Wortlaut der Reden
Eckart Kuhlwein, SPD | Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU >> |
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten Tagen ist oft darüber gespottet worden, ob der Bundestag denn nichts Wichtigeres zu tun hätte, als immer neue Varianten zu dem Thema zu suchen, wo denn der künftige politische Mittelpunkt des vereinigten Deutschlands sein solle. Ich habe auch Verständnis für diese kritischen Bemerkungen; denn die Klimakatastrophe wird sich wenig darum kümmern, ob halbherzige deutsche Initiativen ihren Herkunftsort in Bonn oder in Berlin haben. Und dennoch: Die Frage nach der wirklichen Hauptstadt ist keine Kleinigkeit. Das Umfeld, in dem Politik gemacht wird, bleibt nicht ohne Einfluß auf die Entscheidungen der Politik. Konrad Adenauer hat nicht umsonst Bonn zur Hauptstadt einer rheinisch-westeuropäisch orientierten Politik gemacht, (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Im geteilten Deutschland!) die zweifellos ihre Verdienste, aber auch ihre Begrenzungen hatte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Bündnisses 90/GRÜNE sowie des Abg. Jochen Feilcke [CDU/CSU]) Ich möchte, weil das heute von vielen Bonn-Befürwortern gesagt worden ist, gegen den neuen Mythos angehen, als hätte die deutsche Politik in 40 Jahren in diesem kleinen Bonn die beste aller Welten geschaffen, als hätte es hier in dieser Politik niemals Restauration, Reformstau, Skandale, Intoleranz und Spießertum gegeben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE) Bonn war eben nicht nur Adenauers Westpolitik und Willy Brandts Ostpolitik, sondern Bonn war auch »Spiegel«-Affäre, Notstandsgesetze, Radikalen-Erlaß, Kernenergieausbau und Nachrüstung. Ich will auch nicht in Vergessenheit geraten lassen, was mir gelegentlich widerfahren ist, wenn ich von Studenten gebeten wurde, vom Rektor der Universität die Genehmigung zu erhalten, daß im Hofgarten eine Demonstration stattfinden könne, daß es nämlich langer Bemühungen bedurfte, diesen Rektor zu bewegen, der eben nicht, wie das in Berlin üblich ist, gesagt hat: Demonstration ist ein Lebenselixir auch für die Demokratie, sondern der gesagt hat: Das stört unseren Bonner Frieden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Bündnisses 90/GRÜNE sowie des Abg. Dr. Franz Möller [CDU/CSU]) Das vereinigte Deutschland -- da haben sich die Herausforderungen gegenüber den letzten 40 Jahren verändert -- muß eine Brücke zwischen Westen und Osten bilden. Es gibt keine Stadt in Deutschland, die besser als Katalysator im Prozeß der europäischen Vereinigung wirken könnte als Berlin. Das, meine Damen und Herren, ist für mich die außenpolitische Begründung, für Berlin zu stimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE) An die Adresse der Jüngeren: Dies ist kein rückwärts gewandtes, nur historisches Argument. Dies ist vielmehr ein Argument, das weit in die Zukunft reicht. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber in die falsche Richtung!) Innenpolitische Gründe sind heute schon viele genannt worden. Lassen Sie mich eine These noch einmal besonders unterstreichen: Nach der politischen Einheit müssen wir nicht nur die soziale, sondern auch die kulturelle Einheit erst wieder herstellen. Das wird vom sicheren Bonner Hafen aus sehr viel schwieriger werden als mitten im Umbruch der neuen Länder in Berlin. Die Menschen in den neuen Ländern werden uns nicht glauben, daß wir sie und ihre Geschichte in die Gestaltung der neuen Gesellschaft einbeziehen wollen, wenn wir nicht bereit sind, dort Politik zu machen, wo die kulturelle Kluft, wo die Irrungen und Widersprüche der jüngeren deutschen Geschichte am schmerzlichsten erfahrbar sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nun gibt es die Sorge, daß der Föderalismus unter einem Parlamentssitz Berlin leiden könnte. Es ist die Rede von der Megastadt gewesen, die angeblich jede eigenständige Entwicklung in den Regionen unterdrücken könnte. Meine Damen und Herren, ich kann mir nicht helfen: Die Bundesrepublik hat im Westen eine Fülle von Zentren mit gewaltiger Wirtschaftskraft, die dennoch regionale Zentren mit eigenständiger Entwicklung zulassen. An die Adresse von Peter Glotz -- ich weiß nicht, ob er noch hier sitzt --: München ist Bayerns Hauptstadt geblieben, obwohl es die größte Ballung von Menschen und Industrie in Süddeutschland darstellt. Kein Bayer käme auf die Idee, die Hauptstadt deshalb etwa nach Ingolstadt oder Kötzting zu verlegen. (Zustimmung bei der CDU/CSU -- Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Freilassing!) Das sage ich als einer, der immerhin 15 Jahre in Bayern gelebt hat und die Verhältnisse einigermaßen gut kennt. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Davon ist aber nichts übriggeblieben!) Wenn ich mir am Ende die schmucke Herrenriege der 16 Ministerpräsidenten ansehe, kann ich mir kaum vorstellen, daß ihr Selbstbewußtsein leiden würde, wenn dieser Bundestag künftig in einer Weltstadt im besten Sinne des Wortes zusammenträte. (Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Die wollen das ja mit Mehrheit!) Meine Damen und Herren, ich bin Schleswig-Holsteiner. Meine Eltern stammen aus Mitteldeutschland und Ostdeutschland. Ich habe immer Vorbehalte gegen eine in erster Linie rheinische Republik gehabt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Wir Schleswig-Holsteiner haben auf der anderen Seite die Preußen nie besonders geliebt. Aber die meisten von uns fühlen sich mit den Menschen dort stärker verbunden, und sie fühlten sich auch in Berlin besser aufgehoben. Ich kann verstehen, daß nicht alle hier die Freude über die Ostverschiebung Deutschlands teilen. Aber sie ist eine Tatsache. Ich erwarte von allen, daß sie bei ihrer Entscheidung über den Parlamentssitz dieser Verschiebung Rechnung tragen. Stimmen Sie mit mir für den vollständigen Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin! (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat der Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann das Wort. |