellen.
Staat, Gesellschaft und Strukturen müssten neu ausgerichtet
werden, die gesamten Ausgaben gehörten auf den Prüfstand
und seien wieder an die Einnahmen anzupassen, sonst werde
Deutschland weiter zurückfallen.
Konkret sprach sich Stoiber für
längere Arbeitszeiten, den Abbau von Einstellungshürden
und die Einführung niedriger Steuersätze und eines
einfacheren Steuersystems aus. Einen besonderen Schwerpunkt legte
er ferner auf die Bedeutung von Bildung und Erziehung als
"Schlüssel zur Zukunft von Arbeitsplätzen und
Wohlstand".
Zurück zur Übersicht
|