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Das Parlament
Nr. 47 / 15.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Astrid Pawassar

Milbradt erst im zweiten Wahlgang im Amt bestätigt

Sachsen: CDU/SPD-Koalition blamiert sich
Wie nachhaltig die politische Ordnung im Freistaat Sachsen durcheinander geraten ist, zeigte sich bei der mit Spannung erwarteten Wahl des Ministerpräsidenten. Georg Milbradt (CDU) erhielt im ersten Wahlgang nicht die erforderliche Mehrheit. Alle vorangegangenen Appelle an die Geschlossenheit der Koalitionsfraktionen von CDU und SPD hatten ihr Ziel verfehlt: Fünf Abgeordnete verweigerten auch im folgenden zweiten Wahlgang dem Ministerpräsidenten die Gefolgschaft. Der Gegenkandidat der NPD erhielt beide Male vierzehn Stimmen, also zwei mehr, als die Partei Sitze im Landtag hat.

Aschfahl nahm der glücklose Regierungschef die Abstimmungsergebnisse zur Kenntnis. Obwohl die Landtagssitzung nach dem unerwarteten Ausgang der ersten Wahlrunde für eine Stunde unterbrochen war, hatte sich an der Stimmenverteilung nichts geändert: Von den 67 möglichen Stimmen der Regierungskoalition aus CDU und SPD - eine Abgeordnete war erkrankt - entfielen wiederum nur 62 auf den Kandidaten Milbradt. "Wir waren es nicht", hieß es gleich aus der SPD-Fraktion; ihr Vorsitzender, Wirtschaftsminister Thomas Jurk, hatte vor der Landtagssitzung via Presse verkündet: "Alle 13 Abgeordneten werden die Koalition stützen."

Aber auch Fritz Hähle, der altgediente Chef der CDU-Fraktion, hatte auf Geschlossenheit gehofft. Georg Milbradt müsse im ersten Wahlgang gewählt werden, alles andere sei blamabel. Offenbar haben fünf Abgeordnete genau diese Blamage gewollt. Ob es sich dabei allein um frustrierte Christdemokraten handelt, ist kaum zu ergründen. Zwar hatte es im Vorfeld zum Teil heftige Kritik an Milbradts Entscheidung gegeben, ausgerechnet die beiden öffentlichkeitswirksamen und zukunftsträchtigen Ressorts Wirtschaft und Wissenschaft an die SPD abzugeben. Namentlich der bisherige Wissenschaftsminister Matthias Rößler war während einer Fraktionssitzung sehr deutlich geworden. Auch auf dem Sonderparteitag der CDU am vorvergangenen Wochenende wurde vernehmlich gemurrt. Allerdings hielt sich die offen geäußerte Kritik in Grenzen. Dabei ging es mehr um die Aufarbeitung der verheerenden Stimmenverluste bei der Landtagswahl und die notwendige Neuorientierung der CDU im Lande.

Als der Parteitag mit nur sechs Gegenstimmen und sieben Enthaltungen die Koalitionsvereinbarung abgenommen hatte, schien die Wahl des Ministerpräsidenten gesichert. Eine Ohrfeige ja, auch die Möglichkeit, dass es im ersten Anlauf nicht klappen würde, stand durchaus im Raum. Aber das planvoll in Szene gesetzte Signal an die Regierungskoalition, dass ihre Mehrheit im Landtag von Anfang an brüchig ist, hatte niemand erwartet. Dabei ist es durchaus möglich, dass auch in der SPD-Fraktion nicht alle Abgeordneten zum CDU-Ministerpräsidenten stehen wollten. Immerhin hatte Georg Milbradt den Unmut in seiner eigenen Partei mit dem Hinweis zu dämpfen versucht, er werde dem kleinen Koalitionspartner keine Gelegenheit geben, sich in der Regierung zu profilieren. Genau darauf ist die SPD aber angewiesen, nachdem sie es vierzehn Jahre lang nicht geschafft hat, in der Bevölkerung als ernstzunehmende Alternative zur CDU wahrgenommen zu werden. Beim SPD-Parteitag hatte einzig der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass lediglich die Wahlarithmetik - sprich fehlende Alternativen - die 9,8-Prozent-Partei in die Landesregierung befördert hat.

Bei jener denkwürdigen Sitzung des Sächsischen Landtages am 10. November haben sich allerdings nicht nur Georg Milbradt und die neue Regierungskoalition blamiert. Zwei Abgeordnete, die sich zum Lager der demokratischen Parteien zählen, haben den Ministerpräsidentenkandidaten der NPD gewählt. FDP-Fraktionschef Holger Zastrow fand das nur "peinlich", andere Abgeordnete äußerten sich besorgt. Der Vorgang werfe einen Schatten auf das gesamte Parlament, meinte Peter Porsch (PDS), "alarmierend" nannte Thomas Jurk (SPD) den Vorgang und die Grünen-Chefin Antje Hermenau sorgte sich um den Ruf des Freistaates.

Das Rätselraten um die Motive jener beiden Abgeordneten bestimmte die Gespräche auf den Gängen des Landtages. Sollte es bei der CDU tatsächlich Abgeordnete geben, die in ihrer Wut auf den Vorsitzenden und Ministerpräsidenten völlig schamlos geworden sind? Oder muss man die Täter am anderen Ende des politischen Spektrums suchen, bei der PDS, wo sich vielleicht noch nicht einmal nur junge, unerfahrene Parlamentarier in der Rolle des Provokateurs gefallen könnten? Die zuvor stets beschworene Einheit der Demokraten im Sächsischen Landtag erscheint ebenso brüchig wie die Mehrheit für die Regierungskoalition.

Als hätte es noch weiterer Beweise für parlamentarische Verirrungen bedurft, leistete sich der Landtag, entfacht von der PDS, noch eine Diskussion über die Stimmzettel für die Ministerpräsidentenwahl. Sich - wie bei Abstimmungen üblich - zwischen den benannten Kandidaten zu entscheiden oder gar kein Kreuz zu machen, reichte den Sozialisten nicht. Sie wollten zusätzlich eine "Nein"-Rubrik. FDP und Grüne stießen ins gleiche Horn, wobei die Bündnisgrünen darauf verwiesen, sie hätten aus Protest gegen beide Kandidaten ihre Wahlzettel ungültig gemacht. Die Zahl der ungültig abgegebenen Stimmen schnellte daraufhin beim zweiten Wahlgang auf 37 hoch und die PDS kündigte an, eine Anfechtung der Ministerpräsidentenwahl in Erwägung zu ziehen.

Bestgehütetes Geheimnis

Nach dem Abstimmungsdebakel im Landtag hatte Georg Milbradt noch einen Moment überlegt, ob er die Wahl überhaupt annehmen sollte. Doch dann stellt er sich der Herausforderung mit den Worten: "Uns stehen schwierige Jahre bevor. Ich bitte das Hohe Haus, mit der neuen Regierung kollegial zusammenzuarbeiten." Seine Kabinettsliste war über Wochen das bestgehütete Geheimnis im Freistaat. Allein die SPD ließ durchsickern, dass ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender Thomas Jurk das Wirtschaftsressort und die Chemnitzer Kulturbürgermeisterin Barbara Ludwig das Amt des Wissenschaftsministers übernehmen würden. Über den christdemokratischen Anteil am Personaltableau war hingegen so lange spekuliert worden, dass letztlich nur zwei Berufungen überraschen konnten: CDU-Generalsekretär Hermann Winkler, der wohl engste Vertraute Milbradts, wird Chef der Staatskanzlei im Ministerrang. Für Thomas de Maizière, der als neuer Innenminister mehr Gewicht im Kabinett haben wird, rückt sein ehemaliger Staatssekretär Geert Mackenroth auf den Platz des Justizministers. Sozialministerin Helma Orosz und Finanzminister Horst Metz behalten ihre Ämter. Der bisherige Umweltminister Steffen Flath wechselt an die Spitze des Kultusministeriums. Für Umwelt und Landwirtschaft ist nun der frühere Chef der Staatskanzlei, Stanislaw Tillich, zuständig. Aus dieser Ministerriege lässt sich nicht nur der Wille zu weitgehender Kontinuität der Regierungspolitik in Sachsen ablesen. Steffen Flath und Thomas de Maizière sind schon zum Ende der Biedenkopf-Ära als kommende Ministerpräsidenten-Kandidaten gehandelt worden. Sie haben nun die Gelegenheit, in zwei für die CDU besonders wichtigen Schlüsselressorts ihr Profil zu schärfen.

Kontinuität verspricht auch die Vereinbarung der ersten Koalitionsregierung in Sachsen zur Regierungspolitik. Viel soll sich nicht ändern am Kurs der soliden Haushälter. Etwaige Blütenträume der Sozialdemokraten über ihre Gestaltungsmöglichkeiten scheiterten schnell an der Erkenntnis, dass sich möglicherweise mehr als 9,8 Prozent der Wähler für die Sozialdemokraten entschieden hätten, wäre es ihnen um eine völlig neue Politik im Freistaat gegangen. Der enorme Verlust von fast 16 Stimmenprozenten und damit der absoluten Mehrheit war für die erfolgsverwöhnten Christdemokraten zwar außerordentlich schmerzlich, aber immerhin hat mit gut 41 Prozent der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung die CDU als führende Regierungspartei gewollt. Das sollte sich auch in der Koalitionsvereinbarung spiegeln, die weder einen neuen Ressortzuschnitt des Kabinetts vorsieht noch umstürzende Änderungen in der Schul- und Hochschulpolitik, wie von den Sozialdemokraten im Wahlkampf gefordert. Es bleibt beim gegliederten Schulsys-tem mit der Option auf einige Versuche mit so genannten Gemeinschaftsschulen. Auch der mühsam errungene Hochschulkonsens wird nicht aufgebrochen; die beschlossenen Fakultätsschließungen und personellen Einsparungen bleiben bestehen. Dafür gibt es mehr Geld für die Kindertagesstätten, auch um die Vorbereitung auf die Schulzeit zu intensivieren, 800 zusätzliche Grundschullehrer, mehr Ganztagsangebote an Schulen und Finanzspritzen für Bibliotheken und studentische Hilfskräfte. In der Wirtschaftsförderung wird der von der CDU angedachte Wachstumsfonds für mittelständische Betriebe mit einem Volumen von 30 Millionen Euro aufgelegt, sollen Existenzgründungen durch Bürgschaften und Beteiligungen des Freistaates unterstützt werden. Neu ist ein zusätzliches Förderprogramm "Regionales Wachstum", das in den kommenden zwei Jahren 20 Millionen Euro für erfolgversprechende Initiativen in strukturschwachen Regionen vorsieht. Koalitionen haben ihren Preis, diesen Hinweis von Ministerpräsident Milbradt dürfen die Sachsen durchaus wörtlich nehmen. Denn durch die finanziellen Zugeständnisse an die SPD wird sich der Abbau der Staatsschulden verlangsamen - eine Kröte, die Sparkommissar Milbradt geschluckt hat ohne zu ahnen, wie viele giftigere Kröten ihm noch bevorstehen.

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