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Eckhard Jesse
Kontinuität und Wandel des
Parteiensystems
Die Landtagswahlen in den neuen
Bundesländern 1990 bis 2004
Mit den Wahlen in Brandenburg und Sachsen am 19.
September 2004 ist die vierte Serie der ostdeutschen Landtagswahlen
seit der Wiedervereinigung zu Ende gegangen. Die ersten
Landtagswahlen fanden am 14. Oktober 1990 statt, nachdem die DDR
kurz zuvor - am 3. Oktober - der Bundesrepublik Deutschland
beigetreten war, obwohl es noch gar keine Bundesländer gab.
Der zweite Zyklus war vier Jahre später: Die Wähler in
Sachsen-Anhalt gingen am 26. Juni 1994 zur Wahl, die Brandenburger
und Sachsen am 11. September, die aus Mecklenburg-Vorpommern und
Thüringen am 16. Oktober, dem Termin der Bundestagswahl.
In der Folge trat eine immer stärkere
Entzerrung ein, weil Brandenburg, Sachsen und Thüringen die
Legislaturperiode auf fünf Jahre verlängert hatten.
Folglich fanden die beiden nächsten Landtagswahlen 1998 statt
- in Sachsen-Anhalt vor der Bundestagswahl (am 26. April), in
Mecklenburg-Vorpommern am Tage der Bundestagswahl, dem 27.
September. 1999 folgten im September dicht hintereinander die
Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Der vierte
Landtagswahlzyklus begann am 21. April 2002 in Sachsen-Anhalt, die
Wahlen in Mecklenburg folgten wieder am Tag der Bundestagswahl (22.
September). Thüringen legte die vierte Wahl zum Landtag auf
den Tag der Europawahl (13. Juni 2004), ehe Brandenburg und Sachsen
folgten. Die Situation in diesen drei Ländern war 2004
insofern kompliziert, als nicht mehr die "Männer der ersten
Stunde" (die "Landesväter" Kurt Biedenkopf, Manfred Stolpe und
Bernhard Vogel, der 1992 das Zepter übernommen hatte) zur Wahl
standen.
Schneller Wandel
Die friedliche Revolution in der DDR (der
Begriff "Wende" erfasst nicht die Massivität des Umbruchs) kam
im Herbst 1989 plötzlich und unerwartet. Das auf der
SED-Dominanz ruhende alte Herrschaftssystem - die anderen Parteien
und Organisationen waren ohne Einfluss - wurde binnen kurzem
hinweggefegt, wesentlich durch eine günstige
außenpolitische Konstellation bedingt. Schnell vollzog sich
der Übergang vom "Zettelfalten" zum freien Wählen. Der
"Sozialismus in den Farben der DDR" war unter den Bedingungen eines
Konkurrenzmechanismus ohne Ausstrahlungskraft. Die "Blockparteien"
begannen sich von der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands"
zu lösen, und diese transformierte zur "Partei des
Demokratischen Sozialismus" (von Dezember 1989 bis Februar 1990:
SED/PDS). Die "Blockparteien" verschwanden schnell. Erst ging die
"Demokratische Bauernpartei Deutschlands" in der Ost-CDU auf. Dann
schloss sich diese mit der CDU des Westens zusammen. Ähnlich
verlief die Entwicklung bei der FDP. Zunächst wurde die
"Nationaldemokratische Partei Deutschlands" von der
"Liberaldemokratischen Partei Deutschlands" aufgenommen, ehe diese
sich mit der FDP vereinigte. Die Entwicklungen verliefen nach
außen hin verhältnismäßig
reibungslos.
Nach der ersten und zugleich letzten
demokratischen Volkskammerwahl am 18. März 1990 mit einem so
überraschenden wie klaren Wahlsieg der CDU und der mit ihr
verbündeten Gruppierungen ("Allianz für Deutschland")
erregte eine Kontroverse die wissenschaftlichen Gemüter. Die
eine Richtung führte die Entscheidung angesichts einer
Tabula-Rasa-Situation auf ein reines "issue"-Verhalten zurück,
die andere bejahte die Existenz einer unter anderem durch die
Medien des Westens geschaffenen "Quasi-Parteibindung" vieler
Wähler. Dabei muss die eine Position der anderen nicht
zwingend widerstreiten. In der Tat steht der Osten für eine
weitaus geringere Parteiidentifikation und ein höheres
Maß an Wechselbereitschaft.
Bei den Bundestagswahlen 1990 und 1994
votierten die Ostdeutschen in der Tendenz wie die Westdeutschen.
Die Union schnitt jeweils besser als die SPD ab, mit einem
größeren Unterschied im Osten als im Westen. Der
Urnengang 1998 förderte ein analoges Abschneiden zutage. Nur:
Das Votum fiel für die SPD aus, im Osten lag die Differenz
zwischen SPD und Union höher als im Westen. Das Ergebnis 2002
offenbarte ein gegenläufiges Verhalten. Wäre nur im
Westen gewählt worden, hätte Schwarz-Gelb gewonnen. So
aber entschied der Osten die Bundestagswahl zugunsten von
Rot-Grün. Bekommen damit jene Forscher recht, die
frühzeitig die These vom künftig "roten Osten"
prognostiziert hatten?
Regionalisierung des
Wahlverhaltens
Wie die Ergebnisse in den neuen
Bundesländern von 1990 bis 2004 zeigen (vgl. Tabelle auf
dieser Seite), verliefen sie höchst unterschiedlich.
Während in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt die
Mehrheitsverhältnisse differierten, weisen die drei anderen
Länder ununterbrochen seit 1990 eine klare Dominanz einer
Partei auf. Ist in Mecklenburg-Vorpommern die Tendenz eindeutig
(die SPD steigerte von Wahl zu Wahl ihren Anteil von
ursprünglich 27,0 Prozent auf 40,6 Prozent, so verlor die CDU
mehr oder weniger kontinuierlich Stimmen. Ihr bestes Ergebnis lag
bei 38,3 Prozent, ihr schlechtestes bei 30,2 Prozent. Hingegen ist
die Entwicklung in Sachsen-Anhalt durch eine stärkere
Diskontinuität gekennzeichnet. Die Wahlergebnisse der SPD
schwankten zwischen 35,9 Prozent (1998) und 20,0 Prozent (2002),
die der CDU zwischen 39,0 Prozent (1990) und 22,0 Prozent
(1998).
In Sachsen hatte die dortige Union
zunächst dreimal klar die absolute Mehrheit gewonnen (mit
sensationell guten Stimmenanteilen zwischen 53,8 Prozent und 58,1
Prozent), ehe im Jahr 2004 ein massiver Einbruch erfolgte (41,1
Prozent). In Thüringen siegte die CDU ebenfalls viermal,
wiewohl nicht so deutlich (1990: 45,4 Prozent; 1994: 42,6 Prozent;
1999: 51,0 Prozent; 2004: 43,0 Prozent). Hingegen dominierte in
Brandenburg stets die SPD (1990: 38,2 Prozent; 1994: 54,1 Prozent;
1999: 39,3 Prozent; 2004: 31,9 Prozent). In Sachsen ist die SPD
katastrophal schwach (bei den Landtagswahlen im Jahre 2004 kam sie
nicht einmal auf zehn Prozent der Stimmen), in Brandenburg steht
die CDU nicht gut da (mit einem Ergebnis bei der jüngsten Wahl
von unter 20 Prozent).
FDP und Grüne haben es schwer
In den neuen Bundesländern
kristallisierte sich nach der ersten Legislaturperiode schnell ein
Dreiparteiensystem mit der CDU, der SPD und der PDS heraus. Die
Grünen und die FDP, die 1990 noch gut abgeschnitten hatten,
rangieren seit 1994 "unter ferner liefen", fehlen im Parlament -
mit der Ausnahme von Sachsen-Anhalt (1994 schafften die Grünen
dort knapp den Einzug in den Landtag, 2002 klar die FDP dank ihrer
prominenten Spitzenkandidatin und Generalsekretärin Cornelia
Pieper) und Sachsen: Der FDP wie den Grünen gelang 2004 knapp
der Einzug ins Landesparlament. Diese beiden Parteien haben es im
Osten wegen des gering ausgeprägten Postmaterialismus schwer,
Boden gutzumachen. Das Milieu, aus dem sich die Wählerschaft
der beiden Parteien rekrutiert, ist nur schwach entwickelt.
Gleichwohl scheinen sie aufholen zu können, wie auch der Trend
bei den Bundestagswahlen zeigt.
Die großen demokratischen Volksparteien
verlieren in den neuen Bundesländern immer mehr an Zustimmung.
So erreichten CDU und SPD in Sachsen (50,9 Prozent) und in
Brandenburg (51,3 Prozent) zusammen nur knapp die absolute
Mehrheit. Sie mussten wegen der Proteste gegen Hartz IV Federn
lassen. Ansonsten fallen die Ergebnisse in den beiden Ländern
krass unterschiedlich aus. In Brandenburg dominieren die beiden
Linksparteien SPD und PDS (die CDU kommt nie über die
30-Prozent-Schwelle hinaus), in Sachsen die Christdemokraten (SPD
und PDS erreichen allenfalls ein Drittel der Stimmen). Wie die
Ausrichtung der meisten politischen Vorfeldorganisationen zeigt,
hat sich in Sachsen und Brandenburg ein unterschiedliches Milieu
herausgebildet - in dem einen Land zugunsten der CDU, in dem
anderen zugunsten der SPD. Die sächsische Identität ist
mit der CDU verbunden, die brandenburgische mit der SPD. Kurt
Biedenkopf und Manfred Stolpe konnten in "ihren" Ländern
Akzente setzen.
Hatte die PDS im "Superwahljahr" 1990 im
Osten ständig an Stimmen verloren (von der Volkskammerwahl am
18. März (16,4 Prozent) über die Kommunalwahlen am 6. Mai
(14,0 Prozent) und die Landtagswahlen am 14. Oktober (12,7 Prozent)
bis hin zur Bundestagswahl am 2. Dezember (11,1 Prozent), so weist
die Tendenz für die Partei bei den Landtagswahlen in den neuen
Bundesländern seit 1990 nahezu beständig nach oben - eine
von Auguren so wahrlich nicht vorhergesagte Entwicklung. Der PDS
wurde zu früh das Totenglöcklein geläutet. Dies
zeigt, in welchem Maße viele "dem Westen" die kalte Schulter
zeigen - aus Trotz und Frust. In Brandenburg steigerte sich die PDS
von 13,4 Prozent (1990) auf 18,7 (1994), 23,3 (1999) und 28,0
Prozent (2004), in Thüringen von 9,7 auf 16,6, 21,3 und 26,1
Prozent, in Sachsen von 10,2 auf 16,6, 22,2 und 23,6 Prozent. 28,0
Prozent sind ihr bestes Ergebnis in einem Bundesland. Bei den
Erststimmen lag die PDS in Brandenburg an erster Stelle. (Im Osten
Berlins erreichte sie 2001 sogar 47,6 Prozent: mehr als SPD, CDU,
Bündnis/Grüne und FDP zusammen). Die überalterte
"Kümmerer"-Partei ist längst nicht mehr bloß eine
Milieupartei, sondern auch eine Partei des Protestes, die diesen zu
nutzen und zu schüren versteht, wie die Attacken gegen das
Gesetzgebungswerk Hartz IV zeigen. Wo die PDS die regierende SPD
tolerierte (Sachsen-Anhalt), stagnierte ihr Stimmenanteil bei 20
Prozent; wo sie Regierungsverantwortung übernahm
(Mecklenburg-Vorpommern), fiel er gewaltig (um 8,0 Punkte auf 16,4
Prozent). Offenbar hatte sie die hochgespannten, weil
hochgezüchteten Erwartungen vieler ihrer Wähler nicht
erfüllt. Das ist ein Dilemma für die Partei wie für
die Konkurrenz: Ein starkes Wahlergebnis könnte zwar in die
Regierungsverantwortung führen, diese jedoch ein schwaches
Resultat hervorrufen. In den anderen vier Bundesländern, in
denen die PDS opponiert, ist sie jeweils die zweitstärkste
Kraft - in Thüringen fast, in Sachsen mehr als doppelt so
stark wie die SPD (und zwar schon seit 1999). Die PDS setzt ganz
stark auf die ostdeutsche Identität und will als "Ostpartei"
wahrgenommen werden.
Auch die Rechtsaußenparteien schneiden
im Osten angesichts mancher ökonomischer und sozialer
Verwerfungen mittlerweile besser als im Westen ab: Die Deutsche
Volksunion (DVU) kam 1998 in Sachsen-Anhalt aus dem Stand auf 12,9
Prozent der Stimmen, verschwand aber schnell wieder in der
Versenkung. In Brandenburg konnte diese Partei ihren Erfolg von
1999 (5,3 Prozent) jetzt mit 6,1 Prozent wiederholen. Der Triumph
einer in der Wolle gefärbten rechtsextremistischen
Organisation wie der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands
(NPD), die der SPD mit 9,2 Prozent den Platz als dritte Kraft in
Sachsen bald streitig gemacht hätte, darf nicht über den
folgenden Sachverhalt hinwegtäuschen: Rechtsextremistische
Parteien fahren ihre Erfolge vorwiegend mit Protest ein ("Schnauze
voll?"), geben sich kapitalismuskritisch, amerikafeindlich (nicht:
kommunismusfeindlich), votieren gegen die Globalisierung, treten
als "Rächer der Enterbten" auf, verstecken ihr
antidemokratisches Antlitz weitgehend, wiewohl sie
ausländerfeindliche Ressentiments erkennen lassen. Der Protest
findet in einem bestimmten (Unterschichten-)Milieu spezifische
Unterstützung. Nur bei einem kleinen Teil der
Wählerschaft besteht ein geschlossenes rechtsextremistisches
Weltbild. Während die DVU nirgendwo verwurzelt ist, existieren
bei der NPD Ansätze gesellschaftlicher Verankerung, etwa in
der Sächsischen Schweiz.
Werden die Postkommunisten durch die
Regierungsarbeit entzaubert, wobei die Zustimmungsquote noch immer
hoch bleibt, reichte bei den Rechtsextremisten dafür bis jetzt
bereits die parlamentarische (Un-)Tätigkeit. Insofern ist
Gelassenheit angebracht. Die Dämonisierung einer
rechtsextremistischen Partei dürfte diese nicht
schwächen, sondern stärken. PDS-Wähler sind eher
subjektive Vereinigungsverlierer, die von Rechtsaußenparteien
stärker objektiv Benachteiligte. Die einen besitzen in der
Gruppe der ältesten Wähler (ab 60 Jahre) ihre Hochburg,
die anderen in der Gruppe der jüngsten (18 bis 24 Jahre). 16
Prozent der 18- bis 24-jährigen haben 2004 in Sachsen NPD
gewählt. 1998 votierten in Sachsen-Anhalt gar 25,4 Prozent der
18- bis 24-jährigen für die DVU. Damit war sie die
stärkste Kraft in dieser Altersgruppe. Die formale Bildung des
PDS-Elektorats ist weitaus höher. Die Wählerschaft der
PDS ist sehr differenziert zusammengesetzt, ihre Motivation
gekennzeichnet "durch eine Mischung aus Ideologie, Nostalgie und
Protest" (Jürgen W. Falter/Markus Klein).
Ungefestigte Wählerschaft
Die Ausschläge gelten nicht nur für
die Kräfte am rechten Rand (am linken ist die
Wählerschaft gefestigter), sondern bei der nach wie vor
geringen Bindung auch für die großen Parteien. So gewann
die SPD 1994 in Brandenburg 15,9 Punkte hinzu und verlor fünf
Jahre später 14,8 Punkte (jeweils unter dem
Ministerpräsidenten Manfred Stolpe). Die CDU büßte
1998 in Sachsen-Anhalt 12,4 Punkte ein, erhöhte ihren Anteil
vier Jahre später aber um 15,3 Punkte (bei einem Minus von
15,9 Punkten für die SPD). Nun traf es die Sächsische
Union mit einem Verlust von 15,8 Punkten herb. Damit ist selbst das
Vorzeigeland des Ostens mit gepriesener politischer Stabilität
davon betroffen. Situative Faktoren sorgen für ein fluides
Meinungsklima. Personen spielen als Wahl beeinflussender Faktor bei
einer ungefestigten Parteienbindung eine große Rolle.
Häufig prägt die bundespolitische Konstellation das
Wahlverhalten in den neuen Bundesländern. So gingen die
schlechten Wahlergebnisse für die SPD bei den drei
Landtagswahlen 1999 auf den bundespolitischen Gegenwind nach
Bildung der rot-grünen Bundesregierung zurück. Die
Einbrüche der CDU in ihrem Stammland Sachsen und das
deprimierend niedrige Ergebnis für die SPD im Jahr 2004
erklären sich wesentlich - wie erwähnt - mit den
Protesten gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV. Wäre in
Sachsen drei Monate vorher und in Thüringen drei Monate
später gewählt worden, so hätte die CDU Sachsens
ihre absolute Mehrheit vermutlich behauptet, die CDU
Thüringens die ihrige dagegen nicht.
Die Parteien haben die Verpflichtung, im
Osten und im Westen des Landes keinen "geteilten Wahlkampf" zu
praktizieren. Diese Strategie liegt angesichts partiell
unterschiedlicher Interessenlagen nahe, fördert aber nicht
ihre Glaubwürdigkeit. So haben die Länder Brandenburg und
Sachsen im Bundesrat gegen die Hartz IV-Gesetze votiert. In den
neuen Bundesländern, mehr als in den alten, mehren sich die
Symptome für ein Anwachsen der Parteienverdrossenheit
(Rückgang der Zahl der Parteimitglieder; sinkende
Wahlbeteiligung; Verluste für die Volksparteien; Anwachsen
radikaler Kräfte; Gewinne für kleinere Gruppen
außerhalb des etablierten Politikbetriebes). Vor allem
schlägt die Unzufriedenheit mit der größten
Regierungspartei mitunter nicht positiv bei der größten
demokratischen Oppositionspartei des Landes zu Buche. Vereinfacht
ausgedrückt: Es profitiert nicht mehr die "Opposition im
System", sondern die "Opposition zum System".
Das Parteiensystem in den alten
Bundesländern ist zum Teil anders strukturiert als das
Dreiparteiensystem der neuen Länder. Den beiden großen
Parteien stehen zwei kleine gegenüber, die in der Regel in die
Parlamente gelangen. Die Grünen gehören jedem westlichen
Landesparlament an, die FDP nicht dem von Bayern und Hamburg.
Extremistische Parteien spielen seit Jahren keine Rolle. Die PDS
fasst nicht Fuß. Was ihr im Osten nützt, schadet ihr im
Westen: das Image als "Partei des Ostens". Die Parteiidentifikation
ist in den alten Bundesländern weiterhin größer,
auch wenn sie angesichts des Schrumpfens der Stammwählerschaft
(starkes Nachlassen der gewerkschaftlichen und der konfessionellen
Bindung, also wichtiger wahldeterminierender Faktoren)
beträchtlich bröckelt. Vielleicht nehmen die neuen
Bundesländer die Entwicklung im Westen vorweg.
Regierungsbildungen
Wir haben seit 1990 nicht nur
Einparteienregierungen der CDU und der SPD gehabt, sondern auch
eine große Koalitionsvielfalt: schwarz-rote, schwarz-gelbe,
rot-grüne, rot-rote Koalitionen, ferner eine "Ampel"-Koalition
sowie Minderheitsregierungen. Gleichwohl brach bis auf den
Sonderfall Brandenburg 1994 keine Regierung vorzeitig auseinander.
Ministerpräsident Stolpe hatte im März 1994 die
Zusammenarbeit mit dem "BürgerBündnis" aufgekündigt,
da dessen Fraktionsvorsitzender Günter Nooke Stolpes
Rücktritt wegen der Verwicklung in die Machenschaften der
Staatssicherheit gefordert hatte. Selbst in Brandenburg ließ
sich eine Neuwahl vermeiden, da die Minderheitsregierung bis zum
Ende der Legislaturperiode durchhielt.
Die CDU regierte in Sachsen von 1990 bis 2004
unangefochten, ehe sie nun eine Koalition mit der SPD eingehen
musste - ausgerechnet mit einer Partei, die hier mit 9,8 Prozent
der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis in einem Bundesland nach
1945 "eingefahren" hatte. Aber es gab keine angemessene Alternative
zu dieser "Koalition der Verlierer". Der Wechsel von Kurt
Biedenkopf zu Georg Milbradt im Jahre 2002 verlief alles andere als
reibungslos, und die damit verbundenen Verwerfungen dürften
neben dem lavierenden Kurs des Ministerpräsidenten Milbradt in
puncto Hartz IV das für die CDU enttäuschende Ergebnis
mit erklären. In Sachsen zogen diesmal gleich sechs Parteien
in das Landesparlament ein. Auch in Thüringen steht die CDU
gut da: Von 1990 bis 1994 koalierte sie mit der FDP, von 1994 bis
1999 mit der SPD; seither stellt sie allein die Regierung, zuerst
unter Bernhard Vogel, später unter Dieter Althaus. Brandenburg
ist das SPD-Pendant zu den beiden Freistaaten. Zunächst
amtierte SPD-Ministerpräsident Stolpe in einer
"Ampel"-Koalition mit der FDP und dem Bündnis 90, danach
(1994) in einer aus SPD und FDP bestehenden Minderheitsregierung,
später in einer Alleinregierung (1994-1999); seither gibt es
ein Bündnis mit dem Juniorpartner CDU, das von 1999-2004 eine
große Koalition war, jetzt jedoch nicht mehr diesen Namen
verdient, da die PDS über 8,6 Punkte mehr verfügt als die
dortige CDU. Komplizierter und wechselhafter sind die
Koalitionskonstellationen in Sachsen-Anhalt und
Mecklenburg-Vorpommern.
Sachsen-Anhalt hatte zwischen 1990 und 1994
eine schwarz-gelbe Koalition unter drei Ministerpräsidenten
der CDU. Neben Gerd Gies waren dies Werner Münch und Christoph
Bergner. 1994 bildete Reinhard Höppner mit den Grünen
eine Minderheitsregierung, toleriert von der PDS ("Magdeburger
Modell"). Vier Jahre später tolerierte die PDS erneut die
Regierung, eine Minderheitsregierung der SPD. Kritiker
bemängelten ein solches Tolerierungsmodell, während die
Anhänger eine von einer anderen Partei tolerierte
Minderheitsregierung zu den legitimen Spielregeln der Demokratien
rechneten. Im Jahre 2002 löste eine schwarz-gelbe Koalition
unter Ministerpräsident Wolfgang Böhmer die SPD von der
Regierung ab. Auch Teile der SPD waren von dem "Magdeburger Modell"
nicht sonderlich angetan.
In Mecklenburg-Vorpommern ging die CDU in der
ersten Legislaturperiode eine Koalition mit der FDP ein
(zunächst unter Alfred Gomolka, später unter Berndt
Seite). Berndt Seite war auch der Ministerpräsident der
großen Koalition mit der SPD zwischen 1994 und 1998. 1998
bildete die SPD unter Harald Ringstorff mit der PDS eine rot-rote
Koalition. Deren Anhänger sprachen vom "Schweriner Modell".
Sie erfuhr im Jahre 2002 eine Fortsetzung und funktioniert
leidlich.
Heute kennen wir drei der ersten fünf
Ministerpräsidenten kaum noch. Die CDU-Politiker, die aus dem
Osten stammten, mussten teils wegen Überforderung, teils wegen
Affären vorzeitig zurücktreten: Gerd Gies in
Sachsen-Anhalt 1991, Alfred Gomolka in Mecklenburg-Vorpommern 1992
und Josef Duchac im gleichen Jahr in Thüringen. Mit Matthias
Platzeck und Dieter Althaus haben sich zwei
Ministerpräsidenten als "Eigengewächse" ihres Landes gut
profiliert und sich unter schwierigen Bedingungen bei den
Landtagswahlen behauptet. Die Emanzipation von ihren
"Ziehvätern" Stolpe und Vogel ist ihnen gelungen. Die Zeit
für westdeutsche Importe dürfte vorbei sein. Das ist ein
Zeichen der Normalisierung - und erfreulich. Dass im
sächsischen Freistaat, eine der Hochburgen der friedlichen
Revolution vor 15 Jahren, keiner der Protagonisten der damaligen
Zeit mehr dem Kabinett angehört, ist weniger
erfreulich.
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