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Volker Koop
Waren die Deutschen nur Täter oder auch
Opfer?
"Gedenktage verändern nicht die Welt, aber
schärfen die Sicht"
Im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten
Weltkrieges häufen sich in den nächsten Wochen und
Monaten bis zum 8. Mai 2005 zahlreiche Jahrestage, an denen in der
unterschiedlichsten Form an das Geschehen vor nunmehr 60 Jahren
erinnert wird. Im Herbst 1944 erreichten erste amerikanische
Truppen das Saarland, in der Folgezeit rückten die damaligen
Alliierten von allen Seiten auf deutsches Gebiet vor, befreiten die
Überlebenden in den Konzentrationslagern, trafen an der Elbe
bei Torgau zusammen und übernahmen schließlich nach
Unterzeichung der Kapitulationsurkunde in Berlin-Karlshorst die
Macht über das geschlagene Deutschland.
So wie zuvor Deutsche Elend und Not über
die Zivilbevölkerung in anderen Ländern gebracht hatten,
gehörten sie nun, Ende 1944 und in den ersten Monaten des
Jahres 1945, selbst zu denen, die auf der Flucht waren und dabei zu
Tausenden umkamen, beispielsweise bei den großen
Schiffstragödien auf der Ostsee. Schiffe mit mehr als 30.000
Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wurden
torpediert, bombardiert und versenkt, darunter die "Wilhelm
Gustloff" mit 9.000 Toten. Bei den Angriffen auf die "Cap Arkona",
"Athen" und "Thielbek" starben 8.000 Menschen, die meisten davon
KZ-Häftlinge. Während die Vorbereitungen für die
zentralen Gedenkfeiern längst abgeschlossen sind, wird nun -
wenn auch spät - über die Frage diskutiert, in welcher
Weise diesen zivilen deutschen Opfern gedacht werden kann, zumal
bisweilen sogar zu hören ist, deutsche "Opfer" unter der
Zivilbevölkerung gebe es ohnehin nicht, da sie als Deutsche
Täter per se seien.
"Bei den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag
des Endes des Zweiten Weltkrieges im kommenden Jahr dürfen die
unzähligen zivilen Opfer, die in den letzten Wochen des
Krieges ihr Leben verloren, nicht ins Abseits geraten", sagt der
schleswig-holsteinische CDU-Abgeordnete Wolfgang Börnsen und
appelliert an Bundesregierung und an die Spitze des Bundestags,
dabei auch in angemessener Weise an die großen
Schiffskatastrophen auf der Ostsee zu erinnern. Es sei höchste
Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Tragödien
auf der Ostsee den heutigen Menschen als Mahnung gegen Krieg und
jede Form von Unrecht in das Bewusstsein gerufen werden
könnten. Börnsen: "Man darf sich nicht auf den Standpunkt
zurückziehen und sagen, die damals Umgekommenen seien als
Deutsche weniger Opfer als vielmehr selbst Täter gewesen. Wer
so argumentiert, übersieht, dass mit den versenkten Schiffen
nicht nur unschuldige Frauen und Kinder, sondern auch Tausende von
KZ-Häftlingen in die Tiefe gerissen wurden." Vergessen
dürfe aber auch nicht, dass es zahllose stille Helden gegeben
habe. Helfer aus Schleswig-Holstein, Dänemark und Schweden
hätten ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um das anderer zu retten:
"Beide Gruppen - Helfer wie Opfer - haben ein würdiges
Gedenken verdient, das sich nicht auf wenige Sätze am
Volkstrauertag beschränken darf."
Die Opfer müssten im Mittelpunkt der
Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg stehen, sagt Angelika
Krüger-Leißner. Die SPD-Abgeordnete ergänzt, dass
dies selbstverständlich auch für die Opfer unter der
deutschen Zivilbevölkerung, wie die mehr als 9.000 Toten bei
der Versenkung der "Wilhelm Gustloff", gelten müsse. Beim
Untergang dieses Schiffes seien in der Hauptsache Frauen, Kinder
und alte Menschen gestorben, aber auch Soldaten der Wehrmacht. Sie
alle seien Opfer eines Krieges, der von Deutschland begonnen und im
Osten als Vernichtungskrieg mit beispielloser Härte
geführt worden sei. Das heutige Gedenken - so Angelika
Krüger-Leißner weiter - könne nicht von den
historischen Kontexten absehen. Nur die Einordnung in historische
Zusammenhänge schaffe eine lebendige Erinnerungskultur, in der
die verschiedenen Opfergruppen mit ihren spezifischen
Leiderfahrungen ihren Platz finden müssten: "Der Untergang der
?Wilhelm Gustloff' und anderer Schiffe war ein schreckliches
Geschehen, das wir - wie viele andere - nicht vergessen
dürfen. Die Voraussetzungen, die dazu führten,
müssen aber immer berücksichtigt bleiben."
Gedenkstätte "Neue Wache"
Auf die zahlreichen Gedenktage, an denen die
Deutschen aufgerufen seien, der Opfer von Krieg und
Gewaltherrschaft zu gedenken, verweist der FDP-Abgeordnete
Jörg van Essen, so im November am Volkstrauertag, an dem sich
die Menschen der Vergangenheit mit dem Auftrag erinnerten, das
Vermächtnis der Opfer zu erfüllen. Dennoch sieht
Jörg an Essen: "Sicherlich werden wir mit Gedenktagen die Welt
nicht verändern können. Aber sie schärfen unsere
Sicht auf die Vergangenheit und ermahnen uns in der Gegenwart. Dies
ist für mich der Sinn des Erinnerns. Aus der Erinnerung an das
Leid der Kriege und aus dem Gedenken an die Opfer erwächst der
Auftrag an uns alle, sich für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit
und ein würdiges Leben für alle einzusetzen." Sicherlich
sei auch der Untergang der "Wilhelm Gustloff" eine der großen
Tragödien der letzten Kriegstage. "Aber in der Erinnerung", so
die Überzeugung des FDP-Parlamentariers, "sollten wir vereint
bleiben. Ich glaube daher, dass es besser ist, sich auf die
bestehenden Gedenktage zu konzentrieren und alle Opfer von Krieg
und Gewaltherrschaft mit einzubeziehen." Seit 1993 habe dieses
Gedenken einen festen Platz in Berlin. In der zentralen
Gedenkstätte in der "Neuen Wache" habe man der Erinnerung an
die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft einen festen Platz
gegeben. Zu sehen sei dort die berühmte Skulptur "Mutter mit
totem Sohn" der Künstlerin Käthe Kollwitz. Wohl kaum ein
anderes Kunstwerk vermöge die Trostlosigkeit und unstillbare
Trauer über den Verlust des eigenen Kindes im Krieg so
intensiv auszudrücken.
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