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Debatte
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Wortlaut der Reden

Dr. Dietmar Keller, PDS/Linke Liste Dr. Paul Laufs, CDU/CSU >>

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für unser neuestes Theaterstück, vermeldete jüngst Wolf Biermann, habe er einen pathetischen, einen sarkastischen und einen Hegelschen Satz im Angebot. »So wie es ist, bleibt es nicht«, schrieb Bertolt Brecht in »Revolutionäre Zeiten«. »So wie es bleibt, ist es nicht«, äffte Heiner Müller in Zeiten der Stagnation Brecht nach. »Nichts ist, wie es ist«, schrieb Shakespeare, »und darauf ist Verlaß.«

Mit diesen drei Zauberworten, so Biermann, kommen wir allemal durch die Welt. Obzwar er dabei das moderne deutsche Theater gemeint hat, könnte er diesen Spruch auch darauf anwenden, was in den letzten Wochen und Monaten in den Medien und in manchen Aussagen von Politikern kundgetan wurde. Mit scheint, daß diese vorbereitende Diskussion nicht immer von der Verantwortung getragen war, die wir heute mit einer Entscheidung zu treffen haben.

Ich habe jetzt sechs Jahre Berlin-Aufenthalt hinter mir. Ich wohne in Berlin. Ich gestehe ehrlich, ich kenne schönere Städte. Ich wohne ein Dreivierteljahr in Bonn. Ich wohne hier gut und habe gute Arbeitsverhältnisse. Mir scheint aber, daß diese persönliche Befindlichkeit nicht unsere persönliche Entscheidung beeinflussen darf.

Wir haben heute eine politische Entscheidung zu treffen, eine Entscheidung nicht für die nächsten vier oder fünf Jahre, sondern eine Entscheidung, die weit über die Jahrhundertwende hinausgeht. Der Gordische Knoten des Pro und Kontra für Berlin oder Bonn läßt sich nach meinem Selbstverständnis in der insgesamt doch etwas verwirrenden Diskussion nicht dadurch entwirren, daß man zwischen dem Entweder-Oder auf kompromißbereite Lösungssuche geht, so ehrenhaft und so notwendig das auch war und ist.

Eine Entscheidung ist und bleibt nun einmal eine Entscheidung für etwas und zugleich gegen etwas. Wir haben uns heute für etwas und gegen etwas zu entscheiden. Jede andere Entscheidung wäre eine halbherzige Entscheidung und würde die Debatte um Parlaments- und Regierungssitz nicht beenden.Ein sachlicher Exkurs in die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts im allgemeinen belegt zudem sowieso, daß Hauptstädte in der Regel durch politische Entscheidungen im jeweiligen Staat als solche etabliert wurden, so im übrigen 1949 auch Berlin und Bonn. In den meisten Fällen -- um in der Geschichte zu bleiben -- mußten die politische Funktion sowie die zentrale Verwaltung ebenso auf- bzw. ausgebaut werden wie das wirtschaftliche und kulturelle Gewicht und Ansehen. Nebenbei bemerkt -- auch das ist in der europäischen Geschichte ja belegt: Bildungs-, Kultur-, Verwaltungs- und Wirtschaftsmetropolen sind seit vielen Jahrhunderten in zahlreichen Ländern neben der jeweiligen Hauptstadt als Regierungssitz und Parlamentssitz als vollkommen normal empfunden worden.

Ich entscheide mich in der Abstimmung für Berlin und habe dafür drei Gründe:

Erstens. Ich halte es für angebracht, ein vor über vierzig Jahren gegebenes und danach beständig im öffentlichen Bewußtsein gehaltenes Wort auch einzulösen. Mir scheint, es spricht nicht für politische Glaubwürdigkeit, wenn man elf Legislaturperioden über Berlin als Hauptstadt und künftigen Regierungs- und Parlamentssitz spricht,

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Aber Sie haben davon nichts gesagt in den vergangenen vierzig Jahren!)

und zu Beginn der zwölften Legislaturperiode eine andere Entscheidung trifft.

(Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Herr Bezirks-

sekretär, ich würde mich an Ihrer Stelle zurückhalten!)

-- Ich werde mich nicht zurückhalten, weil ich ein demokratisches Mandat wie Sie habe, und ich werde reden, so wie ich denke, und ich werde machen, was ich will, weil ich allein meinen Wählern verantwortlich bin und nicht Ihren Zwischenrufen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und bei Abgeordneten der SPD -- Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Aber Sie sollten sich überlegen, was Sie sagen!)

Und es ist gut für eine deutsche Demokratie, daß es unterschiedliche Meinungen gibt, und es wäre für eine parlamentarische Demokratie sehr gut, wenn diese unterschiedlichen Meinungen kultiviert ausgetragen würden und nicht durch Zwischenrufe. Herr Bötsch, es ist doch bekannt, daß Sie Weltmeister im Zwischenrufen sind. Daran werden Sie nicht gemessen.

(Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Als ehemaliges SED-Mitglied wäre ich an Ihrer Stelle ganz bescheiden!)

-- Ich rede, wie ich will, ob ich in der SED gewesen bin oder ob ich früher in der CDU gewesen bin. Ich habe ein Mandat in diesem Deutschen Bundestag, und ich werde es wahrnehmen.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste und bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Wahrnehmen schließt auch ein, daß es mir in der Diskussion nicht gefällt, daß man in den letzten Wochen und Monaten von einem Provisorium Bonn gesprochen hat. Für mich ist Bonn nie ein Provisorium gewesen. Für mich ist Bonn eine Stadt gewesen, von der die neue Ostpolitik ausgegangen ist. Und die neue Ostpolitik hat einen Gorbatschow erst ermöglicht. Wenn wir heute auf ein vereinigtes, wirklich vereinigtes Europa zugehen, da hat Bonn eine historisch bedeutsame Rolle gespielt. Das bitte ich gleichermaßen in der künftigen Entscheidungsfindung mit zu berücksichtigen.

Zweitens. Ich gehe davon aus, daß die Entscheidung für Berlin im Zusammenhang mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung von erheblicher Symbolkraft sein könnte, nicht nur für das vereinigte Deutschland, sondern auch für die Völker Europas und der Welt. Diese Entscheidung eröffnete die Möglichkeit, für jedermann erkennbar ein Verständnis für die deutsche Einigung als im weitesten Sinne kulturellen Erneuerungsprozeß anzuzeigen und glaubhaft zu bedeuten, daß in der deutschen Poli

tik mit mehr zu rechnen sein wird denn mit einer größeren, alles beim alten lassenden quantitativen Potenz.

Und drittens entscheide ich mich für Berlin, weil ich darin eine große historische Chance sehe für ein modernes, bisher nicht erprobtes Modell -- auch der Sozialplanung -- nicht nur für Berlin und Nordrhein-Westfalen, sondern in der Dimension für mehrere Länder.

Meine Entscheidung für Berlin ist auch mein persönlicher Wille, dafür einzutreten, daß Bonn und die Region Bonn lebt und nicht, wie manches in Berlin, abgewickelt wird.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)

Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist der Abgeordnete Paul Laufs.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_023
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