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Helmut Merschmann
Osteuropas zerplatzte Konsumträume
Beim "Festival des osteuropäischen Films"
in Cottbus zeigt sich die Melancholie nach der Euphorie
Positiv gestimmt ist kein einziger Kurzfilm. Mal wird an einer
Weggabelung ein verwittertes Kruzifix gegen ein neues, bunteres
ausgetauscht (Polen), mal das neue EU-Grenzschild vom
Nicht-EU-Nachbarn auf der anderen Flussseite misstrauisch
beäugt (Slowakei). Auf Initiative des dänischen
Kultregisseurs Lars von Trier ist das Kurzfilmprojekt "Visions of
Europe" entstanden. Namhafte Regisseure aus allen 25
EU-Ländern haben jeweils ein fünfminütiges
Stimmungsporträt ihres Landes gezeichnet. Die acht Spots aus
den neuen Beitrittsländern, die auf dem 14. Cottbuser Filmfest
zu sehen waren, fielen durch Nachdenklichkeit und Melancholie
auf.
Es herrscht eine gewisse Skepsis gegenüber dem Neuen und
Unbekannten, ein Unbehagen und Miss-trauen gegenüber den
Neuerungen, die der Beitritt zur Europäischen Union mit sich
bringt. In dieser Haltung erscheinen die Kurzfilme typisch für
die gegenwärtige Stimmung in Osteuropa. Meist zeichnen sie
sich durch eine getragene Stimmung aus. Nach dem Jubel und der
Euphorie im Zuge des Zusammenbruchs der alten sozialistischen
Regierungen ist eine Katerstimmung aufgekommen. "Die
osteuropäischen Filme sind ernster geworden", sagt
Festivalleiter Roland Rust. "Sie geben die Stimmung in den
Ländern sehr konkret wieder, wo sich das Sozialklima in einer
dramatischen Weise verschärft hat."
So zeigt etwa der Spielfilm "Schizo" von Guka Omarowa einen
15-jährigen Autisten, der sich stoisch inmitten einer von
illegalen Boxkämpfen und Gelegenheitsjobs geprägten
brutalen Männerwelt behauptet und als Einziger zu sozialer
Anteilnahme fähig ist. Die
russisch-kasachisch-französisch-deutsche Koproduktion gewann
den mit 12.000 Euro dotierten Hauptpreis des Festivals. Der
polnische Wettbewerbsbeitrag "Symmetrie" (von Konrad Niewolski)
handelt von den schroffen Repressalien und der Verrohung, die ein
unschuldig verhafteter Mann im Gefängnis zu ertragen hat und
denen er sich unmerklich angleicht. In langsamen, ruhigen Bildern
erzählen beide Filme auch von den sozialen Zuständen in
den Ländern und den Ängsten, die die Menschen umtreiben.
Dass osteuropäische Filme "nachhaltiger wirken", wie Roland
Rust meint, und sich im Gedächtnis festsetzen, hängt wohl
auch damit zusammen, dass sie verschlüsselt, oft in Form eines
Gleichnisses daherkommen und den Zuschauer zum Nachdenken
einladen.
Gleichwohl müssen auch osteuropäische Filme sich am
Markt behaupten, was nur begrenzt funktioniert. In den meisten
Ländern lag die Filmproduktion jahrelang am Boden und rappelt
sich gegenwärtig wieder etwas auf. Ehemals blühende
Filmnationen wie Georgien und die Ukraine bringen kaum noch
nennenswerte Beiträge hervor. In Mazedonien werden
jährlich nur noch ein bis drei Filme produziert, in Slowenien
sechs bis acht, in Tschechien 19 im vergangenen Jahr - es waren
einmal knapp 40. Immerhin ist den Filmen mitunter ein großer
Binnenerfolg beschert. Sie kommen beim heimischen Publikum gut an.
Dennoch kann das nicht von der gewaltigen Marktmacht des
amerikanischen Kinos ablenken. Während sich nun auch der
osteuropäische Zuschauer bestens im Gran Canyon und in L.A.
auskennt, spielen polnische Filme in Ungarn überhaupt keine
Rolle mehr.
Schon aus diesem Grund finden sich alljährlich die
Filmschaffenden Osteuropas auf dem Cottbuser Filmfestival ein. Als
Brücke zu den Mentalitäten in den osteuropäischen
Ländern - so das Selbstverständnis des Festivals - kann
man sich hier einen guten Überblick über die
Filmproduktion in den einzelnen Nationen verschaffen. Das Festival
hatte sich 1991 aus der gerade von den sozialistischen Ländern
gepflegten Filmclub-Bewegung gegründet, die es auch im Westen
gab. Zwei Jahre nach der deutschen Wende hatten einige engagierte
Cottbuser Filmliebhaber den osteuropäischen Film vermisst, der
mit einem Mal nirgends mehr zu sehen war. Dass inzwischen Teile des
osteuropäischen Kinos von uns als europäisch wahrgenommen
werden - ein Verständnis, das die dortigen Filmemacher schon
immer für sich reklamiert haben - ist dem Festival hoch
anzurechnen.
Allerdings wird auch nicht an gelegentlich verstörenden
Blicken auf Westeuropa gespart, wie ein Film aus dem
diesjährigen Länderschwerpunkt Tschechien zeigt. In der
tschechischen Pampa, unweit Prags, soll ein Supermarkt entstehen
namens "Ceský Sen" - tschechischer Traum. Eine aufwändige
Marketingkampagne wird gestartet, bonbonfarbene Logos werden
entworfen, Radio- und Fernsehspots geschaltet, Interviews mit
Testkäufern durchgeführt und Flyer mit den
Eröffnungsangeboten bedruckt. Alles ist professionell
vorbereitet.
Am Eröffnungstag strömen bereits in aller
Herrgottsfrühe die Massen los, um zu entdecken, dass der
Einkaufsmarkt nur eine Fassade auf der grünen Wiese ist. Der
"tschechische Traum" ist wie eine Seifenblase zerplatzt. An der
Nase herumgeführt wurden die Menschen von zwei Filmstudenten
der Prager Filmhochschule FAMU, den Regisseuren Vít
Klusák und Filip Remunda. Die wollten den Einfluss der
westlichen Konsumkultur auf ihre Landsleute dekuvrieren. Ihren
Streich, übrigens als eine Art Doku-Soap vom tschechischen
Fernsehen finanziert, haben sie dokumentarisch festgehalten.
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