Carla Fritz
Amtliche Statistik auf festem Boden
Der Teufel steckt im Detail - Dichtung und
Wahrheit
Schöngefärbt, frisiert, manipuliert.
Statistikfälscher am Werk. Zweifelhafte Zahlen oder unlautere
Zweifel? - Wenn es um die Beweiskraft von Zahlen geht, steigen die
politischen Kontrahenten nur zu gern in den Ring. Siehe
jüngster Schlagabtausch um den Arbeitsmarkt und seine
Statistik. Oder den Dauerclinch um die Gesundheitsreform und ihre
Kosten für den Bürger. Aber wer kann dem Zahlenpingpong
überhaupt noch folgen? Bei der Fülle sich teils
widersprechender Zahlen quer durch alle Lebensbereiche, die
Schlagzeilen in den Medien und die Runde in einschlägigen
Polittalkshows machen? Der Normalbürger kommt da schon ins
Grübeln: Seriös recherchiert? - Bei amtlichen Zahlen
dürften jedenfalls die Voraussetzungen dafür gegeben
sein. Dafür sorgt ein ganzes Arsenal von Gesetzen und
Verordnungen. Dort ist von A bis Z durchbuchstabiert, was die
amtlichen Zahlensammler wie abfragen sollen. Und das jeweils extra
für jede einzelne statistische Erhebung: angefangen vom
Außenhandel, über Finanzen, Steuern und Versicherungen
bis hin zu Wirtschaftsrechnungen und Zeitbudget.
Den roten Faden gibt dabei das Bundesstatistikgesetz vor, das
die amtliche Statistik zu Neutralität, Objektivität und
wissenschaftlicher Unabhängigkeit verpflichtet und die
Aufgaben des Statistischen Bundesamtes als obere Bundesbehörde
im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums festschreibt.
Die Entscheidung darüber, welchen Fragen die amtliche
Statistik nachgehen soll, liegt folglich beim Gesetzgeber, der sich
dabei auf den im Statistischen Beirat versammelten Sachverstand
stützen kann. Mit den Bundesministerien, dem
Bundesrechnungshof, den statistischen Ämtern der Länder,
dem Bundesbeauftragten für Datenschutz, den kommunalen
Spitzenverbänden, der gewerblichen Wirtschaft, der
Landwirtschaft, Wissenschaft, Arbeitgeberverbänden und
Gewerkschaften sind dort Auftraggeber, Datenproduzenten, Nutzer und
Befragte vertreten.
Einen immer größeren Einfluss auf die Zahlen, die
hierzulande von Amts wegen erhoben werden, hat die Europäische
Union. Weit über die Hälfte der amtlichen Statistiken in
Deutschland - insbesondere im Bereich der Wirtschafts- und
Arbeitsmarktstatistiken - gehen mittlerweile auf verbindliche
EU-Vorgaben zurück. Eine Zahl, die das Deutsche Institut
für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) nennt.
So kommt beispielsweise beim Mikrozensus - der jährlichen
Befragung von etwa 800.000 Personen in rund 370.000
Privathaushalten der Bundesrepublik - das Gros der Vorgaben von der
Europäischen Union.
Und wenn jetzt ab 2005 - parallel zum Zahlenwerk der
Bundesagentur für Arbeit - in Regie des Statistischen
Bundesamtes eine zweite monatliche Arbeitsmarktstatistik
geschrieben wird, hat das wiederum genau damit zu tun. Gezählt
wird dabei nach ILO-Standard, wie er in der Europäischen Union
verlangt wird. Nach Maßgabe der Internationalen
Arbeitsorganisation gilt als erwerbslos, wer weniger als eine
Stunde pro Woche arbeitet, in den vergangenen vier Wochen aktiv auf
Arbeitssuche war und sofort - das heißt innerhalb von zwei
Wochen - verfügbar ist. 30.000 Haushalte werden dazu ab jetzt
bundesweit telefonisch befragt.
Die Bundesagentur für Arbeit holt ihre monatlichen Zahlen
aus den Akten: Als arbeitslos eingestuft wird demnach, wer beim
Arbeitsamt entsprechend registriert ist, weniger als 15 Stunden
wöchentlich arbeitet und der Arbeitsvermittlung zur
Verfügung steht.
Amtliche Erhebungen sind in der Mehrzahl für die befragten
Bürger, Unternehmen und Behörden
"Pflichtveranstaltungen". Wer seiner gesetzlichen Auskunftspflicht
nicht nachkommt, kann gegebenenfalls mit Bußgeld belegt
werden.
Das geht manchmal unter im tagtäglichen Papierkrieg und
wirft bei den Befragten zugleich immer wieder die Frage nach Sinn
und Zweck der Übung auf. Vor allem kleinere und mittlere
Unternehmen klagen über die wachsende Auskunftslast und
bekommen dabei Beistand auch von anderer Seite. Durch einen
nachhaltigen Abbau von überflüssigen Statistiken
könnten Bürger und Wirtschaft erheblich finanziell
entlastet und von "Frondiensten" für die amtliche Statistik
befreit werden, urteilt etwa der Rechnungshof
Baden-Württemberg im Ergebnis einer Untersuchung. Die
Rechnungshöfe des Bundes und von elf Ländern hatten dabei
in einer konzertierten Aktion das öffentliche Statistikwesen
in Deutschland kritisch unter die Lupe genommen.
Zwar gab es in den vergangenen Jahren schon mehrere
"Statistikbereinigungsrunden", wie der Bund-Länder-Ausschuss
Statistik in seinem Bericht zu weiteren Möglichkeiten des
Bürokratieabbaus in der Wirtschaftsstatistik vom März
dieses Jahres feststellt. Aber die spürbare Entlastung der
Wirtschaft von statistischen Berichtspflichten bleibe eine
ständig wiederkehrende Forderung an die amtliche Statistik.
Die häufig nur schwer miteinander zu vereinbarenden Interessen
und Anforderungen von Politik, Wirtschaft, Tarifpartnern,
Wissenschaft und Öffentlichkeit seien dabei gegeneinander
abzuwägen. "Maß und Mitte" müssten hierbei den
Ausschlag geben.
Die mit hohem Aufwand erhobenen statistischen Daten über
Leben und Arbeit in Deutschland sollen zudem besser als bisher
für Wissenschaft und Politik erschlossen werden. Von dem
Anfang November berufenen Nationalen Rat für Sozial- und
Wirtschaftsdaten werden dabei entscheidende Impulse erwartet. Auch
unnötige Doppelbefragungen könnten so vermieden werden.
Als Beispiel für eine effektivere Zusammenarbeit von
Sozialwissenschaft und Statistik nannte Forschungsministerin
Bulmahn in diesem Zusammenhang den Ersatz aufwändiger
Volkszählungen durch die Nutzung vorhandener
Behördenregister. Diese könnten mit stichprobenartigen
Erhebungen in größeren Gemeinden ergänzt werden.
Damit ließen sich die Kosten der eine Milliarde Euro teuren
klassischen Volkszählung um zwei Drittel senken.
Familie und Demographie, Bildung und Arbeit, Einkommen und
Vermögen, soziale Sicherung sowie Gesundheit und Pflege.
Amtliche Zahlen dazu spielen in der Reformdiskussion in Deutschland
eine entscheidende Rolle. Gleichzeitig ist das öffentliche
Statistikwesen selbst im Wandel begriffen, wie nicht zuletzt das
Duell um die Arbeitsmarktzahlen gezeigt hat.
Mehr Flexibilität und eine bessere Abstimmung des gesamten
Systems der statistischen Infrastruktur stehen auf der Agenda.
Interessant, was das DIW unter diesem Aspekt bereits vor einiger
Zeit in die Debatte geworfen hat: "Für gesellschaftlich
interessante Fragestellungen kommen aber auch nichtamtliche
statistische Erhebungen in Frage. Sie liefern vielfach aufgrund
ihrer in der Sache liegenden Flexibilität für punktuelle
Fragestellungen wichtigere Ergebnisse als amtliche Daten und
sollten deshalb in die Koordinierung einbezogen werden."
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