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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Dr. Nils Diederich (Berlin), SPD Hansjürgen Doss, CDU/CSU >>

Wir Abgeordnete, und das gilt auch für mich als Berliner, sind in den Jahren in Bonn und von den Bonnern stets freundlich begrüßt worden. Aber alle waren sich bis zum Bruch der Mauer einig, daß Bonn eine Statthalterfunktion für die eigentliche Hauptstadt ausübt. Aber es geht heute bei unserer Entscheidung nicht um die Frage unseres Wohlbefindens. Es geht nicht darum, ob wir uns in Bonn gut aufgehoben und bedient fühlen.

Es geht auch nicht um die Frage, wie die Auswirkungen politischer Entscheidungen sozial und finanziell abgefedert werden. Es sind sich alle einig, daß dies geschehen muß, wie auch immer die Entscheidung fällt. Und der Antrag, der für Berlin spricht, zeigt die Notwendigkeiten auf, die wir damit beschließen. Viele Institutionen werden für lange Zeit und viele für immer in Bonn bleiben.

Aber die Entscheidung ist nicht beschäftigungspolitisch oder regionalpolitisch oder gar unter Kostenaspekten zu treffen. Ich halte es für schäbig, mit Neidkomplexen gegen Berlin zu argumentieren. Ingrid Matthäus-Maier behauptet, der Aufbau in Ostdeutschland werde durch eine Entscheidung für Berlin behindert. Ich frage nur: Haben wir denn auf Bautätigkeit in Bonn verzichtet, oder werden wir es in Zukunft tun, um das Geld für Hilfen zu verwenden? Es geht um eine politische Entscheidung.

Meine Argumente sind: Berlin war und ist Hoffnungsträger für die deutsche Einheit. Wer an der Einheit Deutschlands als einem, wenn auch, wie es manchmal schien, fernen Ziel festgehalten hatte, der war auch überzeugt davon, daß das neue gesamtdeutsche Parlament in Berlin zusammentritt und dort auch tagen wird.

Sollen wir unseren Wählern sagen müssen, eine Mehrheit des Bundestages sei der Meinung, die politischen Bekenntnisse und Aussagen von gestern müßten nicht unbedingt gehalten werden? Herr Kollege Pflüger, ist esnicht zynisch, wenn Sie hier bekennen, man habe sich zu Berlin bekannt, um in schwerer Zeit Trost zuzusprechen? Wie ernst wird man überhaupt noch politische Beschlüsse nehmen können, wenn wir in dieser wichtigen Frage unser Wort nicht halten? Horst Ehmke sagt, Glaubwürdigkeit sei eine personelle Kategorie. Ich sage ihm: Als junger Mensch habe ich für die Einheit Deutschlands gekämpft, ich habe immer geglaubt und gehofft, daß sie kommt, und ich habe auch den Beschlüssen und Bekenntnissen des Bundestages geglaubt, auch an die, an denen Ehmke mitgewirkt hat. Dazu gehörte das Bekenntnis zu Berlin als unserer wirklichen Hauptstadt.

Mit der Vereinigung wird sich das Leben der ganzen Nation ändern. Millionen in der ehemaligen DDR haben das Angebot des Art. 23 Grundgesetz ernst genommen. Zu dem Angebot gehörte auch stets das Bekenntnis zu Berlin als gemeinsamer Hauptstadt, und zwar als wirklicher Hauptstadt -- nicht nur symbolisch.

Millionen haben sich für die Freiheit und die Einheit ausgesprochen und dabei bewußt in Kauf genommen, daß sich ihr Leben wird völlig ändern müssen, daß Arbeitsplätze und soziale Strukturen sich ändern.

Soll die Einheit eine bloße Assimilierung dieser Bürger an den Westen sein, oder wollen wir die deutsche Einheit dadurch bekräftigen, daß wir sie gemeinsam tragen?

Eine Absage an Berlin muß bei den ostdeutschen Bürgern, muß bei den Berlinern den Eindruck erwecken, der deutsche Westen kehre der Einheit und damit den Problemen, die sich daraus ergeben, den Rücken. Es ist vom Raumschiff Bonn gesprochen worden. Der deutsche Schriftsteller Koeppen hat ein großes Stück Literatur über Bonn geschrieben, das er »Das Treibhaus« nannte. In Berlin hingegen treten uns die harte Realität der deutschen Einheit, die Nöte, aber auch die Hoffnung der Menschen entgegen. Sollen wir nicht den Mut haben, auch dort in unserer Hauptstadt unsere Entscheidungen zu fällen, so schon es hier am Rhein auch sein mag?

Die Zerschneidung Deutschlands war nicht nur eine innere Trennung, sondern auch eine Trennlinie zwischen zwei Weltsystemen, eben die Trennung Europas.

Bonn ist in diesen Jahren des Widerstandes, in diesen Jahren der Auseinandersetzung zum Symbol der Integration der Bundesrepublik in den Westen geworden. Auf dieser Basis konnte unsere Demokratie wachsen. Aber ist es nicht so, daß Deutschland nun eine ganz andere Aufgabe hat, nach der Vereinigung zwischen Nord und Süd und zwischen Ost und West die Mitte des größeren Europa bildet? Polen, Ungarn, die CSFR, die skandinavischen Länder Schweden, Norwegen und Finnland streben nach Europa. Was kann es Besseres geben, mit einer klaren Willensbekundung an diesem Prozeß der Verbindung und Vereinigung mitzuwirken? Unsere Nation muß den Parlaments- und Regierungssitz in der Hauptstadt nehmen, die zugleich die wirkliche geographische Mitte Europas ist. Der amerikanische Außenminister James Baker hat neulich gesagt, es gelte nun, die Spaltung zwischen dem reichen Westen und dem armen Osten aufzuheben. In Berlin stößt er auf der ehemaligen Mauerlinie unmittelbar zusammen. Erfüllen wir also unsere europäische Aufgabe in Berlin.

Der Kollege Glotz hat behauptet, eine Metropole Berlin würde die Landeshauptstädte überstrahlen, wenn auch noch Parlament und Regierung dort seien. Dahinter steckt die Befürchtung vor einem neuen Zentralismus. Nur ist das Argument völlig unhistorisch.

Erstens. Es hat auch zu Zeiten der deutschen Einheit -- und davor -- starke Metropolen gegeben. München war heimliche Hauptstadt, Hamburg war bedeutender Handelsplatz, Frankfurt hatte stets selbstbewußt seine weltstädtische Stellung bewahrt, Leipzig war Weltmesseplatz, ohne daß Berlin diese Position gestört hätte.

Zweitens. Berlin ist doch nicht mehr Reichshauptstadt, die gleichzeitig Hauptstadt eines starken Preußens war. Preußen ist zerschlagen. Übrigens, das stärkste Land, das aus Preußen hervorgegangen ist, ökonomisch und politisch, ist Nordrhein-Westfalen. Und genau dort liegt die heutige Bundeshauptstadt. Und dennoch ist hiervon nie eine Gefahr ausgegangen.

Denn die Frage des Zentralismus oder des Föderalismus wird durch die Verfassung, das Grundgesetz, entschieden. Die Aufteilung der Bundeskompetenzen, die gefestigten Länder werden dafür sorgen, daß, anders als die zentralistischen Staaten wie Frankreich oder Großbritannien, die Regionen in Deutschland mehr zu Geltung kommen als anderswo, und sie werden dafür sorgen, daß auch eine Hauptstadt, ob Bonn oder Berlin, niemals die Länder beiseite drängen kann, wenn die Länder ihre Aufgabe als föderale Einrichtungen auch wirklich ernst nehmen. Auch eine Entscheidung für Berlin ist eine »bundesstaatliche« Entscheidung. Insoweit ist das Argument des Kollegen Glotz unverständlich und an den Haaren herbeigezogen.

Die Hoffnungen vieler Menschen in Ostdeutschland und in Berlin ruhen auf einer Vollendung der deutschen Einheit mit dem Beschluß, daß Parlament und Regierung ihre Entscheidungen in Berlin fällen. Beschließen wir heute, daß Berlin der Sitz von Parlament und Regierung sein soll, und gehen wir dann an die Arbeit, einen sozial verträglichen und der Arbeit förderlichen Übergang in eine neue Phase unserer Geschichte zu planen!

Hansjürgen Doss, CDU/CSU >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_116
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