Wortlaut der Reden
Wolfgang Roth, SPD | Kersten Wetzel, CDU/CSU >> |
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Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Man sieht es an dieser Debatte: Die Entscheidung über den Parlaments- und Regierungssitz, Bonn oder Berlin, ist für jeden einzelnen sehr schwierig. Da mischen sich nachprüfbare sachliche Argumente natürlich auch mit subjektiven und persönlichen Motiven. Ich finde, wer das leugnet und eine Scheinobjektivität für sich beansprucht, der ist nicht ganz ehrlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich könnte in dem Zusammenhang auch meine persönliche Geschichte einbringen. Ich bin 1961, unmittelbar nach dem Mauerbau, aus Baden-Württemberg nach Berlin gezogen, komischerweise weil ich dem Aufruf von Herrn Mende folgte: Jetzt müssen die Studenten nach Berlin gehen! Ich habe dort 15 Jahre gelebt und viel erlebt. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Jawohl, Studentenunruhen!) Ich war auch 1968 dabei. Auch das ist ein Teil der Berliner Geschichte, zu der ich jedenfalls stehe. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE -- Eckart Kuhlwein [SPD]: Aber jetzt bist du ruhiger geworden!) Meine Damen und Herren, ich glaube, daß Berlin heute erneut an der Schwelle steht, zum geistig-politischen und kulturellen Zentrum Deutschlands zu werden. Da gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel. Für mich als Wirtschaftspolitiker gibt es auch keinen Zweifel, daß Berlin wirtschaftlich, als Dienstleistungsmetropole zwischen Ost und West das Zentrum dieses neuen Europas, zusammen mit London, Paris und anderen Großstädten, wird. Das heißt: Die wirtschaftliche Hauptaufgabe der Metropole Berlin ist es, Dienstleistungszentrum zu sein. Die Frage lautet nun: Ist dafür der Parlaments- und Regierungssitz förderlich, vielleicht unabdingbar? Um das Ergebnis meiner Überlegungen vorwegzunehmen: Die Übertragung großer, neuer öffentlicher Aufgaben ist meines Erachtens keine Voraussetzung und Bedingung für die Entwicklung Berlins als Wirtschaftszentrum. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Überlegungen gehen dahin, daß der Umzug Zehntausender von Verwaltungsbeamten von Bonn nach Berlin (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Das will doch keiner! -- Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das beantragt doch keiner!) nicht förderlich, sondern eher hinderlich ist. (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: In welchem Antrag steht denn das drin?) Meine Damen und Herren, das muß natürlich begründet werden. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Sie gehen von falschen Prämissen aus!) Erster Punkt: Es gibt viele grandiose Metropolen in der Welt, die mit Regierung und Parlament überhaupt nichts zu tun haben: New York, San Francisco, Atlanta -- jedenfalls in den letzten zehn Jahren --, Rotterdam, Amsterdam, Barcelona, Mailand, in den letzten Jahren vielleicht das expansivere Zentrum in Italien, expansiver als Rom. Der zweite Punkt. Im Fall von Tokio gibt es bereits die Diskussion, die Stadt zu entlasten. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!) Man will mit Parlament und Regierung zurück nach Kyoto, damit Entzerrung und Funktionstüchtigkeit eintreten. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Wann kommt das denn? Wann tritt das denn ein?) Der dritte Punkt. Wenn heute für Berlin entschieden wird, dann geschieht in den nächsten Jahren ökonomisch außer Renovierungsarbeiten im Zentrum von Berlin, und zwar zwischen Potsdamer Platz und Frankfurter Tor, überhaupt nichts. Es werden private Nutzungen verdrängt, denn der Staat kann ja jeden Preis zahlen, aber die privaten Investoren können es nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Der vierte Punkt. Wenn morgen früh die Entscheidung für Berlin gefallen ist, (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Bravo!) dann bedeutet das, daß die Mietpreise und die Bodenpreise sofort explodieren. Das heißt, es wird eine Spekulationswelle stattfinden. Wir kennen die aus London, wir kennen die aus Paris, und wir kennen die aus Tokio. Ich glaube nicht, daß den Berlinerinnen und Berlinern für ihre künftigen Arbeitsplätze durch eine derartige Entscheidung genutzt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das sind nüchterne ökonomische, aber tragfähige Argumente. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das sind Krokodilstränen!) Hier ist viel zuviel von Geschichtsbewußtsein und zuwenig von Finanzierung der Zukunft die Rede. Da wird uns noch vieles aufgetragen sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der Abgeordnete Kersten Wetzel. |