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Alva Gehrmann
Gute Satire entsteht im Kopf der Zuschauer
Politische Satire gibt es noch. Aber
Kabarettisten haben von den Politikern Konkurrenz
bekommen
Früher war alles einfacher. Da gab es
wortgewaltige Politiker wie Franz Josef Strauß und Herbert
Wehner, gerade mal drei Fernsehprogramme und ein paar
Kabarettisten, die mit mahnendem Gestus den Politikern kritisch auf
die Finger schauten. Kabarettisten sorgten für den
Bildungsauftrag zum Lachen. Und wenn sie mal so richtig mit ihrer
politischen Satire loslegten, konnten sie leicht einen Skandal
auslösen. Dieter Hildebrandt schaffte es in den 80er-Jahren
mit seinem "Scheibenwischer" sogar, dass der Bayerische Rundfunk
einige Sendungen nicht ausstrahlte oder die Übertragung
abbrach, weil den Verantwortlichen der Umgang mit Themen wie
Tschernobyl und Bundeswehr nicht passte.
Davon können die Kabarettisten von heute
nur noch träumen. Zwar findet politische Satire im deutschen
Fernsehen noch statt - wöchentlich bei "extra 3" und einmal im
Monat auf verschiedenen Dritten Programmen, zum Beispiel im WDR mit
den "Mitternachtsspitzen", - doch für Skandale sorgen sie
schon lange nicht mehr. Das deutsche Kabarett ist mit Dieter
Hildebrandt älter geworden. Der 77-Jährige hat sich
vergangenes Jahr nach 23 Jahren vom "Scheibenwischer"
verabschiedet, heute führen unter anderem Bruno Jonas und
Mathias Richling die Sendung weiter.
Die Kabarettisten haben Konkurrenz bekommen:
durch die Politiker selbst. "Das, was Politiker heute manchmal
abliefern, ist Realsatire. Das hätte sich auch Dieter
Hildebrandt nicht ausdenken können", sagt Dieter Wiedemann,
Medienwissenschaftler von der Hochschule für Film- und
Fernsehen "Konrad Wolf". Sei es Scharping, der sich für die
"Bunte" mit seiner Freundin im Pool vergnügt; Guido
Westerwelle, der ins "Big Brother"-Haus geht. Oder, nicht zu
vergessen Friedrich Merz, der stolz verkündet, dass er mal ein
Mofa-Rowdy war.
Die Politiker werden alberner, sie
inszenieren sich anders als noch in den 60er-Jahren. Früher
war Politik bitterernst, die Demokratie noch jung und musste
verteidigt werden - die Kabarettisten sahen das als ihre Aufgabe
an, waren das politische Gewissen der Nation. Inzwischen ist die
Demokratie etabliert, der erhobene Zeigefinger out. Die
Kabarettisten von heute passen sich der neuen Politikergeneration
an, achten mehr aufs Äußere. Das Lieblingsopfer ist
derzeit Angela Merkel: Mit der Frisur sind sie durch, nun bieten
die hängenden Mundwinkel eine ideale Vorlage. "Jetzt weiß
man wenigstens, wofür sie ihre Strapse verwendet", kommentiert
etwa Kabarettist Richling.
Was hat das noch mit politischer Satire zu
tun? Sollte es da nicht eigentlich um die Politik der CDU-Chefin
gehen? Sollten nicht Missstände ironisch aufgedeckt werden?
Medienwissenschaftler Wiedemann findet, dass der "Scheibenwischer"
sich verändert hat - und es heute teilweise geschmackloser
zugeht. Mathias Richling ist immer noch ein Kabarettist, macht
durchaus gute und bitterböse Witze über die Politik
selbst, aber er bedient sich auch der Comedy-Mittel. In der Comedy
ist alles ein Thema: Hauptsache, es gibt eine Pointe.
Der Comedyboom bei den Privatsendern ist eine
weitere Konkurrenz zur politischen Satire. Und es gibt
Kabarettisten, die dort ihre Zukunft sehen: Jochen Busse zum
Beispiel. Er ging als einer der ersten zu den Privaten.
Ausgerechnet der Mann, der in den 80er- Jahren Ensemble-Mitglied
der "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" war und durch
etliche Städte und Dörfer tourte. In Zeiten, als es noch
zum guten Ton gehörte, in eine Kabarett-Vorstellung zu gehen
und sich regelmäßig "Scheibenwischer"
anzusehen.
Genau dieser Mann präsentiert seit 1996
bei RTL die Sendung "7 Tage, 7 Köpfe". Gemeinsam mit Rudi
Carrell baute er den "witzigen Wochenrückblick" auf, der auch
durchaus politische Themen aufgreifen sollte. 250 Sendungen
später ist Jochen Busse ein kauziger, alter Mann geworden, und
seine Crew - zu der Mike Krüger, Gaby Köster und Bernd
Stelter zählen - liefert Woche für Woche Pointen aus der
Schenkelklopferwitze-Fraktion. Stelter liest Witze vom Blatt ab,
Köster plustert sich ein paar Mal auf, und Mike Krüger
wird irgendwann auf seine Nase angesprochen.
Mit politischer Satire hat das nichts zu tun,
soll es aber auch nicht. Comedy hat ihre eigene Sprache. Und genau
mit dieser Sprache entdeckt die Branche mittlerweile politische
Themen: etwa Stefan Raab in seiner Sendung "TV total" (Pro7). Als
die NPD und DVU bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg
so erfolgreich waren, fragte sich Raab, ob es nicht langsam wieder
Zeit für einen antifaschistischen Schutzwall sei.
"Comedy wird politischer", bestätigt
auch Comedy-Experte Thomas Hermanns. Seit Jahren fördert der
Moderator und Chef des "Quatsch Comedy Club" den humoristischen
Nachwuchs. Bei Michael Mittermeiers aktuellem Programm "Paranoid"
führte er Regie. Darin macht der Comedian etliche Witze
über Edmund Stoiber, Roland Koch und natürlich Angela
Merkel. "Mittermeier geht dabei aber anders heran als ein
Kabarettist", sagt Thomas Hermanns.
Der Comedy-Experte beschreibt den Unterschied
so: "Der Kabarettist sagt ?Was der Herr Schröder (und alle
Politiker) da in Berlin so tun...'. Mittermeiers Herangehensweise
an Gerhard Schröder aber ist eher die eines enttäuschten
Kindes der 70er und 80er." In Witzen ausgedrückt klingt das
wie folgt: Mittermeier beschwert sich, dass die SPD das Land so
regiert, wie "unsere Eltern uns immer gewarnt haben". Die sagten
damals: "Die Roten können nicht mit Geld umgehen, die Roten
werden das Land ruinieren." Mittermeiers enttäuschte Reaktion
darauf ist: "Und ich bin schon deshalb sauer auf den Schröder,
weil ich nicht mehr weiß, was ich zu meinem Vater sagen
soll."
Comedy und Kabarett nähern sich an. Den
Weg dafür bereitete Harald Schmidt mit seiner Late Night Show.
Schmidt, der bei Lore Lorentz im Düsseldorfer
"Kom(m)ödchen" mehrere Jahre als Kabarettist auf der
Bühne stand, sorgte für Aufsehen, weil er in der "Harald
Schmidt Show" (Sat1) Polenwitze erzählte. Kritiker waren
entrüstet, wie man ein Volk so denunzieren könne, Schmidt
störte das nicht. Provokation und Tabubrüche waren und
sind sein Stilmittel, so wie es die politische Satire schon immer
gemacht hat.
Trotzdem wurden Harald Schmidts Pointen mit
der Zeit niveauvoller. Er war in seiner Show ironisch, sarkastisch
und hatte die Souveränität, so vor die Kameras zu treten
als verstehe er die Welt, als wisse er auf alles eine Antwort.
Dadurch übernahm die "Harald Schmidt Show" eine ähnliche
Funktion, wie in den 60er und 70er-Jahren die Kabarettprogramme.
Der Entertainer macht derzeit eine "kreative Pause", doch ab 23.
Dezember kommt er zurück, mit einer neuen Late Night Show in
der ARD.
Was also ist eine gute politische Satire?
"Gute Satire entsteht im Kopf der Zuschauer", sagt Dieter
Wiedemann. Transportiert wird sie durch Schmidts zynische
Anmerkungen, Hildebrandts Stilmittel der unvollendeten Sätze
oder in den 90er-Jahren durch die geballte Ladung an Pointen in
Friedrich Küppersbuschs Moderationen für "ZAK". Für
den Zuschauer war es stets eine Herausforderung, so viele Spitzen
und Pointen wie möglich zu erfassen. "ZAK" gibt es nicht
mehr.
Geblieben ist "extra 3" - das Satiremagazin
des NDR. "Extra 3" ist seit über 28 Jahren auf Sendung, nur
wenig älter ist der derzeitige Moderator Thomas Pommer. Der
31-Jährige arbeitet - ganz im Stil von Küppersbusch - in
seinen Moderationen mit etlichen Wortspielen. So redet er vom
"gehessischen Deutschen Roland Koch" oder von "Saarlands Peter und
der böse Wulff aus Niedersachsen". In einer anderen Sendung
stellt er fest: "Es gibt Hitlers Helfer, Hitlers Frauen - langsam
werden die Themen aber Knopp". Um den Witz zu verstehen, muss der
Zuschauer Guido Knopp, den Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte,
kennen. "Politische Satire setzt eben politisches Wissen voraus",
sagt Thomas Pommer. Das haben nicht mehr so viele. Es sind vor
allem die Über-50-Jährigen, die sich politische Satire im
Fernsehen ansehen.
Auch wenn bei Formaten wie "extra 3"
Vorwissen verlangt wird, so sollte ein tiefsinniger Witz nicht
weniger komisch sein, sagt Thomas Pommer. Politische Satire
dürfe nicht arrogant und überheblich daherkommen.
"Trotzdem muss ein politischer Witz auch eine zweite Ebene haben",
sagt er. Das sei der Unterschied zur Comedy, wo es nur eine Ebene
gibt: etwa, wenn sich jemand über Angela Merkels Frisur lustig
macht.
Dass die Genres Kabarett und Comedy
verschwimmen, konnte man auch beim diesjährigen Deutschen
Fernsehpreis sehen. Da war "Scheibenwischer" in der Kategorie "Best
Comedy" nominiert. Gewonnen hat schließlich "Dittsche - Das
wirklich wahre Leben", eine WDR-Sendung, in der Comedian Olli
Dittrich in die Rolle des arbeitslosen Hamburgers Dittsche
schlüpft. Der plaudert im Pyjama und bei mehreren Bier am
Tresen, wie er die Sache mit Hartz IV und Karstadt sieht. Dittsche
ist der Prototyp des kleinen Mannes, der auf seine eigene, skurrile
und manchmal traurige Art aktuelle Themen reflektiert. Die
Gespräche sind improvisiert, es gibt kein Drehbuch und
gesendet wird jede Woche live aus einer Hamburger Imbissbude.
Vielleicht ist das die neue Form des deutschen
Kabaretts.
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