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Debatte
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Wortlaut der Reden

Dr. Horst Ehmke (Bonn), SPD Peter Kittelmann, CDU/CSU >>

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir tauschen hier Argumente auf zwei Ebenen aus, einmal praktische Argumente. Ich glaube, in diesen Argumenten -- Sozialpolitik, Wohnungspolitik, Strukturpolitik, Finanzpolitik -- spricht alles für Bonn. Das hat diese Debatte noch einmal gezeigt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU -- Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Nichts da! Bei der Sozialpolitik schon gar nicht!)

Ich halte es auch geradezu für aberwitzig, in der kritischen Situation, in der wir heute in Deutschland mit der Krise in den fünf neuen Ländern stehen, einen zehn- bis zwölfjährigen Umzug zu planen, der die Effektivität von Parlament und Regierung schwer beeinträchtigen muß. Ich halte das nicht für vertretbar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Aber ich will mich zwei Argumenten auf der anderen Ebene widmen, zunächst dem Argument der Glaubwürdigkeit. Peter Glotz hat mit Recht gesagt, daß die Berlin-Befürworter da leicht ins Moralisieren kommen, weil, wie ich glaube, dieses Argument auf sehr schwachen Füßen steht.

Zunächst einmal ist Glaubwürdigkeit eine personale Kategorie. Es gibt aber kaum noch jemanden hier im Hause, der am 49er Beschluß mitgewirkt hat. In unserer Fraktion ist es allein Willy Brandt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist der nicht glaubwürdig?)

Die Mehrheit der Kollegen in diesem Hause ist in den 80er Jahren gekommen. Wenn sie sich mit Berlin zu beschäftigen hatte, dann nicht mit der Hauptstadtfrage, sondern mit der Finanzierung West-Berlins und mit der Sicherung des Viermächtestatus von ganz Berlin.

Nun gebe ich gerne zu, es gibt auch einen institutionellen Aspekt: Wie ist es mit dem Parlament? Ganz sicher gilt auch hier -- ich hoffe, die Berliner stimmen mir da zu --, daß, wenn wir heute abend entscheiden, jeder diese Entscheidung zu respektieren hat. Nur, niemand entscheidet für die Ewigkeit.

Das Glaubwürdigkeitsargument ist darum so schwach, weil zwei Fragen eng zusammenhängen. Wir, alle Parteien gemeinsam, waren damals der Meinung, es sollte das Ziel deutscher Politik sein, Deutschland in den Grenzen von 1937 wiederherzustellen, mit Berlin als Hauptstadt in der Mitte.

Dann haben wir in einem schmerzlichen Prozeß, der erst jetzt zu Ende gegangen ist, erkennen müssen, daß es keinen Frieden in Europa und keine Einheit der Deutschen ohne die Anerkennung der polnischen Westgrenze geben kann.

Nun soll mir keiner sagen, es sei glaubwürdig, in dieser schwierigen Frage, die einen großen Teil des Territoriums des früheren deutschen Reiches betrifft, die Meinung zu ändern, aber in der Hauptstadtfrage sei es das nicht, obwohl doch die Hauptstadt heute nicht mehr in der Mitte Deutschlands, sondern 60 km von der polnischen Westgrenze entfernt liegt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU -- Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Hauptstadt ist dort möglich! -- Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Ehmke, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. -- Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Debatte kommen sehr viele Kolleginnen und Kollegen zu Wort. Das bedeutet auch, daß fast jeder, der sich gemeldet hat, die Möglichkeit hat, seine Meinung am Rednerpult oder vom Saalmikrophon aus zu äußern. Deshalb finde ich es in dieser Debatte auch mit Blick auf den Gegenstand nicht so gut, wenn die Zwischenrufe allzu heftig und allzu laut werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Horst Ehmke (Bonn) (SPD): Das zweite, was sich seit 1949 geändert hat, ist die europäische Entwicklung. Sie hatte damals noch gar nicht begonnen. Wenn wir im nächsten Jahr den Binnenmarkt bekommen, werden über 75 % der Wirtschaftsgesetzgebung in der Hand von Europa liegen. Von Nationalstaat und nationaler Hauptstadt kann da kaum noch gesprochen werden. Wir befinden uns in dem Prozeß einer großen europäischen Wandlung.

Darum sage ich noch einmal: Wer jetzt glaubt, uns trotz der völlig geänderten Situation vorwerfen zu dürfen, daß wir auch in dieser Frage unsere Meinung geändert haben, der hat nur sehr schwache Argumente auf seiner Seite.

(Heinz Koschnick [SPD]: Aber Herr Professor!)

Ich sage als zweites: Der Einigungsvertrag hat die Konsequenzen daraus gezogen. Er sagt aus: So wie die Lage ist, kann es eine Teilung zwischen der Hauptstadt einerseits und dem Parlaments- und Regierungssitz andererseits geben.

Ich muß sagen -- das richte ich auch an meinen väterlichen Freund Willy Brandt --: Wer vor noch nicht einem Jahr für den Einigungsvertrag gestimmt hat und jetzt sagt, der sei mit heißer Nadel genäht oder man sei über den Tisch gezogen worden, der ist für mich nicht sehr glaubwürdig. Ich stehe zu dem, was wir im Einigungsvertrag beschlossen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Zum zweiten Problem der deutschen Identität. Ich liebe dieses Wort nicht besonders, weil es auf die Kategorien von Vergangenheit und Geschlossenheit rekurriert. Ich rede lieber von Selbstverständnis. Die Deutschen sind ja nicht seit Hermann dem Cherusker ein- und dieselben geblieben. Es kommt vielmehr darauf an, um das politische Selbstverständnis eines Volkes immer neu zu ringen. Das müssen wir auch im vereinten Deutschland tun. Dabei haben wir das Problem -- das hat uns Herr Kollege Thierse immer wieder vorgeführt --, daß wir zwei sehr verschiedene Befindlichkeiten hüben und drüben haben.

Ich respektiere das, was über die zum Teil verzweifelte Situation der Menschen in den neuen Ländern gesagt wird. Aber ich möchte den Kollegen aus den neuen Ländern auch sagen: Es gibt ebenfalls eine Befindlichkeit der Menschen in Westdeutschland, und diese Befindlichkeit darf man nicht mißachten; denn man braucht diese Menschen, wenn die deutsche Einheit klappen soll.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Die Menschen in Westdeutschland sind zu Opfern bereit, obgleich man mit ihrer Opferbereitschaft nicht gut umgegangen ist. Aber sie sind nicht bereit, Opfer für den Ausbau von zwei Hauptstädten und für den Umzug von einer in die andere zu erbringen. Ferner sind sie stolz auf das, was wir in den 40 Jahren Bonner Demokratie geleistet haben.

Darum sage ich Ihnen zum Schluß: Unser Maßstab ist der gleiche, nämlich: Wie können wir die deutsche Einheit fördern? Aber wer Bonn aus der politischen Geographie und Geschichte dieses Landes streicht, der wird nicht neue Einheit gewinnen, sondern alte Zwietracht wecken. Darum bitte ich Sie sehr herzlich, unserem Antrag auf eine bundesstaatliche Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin zuzustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Vizepräsident Hans Klein: Herr Abgeordneter Peter Kittelmann, Sie haben das Wort.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_045
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