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Das Parlament
Nr. 21-22 / 17.05.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Thomas Beck

Kaum zu leisten und doch so nötig

Demandts "Kleine Weltgeschichte"
Der Althistoriker Alexander Demandt hat ein ehrgeiziges Verlagsprojekt des Hauses Beck angenommen und eine "kleine" Weltgeschichte aus europäischer Perspektive vorgelegt. Zwei Leitideen liegen dem Werk zugrunde: Die Kant'sche Idee einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht und eine um Erfahrungen des 20. Jahrhunderts verbesserte Hegel'sche Weltgeschichte. Formuliertes Ziel des Buches ist es, ein Grundwissen zu vermitteln, das sowohl dem angehenden Studenten der Humanwissenschaften als auch dem historisch Interessierten in der unübersehbaren Masse von Spezialpublikationen einen Überblick verschafft.

Die im Vorwort vermittelte Befürchtung, selbst Fachhistoriker könnten heute ohne ein Minimum solcher Grundkenntnisse mit sehr gutem Erfolg ihr Studium abschließen, trifft sicherlich auf viele Universitäten so nicht zu. Dennoch vermittelt der öffentliche Diskurs den Eindruck einer weitgehenden Selbstbeschränkung auf Spezialwissen und auf Modethemen. So ist es nicht von der Hand zu weisen, dass gewissermaßen antizyklisch, gleichzeitig mit der wachsenden Bedeutung der Weltpolitik für Deutschland, die hoch spezialisierte Regionalgeschichte den öffentlichen und den universitären Diskurs dominiert. Vor diesem Hintergrund ist der Vorstoß des Verlages und des Autors beachtenswert.

Der Stoff, den Demandt behandelt, spannt den weiten Bogen von der Entstehung des Alls bis zur Apokalypse, dem Untergang unseres Sonnensystems in einigen Milliarden Jahren. Der eigentliche Gegenstand, die wenigen kosmischen Minuten der Geschichte der Menschheit, gliedert sich in die Geschichte von Hochkulturen und säkularen Ereignissen, die additiv in Kapitel gegliedert neben einander stehen.

Das reich bebilderte Buch ist somit ein enzyklopädisches Kompendium, das einen breiten Bildungsschatz birgt - neben historischem Grundwissen auch wichtige europäische Mythen wie etwa die Schlacht an der Milvinischen Brücke und tradierte Bilder wie das vom Primitiven als wildem Menschenfresser.

Der rote Faden, der die behandelten Wissensblöcke zusammenbindet, resultiert aus dem Aufzeigen ethischer Beurteilungsmöglichkeiten und aus der Aufarbeitung historischer Erfahrungen im Sinne einer sittlichen Erhebung menschlichen Handelns und der metaphysischen Aufhebung der Geschichte in sinnstiftende Prozesse eines Fortschreitens der Menschheit. Das Finale liegt ganz traditionell in einer jenseitigen Unendlichkeit, die Gott anheim gestellt bleibt.

Demandts Bedenken, eine im Grunde unlösbare Aufgabe übernommen zu haben, bestätigt sich indes in fachlicher Hinsicht. Dass der Frühgeschichte und der Antike breiterer Raum gewidmet wird als den folgenden Epochen, ist dabei der Fachmannschaft des Autors geschuldet und legitim. Auch die Auswahl und damit die Beschränkung des Dargestellten ist ein eher zweitrangiges Problem, obgleich manche Auswahl zu einer bedenklichen Ungenauigkeit führt, wenn etwa in Demandts Ausführungen zur Französischen Revolution die Sansculottes nicht vorkommen, die ganz wesentlich den Verlauf beeinflussten, was wir seit den bahnbrechenden Arbeiten von Albert Soboul vor etwa fünf Dekaden wissen.

Gravierender ist der Ansatz und die Konzeption des Buches. So griffig das in jüngster Zeit neu thematisierte Bild des Erinnerungsraumes ist, so gefährlich ist es als Darstellungskonzept, denn dieser "Raum" hat musealen Charakter. Die Kapitel des Buches gleichen indes Exponaten in einem sehr traditionalen Erinnerungsraum.

Inhaltlich, das heißt in Form von enzyklopädischem Wissen, ist in der Tat eine "kleine Weltgeschichte" vor dem Hintergrund des gegenwärtigen und stetig wachsenden Spezialwissens nicht mehr zu bewältigen. Allerdings ist sie damit strukturell als erkenntnistheoretisches Propädeutikum, wie Demandt treffend darlegt, umso dringlicher geworden. Dies bedeutete indes den Abschied von lieb gewonnenen Erinnerungsmustern und die Hinwendung zu anstrengenden Erkenntniswegen. Immerhin ließen sich die Wege heute darstellen. "Weltgeschichte" ist per se ein Abstraktum. "Welt" meint hier nicht "Globus", sondern signiert einen Bedeutungszusammenhang, der von einem Deutungsinteresse geleitet ist, das wiederum aus Verständniskrisen geboren wird.

Der gewissermaßen normale Weg aus solchen Verständniskrisen heraus ist der Vergleich des Bekannten mit dem Unbekannten, des ersten, naiven Begreifens der Unterschiede. Der zweite, jetzt methodische, Schritt ist der Verständniszugriff auf Unterschiedliches an sich, der die Herausarbeitung von Typen und Ausprägungen im Visier hat. Diesen Weg beschreitet die moderne historische Expansionsforschung. Der zu entrichtende Preis ist die Aufgabe vieler tradierter Vorstellungen, wie etwa jener, dass in den Weiten Amerikas die "europäische Intelligenz" die "dünn besiedelten Kolonialräume" durchdrang. Es war vielmehr auf Macht gegründete europäische Normenkompetenz, die ihre Grenzen hatte, und auf die Intelligenz von indigenen und importierten Zwangsarbeitern zurückgriff, ohne deren Leistung wesentliche Lebensgrundlagen nicht geschaffen worden wären.

Wir können es uns auch nicht mehr leisten, uns in Hegel'scher Attitüde vom vermeintlich primitiven Afrika abzuwenden, um es in "unserer Weltgeschichte" nicht mehr zu streifen. Historische Unkenntnis über Regionen und Kulturen ist heute eine gefährliche Nachlässigkeit. Alexander Demandts Buch ist ein politisches und ein wichtiges Buch, nicht nur wegen der mutigen Stellungnahmen zu zeithistorischen Problemen. Es dokumentiert auch eine Bildungsbilanz und wirft die zentrale Frage nach dem Haben und dem Soll welthistorischen Verstehens in Deutschland auf.

Alexander Demandt

Kleine Weltgeschichte.

C.H. Beck Verlag, München 2003; 368 S., 24,90 Euro

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