Rechnungskontrolle zwischen Schuldenfalle und
Budgetflucht
Ansprache
zum 50jährigen Bestehen des Rechnungshofes der Freien
Hansestadt Bremen
Staat,
Wirtschaft und Gesellschaft erleben zur Zeit eine beispiellose
Diskussion über „Geld und Macht“. Zu allen drei
Sektoren läßt sich fragen: Wie funktionieren Kontrolle
im allgemeinen und Finanzkontrolle als Teil der tradierten
Kontrollmechanismen im besonderen - z.B. im Falle der
Wohlfahrtsverbände also das Vereinsrecht, im Falle
wirtschaftlicher Unternehmen das Handels- und Gesellschaftsrecht
und im Falle unseres von Parteien geprägten demokratischen
Rechtsstaates diejenigen Gesetze, die das Grundgesetz meint, wenn
es sagt:
„Die
Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die
vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht
gebunden“ (Art. 20 Abs. 3 GG) und weiter:
Die innere Ordnung der Parteien „muß demokratischen
Grundsätzen entsprechen“. Die Parteien
„müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer
Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich
Rechenschaft geben“ (Art. 21 Abs.1 GG)?
Unser Thema -
die staatliche Rechnungskontrolle zwischen Schuldenfalle und
Budgetflucht - ist nicht minder aktuell - spricht doch der
Gesetzgeber mit dem Haushaltssanierungsgesetz 1999 das erste Mal
auch im Bund von „Sanierung“ der Staatsfinanzen.
Eingeführt in die Staatspraxis hat diesen Begriff das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 27.Mai 1992 zum
Finanzausgleich und zur Haushaltsnotlage Bremens und des
Saarlandes.
Im folgenden
gehe ich zunächst auf die Stellung der Rechnungskontrolle im
System der horizontalen und vertikalen Gewaltenteilung ein und
sodann auf die Herausforderung, der sich die Rechnungskontrolle
durch die Haushaltssanierung gegenüber sieht.
Der zweite
Hauptteil gilt der Frage, welche Aufgabe die Reformen des
Haushalts- und Verwaltungsrechts unseren Rechnungshöfen
stellen - Reformen, mit denen die Gebietskörperschaften -
nicht zuletzt Bremen - versuchen, ihre Finanzen besser als bisher
zu steuern.
Ich spitze
zum Schluß zu - bewußt als Parlamentarier, der die
wechselseitige Angewiesenheit von Rechnungskontrolle und
Öffentlichkeit kennt. Mein Leitgedanke heißt nicht
„Geld und Macht“, sondern „Geld und
Verantwortung“.
I.
- Rechnungskontrolle durch die Rechnungshöfe von Bund und
Ländern heißt Prüfung der „Rechnung“
und der „Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit
der Haushalts- und Wirtschaftsführung“, wie Art. 114
Abs. 2 GG und Art. 133 a Abs. 1 der Bremischen Landesverfassung
nach den Änderungen von 1969 bzw. 1994 sagen.
Die
Rechnungskontrolle ist Teil der Finanzkontrolle und diese wiederum
Teil der Kontrolle der politischen Gewalt überhaupt. Im System
der horizontalen und vertikalen Gewaltenteilung ist die Kontrolle
der Finanzgewalt, wie sie in Abschnitt X des Grundgesetzes
ausgestaltet ist, zunächst Aufgabe der Ersten und Dritten
Gewalt. Doch die Rechnungskontrolle durch unabhängige
Prüfer weist Besonderheiten auf, die teils rechtlicher, teils
tatsächlicher Natur sind. Ich nenne fünf
Punkte:
- Der
Gesetzgeber unterliegt rechtlichen Bindungen, die das Grundgesetz
mit dem Begriff der „verfassungsmäßigen
Ordnung“ höchst vage regelt - im Grunde beschränkt
auf die Ziele des Staates, die Verfassungsprinzipien und die daraus
resultierenden Bindungen im Verhältnis Staat - Bürger.
Zwar erlegen diese Bindungen nach modernem Verständnis
dem Staat auch Pflichten auf, nicht erst im Leistungs- und
Steuerrecht, sondern bereits auf der Einnahmen- und Ausgabenseite
des Haushalts. Im Haushaltsgrundsätzegesetz bindet sich der
Haushaltsgesetzgeber sogar selbst. Aber der staatliche
Finanzbedarf scheint unbegrenzt. Es ist kein Geheimnis: Unser
Hauptproblem ist ein Ausgabenproblem. Das staatliche
Ausgabenverhalten ist deshalb der Hauptansatzpunkt der
Rechnungskontrolle.
- Noch
schwächer als die parlamentarische Kontrolle des
öffentlichen Finanzsektors ist die justitielle
Kontrolle. Sie beschränkt sich auf den Individualschutz, z.B.
die Freistellung des Existenzminimums. Rücksicht auf die
nachfolgenden Generationen ist bisher nicht oder kaum justitiabel.
Diese Kontrollschwäche auszugleichen - dies ist zwar nicht
allein, aber sicherlich auch Aufgabe der
Rechnungskontrolle.
- Man
muß außerdem zur Kenntnis nehmen, daß der
Finanzverfassung des Grundgesetzes eigene
Maßstäbe zugeordnet oder zuzuordnen sind, wie das
Bundesverfassungsgericht erst kürzlich in seinem Urteil vom
11.November 1999 zum Finanzausgleich auch der Politik wieder
bewußt gemacht hat. So wird z.B. die Verpflichtung von Bund
und Ländern nach Art. 109 Abs. 2 GG, „bei ihrer
Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts Rechnung zu tragen“, durch besondere, zum Teil
auch durch besondere Gesetze geschaffene Institutionen
überwacht, z.B. den Sachverständigenrat und den
Finanzplanungsrat. In diesem Feld ist die Rechnungskontrolle
unverwechselbar.
- Sie ist ein
Fall gewaltenübergreifender Kontrolle, denn die
Finanzfunktionen, vor allem die Aufbringung und der Einsatz
öffentlicher Mittel, sind im Abschnitt X des Grundgesetzes
gerade gewaltenübergeifend geregelt. Im Gesamtstaat,
der Bund und Länder umfaßt und in dem der Bund bei
gesamtstaatlichen Belangen die Letztverantwortung trägt, kann
der Bundesrechnungshof in besonderen Fällen eine
gesamtstaatliche Kontrollkompetenz in Anspruch
nehmen.
- Schließlich sollte man einräumen, daß die
für die Rechtsprechung bestimmende Trennung von rechtlicher
Bindung und politischer Gestaltung bei der Anwendung der
Rechtsbegriffe „Wirtschaftlichkeit und
Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und
Wirtschaftsführung“ nicht strikt einzuhalten ist.
Im Gegenteil: Der Prüfungshorizont muß den Anforderungen
an das gesamte ausgabenrelevante Staatshandeln entsprechen. Dies
umfaßt auch die Felder mittelbaren Handelns, auf denen
öffentliche Mittel verwandt werden, und die Formen, in denen
der Staat durch Dritte handelt.
- Kehren wir
zu den Maßstäben zurück:
„Wirtschaftlichkeit“ unterscheidet das Grundgesetz
bezeichnenderweise von „Ordnungsmäßigkeit“,
und nicht von ungefähr rangiert
„Wirtschaftlichkeit“ - anders als in der Bremischen
Landesverfassung - vor „Ordnungsmäßigkeit“.
Dabei ist „Sparsamkeit“, wie wir sie aus dem
Haushaltsrecht kennen, Teil der Wirtschaftlichkeit, oder umgekehrt:
Wirtschaftlichkeit ist mehr: Diese Norm hätte keinen Sinn,
wenn sie sich in „Rechtsordnungsmäßigkeit“
erschöpfte, d.h. in der Einhaltung der maßgebenden
Vorschriften.
Ich teile die
Auffassung von Degenhart (Veröffentlichungen der Vereinigung
der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 55, S. 208 / 209), daß
die Wirtschaftlichkeitsnorm des Verfassungsrechts der
Rechnungskontrolle erhebliche Spielräume gibt. Er
zitiert v. Arnim, den vielgescholtenen Kritiker der
Fehlentwicklungen des Parteienstaates, der vier Fragen formuliert
hat (A.a.O., S. 209):
- Wäre
mit dem betrieblichen Aufwand mehr zu erreichen gewesen
?
- Wäre
das Erreichte auch mit weniger Aufwand erreichbar gewesen
?
- Sollte man
eine Aktivität einschränken, also weniger Zwecke mit
weniger Aufwand anstreben?
- Sollte man
eine Aktivität ausdehnen, also mehr Zwecke mit mehr Aufwand
anstreben ?
Denkt man
diese Fragen vor dem Hintergrund unserer offenen und zugleich von
Interessenkampf geprägten Gesellschaft, unserer von
Parteienwettbewerb beherrschten Politik zu Ende, kommt man nicht
umhin, der Rechnungskontrolle die Erörterung dieser Fragen bis
an die Grenze demokratisch legitimierter Entscheidungsgewalt
zuzugestehen.
Was
heißt das für die Begrenzung und Reduzierung der
Staatsverschuldung - ein Problem, mit dem sich bekanntlich die
verfassungsgerichtliche Rechtsprechung bisher nur in Einzelaspekten
befaßt hat (BVerfGE 72,330, und 86,148, zur Haushaltsnotlage
zweier Länder und
- BVerfG
79,311, zur Kreditaufnahme durch den Bund) ?! Die Frage lautet: Ist
mit den Maßstäben der Rechnungskontrolle der
Staatsverschuldung beizukommen ?!
Bekanntlich
wächst die Staatsverschuldung mit jeder jährlichen
Netto-Kreditaufnahme noch an - oder anders ausgedrückt: Sie
sinkt erst dann, wenn die erste Etappe genommen, nämlich ein
ausgeglichener Haushalt erreicht ist, und eine zweite Etappe
eingeschlagen wird, nämlich Überschüsse zur
Rückführung der Verschuldung zu verwenden. Länder
und Gemeinden sind davon weit entfernt; der Bund hat sich dieses
Ziel laut Finanzplan und Jahreswirtschaftsbericht für das Jahr
2006 vorgenommen.
Sieht man
sich dabei das Rollenverhalten zwischen den politischen Gewalten
an, so wird schnell klar, daß
„Haushaltsausgleich“ ein Maßstab von schwacher
normativer Kraft ist - zwar in Art. 110 GG erwähnt, aber fast
nicht bekannt, geschweige denn hinreichend akzeptiert. Es gibt eine
Art von Primitivökonomie, die Schuldenmachen als normal
ansieht und sich deshalb längst daran gewöhnt hat,
über die Folgen anormalen Schuldenmachens - nicht zuletzt die
sozialen Folgen -hinwegzusehen. Die „Politik“ - was
immer das ist - muß anscheinend erst die Maßstäbe
zurückgewinnen.
Fragt man,
welche demokratisch legitimierten Grenzen der
Staatsverschuldung es gibt, welche Vorgaben sich Parlament und
Regierung gewissermaßen selbstreflexiv auferlegt haben,
stößt man zum einen auf Beispiele kommunaler Praxis, die
eine Selbstverpflichtung auf schuldenfreies öffentliches
Wirtschaften zum Erfolg geführt haben, und zum anderen auf die
Verpflichtungen, denen sich die Mitgliedstaaten der
Europäischen Union mit den Konvergenz- und
Stabilitätskriterien des Vertrages von Maastricht und dem
Stabilitäts- und Wachstumspakt unterworfen haben. Bundestag
und Bundesrat haben das Bekenntnis zu diesem in den
nationalstaatlichen Rechtsordnungen ungekannten Haushaltsregime zur
Grundlage ihrer Zustimmung zur Einführung der einheitlichen
Währung in Europa gemacht. Allerdings steht die rechtlich
verbindliche innerstaatliche Umsetzung noch aus.
Erst die
Haushaltsverfassung der Europäischen Union hat mit dem
Defizit- und dem Schuldenstand-Kriterium
„Schwellenwerte“ zulässiger Staatsverschuldung
geschaffen, ja mehr noch : den Autonomie- und Kompetenzverlust des
Staates gestoppt - den Verlust an „Handlungs- und
Leistungsfähigkeit“, wie das Bundesverfassungsgericht
diesen Tatbestand am Beispiel der Haushaltsnotlagenländer
ausgedrückt hat (Vgl. auch: Staatsverschuldung, Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktionen der SPD und
von Bündnis 90 / Die Grünen, Drs. 14/851).
II.
- In dieser
Situation bezeichnen manche gerne das Auseinanderklaffen von
Ansprüchen und Möglichkeiten als Finanzkrise des
Staates. Und die Gebietskörperschaften, die sich allesamt
mit „Aufgabenkritik“ und
„Aufgabenoptimierung“, d.h. mit der
Überprüfung, Reduzierung und Effizienzsteigerung
ausgabenrelevanter Tätigkeiten, schwer tun, suchen
Lösungen in internen und externen Strukturveränderungen
der Verwaltung und des Haushalts. Üblicherweise wird dieses
Programm nach einem von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle
geprägten Begriff als Neues Steuerungsmodell
bezeichnet. Die Strukturveränderungen reichen
- zum einen
von der „Ausgliederung“ und
„Verselbständigung“ von Behörden und
Betrieben bis zur „unechten“ und „echten“
Privatisierung und
- zum anderen
von der Umwandlung der kameralistischen Haushaltswirtschaft zu
einem öffentlichen Finanzmanagement, das - wie die private
Wirtschaft - das betriebliche Rechnungswesen nutzt, bis zur
Finanzierung von Projekten außerhalb des
Haushaltes.
Die
theoretischen Grundlagen und praktischen Beispiele,
die sich bezeichnenderweise von unten nach oben - von den
kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften zu den beiden
staatlichen Ebenen Länder und Bund - entwickelt haben (Vgl.
Krawietz, Überlegungen / Vorschläge zu einer Verwaltungs-
und Haushaltsreform, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste
des Deutschen Bundestages 1995), sind jedermann zugänglich
(Für Bremen: Von der Haushaltswirtschaft zum Finanzmanagement,
1995, Rahmenvorgabe für die Kosten- und Leistungsrechnung
1997, und Handbuch für Eigenbetriebe, Neuauflage 1999, jeweils
Senator für Finanzen; für den Bund: Modernisierung des
Haushaltswesens. Bausteine für eine moderne Verwaltung,
Bundesministerium der Finanzen, September 1998, und: Moderner Staat
- Moderne Verwaltung. Das Programm der Bundesregierung, Dezember
1999). Zum Stand in Bremen läßt sich sagen: Die
traditionelle Verwaltung umfaßt nach offiziellen
Darstellungen inzwischen weniger als zwei Drittel, nach
inoffiziellen sogar weniger als die Hälfte des Personals von
Land und Stadt; der Anteil der Eigenbetriebe und -gesellschaften,
die kaufmännisch geführt werden und damit bereits eine
Zwischenstufe zu den möglichen Formen der Privatisierung
bilden, wächst stetig. Allerdings liegt der Prozentsatz des
Haushalts, der auf Kosten- und Leistungsrechnung umgestellt ist,
noch niedrig. Dieser Prozess braucht Zeit; doch vorgenommen hat man
sich die flächendeckende Einführung der sog. Doppik (Vgl.
Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, München 1994, Bd.
1).Was den Effizienzgewinn des Programms angeht, so wird gerne
gesagt, daß das Neue Steuerungsmodell nicht der Erzielung von
Einsparungen diene, doch Kenner kalkulieren 10-15%.
Gegenüber diesem Ansatz, die Betriebsausgaben in den
Griff zu bekommen, steigt die Finanzierung von Projekten
außerhalb des Haushaltes rasant. Lag das Volumen der
außerhaushaltsmäßig vorfinanzierten, zur
haushaltsmäßigen Abfinanzierung beschlossenen und
geplanten Investitionsprojekte in Bremen 1995 bei rd. 2,3,
zuzüglich Finanzierungskosten sogar 2,8 Mrd. DM ((Vor-)
Finanzierungen außerhalb des Haushalts, Antwort des Senats
auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, Drs. 14/297, Anlage 1, Tabelle 1), betrug es 1998
schon rd. 4 Mrd. DM - mit Laufzeiten, die bereits an die Mitte
dieses Jahrhunderts heranreichen (Übersichten zum
Haushaltsplan der Freien Hansestadt Bremen 1999, S. 91-126, 219-236
und 238-240. Selbst wenn Ocean- und Space-Park, die noch nicht
begonnen sind, nicht eingerechnet werden (rd. 800 Mio DM), sind es
immer noch deutlich über immerhin 3 Mrd. DM, S. 122/123).
Darüber hinaus ist 1999 - auf der Schwelle zur zweiten
Hälfte des Sanierungszeitraums - ein Bremer Kapitaldienstfonds
errichtet worden (Drs. 15/74), der für große Projekte an
die Stelle der bisherigen kameralen Investitionsfinanzierung eine
der Privatwirtschaft entlehnte Kapitaldienstfinanzierung
setzt.
Ihr
„Regelwerk“ soll die Bindungen öffentlicher
Finanzierungen mit den Vorteilen privaten Projektmanagements
koppeln - nicht nur zur Entlastung der Verwaltung, sondern auch zur
Begrenzung der Netto-Kreditaufnahme in kurzer und mittlerer Frist.
Den Wirtschaftsplan und die Jahresrechnung des Fonds will der
Gesetzgeber wie ein Sondervermögen nach der
Landeshaushaltsordnung behandelt wissen. Interessant ist, daß
es in der Begründung des Gesetzentwurfes heißt,
daß „in den jährlichen Haushaltsgesetzen ab dem
Haushaltsjahr 2000 die Höhe der Kreditaufnahme und ihre
Wechselwirkung zum Haushalt zu regeln“ (A.a.O., S.3) ist.
Nach meinem Verständnis heißt dies, daß aus dem
Haushaltsplan die Linie der mittel- und langfristigen
Verpflichtungsermächtigungen hervorgehen muß, die den
Fonds absichern (12).
- Scheint
damit dem Haushaltsrecht und dem Haushaltsverfassungsrecht
Genüge getan, so bleibt bedeutsam, was der Rechnungshof der
Freien Hansestadt Bremen in seinem Jahresbericht 1999 zu der neuen
Investitionsfinanzierung und dem Regelwerk erklärt hat (13).
Es läßt sich in drei Kernpunkten zusammenfassen:
- Die
Streckung des Tilgungszeitraums sei „nur dann gerechtfertigt,
wenn sie gegenüber der bisherigen (Finanzierung) die
wirtschaftlichere Alternative darstellt und wenn sie dazu
beiträgt, daß in künftigen bremischen Haushalten
Schulden abgebaut werden können“.
- Da
„mit der Kapitaldienstfinanzierung pro Einzelmaßnahme
ein (insgesamt) sehr hoher Zinsaufwand verbunden ist, der sich
über Jahrzehnte erstrecken kann und den Spielraum
künftiger Haushalte erheblich einengt“, sei es
unverzichtbar, „die laufenden Ausgaben des Betriebshaushaltes
soweit einzuschränken, daß ein angemessener Teil der
Tilgungsleistungen aus ordentlichen Haushaltseinnahmen
leistbar ist ...“
- Für
wirtschaftskraftstärkende Investitionen „muß
die Wirtschaftlichkeit dieses Finanzierungsweges
nachgewiesen werden ...“ Wegen der damit verbundenen
langfristigen Belastung künftiger Haushalte genüge eine
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nicht, die „nur die gleiche
Wirtschaftlichkeit wie bei einer Haushaltsfinanzierung belegen oder
nur mit regionalwirtschaftlichen Effekten aus der Realisierung und
/ oder dem Vorziehen eines Projektes begründet werden“
würde.
Die
letztendlich als Regelwerk verabschiedeten Richtlinien haben diese
vom Landesrechnungshof vorgebrachten Punkte berücksichtigt.
Auffällig ist, daß seither keine neuen Projekte mehr
aufgelegt worden sind. Man darf gespannt sein, welche kreativen
Einfälle nun anstehen.
- Doch
unabhängig von dieser Frage zeigen die Hinweise auf die
bremische Staatspraxis, welche Anforderungen die Dynamik der
Haushalts- und Verwaltungsreform an die Finanzkontrolle stellt.
Diese Anforderungen berühren nicht nur die Budgethoheit der
Parlamente, die - wie im Falle Bremens - formalrechtlich gewahrt
ist, sondern in einer wissenschaftlich und politisch neuartigen
Weise auch die Aufgaben und Instrumente der Rechnungshöfe.
Längst beschäftigen sie die Parlamente (14) und
die Rechnungshöfe (15).
So sind die
mit dem Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz von 1997
ermöglichten Modellvorhaben vom Bundesrechnungshof begleitend
geprüft und grundsätzlich positiv bewertet worden (16).
Zu der Grundsatzfrage freilich, ob die neuen Instrumente eine
wirtschaftliche und sparsame Haushaltsführung fördern,
hat sich der Bundesrechnungshof noch eine Stellungnahme vorbehalten
(17). Und erstmals hat sich der Bundesrechnungshof zu Beginn dieser
Legislaturperiode sogar ausführlich zur gesamtstaatlichen
Verschuldung in Deutschland nach Einführung der einheitlichen
Währung geäußert (18). Seine Stellungnahme zum
Haushaltssanierungsgesetz pflichtete ausdrücklich der Absicht
der Bundesregierung bei, „die Neuverschuldung ... auf Null
zurückzuführen.“
III.
Reicht dieses
Interesse der Parlamente und der Rechnungshöfe aus, der
Staatsverschuldung Herr zu werden? Der Trend ist noch nicht
gebrochen. Nimmt man den vom Bundesverfassungsgericht 1992 zur
Bewertung der Höhe der Staatsverschuldung gewählten
Indikator, die Zins-Steuer-Quote, so ist festzuhalten: Die
Zins-Steuer-Quote des öffentlichen Gesamthaushaltes hat sich -
ohne die Schattenhaushalte - von 1990 bis 1999 von 11,4 auf 15,5 %
erhöht. Den Löwenanteil an dieser Entwicklung hatten der
Bund (von 11,4 auf 20,5 %) und die Länder und Gemeinden im
Osten (von 0 auf 14 bzw. 22 %), während die Länder und
Gemeinden im Westen ein solides Bild zeigen (von 10,9 auf 11 % bzw.
sogar von 11,2 auf 9,5 %) (19).
Erst die
Abschlüsse 1999 und vor allem 2000 werden zeigen, ob eine
Trendwende erreicht ist, und zu Recht hat der Bundesfinanzminister
neulich mit Blick auf den Haushalt 2001 und die Fortschreibung der
Finanzplanung zum Ausdruck gebracht, daß die Sanierung der
Staatsfinanzen erst angefangen hat.
In dieser
Situation markiert der Übergang von der Input-orientierten,
lediglich Einnahmen und Ausgaben erfassenden, zur
Output-orientierten, Kosten und Leistungen steuernden
Haushaltswirtschaft sicherlich einen Einschnitt. Doch ich warne vor
der Annahme, diese „ökonomische Revolution“ der
öffentlichen Haushaltswirtschaft führe allein zu
Einsparungen. Sie ist ohne Zweifel die Grundlage für mehr
Eigenverantwortung, für die Delegation von Verantwortung und
für die Zusammenführung von Sach- und
Finanzverantwortung. Und nutzbar ist sie, wenn die Verwaltung
und die Politik lernen, Leistungen zu definieren und sich
über ihre Wirtschaftlichkeit Rechenschaft abzulegen, und wenn
die Legislative und die Exekutive sich einigen, wer
welche Ziele angibt und wie und wo Management und
Controlling stattzufinden haben.
Dabei sind
die Anforderungen an das Berichtswesen bekannt, und es ist zu
hoffen, daß die Parlamente die Rechnungshöfe so
ausstatten, daß sie insbesondere die Anforderungen an
Wirtschaftlichkeitsprüfungen sowohl in
betriebswirtschaftlicher als auch in
volkswirtschaftlicher Hinsicht erfüllen können
(20). An dieser Stelle treffen sich übrigens öffentliche
und private Wirtschaftsprüfung, auch wenn gerade diese
neuerdings in einer Legitimations- oder besser: Qualitätskrise
steckt.
Doch selbst
wenn der vermeintliche Effizienzgewinn erreicht werden sollte, kann
ihn die Politik nicht den Budgetverantwortlichen zurückgeben -
also Dezernaten, Ressorts und nachgeordneten Einheiten. Die Rendite
gehört vielmehr dem Steuerzahler und ist - abgesehen von den
notwendigen Anreizen, die ein System verantwortlichen Haushaltens
erfordert - zur Begrenzung und Reduzierung der Schulden
einzusetzen.
Die
Trendumkehr der Staatsverschuldung erfordert mehr,
nämlich den politischen Willen, den Staat zurückzunehmen
und den Bürger wieder mehr zu befähigen, allein oder in
solidarischer Gemeinschaft mit anderen für sich zu sorgen. So
paradox dies klingt: Wie Ausgabenreduzierung die Voraussetzung
für Steuersenkungen sind, so läßt sich mit der
dadurch erzielbaren ökonomischen Dynamik eine soziale Dynamik
erzeugen, die es dem Staat erlaubt, sich auf ein Maximum an
Leistungen zu einem Minimum an Kosten zu konzentrieren.
Es bleibt
deshalb zu prüfen, welche haushaltsrechtlichen Innovationen
benötigt werden, um neue Finanzierungsformen der
öffentlichen Hände hinreichend abzusichern. Dazu drei
Schlußbemerkungen:
- Angesichts
der Risiken außerbudgetärer Finanzierungen wird man
feststellen müssen, daß Kreditaufnahmen außerhalb
des Haushaltsplans - über das Erfordernis der gesetzlichen
Ermächtigung nach Art. 115 Abs. 1 Satz 1 GG hinaus -
erfordern, daß künftige Belastungen mittel- und
langfristiger Art im Haushaltsplan öffentlich gemacht
werden. Dies gebietet das Vollständigkeitsprinzip des
Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG (21). Ich betone: im Haushaltsplan, nicht
(nur) in der Finanzplanung, weil ich immer wieder die Auffassung
höre, daß der Finanzplan nur die Regierung und nicht das
Parlament binde. Rechtlich stimmt das zwar, politisch ist das aber
nicht durchhaltbar.
- Wenn der
Bundesfinanzminister anläßlich der Debatte über das
Haushaltssanierungsgesetz gerne davon sprach, gemessen an der
Zins-Steuer-Quote gebe es nur eine Gebietskörperschaft, der es
schlechter gehe als dem Bund - nämlich Bremen -, dann
heißt dies nichts anderes, daß beide - der
Größte und der Kleinste im Bunde - sich in extremer
Haushaltsnotlage befinden. Daher sind die Aussagen des
Bundesverfassungsgerichts von 1992 zur repressiven und
präventiven Haushaltsnotlagenpolitik aktueller denn
je:
- nämlich
einmal: „Befindet sich ein Glied der bundesstaatlichen
Gemeinschaft - sei es der Bund, sei es ein Land - in einer extremen
Haushaltsnotlage, die seine Fähigkeit zur Erfüllung der
ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben in Frage stellt und
aus der es sich mit eigener Kraft nicht befreien kann, so
erfährt dieses bundesstaatliche Prinzip seine ...
Konkretisierung in der Pflicht aller anderen Glieder der
bundesstaatlichen Gemeinschaft, dem betroffenen Glied mit dem Ziel
der haushaltswirtschaftlichen Stabilisierung auf der Grundlage
konzeptionell aufeinander abgestimmter Maßnahmen Hilfe zu
leisten ...“ (22)
- und zum
anderen: „Zuvörderst nötig und besonders dringlich
ist es, Bund und Länder gemeinsam treffende Verpflichtungen
und Verfahrensregelungen festzulegen, die der Entstehung einer
Haushaltsnotlage entgegenwirken ... Dem Bundesgesetzgeber bietet
hierzu Art. 109 Abs. 3 GG die Regelungskompetenz...“
(23)
- Doch damit
nicht genug: Da außerbudgetäre Finanzierungen es
erleichtern, Einsparungen auszuweichen und Verantwortung in die
Zukunft zu verlagern, gebietet Verantwortung als Prinzip es,
den gegenteiligen Weg zu gehen - nämlich ein für richtig
erkanntes Ziel Schritt für Schritt zu verfolgen.
Ich sehe
diese Chance nur in einer Selbstbeschränkung, die
sämtliche - öffentliche und „privatisierte“ -
Zins- und Tilgungsleistungen kurz-, mittel- und langfristig als
„notwendige“ Ausgabe und - in Anlehnung an die
Doppik - gewissermaßen als primären Input behandelt,
oder in der Sprache des Haushaltsrechts: aus den
„laufenden“ Einnahmen zuerst finanziert. Ich meine
damit durchaus die Grundsätze in Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1
GG, zu deren Konkretisierung das Bundesverfassungsgericht den
Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2002 verpflichtet hat. Mit anderen
Worten: Nur was nach Abzug dieser Kapitaldienst-Leistungen pro Jahr
übrig bleibt, ist politisch verfügbar.
Das
„Maßstäbegesetz“, das als Vorstufe zur
Finanzreform fällig ist, sollte als Chance genutzt werden, die
öffentliche Entschuldung verbindlich einzuleiten, indem auch
diese haushaltsrechtlichen Innovationen in das Gesetz aufgenommen
werden. Ich hoffe, daran beteiligen sich Bund und
Länder.
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