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Volker Kröning
Mitglied des Deutschen Bundestages
SPD
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Bundesstaatsreform: In einem Akt oder Schritt für Schritt?

Die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (vgl. Kröning, RuP 2004, 201-205) - auf der Exekutivschiene zwischen Bund und Ländern ohne Ergebnis geblieben - ist auch auf der Legislativschiene, nämlich mit der aus dem Bundesrat und dem Deutschen Bundestag nach dem Muster des Vermittlungsausschusses gebildeten Kommission, misslungen. Die zusätzlichen „Bänke“, die neben der Bundesregierung die Landtage einbezogen, vermochten den Misserfolg nicht zu verhindern.

Dass ein größeres Gewicht des „Sachverstandes“, für das einige Beobachter vor- wie nachher plädiert haben - etwa in der Form einer „Enquete“ -, daran etwas geändert hätte, ist nicht plausibel. Immerhin umfasste die Kommission zwölf prominente Sachverständige. Sie haben intensiv mitgearbeitet, und Bundestag und Bundesrat sind ihnen zu Dank verpflichtet.

Auch die Forderung nach einem „Verfassungskonvent“ flackerte wieder auf, vorzugsweise von ehemaligen Spitzenvertretern der Ersten und Dritten Gewalt. Ihr „Konvent“ beteiligte sich allerdings an dem Arbeitsprozess der Kommission - im Unterschied zu der „Stiftungsallianz“ - bis auf einige Zwischenrufe nicht.

Dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, der gerne verfassungspolitische Empfehlungen abgibt, z.B. zur Umwandlung des Bundesrates in einen Senat (wie es vom Parlamentarischen Rat erwogen, jedoch verworfen wurde) oder zur Neugliederung der Länder, blieb es vorbehalten, das Resultat als „Beispiel“ zu qualifizieren, „wie wenig reformfähig unser Staat noch ist“ (1)

Trifft dies zu? Welche Ergebnisse hat die Kommission zustande gebracht? Was ist Anlass, was Ursache des Fehlschlages? Was folgt - wenn nicht in einem Akt, so vielleicht Schritt für Schritt? Ist die institutionelle Selbstblockade der Bundesrepublik Deutschland ausweglos?

I. Die Verhandlungen

Nach einjährigen Beratungen (2) trat am 17. Dezember 2004 die Kommission zu ihrer abschließenden Sitzung zusammen, doch anders als zugesagt war und bis zuletzt erwartet wurde, lag ihr kein Vorschlag der beiden Vorsitzenden vor (3). Ein „Vorentwurf“ (4), den die Vorsitzenden am 13. Dezember 2004 nach drei Konsultationsrunden mit dem erweiterten Kreis der Obleute und der Koordinatoren am 10. und 26. November sowie am 3. Dezember 2004 erarbeitet hatten, umfasste noch fünf offene Punkte; einer von ihnen - Hochschulrecht und Bildungsplanung - wurde zur Sollbruchstelle.

Dies sprach der vom Bundestag bestimmte Vorsitzende Franz Müntefering gleich zur Einleitung an - einschließlich der von ihm vorgeschlagenen Verfahrensalternativen für die Lösung der Bildungsproblematik (5). Der vom Bundesrat entsandte Mit-Vorsitzende Dr. Stoiber bestätigte es knapp; doch er suchte im weiteren das von den Ländern überraschend aufgestellte Junktim zwischen der (Noch-) Nichteinigung in dem einen Punkt und dem Gesamtpaket mit dem Hinweis auf die „Staatsqualität“ der Länder und einen Zuständigkeitsbereich zu rechtfertigen, den der Verfassungsgeber den Ländern ganz bewusst übertragen habe: „Das ist der gesamte Bildungsbereich“ (6).

Beide Vorsitzenden schlossen ihre Ausführungen mit grundsätzlichen Positionsbestimmungen zur Bildungspolitik (7) - ohne sich auf Alternativen zur Beendigung der Kommissionsarbeit verständigt zu haben (8). Sie führten zwar ihre Kompromisssuche auch nach dem Jahreswechsel fort; aber nach dem „Moment“, dem Zeitfenster des Jahres 2004, scheint das „Momentum“ für einen Erfolg zu schwinden, nämlich der Wille, die allfällige Partei- und Bund-Länder-Konkurrenz zu Gunsten der Bundesstaatsreform zurück zu stellen.

Dies obgleich ein fast fertiges Gesamtpaket einer Bundesstaatsreform vorlag und die Einigung über die offenen Punkte des Vorentwurfes in Reichweite war: Zu der abschließenden Sitzung der Kommission gab es sogar noch einen Vorschlag für eine Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen im Umweltbereich, der nach monatelangen Auseinandersetzungen die Zustimmung sowohl der Bundesregierung als auch aller Fraktionen des Bundestages gefunden hatte und von dem Abgeordneten Klaus Uwe Benneter eingebracht wurde (9).

Der Vorschlag wäre von den Vorsitzenden auszuverhandeln gewesen, da er sich in ihr Konzept der Abschaffung der Rahmenkompetenz und einer Reduzierung der Artikel 72 Abs. 2 GG unterfallenden Titel bzw. Materien der konkurrierenden Kompetenz einfügte, verfassungsrechtlich legitimierte wie limitierte einfachgesetzliche Abweichungen von einheitlichem, vom Bund zu regelnden Umweltrecht durch die Länder und sogar eine Sonderegelung für das (Umwelt-) Verfahrensrecht vorsah.

Auch in den offenen Punkten der Inneren Sicherheit (Bundeskriminalamt und Katastrophen-/ Zivilschutz) sowie der Mitwirkung der Länder in Europaangelegenheiten - bei Fällen ihrer primären oder ausschließlichen Kompetenz - standen Einigungen bevor. Zwar hätten sie besonders offenkundigen Kompromisscharakter gehabt; denn die Vorstellungen der Vorsitzenden aus dem „Sprechzettel“ zu der Erweiterten Obleuterunde am 3. Dezember 2004 tauchten in ihrem nachfolgenden Entwurf nicht mehr auf. Aber als Teile eines Gesamtpaketes waren sie konsensfähig.

Im Themenfeld Finanzen, das besonders lange und zäh verhandelt worden war, lagen ebenfalls Formulierungsvorschläge für Verfassungs- und sonstige Gesetzesänderungen vor: von mehr Steuerautonomie der Länder zumindest bei der Grunderwerbssteuer über einen „Steuertausch“ (Kfz-/ Versicherungsteuer) bis zu einer durchgreifenden Effizienzverbesserung der Steuerverwaltung - zwar nicht durch Änderung des Grundgesetzes, aber durch Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und der Abgabenordnung. Noch zwischen der vorletzten und der letzten Verhandlungsrunde waren die Texte und die Basisrechnungen unter Federführung des Bundesministeriums der Finanzen und des Hessischen Staatsministeriums der Finanzen abgestimmt und fertig gestellt worden.

Sogar über die Verankerung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumsregimes (Artikel 104 EGV und Stabilitäts- und Wachstumspakt) im Grundgesetz (Artikel 109 Abs. 5 neu) - ein wichtiges Signal der Handlungsfähigkeit und der Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union - schien nach dem letzten „Sprechzettel“ Einigkeit erreicht, allerdings nicht über alle Eckpunkte des vorgesehenen Ausführungsgesetzes. Das Entgegenkommen des Bundes, einen Schlüssel von 65:35 Prozent für die Verteilung möglicher Sanktionszahlungen im Verhältnis zur Gesamtheit der Länder vorzusehen, hätte allerdings die Länder vor schwer lösbare Probleme der „Verteilung“ ihres Anteils gestellt; daher lag für das Ausführungsgesetz noch kein Text vor.

Auch ein Durchbruch bei der Haftung für Verletzung von (sonstigen) supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen - dem nach dem „Vorentwurf“ letzten noch offenen Punkt - schien greifbar, da sich der Bund bereit erklärt hatte, bei den sog. Anlastungen eine Interessenquote im Verhältnis zu den Ländern von 10:90 Prozent zu akzeptieren. Dieser Punkt ist gerade für die administrative und forensische Praxis von großer Bedeutung. Allerdings wurde auch dieser Punkt zwischen dem letzten Sprechzettel und dem Vorentwurf mit Rücksicht auf die Länder wieder offen gestellt.

Alle diese ein Jahr oder auch in den Monaten und Wochen zuvor kaum denkbaren Verständigungschancen wurden von den Vorsitzenden übereinstimmend zu Protokoll gegeben (10) - umso unverständlicher, warum die Arbeit nach dem Abbruch noch von Erfolg sollte gekrönt werden können.

Ein Risiko allerdings, das der Tragweite des bildungspolitischen Grunddissenses gleichkam, waren die sog. Mischfinanzierungen (Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen) geblieben. Der Vorentwurf führte sie zwar nicht mehr als offenen Punkt auf, aber die frühere - zumindest verbale - Ambition, diesen (de iure und de facto) besonders heiklen Teil der bundesstaatlichen Ordnung zu reformieren, war erkennbar geschrumpft.

Es lässt sich nicht leugnen: Bis zum Schluss gab es offene und verdeckte Dissense nicht allein auf der Ebene der schriftlichen Materialien („in the books“); anscheinend spielte sich auf der Ebene der vielfach informellen Kommunikation („in action“) eine Vielzahl von Konflikten ab, die verschiedenen Akteuren den Griff zur Reißleine zur unwiderstehlichen Versuchung machten. Nachweisbar und dokumentierbar wird dies wohl nie sein.

II. Die Ergebnisse

Zu den wesentlichen Ergebnissen, die eine Chance auf Zwei-Drittel-Mehrheiten in der Kommission hatten (wenn auch nicht unbedingt sicher in Bundestag und Bundesrat), gehörten nach dem Vorentwurf der beiden Vorsitzenden folgende Punkte:

  1. die Reform des Artikels 84 Abs. 1 GG: Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Sofern Bundesgesetze etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.
  2. die Schaffung eines neuen, an die Stelle von Artikel 104 a Abs. 3 Satz 3 GG tretenden Zustimmungsrechts des Bundesrates bei Gesetzen mit erheblichen Kostenfolgen (als Artikel 104 a Abs. 4 neu bei Verlagerung des bisherigen Artikels 104 a Abs. 4 in einen neuen, die Finanzhilfen regelnden Artikel 104 b GG):

    Führen die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, bedürfen diese der Zustimmung des Bundesrates, wenn sie Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen oder geldwerten Sachleistungen gegenüber Dritten begründen.

  3. die Streichung der Artikel 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 98 Abs. 3 Satz 2 und 74a GG in Verbindung mit der Einfügung eines Artikels 74 Abs. 1 Nr. 27 GG:

    die Statusrechte und - pflichten der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des Öffentlichen Rechts, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung

    sowie die Ergänzung von Artikel 33 Abs. 5 GG um die Worte:

    ... und fortzuentwickeln.

  4. beträchtliche weitere Kompetenzverlagerungen auf die Länder, z.B. durch Streichung des bisherigen Artikels 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG und durch Neuaufteilung von Titeln / Materien des Artikels 74 Abs. 1 GG sowohl auf die Länder als auch in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes; dies sollte u.a. so kontrovers diskutierte Punkte wie Strafvollzug, Notariat, Teile des Rechts der Wirtschaft, Teile von Artikel 74 Abs. 1 Nrn. 17 und 18 GG auf der einen Seite und auf der anderen Seite eine Neufassung von Artikel 74 Abs. 1 Nr. 11a alt bzw. Artikel 73 Nr. 14 neu und Teile von Artikel 74 Abs. 1 Nrn. 19 und 20 GG umfassen (Vorentwurf II. 4 und 5).
  5. beachtliche - wenn auch nicht genügend weit reichende - Ausnahmen von der Erforderlichkeitsklausel in Artikel 72 Abs. 2 GG bei der konkurrierenden Gesetzgebung (II.6), z.B. für die bundeseinheitlichen Statusregelungen des Öffentlichen Dienstes und die Materien der Artikel 74 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 und 18 alt/neu.
  6. die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ (Artikel 91 a Abs. 1 Nr. 1 GG) - unter Fortführung der Förderung von Großgerät und Vorhaben sog. nationaler Exzellenz durch den Bund, etwa durch Beibehaltung der bzw. Subsumierung unter die Gemeinschaftsaufgabe „Forschungsförderung“ (Artikel 91 b GG) -, die Einführung einer neuen Vorschrift über Finanzhilfen mit den Maßgaben, die Mittel nur befristet zu gewähren und hinsichtlich ihrer Verwendung in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen bzw. die Hilfen im Zeitablauf mit fallenden Jahresbeträgen zu gestalten (Artikel 104 b neu), die Übertragung der bisherigen einzelgesetzlichen Finanzhilfen „Gemeindeverkehrsfinanzierung“ und „Wohnungsbauförderung“ auf die Länder sowie Eckpunkte einer Kompensation, die in einer Übergangsvorschrift umgesetzt werden sollten (Artikel 143 c neu) - wobei die finanzielle Verständigung der Schlussrunde der Vorsitzenden vorbehalten sein sollte (III.1).
  7. die Verankerung der Hauptstadtfunktion von Berlin in Artikel 22 GG.
Diese von der (Fach-) Öffentlichkeit kaum beachteten Ergebnisse hatten die Konsultationsrunde - bis auf die einzelnen Texte und die Zahlen zu den Mischfinanzierungen und den Übergangsvorschriften - passiert und besaßen daher eine reelle Durchsetzungschance in der Kommission.

Im Themenfeld „Gesetzgebungskompetenzen und Mitwirkungsrechte“ (s. oben a) bis e)) rieben sich allerdings die Länder an der „lex posterior-Regel“ bei Artikel 84 Abs. 1 neu GG; sie verlangten - allerdings erkennbar ohne Chance auf Zustimmung des Bundes - zwischen den Sätzen 2 und 3 den Einschub:

Regelungen der Länder gehen den Regelungen des Bundes nach Satz 2 vor.

Dasselbe Problem harrte auch noch der Lösung im Verhältnis zwischen Umweltgesetzgebung und Abweichungsrecht; während die Vorsitzenden in ihrem letzten Sprechzettel die „lex posterior-Regel“ durchaus in Erwägung gezogen hatten, waren dazu - wie zu hören war - Zweifel im Unionslager sowohl auf Länder-, als auch auf Bundesseite laut geworden (11). Auch darauf war der zuletzt vorgelegte Lösungsvorschlag (s. oben I) eine Antwort.

Ähnliches galt auch für den Vorschlag, die von den Ländern frühzeitig aufgeworfene Kostenfolgenproblematik zu lösen. Nach langwierigen Erörterungen und Berechnungen - schon in der zuständigen Projektgruppe und intensiv begleitet durch das Bundesministerium der Finanzen und sogar unterstützt durch das Sekretariat der Kommission - gelangte man zu der Auffassung, die gefundene Formulierung (s. oben b)) werde die - über die im Grundgesetz benannten Tatbestände und über Artikel 84 Abs. 1 GG bisheriger Fassung generierte - Zustimmungsquote auf 35 - 40 Prozent reduzieren, wie die Vorsitzenden in ihrem Sprechzettel zu der Obleuterunde am 3. Dezember 2004 vorgegeben hatten. Die damalige Vorformulierung war auf breite Reserve gestoßen; dies führte zwar zu einer Verbesserung in dem Vorentwurf, aber nur um den Preis eines sog. Begleittextes, der als Anhang beigefügt war. Bis zum Schluss war man sich indessen der Effekte dieses Vorschlages nicht sicher.

Andere Ergebnisse hatten in den Tagen vor dem 17. Dezember 2004 sog. Fachöffentlichkeiten (vulgo: Bruderschaften) aufgebracht, so z.B. die Kompetenzreform des Öffentlichen Dienstes. Der Mit-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Dr. Stoiber meinte in der Sitzung, man habe diese Reform „natürlich gerne entgegen genommen. Allerdings sind das keine Kompetenzen von überragender Bedeutung ...“ (12). Die Verbände dbb und ver.di hatten anscheinend das Nötige getan, um eine spätere Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat zweifelhaft erscheinen zu lassen.

Das Ergebnis im Themenfeld „Finanzen“, das die zunächst skeptischen Erwartungen übertraf, ließ die Debatte um die Mischfinanzierungen in den Hintergrund treten. Der (kombinierte) Vorschlag, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ im materiellrechtlichen Teil des Grundgesetzes zu streichen, fast einmütig von den Ländern und den Sachverständigen gefordert, sie jedoch in den Übergangs- und Schlussbestimmungen (Abschnitt XI) als Element des (Korbes 2 des) Solidarpaktes II bis (max.) 2019 festzuschreiben, und ferner das in den Kommissionsberatungen besonders beanstandete dritte Kriterium für Finanzhilfen in Artikel 104 a Abs. 4 Satz 1 GG („Förderung des wirtschaftlichen Wachstums“) durch ein neues Kriterium „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zu ersetzen (13), wurde in seiner innovativen Tragweite verkannt: Zunächst fand er in der Konsultationsrunde Zuspruch auf Seiten des Bundestages wie des Bundesrates, zuletzt ging er jedoch in einer von Sachsen und Brandenburg vom Zaun gebrochenen, von niemandem mehr im Sinne gesamtstaatlicher Politik zu steuernden Debatte über die Verankerung des Solidarpaktes II im Grundgesetz unter.

Die Verquickung der Fragen der Mischfinanzierungen und der Auseinandersetzung um die Bildungspolitik - selbst auf dem sachlichen Boden von Alternativen zu dem Kriterium bzw. Institut „Bildungsplanung“ (Artikel 91 b GG) - erschwerte in der Schlussrunde die ruhige, systematische Erarbeitung von Einzelantworten.

Die Ausklammerung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs - wie der Neugliederung des Bundesgebietes - aus dem Auftrag bzw. der Arbeit der Kommission reichte nicht aus, um das Vertrauen in die Verbindlichkeit (der weiteren Finanzierung) des Aufbaus Ost für den Westen zu sichern; intern und öffentlich setzte eine diffuse Debatte über die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ (Artikel 72 Abs. 2 GG) bzw. die „Verbesserung der Lebensverhältnisse“ (Artikel 91 a GG) ein. Die sorgfältige Abgrenzung der bereits gesicherten bzw. noch zu sichernden Konsenspunkte im Feld „Finanzen“ gegen jene „Tabu-“ Punkte schlug fehl.

Doch vor allem schwand rapide das Engagement für das Vorhaben, den Anwendungsbereich des Artikel 72 Abs. 2 GG zu reduzieren - wenn nicht die Vorschrift überhaupt zu streichen -, für das sich der Fraktions- und Parteivorsitzende der SPD stark gemacht hatte. Zwar erkannte sein Gegenüber von Seiten der Länder und der Union bei dem Abgesang der Kommission diese Zielsetzung an, aber in der Tonart eines Zugeständnisses der Länder an den Bund (14).

Dies verheißt nichts Gutes für die künftigen Bund-Länder-Auseinandersetzungen in Kompetenzfragen. Es hat den Anschein, dass dieses Thema von den meisten Beteiligten nicht durchdrungen oder nur machtstrategisch eingeordnet wurde. Immer deutlicher ist, dass es um die Demokratiefähigkeit unseres Gemeinwesens in beiden Dimensionen seiner Legitimität - nämlich des Föderalismus und des Parlamentarismus - geht. Antworten, die weit über den status quo hinaus geführt hätten, mussten in dieser Manier zu kurz kommen und bleiben nun der Verfassungsgerichtsbarkeit überlassen.

Will man nicht auf eine krisenhafte Zuspitzung demokratischer Politik in Deutschland und den Kollaps ihres institutionellen Regelwerkes - oder eine bloße Politik des Durchwurstelns - setzen, sind Wege aus der Gefahr - sowohl im Verfahren als auch in der Sache - zu suchen.

III. Exkurs: Bildung

Die Brisanz der Themen „ Bildung“ und „Mischfinanzierungen“ hatte sich bereits zur Mitte der zwölfmonatigen Kommissionsarbeit gezeigt.

Doch während im Themenfeld I eine Auflösung der Rahmenkompetenz für das Hochschulrecht nach Artikel 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a GG in Reichweite schien, suchte man den Stein des Anstoßes im Feld II - nämlich der Ersetzung des Begriffs „Bildungsplanung“ in Artikel 91 b GG durch den Begriff „Fortentwicklung des Bildungswesens“ in der von der SPD vorgeschlagenen neuen Vorschrift eines Artikel 104 b GG - dadurch aus dem Weg zu gehen, dass der Begriff in „eckige Klammern“ gesetzt wurde. Jedermann war deutlich, dass damit die Streitfrage erst in der Verhandlungsrunde und, wenn nötig, von den Vorsitzenden zu entscheiden war.

Zur Obleuterunde am 26. November 2004 überraschten die Vorsitzenden mit dem Vorschlag, dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Hochschulzulassung und -abschlüsse und der Qualitätssicherung innerhalb des Artikels 74 GG - und ohne Anwendung des Artikels 72 Abs. 2 GG - zuzuordnen, allerdings mit der Maßgabe, eine Abweichung durch Staatsvertrag unter den Ländern zuzulassen. In dem Sprechzettel hieß es:

Von dieser Kompetenz kann er solange Gebrauch machen, bis die Länder diese Bereiche in einem Staatsvertrag regeln. Falls der Staatsvertrag durch Kündigung erlischt, lebt die Bundeskompetenz wieder auf.

Es wurde auch zum Ausdruck gebracht, dass der Bund von dieser Kompetenz Gebrauch machen werde, wenn die Länder nicht innerhalb von zwei Jahren einen Staatsvertrag schlössen. Auf Nachfrage wurde klar gestellt - obgleich ein Vorschlag zur Fortgeltung bisherigen Bundesrechts (vgl. Artikel 125 ff. GG) noch nicht vorlag -, dass das bisherige Hochschulrahmenrecht - zumindest in jenen Teilgebieten - zunächst weiter gelten sollte.

Auffällig war im Übrigen, dass sich die Vorsitzenden auf die Beibehaltung des status quo in / nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 11 (im Falle des Rechtes der außerschulischen beruflichen Bildung) und Nr. 13 GG (d.h. bei der Regelung der Ausbildungsbeihilfen und der Förderung der wissenschaftlichen Forschung) verständigt hatten.

Dieses (Teil-) Paket überforderte anscheinend die Länder. Bei einigen - z.B. Baden-Württemberg - stieß es auf unverhohlenen Protest. Berlin machte demgegenüber den Alternativvorschlag, statt der Verschränkung von Bundesgesetz und Staatsvertrag das Recht der Hochschulzulassung und -abschlüsse dem Bund und das Recht der Qualitätssicherung den Ländern zu überlassen. (Über das Recht des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals waren mit den Vorschlägen zur Kompetenzreform des Öffentlichen Dienstes die Würfel gefallen).

Schon in der letzten Obleuterunde am 3. Dezember 2004 war der Vorschlag überholt. In dem vor der Sitzung verteilten Sprechzettel war zwar noch „Diskussionsbedarf“ angemeldet, die Bundes- und die Länderpositionen standen sich aber (wieder) scheinbar unversöhnlich gegenüber.

Eine in dem Sprechzettel als Anlage angekündigte, indessen erst als Tischvorlage verteilte Erläuterung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu den strittigen Inhalten einer mobilitäts- und qualitätssichernden (Rest-) Kompetenz des Bundes im Hochschulrecht diente als Vorwand für einen Eklat: Während Bremen (verspätet) der früheren Position Berlins beisprang und Bayern noch zu bedenken gab, das Bundesgesetz der Zustimmung des Bundesrates zu unterwerfen, setzte sich Hessen an die Spitze des Widerstandes gegen einen Kompromiss und bezeichnete die Tischvorlage als „indiskutabel“; Sachsen und das Saarland schlossen sich in scharfen Worten an.

Es offenbarte sich, dass der in der Sommerpause in der zuständigen Projektgruppe erzielten Einigung über eine bundeseinheitliche Regelung der Streitfragen ein - verdeckter - Dissens zugrunde gelegen hatte: Die Länder wollten offenbar niemals eine Regelung durch Bundesgesetz, sondern durch staatsvertraglicher(Selbst-) Koordination; eine Unterlage der Chefs der Staats- und Senatskanzleien aus der Woche vor dem 17. Dezember 2004 belegte diesen Anspruch - so wenig er bei näherer Lektüre sachlich überzeugte.

Vor diesem Hintergrund musste das verbale Entgegenkommen, zu dem die Länder zuletzt bereit waren, nämlich die Rahmenkompetenz des Artikels 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a GG beizubehalten, allerdings auf „Grundsätze der Hochschulzulassung und -abschlüsse“ beschränkt, als - juristisch wie politisch durchsichtiges - Manöver wirken, vor allem mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zur Juniorprofessur.

In Verbindung mit dem Ansinnen, bei den Mischfinanzierungen den Begriff „Bildungsplanung“ ersatzlos wegfallen zu lassen (d.h. auf keinen der Alternativvorschläge einzugehen, die während der Beratungs- und bis zuletzt in der Verhandlungsphase gemacht wurden), wurde deutlich, dass der Bund keineswegs - wie die Propaganda der Länder glauben machen wollte und will - zusätzliche Bildungskompetenzen anstrebt, sondern dass die Länder sich im Gegenteil ein „Bildungsmonopol“ anmaßen, wie es in und seit der Schlussrunde zur stehenden Wendung wurde.

Exkurs im Exkurs: Der Zickzackkurs der Länder ist an den Beratungen und Verhandlungen zur Schnittstelle zwischen Kultur- und Verfassungspolitik abzulesen: War Ende 2003 - im Blick auf die Kommission - ein Beschluss der Ministerpräsidenten über ein mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ausgehandeltes „Eckpunkte“-Papier zur Systematisierung der Kulturförderung vertagt worden (15), suchten die Länder in der Kommission den Bund sukzessive in eine verfassungsrechtliche garantierte (!) finanzielle Mitverantwortung für die Kulturförderung zu ziehen (16), um schließlich sogar Möglichkeiten der gemeinsamen, umfassenden Verantwortung von Bund und Ländern für die Kultur entweder in den Verfassungsgrundsätzen (Artikel 20 Abs. 1 GG: „Demokratischer, sozialer und kultureller Bundesstaat) oder bei den Staatszielbestimmungen (als neue Vorschrift eines Artikels 20 b GG) zu sondieren (17).

Man muss festhalten: In diesem Kernbereich ihrer Kulturhoheit haben die Länder ebenso wenig für sich und das Gemeinwesen erreicht wie bei der Entscheidung der Ministerpräsidenten Ende 2004, im Blick auf den Schlusspoker in der Kommission das Bundesprogramm zur Förderung von Spitzenuniversitäten, das bereits unter den Fachministerinnen und -ministern ausgehandelt war, abzulehnen.

Bei der Auseinandersetzung über den mit der Aufgabentrennung verbundenen Finanztransfer bei den bisherigen Gemeinschaftsaufgaben der Artikel 91 a Abs. 1 Nr. 1 und 91 b GG ging es schließlich zur Sache: Die Länder forderten mindestens 80 Prozent der bisherigen Bundesmittel; der Bund war bereit, den Ländern bis zu 50 Prozent zuzugestehen. Die Nicht-Einigung lieferte den Beweis, dass sich die Länder in eine Alles- oder Nichtsstrategie geflüchtet hatten.

Zu Recht - und über den Tag hinaus - wies der Fraktions- und Parteivorsitzende der SPD, der sich dieser Instrumentalisierung der Bildungspolitik gegen die gesamte Bundesstaatsreform entgegengestemmt hatte, darauf hin, dass sich Bund und Länder gemeinsam der Aufgabe „Bildung“ stellen müssten und beide in der Mitverantwortung stünden (18):

Es sollten vor allen Dingen zwei Fragen beantwortet werden: Erstens. Wie soll das Bildungswesen, speziell das Hochschulwesen, in den nächsten Jahren so weiter entwickelt werden, auch unter Zielsetzung einer größeren Autonomie der Hochschulen, dass es im Hinblick auf Zulassung, Abschluss und Qualität auch im internationalen Wettbewerb exzellent ist? Zweitens. Welche Aufgaben haben dabei in Zukunft Bund und Länder?

Es wird Aufgabe der nächsten Zeit - mit oder ohne Verfassungsreform - sein, dieses Niveau der Diskussion zu erreichen und deutlich zu machen, dass es nicht um ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch an dieser Schnittstelle zwischen Fach- und Verfassungspolitik geht (19).

Denn es gibt de iure und de facto eine Bildungspolitik der Länder und des Bundes und eine Vielzahl von Berührungspunkten - vor allem zwischen Kinder- und Jugendhilferecht einerseits und Schulrecht andererseits, innerhalb der Berufsbildung und beim Verbund von Forschung und Lehre. Dies erheischt schlicht und einfach eine horizontale und eine vertikale Koordination; und dies verlangt die Öffentlichkeit! Dies sollte nicht nur das Bundesparlament, sondern auch - und vor allem - die Länderparlamente auf den Plan rufen; denn an sie wird bei der viel beschworenen „Selbstkoordination“ am wenigsten gedacht.

Aktuell und vordringlich bleibt die Realisierung der von allen zuständigen Ministerinnen und Ministern der Länder und des Bundes erst im Jahre 2004 beschlossenen „Gesamtstaatlichen Bildungsberichterstattung“ - die (nota bene) bisher von den Regierungschefs nicht in Frage gestellt worden ist. Dies könnte Ansatzpunkt einer Reform der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung sein, mit der die Verhärtung der Fronten zwischen Bund und Ländern zugunsten einer sachlichen, zukunftsgerichteten Kooperation überwunden werden könnte (20)!

IV. Konsequenzen

Wenn es heißt, die Kommission sei gescheitert, muss man fairerweise die Größe, Zusammensetzung und Organisation der Verhandlungsrunde ins Auge fassen: Von den je 16 Vertretern der Bundestags- und Bundesratsseite umfasste sie neben den beiden Vorsitzenden je 8 Vertreter beider Seiten; dies waren auf seiten der Länder diejenigen, die dem Obleutegremium angehörten (Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen), und diejenigen, die in den Arbeitsgruppen der Themenfelder I und II die Funktion der sog. Koordinatoren inne hatten (Baden-Württemberg und Berlin sowie Brandenburg und Hessen). Zu den 18 Mitgliedern dieser „Erweiterten Obleuterunde“ hätte es nur noch vier weiterer stimmberechtigter Mitglieder der Kommission bedurft, um die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit zustande zu bringen. Doch einige Regierungschefs, die nicht diesem Gremium angehörten und die nach dem Abbruch der Kommissionsarbeit die bereitgestellten Mikrofone und Kameras suchten, hatten weder an den Verhandlungen noch an den voraufgegangenen, mehr als einjährigen Beratungen teilgenommen, also wohl kein Interesse an einem wirklichen Erfolg.

Doch nicht nur diesem weiteren Kreis, sondern auch dem engeren Kreis muss man bescheinigen, dass sich die Vorsitzenden im Verlauf der Verhandlungen ihrer Mitspieler nur unterschiedlich und im Falle der Länder immer weniger sicher sein konnten. Zwar hatte - schon in den Monaten zuvor - die Bundesseite Mühe, einen einheitlichen Standpunkt zu beziehen. Dies galt nicht nur für die Koordination zwischen den Vertretern der Koalition in der Kommission und der Bundesregierung, sondern auch für die Koordination zwischen der Mehrheit und der Minderheit im Deutschen Bundestag. Aber man hatte über Monate hinweg Erfahrungen mit mehreren gemeinsamen Initiativen gemacht und die fraktionsübergreifende Konsensbildung vorangetrieben. Die Chancen der Vorsitzenden, sich auf dieser Seite - dies darf man für fast alle Punkte sagen - durchzusetzen, waren größer als auf Länderseite.

Dagegen offenbarte der Verlauf der Verhandlungen, dass unter den Ländern die zusammenführenden Kräfte nachließen und die auseinander treibenden Faktoren an Gewicht zunahmen. In den neuralgischen Punkten - in der Bildungspolitik und bei den beiden Kernfragen der Finanzbeziehungen, die auf der Tagesordnung der Kommission standen, vor allem bei den Mischfinanzierungen, doch leider auch der Finanzverantwortung in EU-Angelegenheiten - gaben schließlich Länderinteressen und -gruppen, die vielleicht weniger der Parteipolitik, allerdings auffällig den bekannten Stärkeverhältnissen folgten, den Ausschlag.

Man darf annehmen, dass die Verhandlungs(mit)führung durch Bayern, die - was die Zweier-Gespräche der Vorsitzenden angeht - der Vertraulichkeit unterliegt, und auch die Assistenz durch Hessen, die aus schwer nachvollziehbaren Gründen in den Finanzverhandlungen hinzu trat, zum Schluss nur noch ein schwaches Mandat besaßen. Allerdings gab es auch kein kontimuierliches und ausschlaggebendes Gegengewicht auf der sozialdemokratischen Seite.

Die Gründe lagen weniger in den inneren als in den äußeren Strukturen der Kommission. Die Aus-Zeit von der Alltagspolitik, die ein Jahr funktioniert hatte, war möglicherweise zu lang bemessen; jedenfalls war sie nicht genügend immunisiert gegen Veränderungen, die sich in einzelnen Ländern (besonders in Baden-Württemberg und in Sachsen) abgespielt hatten, und gegen Vorwirkungen der Wahlen in den Jahren 2005 und 2006. Hätte der Kommission - umgekehrt betrachtet - etwas mehr Zeit zur Verfügung gestanden, etwa auch durch längere Bemessung der Verhandlungsrunde zu Lasten der beiden voraufgegangenen Phasen, wäre der Zwang zur Einigung auf allen Seiten vielleicht stärker gewesen. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass die Bundesseite eher abschlussfähig war als die Länderseite.

Sucht man die Ursachen dafür, dass das „Vermittlungsausschuss“-Modell für die Verhandlung - denn dies hatte die Länderseite gegen die Bundesseite in der ersten der drei Obleuterunden anstelle eines klaren Verhandlungsmandats an die Vorsitzenden, begleitet von einer kleinen Redaktionsgruppe (etwa „Hauptausschuss“-Modell) durchgesetzt - fehlschlug, muss man vermuten, dass das Interesse der Länder an einer Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung nur vordergründig war, weil kaum ein Akteur auf den beiden Ebenen mit dem Status quo glücklich ist. Diese Gemeinsamkeit, die sich auf der Länderebene in der Regel mit einer - nicht unbedingt parteipolitisch unterlegten - Frontbildung gegen den Bund verbindet, endet in dem Moment, in dem die Interessen der (wirtschafts- und finanz-) schwachen Länder mit den Interessen der starken Länder aufeinander treffen. Der Preis für die notwendige Zustimmung der einen Seite - dies hat sich bei den Finanzthemen exemplarisch an der Debatte um mehr Einnahmeautonomie der Länder gezeigt, mit der etliche Vertreter des Bundes sympathisiert hatten - ist stets der jeweils anderen Seite zu hoch; das Festhalten am Status quo bleibt dann das kleinere Übel.

Vor diesem Hintergrund ist unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit die Kraftanstrengung zu wiederholen ist, Zwei-Drittel-Mehrheiten in beiden Häusern für ein Paket von Verfassungsänderungen vorzubereiten, das in das Zentrum der Machtverteilung in der Republik getroffen hätte. Doch auch wenn damit die Überwindung der „Selbstblockade durch Selbstreform“ als epochale Chance vertan ist, könnte sich die Staatspraxis Auswege schaffen. Denn die wesentlichen Probleme und Lösungen sind markiert worden, und es bleiben zwei Strategien, sowohl einen Rückschlag zu verhindern als auch den Versuch fortzusetzen, Schritt für Schritt das Kernproblem des Landes zu lösen, nämlich seinen institutionellen Immobilismus zu überwinden:

Sie sollten zum einen ansetzen an den Stellen, an denen die Verfassungsänderungen sichtbar überragenden inhaltlich-politischen Zwecken dienen sollten, z.B. einem effizienteren Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern oder einer zukunftsfähigen Aufstellung des Gesamtstaates gegenüber der EU, oder solche Zwecke auch ohne Änderungen des Grundgesetzes, jedoch mit dem Erlass oder der Änderung einfacher Gesetze erreichbar sind, z.B. bei der Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Artikel 74 Abs. 1 Nr. 13 GG) oder bei der Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes (Artikel 108 GG).

Der andere strategische Ansatzpunkt liegt dort, wo sich im Laufe der Kommissionsarbeit die Zielsetzung herausgeschält hat, jenseits der Anlässe aus Artikel 84 Abs. 1 und 72 Abs. 2 GG einen neuen Mix von Zentralität und Dezentralität, von Gesamtsteuerung und Eigenverantwortung der Ebenen und Bereiche öffentlichen Handelns (einschließlich der Kommunen) zu erreichen. Jedenfalls widerlegt der wiederholte Fehlschlag einer Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung dieses Projekt nicht - im Gegenteil.

Wenn dies jedoch nur zu einer Verfahrensdebatte führen würde, wäre das Projekt in einer Sackgasse gelandet. Vonnöten ist vielmehr eine Sachdebatte, die sich den Fragen stellt,

  • ob eine Bundesstaatsreform nur im Interesse der Länder liegt - wie es lange Zeit suggeriert wurde - oder auch im Interesse des Bundes,
  • ob ihr Leitbild die Rückkehr zum „klassischen Föderalismus“ ist, wie er in der normativen Struktur des Grundgesetzes angelegt ist, bzw. die Korrektur des „Beteiligungsföderalismus“ durch einen „Gestaltungsföderalismus“, wie es ziemlich nebulös während der gesamten Kommissionsarbeit hieß, und
  • ob man in Zukunft nicht am besten resolut bei der Verfassungswirklichkeit ansetzt, um Verantwortung demokratischer Politik und ihre Voraussetzungen wieder zu stärken.
Im Kern gehören dazu zwei Erkenntnisse, nämlich dass die Länder in einem Maße - wie es sich besonders bei den Finanzen gezeigt hat - heterogene Strukturen haben, dass sie aus diesem Zirkel nicht ohne den Bund herausfinden dürften (21), und dass der Bund durch extensive Anwendung seiner Regelungsbefugnisse - vor allem im sog. Rahmenrecht, jedoch auch im Organisations- und Verfahrensrecht - erheblich zur Selbstblockade des politischen Systems der Bundesrepublik beigetragen hat. Dies fällt nicht in erster Linie in die Verantwortung der Ministerialverwaltung, sondern des Gesetzgebers.

Noch konsequenter als bisher ist zu fragen, ob die Uneinheitlichkeit der Länder (-gesamtheit) ein Nachteil - wie bisher zumeist angenommen - oder ein Vorteil für das Ganze ist und der Bund aus dem Versuch, die bundesstaatliche Ordnung in einem Akt zu modernisieren, nicht die Lehre ziehen sollte, den Ländern mehr Autonomie - bei den Finanzen auf der Ausgaben- wie Einnahmeseite - und mehr Möglichkeiten der Erprobung alternativer, regionaler Problemlösungen im Rahmen ihrer „Hoheit“ anzutragen.

Fällt die Antwort positiv aus - und dafür sollte sich der Deutsche Bundestag einsetzen - , lassen sich durchaus über ein „Weniger ist mehr“ bei der Praktizierung der Artikel 84 und 72 GG und auch anderer Verfassungsnormen, die konstitutiv für das Bund-Länder-Verhältnis sind, z.B. Artikel 71 GG, Handlungsoptionen für eine Bundesstaatsreform erschließen, die zwar nicht in einem Akt, aber Schritt für Schritt voranführen. Dazu können - und sollten - auch Initiativen aus der Mitte des Parlaments gehören, um die Zauderer ebenso wie die Helden des Schwarzen-Peter-Spiels zu stellen!

Anmerkungen

  1. Frankfurter Allgemeine, 27. Dezember 2004, S. 4
  2. Vgl. Kröning, a.a.O.; auch im Weiteren baut dieser Text auf dem Zwischenbericht in RuP 4/2004 auf, besonders was die einzelnen Grundgesetzartikel und das Für und Wider von Änderungen betrifft. Das Sekretariat der Kommission erarbeitet im 1. Quartal 2005 eine Gesamtdokumentation von Verlauf und Ergebnissen der Kommissionsarbeit für die Schriftenreihe „Zur Sache“
  3. Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Stenografischer Bericht, 11. Sitzung (nichtöffentlich), 17. Dezember 2004
  4. Arbeitsunterlage 104 neu (zur internen Verwendung)
  5. A.a.O., S. 279 B und D
  6. A.a.O., S. 279 zum einen, S. 281 C zum anderen
  7. A.a.O.,S. 280 B vs. S. 281/2
  8. S. 281 D
  9. Arbeitsunterlage 113 (intern)
  10. A.a.O., zum einen S. 279 B, zum anderen S. 282 A
  11. Vgl. zum Ganzen: Henner Jörg Boehl, Verfassungsgebung im Bundesstaat. Ein Beitrag zur Verfassungslehre des Bundesstaates und der konstitutionellen Demokratie, 1997
  12. A.a.O., S. 281 B
  13. Arbeitsunterlage 100 (intern)
  14. A.a.O., S. 281 B
  15. Ergebnisprotokoll der Regierungschefs der Länder am 18. Dezember 2003 in Berlin
  16. Arbeitsunterlage 41 und PAU-3/0018
  17. Vgl. Öffentliche Anhörung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ am 20. September 2004
  18. A.a.O., S. 280 A
  19. Vgl. Michael Buse, Bildungspolitik im föderativen System und internationaler Einfluss, 2004, Bertelsmann Stiftung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Stiftung Marktwirtschaft, Friedrich-Naumann-Stiftung
  20. Vgl. BLK-Informationen 2004, (Hrsg.) Geschäftsstelle BLK
  21. Vgl. zum Beispiel: Volker Kröning, Die deutschen Stadtstaaten: Wege aus ihrer Finanzierungsnot, Börsen-Zeitung 12. August 2004, S. 6