Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden
Jürgen Timm, FDP | Friedrich Vogel (Ennepetal), CDU/CSU >> |
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Nach unserer Verfassung, dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, ist Berlin unsere Hauptstadt, Bonn der vorübergehende Sitz von Parlament und Regierung bis zur Wiedervereinigung durch eine freie, gleiche und geheime Wahl in ganz Deutschland. So war es jedenfalls bis zur Formulierung des Einigungsvertrages. Über 40 Jahre war klar, was sich hinter dem Begriff Hauptstadt verbirgt -- verbergen sollte: Hauptstadt, Parlament und Regierung gehören zusammen. Warum sollte das heute anders sein? Warum muß Berlin plötzlich wieder, diesmal ohne Not, ein Symbol sein, obwohl die Hauptstadt der Bundesrepublik doch nun endlich, nach langen Jahrzehnten, ihre tatsächliche Funktion übernehmen kann? Ich hielte es für einen fatalen Fehler, wenn nach all diesen Jahren das deutsche Parlament wieder nur, weil es denn so in der Verfassung steht, diesmal aber auf Dauer, sporadisch in der Hauptstadt auftaucht, um ihr seine Reverenz zu erweisen. Das ist für mich weder eine politische noch eine sinnvolle Weise, sich mit seiner Hauptstadt zu verbinden. Es trifft auch nicht zu, daß eine -- für mich logische -- Entscheidung für Berlin in Bonn zu einer Arbeitsplatzvernichtung größten Ausmaßes führt. Zunächst einmal kann weder für Berlin noch für Bonn die Situation mit der Beheimatung an oberen und obersten Bundesbehörden so bleiben, wie sie derzeit ist. Dagegen steht nämlich auch unser Grundgesetz -- übrigens aus föderalen Gründen --, das bestimmt, daß die Bundesländer an der Verteilung dieser Behörden als Standort ausgewogen beteiligt werden müssen. Keine Frage also, daß es in Berlin oder Bonn zu einer Ausdünnung an Behörden kommen muß, um den neuen Bundesländern ihren Anteil abzutreten. Wenn sich das für Bonn dadurch entwickelt, daß Parlament und die Bundesregierung mit ihren wesentlichen Teilen nach Berlin gehen, ansonsten aber Bonn der überwiegende Verwaltungssitz bleibt, ist für Bonn der notwendige Anteil an neuer Verteilung der bundesstaatlichen Einrichtungen erbracht. Berlin muß dann ebenfalls seinen Anteil leisten, der zu einer neuen Verteilung erforderlich ist. Als zweites möchte ich die Chance für Bonn nennen, im Zuge der sich ständig fortentwickelnden Vereinigung Europas seine Funktion zu übernehmen. Es sind für mich weniger die historischen Gründe, die für Berlin als Parlaments- und Regierungssitz sprechen. Trotzdem will ich nicht akzeptieren, daß man für die Entwicklung unserer Demokratie nur die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Politik aus Bonn akzeptiert und Berlin damit -- gewollt oder ungewollt -- ausschließlich den Makel einer nationalsozialistischen Schreckensherrschaft anlastet. Erstens stimmt das nicht, denn die Nationalsozialisten hatten nach ihrer Machtergreifung nichts eiligeres zu tun, als die wichtigsten demokratischen Institutionen, die ihnen in Berlin ein Dorn im Auge waren, zu zerstören. Waren es nun die Gewerkschaften, die Parteien der Arbeiter und deren soziale Einrichtungen, die Synagogen oder auch der Reichstag, der gleich im Februar 1933 angezündet wurde. All die schrecklichen Folgen, unter denen gerade die Berliner fürchterlich gelitten haben, sind uns bekannt. Zweitens kann Geschichte nicht auf den gerade gewünschten geschichtlichen Zeitraum begrenzt werden. Die Geschichte der deutschen Demokratie begann viel früher als nach 1945, und Berlin war sehr wohl daran beteiligt. Es mag sein, daß z. B. meine Generation noch in der Schule eine andere Geschichtslehre erfahren hat als z. B. die Generation meiner Kinder. Das mag sogar ein Fehler des Bildungsinhalts unserer modernen Schulen sein. Ich war in den vielen Diskussionen mit jungen Menschen auch manchmal emotional berührt, wenn Fragen nach der Notwendigkeit der Wiedervereinigung aufkommen, als in der DDR die friedliche Revolution erfolgreich abgelaufen war und wir über die Umsetzung der Wiedervereinigung zu sprechen hatten. Hier fehlte meines Erachtens sogar die geschichtliche Kenntnis unserer jüngsten Geschichte als Staat und Volk. Entscheidungen von hohem Zukunftswert werden aber auch immer von älteren Generationen getroffen, die sie stellvertretend für die nachfolgenden Generationen treffen müssen. Solche Entscheidungen dulden keinen Aufschub. Die Entscheidung über den Parlaments- und Regierungssitz kann nicht erst in zehn Jahren getroffen werden. Die Entwicklung in Europa geht mit schnellen Schritten weiter. Europa wird größer und endet nicht an der deutschen Ostgrenze. Berlin übernimmt für die Zukunft einen Teil der Aufgaben der europäischen Integration in den osteuropäischen Raum. Das ist eine Aufgabe, die einer Hauptstadt Berlin, einem deutschen Parlament und seiner Regierung in dieser Hauptstadt und unseren 16 Bundesländern und damit unserem deutschen und europäischen Föderalismus zur Ehre gereicht. Die Aufteilung der zukünftigen Aufgaben zwischen Berlin und Bonn ist in dem Antrag von Willy Brandt, Wolfgang Schäuble, Burkhard Hirsch und anderen Kolleginnen und Kollegen präzise angesprochen und widerlegt viele Argumente gegen eine Verlagerung des Parlaments und der Regierung nach Berlin. Aus den genannten Gründen stimme ich für diesen Antrag. |
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