Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden
Roland Kohn, FDP | Manfred Kolbe, CDU/CSU >> |
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Warum meldet sich in dieser Debatte, in der doch alles schon gesagt ist, ein Liberaler aus Baden-Württemberg zu Wort? Einmal will ich meine ganz persönliche Entscheidung in dieser Frage hier vor dem Forum des ganzen Deutschen Volkes begründen. Und dann: daß über Parlaments- und Regierungssitz kontrovers diskutiert, ja leidenschaftlich gerungen wird, kritisiere ich nicht -- im Gegenteil. Aber manches an dieser Debatte hat mich gestört. Es hat mich gestört, mit welcher Nonchalance faule Kompromisse als »Konsensmodelle« auf dem Markt der öffentlichen Eitelkeiten feilgeboten wurden, z. B. der Mißbrauch des Bundesverfassungsgerichts als Manövriermasse. Es hat mich gestört, mit welcher Gedankenlosigkeit man bereit war, das Parlament als Herzstück der repräsentativen Demokratie von den Entscheidungsprozessen unseres politisch-administrativen Systems abzukoppeln. Es hat mich gestört, wie begierig manche Volksvertreter nach einem Schlupfloch suchten, um nur ja keine klare Entscheidung treffen zu müssen, und dies in einer Angelegenheit, die nun wirklich die ureigenste Sache des Parlaments ist! Es hat mich gestört, daß manche noch nicht einmal vor Manipulationen an unserer Geschäftsordnung zurückschreckten, um ihre Entscheidung nicht vor den Bürgern rechtfertigen zu müssen. Welches Mißverständnis von repräsentativer Demokratie, die ja auf der Kontrolle der Gewählten durch die Wähler beruht! Es hat mich gestört, wie manche Politiker -- ohne rot zu werden und ohne die kleinste Schamfrist einzuhalten -- ihre feierlichen Gelöbnisse aufgekündigt, ihre festlichen Bekenntnisse von gestern als hohles Geschwätz decouvriert haben. Es hat mich gestört, wie leicht es war, Ressentiments der »Provinz« gegen die »Metropole« wiederzubeleben. Als könnten etwa wir in Baden-Württemberg, wir Schwaben, Badener, Kurpfälzer, Alemannen und Franken nicht selbstbewußt und souverän unsere Eigenart und unsere Interessen auch gegenüber einer richtigen Hauptstadt wahren! Es hat mich gestört, mit welch kühlem Gleichmut unser Gemeinwesen in dieser Debatte seinen materiell-egoistischen Grundcharakter herausgekehrt hat. Es ist klar, daß die Interessen der von unserer Entscheidung tangierten Mitbürger eingebracht und sozial verträgliche Lösungen angestrebt werden. Doch können wir selbst bei Entscheidungen über das Zusammenwachsen der Deutschen bloß noch in ökonomischen Kategorien denken? Vor allem aber hat mich gestört, mit welcher Bedenkenlosigkeit manche in diesem Land die Nachtseiten der deutschen Geschichte zu Lasten einer Stadt entsorgen wollen, die nie »Hauptstadt der Bewegung«, die nie »Stadt der Reichsparteitage« war. Vor 22 Jahren wurde ich Mitglied der FDP. Ein wesentlicher Grund dafür war ihre bedeutende Tradition in der Deutschland- und Entspannungspolitik. Von Pfleiderer bis Dehler, von Schollwer bis Rubin, von Flach bis Mischnick und von Scheel bis Genscher haben freie Demokraten für dieses große Ziel gearbeitet und gewirkt: Freiheit und Einheit für alle Deutschen in einem Zusammenwachsenden Europa. Nie stand in Frage, daß Berlin deutsche Hauptstadt mit Sitz von Parlament und Regierung sei, sobald die geschichtliche Entwicklung die Tür zur Einheit aufstoßen würde. Ich hatte die ehrenvolle Aufgabe, in den letzten Jahren meine Fraktion im innerdeutschen Ausschuß zu vertreten. Deshalb ist es eine Frage meiner Glaubwürdigkeit als liberaler Politiker: Ich bin für Berlin! So sehr ich die Argumente, die für die attraktive Stadt Bonn sprechen, respektiere: Die Debatte Berlin oder Bonn ist in Wahrheit nur Ausdruck eines dahinterliegenden grundsätzlicheren Konflikts. Der Liberale Reinhold Maier, Baumeister und erster Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hat im Januar 1958 im Deutschen Bundestag hellsichtig betont: »Die Bundesrepublik hat sich allzusehr und allzufrüh mit den schimmernden Gewändern eines perfekten Staates umkleidet. Sie ist aber kein perfekter Staat, sie ist nur ein Teilstaat.« In diesem Teilstaat jedoch haben sich viele auf Dauer eingerichtet. So ist die Diskussion Berlin -- Bonn eigentlich eine Stellvertreter-Debatte. In Wahrheit geht es darum, ob wir das Jahr 1990 als Zeitenwende akzeptieren, ob wir begreifen, daß mit der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ein neuer Abschnitt unserer Geschichte begonnen hat, ob wir den Mut und die Kraft haben, die darin liegende Chance für eine bessere, eine innovative Politik zu ergreifen. Eine Entscheidung für Bonn wäre ein Symbol für dieses »Weiter wie bisher« und damit gegen den gemeinsamen Neuanfang aller Deutschen. Jeder muß wissen: Nur der wird das Bewährte aus vier Jahrzehnten der zweiten deutschen Demokratie erhalten können, der sich jetzt auf den Wandel einläßt. In diesem ganz präzisen Sinne ist mein Eintreten für Berlin kein »Zurück nach Berlin«, sondern ein Plädoyer für einen gemeinsamen Neubeginn aller Deutschen in einem sich nach Osten hin öffnenden Europa. Lassen Sie mich schließen mit einem Wort des ersten Bundespräsidenten, des großen Liberalen Theodor Heuss, der am 12. September 1949 nach seiner Vereidigung hier im Bundeshaus sagte: »Ich muß von Berlin sprechen. Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich in dieser Stadt gelebt . . . Es ist mir eine Herzenssache und nicht bloß rationale Überlegung, dies auszusprechen: Berlin ist heute an das Schicksal Westdeutschlands gebunden, aber das Schicksal von Gesamtdeutschland bleibt an Berlin gebunden.« Treffen wir heute deshalb mit Herz und Verstand die Entscheidung, die vor der Geschichte Bestand haben wird: für Berlin! |
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Manfred Kolbe, CDU/CSU >> |