Elysée-Vertrag 1963
Der Elysée-Vertrag - Wortlaut der Gemeinsamen Erklärung und des Vertrages über die deutsch-französische Zusammenarbeit, 22. Januar 1963
Gemeinsame Erklärung
Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Dr.Konrad
Adenauer, und der Präsident der Französischen Republik,
General de Gaulle, haben sich
- zum Abschluß der Konferenz vom 21. und 22. Januar 1963 in
Paris, an der auf deutscher Seite der Bundesminister des
Auswärtigen, der Bundesminister der Verteidigung und der
Bundesminister für Familien- und Jugendfragen; auf
französischer Seite der Premierminister, der
Außenminister, der Armeeminister und der Erziehungsminister
teilgenommen haben,
- in der Überzeugung, daß die Versöhnung zwischen
dem deutschen und dem französischen Volk, die eine
Jahrhunderte alte Rivalität beendet, ein geschichtliches
Ereignis darstellt, das das Verhältnis der beiden Völker
zueinander von Grund auf neu gestaltet,
- in dem Bewußtsein, daß eine enge Solidarität die
beiden Völker sowohl hinsichtlich ihrer Sicherheit als auch
hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung
miteinander verbindet,
- angesichts der Tatsache, daß insbesondere die Jugend sich
dieser Solidarität bewußt geworden ist, und daß
ihr eine entscheidende Rolle bei der Festigung der
deutsch-französischen Freundschaft zukommt,
- in der Erkenntnis, daß die Verstärkung der
Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern einen
unerläßlichen Schritt auf dem Wege zu dem vereinigten
Europa bedeutet, welches Ziel beider Völker ist, mit der
Organisation und den Grundsätzen der Zusammenarbeit zwischen
den beiden Staaten, wie sie in dem heute unterzeichneten Vertrag
niedergelegt sind, einverstanden erklärt. Geschehen zu Paris
am 22. Januar 1963 in zwei Unterschriften in deutscher und
französischer Sprache.
Der Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland:
Adenauer
Der Präsident
der Französischen Republik:
C. de Gaulle
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Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit
Im Anschluß an die Gemeinsame Erkärung des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland und des Präsidenten der Französischen Republik vom 22. Januar 1963 über die Organisation und die Grundsätze der Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten wurden die folgenden Bestimmungen vereinbart:
I. Organisation
1. Die Staats- und Regierungschefs geben nach Bedarf die erforderlichen Weisungen und verfolgen laufend die Ausführung des im folgenden festgelegten Programms. Sie treten zu diesem Zweck zusammen, sooft es erforderlich ist und grundsätzlich mindestens zweimal jährlich.
2. Die Außenminister tragen für die Ausführung des Programms in seiner Gesamtheit Sorge. Sie treten mindestens alle drei Monate zusammen. Unbeschadet der normalen Kontakte über die Botschaften treten diejenigen leitenden Beamten der beiden Außenministerien, denen die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten obliegen, allmonatlich abwechselnd in Bonn und Paris zusammen, um den Stand der vorliegenden Fragen festzustellen und die Zusammenkunft der Minister vorzubereiten. Ferner nehmen die diplomatischen Vertretungen und die Konsulate der beiden Staaten sowie ihre ständigen Vertretungen bei den internationalen Organisationen die notwendige Verbindung in den Fragen gemeinsamen Interesses auf.
3. Zwischen den zuständigen Behörden beider Staaten
finden regelmäßige Zusammenkünfte auf den Gebieten
der Verteidigung, der Erziehung und der Jugendfragen statt. Sie
beeinträchtigen in keiner Weise die Tätigkeit der bereits
bestehenden Organe - Deutsch-Französische Kulturkommission,
Ständige Gruppe der Generalstäbe -, deren Tätigkeit
vielmehr erweitert wird. Die Außenminister sind bei diesen
Zusammenkünften vertreten, um die Gesamtkoordinierung der
Zusammenarbeit zu gewährleisten.
a) Der Verteidigungs- und der Armeeminister treten wenigstens
einmal alle drei Monate zusammen. Ferner trifft sich der
französische Erziehungsminister in den gleichen
Zeitabständen mit derjenigen Persönlichkeit, die auf
deutscher Seite benannt wird, um die Ausführung des Programms
der Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet zu verfolgen.
b) Die Generalstabschefs beider Staaten treten wenigstens einmal
alle zwei Monate zusammen; im Verhinderungsfalle werden sie durch
ihre verantwortlichen Vertreter ersetzt.
c) Der Bundesminister für Familien- und Jugendfragen oder sein
Vertreter trifft sich wenigstens einmal alle zwei Monate mit dem
französischen Hohen Kommissar für Jugend und Sport.
4. In jedem der beiden Staaten wird eine interministerielle Kommission beauftragt, die Fragen der Zusammenarbeit zu verfolgen. In dieser Kommission, der Vertreter aller beteiligten Ministerien angehören, führt ein hoher Beamter des Außenministeriums den Vorsitz. Ihre Aufgabe besteht darin, das Vorgehen der beteiligten Ministerien zu koordinieren und in regelmäßigen Abständen ihrer Regierung einen Bericht über den Stand der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu erstatten. Die Kommission hat ferner die Aufgabe, zweckmäßige Anregungen für die Ausführung des Programms der Zusammenarbeit und dessen etwaige Ausdehnung auf neue Gebiete zu geben.
II. Programm
A. Auswärtige Angelegenheiten
1. Die beiden Regierungen konsultieren sich vor jeder Entscheidung
in allen wichtigen Fragen der Außenpolitik und in erster
Linie in den Fragen von gemeinsamen Interesse, um so weit wie
möglich zu einer gleichgerichteten Haltung zu gelangen. Diese
Konsultation betrifft unter anderem folgende
Gegenstände:
- Fragen der Europäischen Gemeinschaften und der
europäischen politischen Zusammenarbeit:
- Ost-West-Beziehungen sowohl im politschen als auch im
wirtschaftlichen Bereich;
- Angelegenheiten, die in der Nordatlantikvertragsorganisation und
in den verschiedenen internationalen Organisationen behandelt
werden und an denen die beiden Regierungen interessiert sind,
insbesondere im Europarat, in der Westeuropäischen Union, in
der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, in den Vereinten Nationen und ihren
Sonderorganisationen.
2. Die auf dem Gebiet des Informationswesens bereits bestehende Zusammenarbeit wird zwischen den beteiligten Dienststellen in Bonn und Paris und zwischen den Vertretungen in Drittstaaten fortgeführt und ausgebaut.
3. Hinsichtlich der Entwicklungshilfe stellen die beiden Regierungen ihre Programme einander systematisch gegenüber, um dauernd eine enge Koodinierung durchzuführen. Sie prüfen die Möglichkeit, Vorhaben gemeinsam in Angriff zu nehmen. Da sowohl auf deutscher als auch auf französischer Seite mehrere Ministerien für diese Angelegenheiten zuständig sind, wird es Sache der beiden Außenministerien sein, die praktischen Grundlagen dieser Zusammenarbeit festzulegen.
4. Die beiden Regierungen prüfen gemeinsam die Mittel und Wege dazu, ihre Zusammenarbeit im Rahmen des Gemeinsamen Marktes in anderen wichtigen Bereichen der Wirtschaftspolitik, zum Beispiel der Land- und Forstwirtschaftspolitik, der Energiepolitik, der Verkehrs- und Transportfragen, der industriellen Entwicklung ebenso wie der Ausfuhrkreditpolitik, zu verstärken.
B. Verteidigung
I. Auf diesem Gebiet werden nachstehende Ziele verfolgt:
1. Auf dem Gebiet der Strategie und der Taktik bemühen sich
die zuständigen Stellen beider Länder, ihre Auffassungen
einander anzunähern, um zu gemeinsamen Konzeptionen zu
gelangen. Es werden deutsch-französische Institute für
operative Forschung errichtet.
2. Der Personalaustausch zwischen den Streitkräften wird verstärkt; er betrifft insbesondere die Lehrkräfte und Schüler der Generalstabsschulen; der Austausch kann sich auf die zeitweilige Abordnung ganzer Einheiten erstrecken. Zur Erleichterung dieses Austausches werden beide Seiten um den praktischen Sprachunterricht für das in Betracht kommende Personal bemüht sein.
3. Auf dem Gebiet der Rüstung bemühen sich die beiden
Regierungen, eine Gemeinschaftsarbeit vom Stadium der Ausarbeitung
geeigneter Rüstungsvorhaben und der Vorbereitung der
Finanzierungspläne an zu organisieren.
Zu diesem Zweck untersuchen gemischte Kommissionen die in beiden
Ländern hierfür betriebenen Forschungsvorhaben und nehmen
eine vergleichende Prüfung vor. Sie unterbreiten den Ministern
Vorschläge, die diese bei ihren dreimonatlichen
Zusammenkünften prüfen und zu deren Ausführung sie
die notwendigen Richtlinien geben.
II. Die Regierungen prüfen die Voraussetzungen, unter denen
eine deutsch-französische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des
zivilen Bevölkerungsschutzes hergestellt werden kann.
C. Erziehungs- und Jugendfragen
Auf dem Gebiet des Erziehungswesens und der Jugendfragen werden die
Vorschläge, die in den französischen und deutschen
Memoranden vom 19. September und 8. November 1962 enthalten sind,
nach dem obenerwähnten Verfahren einer Prüfung
unterzogen.
1. Auf dem Gebiet des Erziehungswesens richten sich die
Bemühungen hauptsächlich auf folgende Punkte:
a) Sprachunterricht
Die beiden Regierungen erkennen die wesentliche Bedeutung an, die
der Kenntnis der Sprache des anderen in jedem der beiden
Länder für die deutsch-französische Zusammenarbeit
zukommt. Zu diesem Zweck werden sie sich bemühen, konkrete
Maßnahmen zu ergreifen, um die Zahl der deutschen
Schüler, die Französisch lernen, und die der
französischen Schüler, die Deutsch lernen, zu
erhöhen.
Die Bundesregierung wird in Verbindung mit den
Länderregierungen, die hierfür zuständig sind,
prüfen, wie es möglich ist, eine Regelung
einzuführen, die es gestattet, dieses Ziel zu erreichen.
Es erscheint angebracht, an allen Hochschulen in Deutschland einen
für alle Studierenden zugänglichen praktischen Unterricht
in der französischen Sprache und in Frankreich einen solchen
in der deutschen Sprache einzurichten.
b) Frage der Gleichwertigkeit der Diplome
Die zuständigen Behörden beider Staaten sollen gebeten
werden, beschleunigt Bestimmungen über die Gleichwertigkeit
der Schulzeiten, der Prüfungen, der Hochschultitel und
-diplome zu erlassen.
c) Zusammenarbeit auf dem Gebiet der wissenschafltichen
Forschung
Die Forschungsstellen und wissenschaftlichen Institute bauen ihre
Verbindungen untereinander aus, wobei sie mit einer
gründlicheren gegenseitigen Unterrichtung beginnen;
vereinbarte Forschungsprogramme werden in den Disziplinen
aufgestellt, in denen sich dies als möglich erweist.
2. Der deutschen und französischen Jugend sollen alle
Möglichkeiten geboten werden, um die Bande, die zwischen ihnen
bestehen, enger zu gestalten und ihr Verständnis
füreinander zu vertiefen. Insbesondere wird der
Gruppenaustausch weiter ausgebaut.
Es wird ein Austausch- und Förderungswerk der beiden
Länder errichtet, an dessen Spitze ein unabhängiges
Kuratorium steht. Diesem Werk wird ein deutsch-französischer
Gemeinschaftsfonds zur Verfügung gestellt, der der Begegnung
und dem Austausch von Schülern, Studenten, jungen Handwerkern
und jungen Arbeitern zwischen beiden Ländern dient.
III. Schlußbestimmungen
1. In beiden Ländern werden die erforderlichen Anordnungen zur unverzüglichen Verwirklichung des Vorstehenden getroffen. Die Außenminister stellen bei jeder ihrer Zusammenkünfte fest, welche Fortschritte erzielt worden sind.
2. Die beiden Regierungen werden die Regierungen der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Entwicklung der deutsch-französischen Zusammenarbeit laufend unterrichtet halten.
3. Dieser Vertrag gilt mit Ausnahme der die Verteidigung betreffenden Bestimmungen auch für das Land Berlin, sofern nicht die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Regierung der Französischen Republik innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Vertrages eine gegenteilige Erklärung abgibt.
4. Die beiden Regierungen können die Anpassungen vornehmen, die sich zur Ausführung dieses Vertrages als wünschenswert erweisen.
5. Dieser Vertrag tritt in Kraft, sobald jeder der beiden
Vertragschließenden dem anderen mitgeteilt hat, daß die
dazu erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen erfüllt
sind.
Geschehen zu Paris am 22. Januar 1963 in zwei Urschriften, jede in
deutscher und französischer Sprache, wobei jeder Wortlauf
gleichermaßen verbindlich ist.
Quelle: BGBl., 1963, II. S. 705-710