Volker
Kröning
Rede
anlässlich der Kostituierung der Kommission zur Modernisierung
der bundesstaatlichen Ordnung am 7. November 2003
Herr
Vorsitzender! Meine Herren Präsidenten! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Im Namen der SPD-Bundestagsfraktion gratuliere
ich Ihnen, meine Herren Vorsitzenden, zu Ihrer Wahl. Wir
wünschen Ihnen und uns, dass sich Ihr Engagement für
diese Aufgabe, für die Sie sich zur Verfügung gestellt
haben, bald als ein entscheidender Beitrag zum Erfolg unserer
Arbeit erweisen wird. Dazu wollen wir Sozialdemokraten in der
Kommission beitragen.
Wir freuen
uns, dass am heutigen Tag, in einem für unser Land besonders
wichtigen Moment, der Bundesrat Gastgeber der konstituierenden
Sitzung der Kommission ist. Als SPD-Fraktion wünschen wir uns
eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und dem
Verfassungsorgan, mit dem die Länder an der Bundesgesetzgebung
mitwirken. Bundesregierung, Landesregierungen und Landtagen sichern
wir eine faire Zusammenarbeit zu.
Das
Grundgesetz hat die Staatlichkeit in Deutschland auf die zwei
Ebenen des Bundes und der Länder verteilt. 54 Jahre nach der
Gründung der Bundesrepublik und 14 Jahre nach der
Wiedervereinigung Deutschlands wird bewusst, dass die Staatlichkeit
in Deutschland besonderen Herausforderungen gegenübersteht,
und zwar von beiden Seiten, von darüber und darunter,
nämlich von Europa und den Gemeinden. Um sie zu
bewältigen, kommt es besonders auf das Zusammenwirken und auf
den gegenseitigen Respekt zwischen den Regierungen und den
Parlamenten an. In diesem Geist werden wir Sozialdemokraten uns mit
den Positionen der Ministerpräsidenten und der Landtage
auseinander setzen.
Der
Einsetzungsbeschluss spricht davon, dass die Kommission zur
Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung ihren Auftrag
„auch vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung der
Europäischen Union und der Situation der Kommunen“
verstehen soll. Wenn dies mehr als ein Nebensatz werden soll -
und so sind Bundestag und Bundesrat sicherlich zu verstehen -,
müssen wir uns zentral mit dem Thema Verflechtung
beschäftigen. Wer die Struktur des Grundgesetzes im Auge
behalten will - und das ist die Basis des
Einsetzungsbeschlusses -, wird weder das
Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Verteilung der
Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeiten noch die
abgestufte Rolle von Bundestag und Bundesrat bei der Gesetzgebung
für obsolet erklären.
Doch wir
müssen uns klar machen, dass der Gesamtstaat und die
Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland im Innen- und im
Außenverhältnis an einer Zäsur angelangt sind. Bei
der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union geht es
um unsere Bereitschaft und Fähigkeit zu Europa. Das vor allem
zwingt uns, das Funktionieren unserer bundesstaatlichen
Institutionen zu überprüfen.
Doch auch die
aktuelle Debatte über die Stärkung der Kommunen hat nicht
nur mit der Ausgaben- und Einnahmenseite ihrer Haushalte zu tun,
sondern auch mit dem Erleben von Politik. Die Bürgerinnen und
Bürger erleben öffentliches Handeln, die Qualität
der Leistungen, das Eingehen der Politik auf ihre Interessen in
erster Linie vor Ort. Darum sind wir froh, dass die kommunalen
Spitzenverbände in der Kommission vertreten sind.
Wir wissen,
dass unsere Arbeit von vielen Ratschlägen begleitet sein wird,
doch vor allem, dass die Erwartungen extrem sind. Sie reichen von
Überforderung bis zu Skepsis. Schlagworte werden uns nicht
weiterhelfen. Eher kommt es auf ein zeitgemäßes und
zukunftsgerechtes Leitbild an. Weder das Konzept des
Wettbewerbsföderalismus noch das des solidarischen
Föderalismus werden uns von der Anstrengung entbinden,
konkrete Antworten zu finden. Dazu werden wir den Rat der
Sachverständigen benötigen. Wir danken Ihnen, meine
Herren Wissenschaftler, dass Sie sich zur Mitarbeit in der
Kommission bereit gefunden haben.
Ich halte viel
davon, von dem „bündischen Prinzip“ auszugehen,
dem Einstehen der Länder füreinander auf ihrer Ebene,
aber auch des Bundes und der Länder füreinander zwischen
den Ebenen. Dieses Prinzip hat das Bundesverfassungsgericht nicht
allein aus der Finanzverfassung, sondern auch aus dem
Bundesstaatsprinzip hergeleitet. Es ist bekanntlich nicht nur
geltendes Recht, sondern unterliegt der so genannten
Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 des
Grundgesetzes.
Das Prinzip
würde jedoch missverstanden, wenn es als Hängematte
aufgefasst würde. Im Gegenteil, es erlaubt auch eine
Interpretation, mit der jeder das Seine und die Anerkennung seiner
Leistung einfordern kann. Es muss auch mobilisiert werden für
die Verantwortung des Gesamtstaates in Europa und die Verantwortung
der Gliedstaaten gegenüber den Kommunen.
Auch beim
Thema Verflechtung geht es um eine normative Neubesinnung. Wer die
grundgesetzliche Struktur der Verteilung der Gesetzgebungs- und
Verwaltungszuständigkeiten und die Rollen von Bundestag und
Bundesrat zum Maßstab nimmt, wird hinter den
übermäßigen Verflechtungen auch ein
Übermaß an Bürokratie erkennen. Wenn es richtig
ist, dass sich der Anteil der Gesetze, denen der Bundesrat
zustimmen muss, im Gegenzug zur Zentralisierung der Kompetenzen
unseres Bundesstaates mehr als verdoppelt hat - Sie, Herr
Ministerpräsident Stoiber, haben sogar einen noch sehr viel
höheren Sprung festgestellt -, haben wir die höchst
anspruchsvolle Aufgabe vor uns, das Verhältnis von
Zentralität und Dezentralität in Deutschland zu
überprüfen. Anders ausgedrückt: Wenn wir das
Innovationspotenzial aller öffentlichen Handlungsebenen
mobilisieren wollen, müssen die Gesetzgebungs- und die
Verwaltungszuständigkeiten auf den Prüfstand. Bei im
Grunde vier öffentlichen Handlungsebenen, mit denen wir es in
Deutschland im Innen- und Außenverhältnis zu tun haben,
erfordert das höchste Konzentration und
Präzision.
Die
SPD-Bundestagsfraktion unterstützt deshalb den Vorschlag der
beiden Vorsitzenden, zwei Arbeitsgruppen zu bilden, die der
Kommission zu beiden Hauptaufträgen von Bundestag und
Bundesrat alsbald Vorschläge - auf dieser Ebene
vielleicht zunächst auch in Form von Alternativen -
machen. Hauptaufgabe der Kommission wird es dann sein, die
nötigen Zweidrittelmehrheiten zustande zu bringen.
Diese Suche
nach Problemlösungen wird nur Erfolg haben, wenn von
vornherein Absichten oder Verdächtigungen ausgeschlossen
werden, als ob es um ein Nullsummenspiel Bund gegen Länder und
damit Mehrheit gegen Mehrheit gehe. Wir müssen das Paradox
auflösen, dass auf der einen Seite die politischen Lager
bestrebt sind, die Differenz herauszuarbeiten, auf der anderen
Seite aber für jedermann offenkundig ist, dass große
Mehrheiten zur Verfügung stehen, um das Land auch
institutionell zu reformieren. Wir werden dazu letzten Endes
kompromissbereit und kompromissfähig sein müssen. Es geht
nicht darum, Herr Kollege Bosbach, wie Sie im Deutschen Bundestag
gesagt haben, einen gordischen Knoten zu suchen und dafür
einen Alexander ausfindig zu machen, sondern es geht darum, ob wir
kompromissbereit und kompromissfähig sind. Wir
Sozialdemokraten sind dazu entschlossen.
Unsere Arbeit
wird - wie in einem Brennspiegel - erweisen, ob unsere
politische Lebensform, die repräsentative Demokratie, zur
Selbstreform fähig ist oder in Selbstblockade versinkt. Ich
wünsche uns, dass wir diese Bewährungsprobe des
Parlamentarismus und des Föderalismus in Deutschland
bestehen.
Ich danke
Ihnen.
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