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Die Neubauten des Deutschen Bundestages
Das Band des Bundes nimmt Gestalt an
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Rohbau des Paul-Löbe-Hauses mit einer der
gläsernen Rotunden. |
Ein Lieblingsbild der Politiker zur Umschreibung ihrer Arbeit
handelt vom beharrlichen Bohren dicker Bretter. Das soll vom Sommer
nächsten Jahres an nicht mehr auf zig Gebäude in Berlin
verteilt geschehen, sondern konzentriert in den Neubauten
unmittelbar neben dem Reichstagsgebäude. Doch auch jetzt schon
werden hier gewaltig viele und gewaltig dicke Bretter gebohrt. Die
Bau-Aktivitäten sind auf ihrem Höhepunkt angekommen:
1.400 Arbeiter legen sich ins Zeug, damit die Räume im
nächsten Frühsommer bezogen werden können. Wer schon
mal ein Haus gebaut hat, kann sich vorstellen, welch immense
Planungs-, Organisations- und Koordinierungsaufgaben hier zu
meistern sind. Denn Jakob-Kaiser-Haus, Paul-Löbe-Haus und
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, das sind in Volumen gerechnet mal
eben 2.000 Einfamilienhäuser, die gleichzeitig aus der Erde
wachsen. Blickpunkt Bundestag besuchte die Baustellen auf dem
künftigen Band des Bundes, das mit seinen Neubauten die Spree,
die ehemalige Grenze zwischen Ost und West, überbrücken
wird.
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Anbringung der Fenster. |
Bei diesen Dimensionen ist es keine Überraschung, dass
allein "das" Jakob-Kaiser-Haus, das künftig Fraktions- und
Abgeordnetenbüros beherbergen wird, aus acht
Großbaustellen besteht. Was 1674 von der brandenburgischen
Kurfürstin Dorothea gegründet wurde, dürfte heute
Dorothea selbst kaum mehr wieder erkennen, doch die Grundprinzipien
der nach ihr benannten Dorotheenstadt links und rechts der
Dorotheenstraße fallen dem Baustellen-Besucher jetzt schon ins
Auge, wenn er einen Blick hinter die Abdeckplanen und Gerüste
riskiert. Die typische Parzellenbauweise im klassizistischen Berlin
findet sich in den einzelnen Teilen wieder. Tatsächlich
könnte, wer wollte, an den Eingängen Klingelschilder mit
den Namen der Fraktionen und Abgeordneten mit dem Hinweis
"Vorderhaus", "Gartenhaus", "linker Seitenflügel", "rechter
Seitenflügel" versehen – so genau folgt der
Architektur-Komplex den historischen Vorläufern.
Selbstverständlich wird es statt der Unterteilung in
Vorder- und Hinterhaus einige zentrale Eingänge geben. Aber
der typische Eindruck unterschiedlicher, direkt aneinander gebauter
einzelner Häuser wird durch die Architektur unterstrichen
– und durch die Entscheidung für gleich fünf
Büros mit jeweils eigenem Stil. Cie/Pi de Bruijn aus
Amsterdam, Peter Busmann & Godfried Haberer aus Köln,
Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg aus Hamburg, Peter Schweger
aus Hamburg sowie Thomas van den Valentyn aus Köln tragen alle
Verantwortung für "das" Jakob-Kaiser-Haus. Sein
Hauptcharakterzug besteht somit aus einem Handschriften-Mix. Ob
aufgelockerte, vielgesichtige Fassade zur Spree hin, ob die
"Stadtfugen" – kleine, Transparenz bewirkende "Spalten", die
von oben nach unten, von rechts nach links das Tageslicht ins
Gebäude tragen, nahe der Wilhelmstraße, ob die den
Villencharakter Richtung Tiergarten aufgreifende Optik zur
Ebertstraße hin oder die in das Ensemble fest integrierten
Baudenkmäler – alles zusammen macht erst "das"
Jakob-Kaiser-Haus aus.
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Parzellenbauweise des Jakob-Kaiser-Hauses. |
Längst ist das Dach drauf, und gerade werden die Fenster
angebracht, so dass ab sofort auch die Witterung keinen Aufschub
mehr bewirken kann. Im Inneren winden sich gerade Tausende von
Kabelkilometern durch die Flure, schließlich muss jedes
einzelne der 2.000 Büros individuell ans Hightech-Zeitalter
angeschlossen werden. Ganz gleich, ob in den neu entstandenen
Bauten oder in den alten Gemäuern, die zum Teil entkernt
wurden, aber auch nur zum Teil. Der Besucher merkt's, wenn er nach
minutenlangem Gang über Beton plötzlich auf eine
knarrende Holztreppe stößt. Aha, Dorotheenstraße 105
(hier residierten früher Banker) oder "Kammer der Technik"
(hier hatten die Deutschen Ingenieure ihren Sitz) oder aber das
alte Reichstagspräsidentenpalais, das schon seit gut einem
Jahr fertig ist und neue Heimat der Parlamentarischen Gesellschaft,
also Treffpunkt der Abgeordneten, geworden ist.
Aber auch die ersten Räume der künftigen Büros
haben ihren Rohbau-Charakter bereits hinter sich. Schrankwände
und Regale stehen schon, gerade ist ein Handwerker wirklich mit dem
Bohren dicker Bretter beschäftigt – ein Loch entsteht.
Darin wird der Lichtschalter Platz finden. Auf dass manchem
Volksvertreter als Ergebnis ein Licht aufgehen mag, wenn es mal
wieder spät wird und die großen Fensterflächen nicht
mehr reichen. Draußen steht schon handschriftlich auf dem Putz
notiert, wer drinnen mal arbeiten wird: Der Abgeordnete mit dem
Büro 633 in Haus 7. Sein Reich besteht aus 18 Quadratmetern
für ihn, 18 für sein Sekretariat und 18 für seinen
wissenschaftlichen Mitarbeiter. Das klingt viel. Ist es aber nicht.
Jeder Bürgermeister, der "seinen" Abgeordneten in Berlin
besucht, hat viel mehr daheim, und auch in den Ministerien geht's
großzügiger zu. Der einfache Sachbearbeiter muss sich
zwar mit 12 Quadratmetern begnügen – doch darauf wird
wohl selten Besuchern Platz in einer Besprechungsecke
angeboten.
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Erinnerung an die frühere Bebauung. |
Zu Neid besteht also kaum Anlass. Allerdings nur bei der
Größe der Büros. Anders sieht das schon aus, wenn
man das Dachgeschoss des Jakob-Kaiser-Hauses betritt.
Lichtdurchflutete Besprechungssäle mit einem grandiosen Blick
auf Reichstagsgebäude und Tiergarten. Wer hier Besucher und
Experten von außen empfängt, wird schon ein spannendes
Thema präsentieren müssen, um die Aufmerksamkeit auf sich
zu lenken und von der großartigen Aussicht ablenken zu
können.
Die großzügige Erschließung innerhalb des
Ensembles mit zwei die Dorotheenstraße überquerenden
Brücken findet sich in der Öffnung nach außen nur
architektonisch wieder. Die Zahl der Zugänge wird viel kleiner
sein als vom Charakter her zu erwarten – zugunsten der
Steuerzahler. Denn jeder Eingang bedeutet eine Viertel Million Mark
Personalkosten jährlich, wenn die Pförtnerloge nur
zwölf Stunden täglich besetzt ist. Parlamentsleben spielt
sich in den Sitzungswochen jedoch durchaus zwischen 6 Uhr morgens
und 2 Uhr nachts ab.
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Alter Gebäudeteil mit Holztreppe. |
Vor allem bei schlechtem Wetter empfiehlt sich der Abstieg in
die Unterwelt des Jakob-Kaiser-Hauses. Hier ist der historische
Durchgang vom früheren Reichstagspräsidentenpalais zum
Reichstagsgebäude wieder entstanden. Ein kleines Stück
des Tunnels mit seiner Ziegelsteinröhre blieb erhalten und
erinnert mit weiteren Hinweisen am Boden an den ursprünglichen
Verbindungsverlauf. Ein paar Ecken weiter wird auch bei
schönstem Wetter unter der Erde viel Betrieb herrschen: die
unterirdische Anlieferung und Entsorgung. Wie in Washington am
Capitol Hill seit langem bewährt, werden künftig auch im
Parlamentsviertel die Liefer- und Müllfahrzeuge nicht mehr die
Straßen blockieren, wird die Dorotheenstraße für den
Verkehr wieder geöffnet werden können.
Wo so viele Menschen arbeiten, ist auch ungeheuer viel Material
zu bewegen. Auf 70 Tonnen wird die Menge für die
Parlamentsbauten geschätzt. Und das bedeutet, dass pro Tag gut
und gerne hundert Lkw ranmüssen. Deshalb erinnern die
Warenanlieferungen mit ihren Rampen und den angeschlossenen
Lastenaufzügen auch eher an eine Spedition.
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Das Paul-Löbe-Haus schmiegt sich an die Spree
an. |
Der halbe Kilometer Anlieferung hat's in sich. Der sandige
Untergrund rund um die Spree bot dafür alles andere als
optimale Bau-Voraussetzungen – wie schon die
Verzögerungen in den Baugruben der Parlamentsbauten gezeigt
haben. Als Antwort versuchten die Bauingenieure erst gar nicht, die
Spree zu unterhöhlen. Sie schwemmten das verbindende
Röhrenstück so tief ins Flussbett ein, bis es darunter
die richtige Lage hatte und an die übrigen Röhren
angeschlossen werden konnte. Nun ist längst der letzte Tropfen
Wasser heraus, die Nähte sind kaum noch zu erkennen. Nur
riesige Tore erinnern stets daran, dass darüber kein Erdreich
ist. Im Fall von Wassereinbruch werden die Schotten binnen einer
Minute dicht gemacht, damit sich die dort arbeitenden Menschen in
Sicherheit bringen können und die übrigen
Kellerräume trocken bleiben.
Die Feuertaufe der neuen Anlieferung wird in der
parlamentarischen Sommerpause des nächsten Jahres zu bestehen
sein, wenn das Mobiliar, die Bücher und Ordner der
Abgeordneten hier ankommen und nach einem ausgeklügelten Plan
hoffentlich genau dort und dann landen, wo sie wann sein
müssen. Fachleute wollen die Bauten bis zur offiziellen
Übergabe und dem nahezu nahtlosen Übergang von
Büro-alt zu Büro-neu "sauber eintakten". Der große
Berlin-Umzug, Teil II. Der Countdown läuft längst.
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Die Kellerräume sind mit Schotten gegen
Wassereinbruch gesichert. |
Auch für das 100 mal 200 Meter große Gebäude auf
der Nordseite des Reichstages, das Paul-Löbe-Haus. Denn das
vom Münchner Architekten Stephan Braunfels entworfene Bauwerk
aus viel Beton, Glas und grünen, offenen Innenhöfen soll
zum selben Zeitpunkt fertig werden wie das Jakob-Kaiser-Haus und
enthält Abgeordnetenbüros sowie Sitzungssäle.
Während das Jakob-Kaiser-Haus neben den Abgeordnetenzimmern
vor allem das Fraktionsmanagement aufnimmt, machen acht
zurückgezogene gläserne Rotunden im Paul-Löbe-Haus
deutlich, dass es hier vom nächsten Sommer an rund gehen wird.
Hier ist der Kern des Arbeitsparlamentes, das sich in Sitzungen der
Fachgremien die Details der Gesetze erarbeitet. Noch stehen
Baugerüste für die Deckenkonstruktion in den
künftigen Ausschusssälen. Doch die neue, kreisrunde
Sitzordnung ist schon gut zu erkennen – und auch die
künftig größere Transparenz des Arbeitsparlaments
für die Öffentlichkeit: Etwas erhöht ist in den
mehrgeschossigen Räumen Platz für Zuschauer und
Fernsehkameras.
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Künftiger Besprechungssaal im
Jakob-Kaiser-Haus. |
Praktischerweise sind die Ausschusssekretariate in unmittelbarer
Nähe vorgesehen. Und den Ausschussvorsitzenden steht mit ihrem
aufgabenbedingt größeren Stab auch eine größere
Büroeinheit von 36 Quadratmetern zu. Um die berlinübliche
Traufhöhe von 22 Metern nicht überschreiten zu
müssen und trotzdem den Raumbedarf decken zu können,
wurde die Nutzung insgesamt "tiefer gelegt" – kleiner Trick,
große Wirkung. So kam eine ganze Büroetage hinzu. Dennoch
stünde das gesamte Gebäude mit großer Wucht im
Spreebogen, wären die Außenmaße beherrschend
für das Erscheinungsbild. Doch diese sind beidseitig in einer
doppelten Kammform regelmäßig zurückgenommen. Und
außerdem erlaubt das Paul-Löbe-Haus den freien Blick
durch sich selbst. Damit wird man vom Kanzleramt geradewegs bis zur
Spree und dem Schlusspunkt des Ensembles, das
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, blicken können. Das Band des
Bundes – durchgezogen in Beton wie in Transparenz.
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Das Innere des Paul-Löbe-Hauses. |
Wer dem Paul-Löbe-Haus derzeit aufs Haupt steigt, sollte
schwindelfrei sein. Zumindest wenn er in Richtung Osten geht. Denn
das den künftigen Brü-ckenschlag symbolisierende Vordach
ragt schon etliche Meter weiter als das Gebäude darunter, ohne
den Anschluss schon gefunden zu haben, da das Gebäude auf der
anderen Spree-Seite erst im Bau ist. Hier entsteht der
Spree-Sprung, hier macht die Bebauung einen Satz über den
Fluss, dessen Verlauf die Geländefront aufgreift. Es ist nicht
nur ein Sprung über ein paar Meter Wasser, es ist eine
Brücke zwischen West- und Osthälfte der Stadt und damit
auch ein Dokument der Einheit, ein Bauwerk, das die Teilung
überwindet. Besucher werden den historischen Ort im
östlichen Eingangsbereich des Paul-Löbe-Hauses auf
beklemmende Weise wieder erkennen: Hier wird gerade ein Stück
Mauer wieder aufgebaut, mit den Originalen vom ursprünglichen
Ort. Sie zieht sich schräg durchs Foyer, so wie früher,
als sie noch nicht überwunden war. Jetzt ist sie in der Ebene
"Minus Eins" – auch ein Symbol.
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Gerüstbretter in einem künftigen
Ausschusssaal. |
Auf der anderen Spree-Seite, im knapp ein Jahr später
fertig werdenden Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, finden innen
Anhörungssaal, Bibliothek und Wissenschaftlicher Dienst Platz
und entsteht außen das städtebauliche I-Tüpfelchen
– eine Fläche an der Spree mit einladender Treppe. Eine
Atmosphäre wie an und auf der Spanischen Treppe in Rom kann
sich der Chef der Bundestagsbaukommission, Dietmar Kansy, auf dem
künftigen "Spreeplatz" schon vorstellen.
Bis dahin wird noch eine hübsche Menge Wasser die Spree
hinunterfließen. Und eine Menge dicker Löcher zu bohren
sein – vor allem in Beton. Die Handwerker legen die Messlatte
derzeit ziemlich hoch, acht Monate, bevor die Politiker mit ihrem
Bohren an derselben Stelle beginnen werden. Gregor Mayntz