Reform der
Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern Eine Bremer
Grundsatzposition aus aktuellem Anlaß
Vortrag vor der Juristischen Gesellschaft Bremen am 23. Mai
2000
Von Volker Kröning MdB
Mit kaum einem
Thema wird die bundesdeutsche Öffentlichkeit mehr strapaziert
als dem Föderalismus und seiner Reform... Es ist nicht nur ein
Lieblingsthema der Medien und der Wissenschaft, sondern auch der
Politik, zumindest der Ministerpräsidenten der
Länder.
Die Geschichte
der Bonner Republik schloss auf diesem Gebiet mit einem Beschluss
der Regierungschefs der alten Länder ab, der von der
Wiedervereinigung überrollt wurde. Stattdessen nahm man ihn
als Prüfauftrag in Art. 5 des Einigungsvertrages von 1990 auf
- eine gewagte Behandlung der neuen Länder, die bereits
gegründet, jedoch noch nicht handlungsfähig
waren...
Die durch den
Beitritt der DDR zum Grundgesetz legitimierte Berliner Republik
setzte zwar eine Gemeinsame Verfassungskommission von Bund und
Ländern - zusammengesetzt aus Mitgliedern des Bundestages und
des Bundesrates - ein, die bis 1994 eine „kleine
Reform“ beschloß, aber nicht auf dem Gebiet der
Finanzen. Art. 7 Abs. 1 des Einigungsvertrages hatte
vorläufige Regelungen getroffen, und schon 1993 wurde das
Finanzausgleichsgesetz (FAG) den Belangen des
vergrößerten Gesamtstaates angepasst
(„Solidarpakt“), bezeichnenderweise im Rahmen des sog.
Föderalen Konsolidierungsprogramms...
Der
einstimmige Kompromiss hielt nicht lange. Die Einheit der
Länder zerbrach unter mehrfachen Anforderungen - neben
landespolitischen Profilierungsversuchen sind im wesentlichen die
Lasten der inneren Einigung Deutschlands und die Befürchtungen
zu nennen, die mit dem Zusammenwachsen Europas verbunden
sind.
Kurz nachdem
1995 das FAG in Kraft getreten war, ... trat ein
politisch-juristischer Doppel-Konflikt zu Tage, den zu entwirren
Zeithistorikern überlassen bleiben muß. Ende 1998/
Anfang 1999 strengten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen
Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht an, das erst
1986 und 1992 über wesentliche Teile des Finanzausgleiches
entschieden hatte. Fast gleichzeitig beschlossen die
Regierungschefs von Ländern und Bund eine gemeinsame
Kommission zur „Modernisierung der bundesstaatlichen
Ordnung“, die sich freilich wegen des zügig
anberaumten Verhandlungstermins des Bundesverfassungsgerichts nicht
konstituierte. Was sich dann im November/ Dezember 1999 ereignete,
stellt die Staatspraxis vor fast unlösbare Verfahrensprobleme:
Das Bundesverfassungsgericht verwies das Thema an die Politik
zurück, und zugleich bekräftigten bzw. erweiterten die
Regierungschefs ihre Prozedur. Sie beschlossen
nämlich
„Vorschläge für eine Modernisierung der
bundesstaatlichen Ordnung einschließlich der Neuordnung der
Finanzbeziehungen von Bund und Ländern sowie der Umsetzung des
Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999
vorzulegen“.
Dieses
Verfahren dauert an. Zwei Arbeitsgruppen („Neuordnung der
föderalen Kompetenzordnung und der Finanzverfassung“ und
„Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und
Ländern einschließlich der Umsetzung des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts und der Anschlussregelung für den
Solidarpakt“), die im April 2000 gebildet werden sollten,
sind bisher nicht zustande gekommen. ... Ob es überhaupt
gelingt, was man sich vorgenommen hat, nämlich die Ergebnisse
der Arbeitsgruppen in einem Bericht zusammenzufassen und auf dieser
Grundlage im Oktober 2000 eine Sonderkonferenz abzuhalten, wagt
niemand vorherzusagen.
Längst
ist das Thema 2 an die Finanzminister abgetreten worden. Zum Thema
1 liegt bisher nichts vor. Stattdessen haben sich die
Ministerpräsidenten in die europapolitische Debatte
eingeschaltet: Grund ist die Agenda der EU zur Vertiefung und
Erweiterung der Gemeinschaft, Motiv vielleicht auch, die
Verhandlungsmasse gegenüber dem Bundeskanzler zu
erweitern.
Nachdem die
Finanzminister am 10. Februar 2000 eine rechtliche und politische
Bestandsaufnahme („Zwischenbericht“) vorgelegt hatten,
die bereits vielfältige Differenzen bei der Umsetzung des
Urteils ankündigte, liegen inzwischen „Eckpunkte“
zweier Ländergruppen vor, die einen Konsens über einen
Gesetzentwurf, wie er 1992/93 gefunden wurde, fraglich erscheinen
lassen... Es ist die bekannte sog. Arm/Reich-Konstellation. Beide
Lager - 10:4:2 (1) - berufen sich auf einen Beschluss der
Ministerpräsidenten vom 24. März 2000, der
„Eckpunkte zur Weiterentwicklung des bundesstaatlichen
Finanzausgleichs“ festgelegt hat.
Die alles ist
weit entfernt von der Realität. Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts hat nämlich eine Situation
geschaffen, die Stefan Korioth zutreffend "neu" und
"überraschend" (2) nennt. Hans-Peter Bull spricht sogar von
einem "Gesetzgebungsauftrag ohnegleichen" (3). Es lohnt sich, das
Urteil zu lesen (I. - III.) und dann die Aufgaben der Politik zu
bestimmen (IV.).
I.
Das Urteil
liest sich wie ein Vademecum des Finanzausgleichs - seiner
Defizite, seiner Anforderungen und eines Tableaus zum
Abschluß 1998 (4). Das Gericht hat ausdrücklich auf eine
„abschließende Würdigung einzelner Regelungen oder
des Gesamtsystems des Finanzausgleichsgesetzes“ verzichtet
(S. 120), ohne dies jedoch für die Zukunft
auszuschließen. Seine so nicht erwartete Würdigung
lautet, daß „die unverzichtbare Ordnungsfunktion der
Finanzverfassung ... nur durch eine maßstabgebende
Konkretisierung und Ergänzung der offenen Tatbestände des
Grundgesetzes gewahrt werden kann“ (S. 119).
Mit anderen
Worten: das Gericht hat an einer normativen Zwischenebene
zwischen Finanzverfassung und Finanzausgleich angesetzt. Die
Ausformung der finanzausgleichsrechtlichen Maßstäbe -
beginnend mit der (vertikalen und horizontalen)
Umsatzsteuerverteilung über den (horizontalen)
Länderfinanzausgleich bis zu den (vertikalen)
Bundesergänzungszuweisungen, die über den engen Namen des
FAG hinaus allesamt in dem Gesetz geregelt sind - ist dem
Gesetzgeber zugewiesen , so das Gericht ohne Umschweife (S.120).
Doch zugleich legt das Gericht den Gesetzgeber an eine zeitliche
Leine:
„Die
Mängel der Maßstabbildung lassen eine zeitlich
unbeschränkte Fortgeltung des Finanzausgleichsgesetzes nicht
zu. Dessen schon vom Gesetzgeber selbst beabsichtigte Teilrevision
für den Geltungszeitraum ab dem Jahr 2005 ... markiert einen
auch verfassungsrechtlich erheblichen Zeitpunkt: Bis zum 31.
Dezember 2004 gilt das Finanzausgleichsgesetz unter den im Tenor
näher genannten Voraussetzungen fort. Soweit das
Maßstäbegesetz nicht bis zum 1. Januar 2003 in Kraft
getreten ist, wird das Finanzausgleichsgesetz mit diesem Tag
verfassungswidrig und nichtig. Nach Erlaß des
Maßstäbegesetzes muß der Gesetzgeber auf dessen
Grundlage das Finanzausgleichsgesetz bis zum 31. Dezember 2004 neu
regeln. Sofern eine solche Neuregelung nicht am 1. Januar 2005 in
Kraft getreten ist, wird das Finanzausgleichsgesetz mit diesem Tag
verfassungswidrig und nichtig.“ (S. 120 / 121).
Dies ist eine
klare Interpretation des Tenors durch das Gericht selbst. Es sind
also zwei Gesetze nötig. Joachim Wieland sieht in dem
Maßstäbegesetz ein neues Phänomen des Staatsrechts
und der Gesetzgebungslehre (5) und in dem Urteil zugleich eine
Änderung der Interpretation der Verfassung weg von einer
„Rahmenordnung, die eine „richtige“
Finanzverteilung als Ergebnis einer politischen Einigung der
Träger verschiedener Interessen im Rahmen der Vorgaben der
Art. 106 und 107 GG sah“ - wie in den beiden früheren
Urteilen (6) - hin zu einer Sicht, wonach die Finanzverfassung
„keine unmittelbar vollziehbaren Maßstäbe“
enthält, sondern den Gesetzgeber verpflichte, „das
verfassungsrechtlich nur in unbestimmten Begriffen festgelegte
Steuerverteilungs- und Ausgleichssystem entsprechend den
vorgefundenen finanzwirtschaftlichen Verhältnissen und
finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen durch anwendbare,
allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe gesetzlich zu
konkretisieren und zu ergänzen“ (S. 84).
Dieses Konzept
einer zweistufigen Gesetzgebung mag man wissenschaftlich
problematisieren; politisch ist es verbindlich - nämlich
Regelung zunächst der abstrakten Maßstäbe und
sodann der konkreten Folgen oder - wie das Gericht sagt:
zunächst eine „auf langfristige Geltung angelegte,
fortschreibungsfähige Maßstabbildung“ und sodann
eine „kurzfristige, auf periodische Überprüfung
angelegte (Regelung der) Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen“
(S. 87). Der Tenor des Urteils spricht davon, daß die
Maßstabbildung „nach Maßgabe der
Gründe“ zu erfolgen hat. Es nützt also nichts, das
Fehlen einer „dogmatisch nachvollziehbaren Herleitung“
der Entscheidung zu kritisieren, wie es Wieland tut. Ich sehe in
den Ausführungen des Gerichts zur Vorgängigkeit und
Eigenständigkeit des Maßstäbegesetzes keine
bloßen obiter dicta.
Dabei darf man
allerdings nicht die Bindungswirkung des Urteils und die
Bindungswirkung des Maßstäbegesetzes verwechseln.
Unabhängig von der Zuordnung eines solchen Gesetzes zur
Hierarchie der Rechtsquellen, die das Bundesverfassungsgericht
vornimmt - Verfassungsrecht = Prinzipien, Maßstäbegesetz
= Zuteilungs- und Ausgleichsmaßstäbe,
Finanzausgleichsgesetz = in Zahlen gefaßte Rechtsfolgen (S.
86 / 87 und 84) - bleibt das Maßstäbegesetz eine
Selbstbindung des Gesetzgebers, die er selber - jedoch auch nur er
allein - korrigieren kann. Das Maßstäbegesetz zum
Finanzausgleich erinnert an das Haushaltsgrundsätzegesetz, das
auf Art. 109 Abs. 3 GG beruht. Dieses Gesetz konkretisiert zwar
keine unbestimmten Rechtsbegriffe, ergänzt aber ebenso die
Finanzverfassung, wie es das Gericht von dem
Maßstäbegesetz verlangt. Es ist unstrittig, daß
das Haushaltsgrundsätzegesetz selbst zu ändern ist, wenn
der Bund durch die Bundeshaushaltsordnung oder durch ein
Haushaltsgesetz von den selbst gesetzten Grundsätzen abweichen
will. Keine andere Selbstbindung des Gesetzgebers meint das
Gericht, so im Ergebnis auch Wieland.
Etwas anderes
als das zeitliche Nachher ist das zeitliche Vorher, und etwas
anderes als die Maßstabbildung ist die Abschätzung der
Folgen. An dieser Stelle leistet sich das Gericht zwar einen
Ausflug in die Philosophie (S. 87/88), wofür Juristen
bekanntlich besonders empfänglich sind. Seine Betrachtungen
zum gesetzlichen „Vorgriff auf die Zukunft“, den die
Finanzverfassung verlange, zum Erfordernis eines auf Planung
aufbauenden Gesetzes, zu Rationalität und Distanz und zur
Erstzuständigkeit des Gesetzgebers bei der
Verfassungsinterpretation (S. 88) mögen die Wissenschaft
wundern und seine Kritik an „aktuellen
Finanzierungsinteressen“ (von Bund und Ländern), an
„Besitzständen und Privilegien“ (S. 89) die
Politik ärgern.
Noch
deutlicher aber als die „Vorherigkeit“ des
Maßstäbegesetzes, die das Gericht verlangt und in der es
mehr sieht als nur eine Art von „Vor-Rang“ und
„Vor-Behalt“ des Gesetzes - wie es etwas blumig sagt -,
ist die Forderung des Gerichts, durch das Maßstäbegesetz
eine „institutionelle Verfassungsorientierung“
zu gewährleisten (S.89). Was das heißt, muß uns
beschäftigen.
Dabei will ich
den „Schleier des Nichtwissens“ nicht zerreißen,
von dem das Gericht selber bezweifelt, ob er funktioniert (S.88 /
89), und auch nicht bei der Kritik des Gerichts an dem
„freien Spiel der politischen Kräfte“ (S. 89)
stehen bleiben. Auffallend ist freilich die scharfe Wendung des
Gerichts gegen eine „nur vertragliche Verständigung
über Tatbestände und Rechtsfolgen eines
Finanzausgleichsgesetzes“ und insbesondere „eine
Gesetzgebungspraxis, die das Finanzausgleichsgesetz faktisch in die
Verantwortlichkeit des Bundesrates verschiebt"“(S.
90).
Für
entscheidend halte ich, daß und wie das Gericht die
„Maximen“ entfaltet, an die - so seine Formulierung -
die Finanzverfassung das Maßstäbegesetz und das darauf
aufbauende Finanzausgleichsgesetz auf den vier Stufen der
Finanzverteilung bindet (S. 91 - 100), und daß es im
übrigen den verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen
Horizont der gesamten Debatte ausgeweitet und zugleich abgesteckt.
Denn außerhalb des Steuerzuweisungs- und
Finanzausgleichssystems entfaltet auch die Bundesfinanzierung von
bundesmitbestimmten Länderaufgaben Ausgleichswirkungen;
weitere Bestimmungen (Art. 91 a und b, Art. 104 Abs. 4 und 3 sowie
Art. 106 Abs. 8 GG) mindern Ausgabenlasten der Länder und
erleichtern ihnen die Wahrnehmung ihrer Aufgaben (S. 100 / 101).
Dies ist der normative Kern und Radius der
Entscheidungsgründe.
Die
Schlußfolgerungen (S. 101 - 119) stehen unter der
Doppelüberschrift, daß die verfassungsrechtlichen
Aufträge des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 und des Art. 107 Abs. 2
Satz 1 GG - also vor allem auf den Stufen der
Umsatzsteuerverteilung und des Länderfinanzausgleichs - noch
nicht erfüllt seien (S. 102 - 111, besonders S. 102); sie
enden mit dezidierten Ausführungen zu Zweck und Volumen der
Bundesergänzungszuweisungen (S. 111 - 116 sowie S. 119) und
zur systematischen Verbindung des Fonds „Deutsche
Einheit“ mit dem Finanzausgleich (S. 117 - 119).
II.
Die
verfassungsrechtlichen Maximen auf den vier Stufen der
Finanzverteilung werden von dem Gericht knapp
erläutert:
- Bei der
Aufteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und
Ländergesamtheit nach Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG
(„vertikale“ Aufteilung) sei der Gesetzgeber
verpflichtet, die „notwendigen“ von den im Haushalt
veranschlagten Ausgaben zu unterscheiden, also „in einer
Erforderlichkeits- und Dringlichkeitsbewertung von
Ausgabenstrukturen der Haushaltswirtschaft von Bund und
Ländern eine Grenze des Finanzierbaren vorzugeben“ (S.
91). Bund und Länder seien „in ihrer
Haushaltswirtschaft, nicht in ihrer Finanzwirtschaft
selbständig und voneinander unabhängig. Dementsprechend
ist die Garantie der Haushaltsautonomie in Art. 109 Abs. 1 GG den
Bestimmungen der Art. 105 - 107 GG über die Steuerzuteilung
und den Finanzausgleich nachgeordnet. Bund und Länder
müssen die in diesen Vorschriften ausgesprochenen
Einschränkungen ihrer Finanzhoheit hinnehmen“ (S. 92).
Die mehrjährige Finanzplanung stelle sicher - so klipp und
klar Gericht -, „daß Bund und Länder ... jeweils
dieselben Indikatoren zugrunde legen, deren Entwicklung ...
über Jahre beobachten, aufeinander abstimmen und fortschreiben
... und in dem kontinuierlich fortgeschriebenen Kriterium der
Notwendigkeit zugleich gewährleisten, daß nicht eine
großzügige Ausgabenpolitik sich bei der
Umsatzsteuerzuteilung refinanzieren könnte, eine sparsame
Ausgabenpolitik hingegen verminderte Umsatzsteueranteile zur Folge
hätte“ (S. 92).
- Für die
Aufteilung des der Ländergesamtheit zustehenden Anteils an der
Umsatzsteuer unter den Ländern nach Art. 107 Abs. 1
Satz 4 GG („horizontale“ Aufteilung) hat die Verfassung
bereits den Maßstab der Einwohnerzahl festgelegt:
„Grundsätzlich wird die Umsatzsteuer nach Maßgabe
der Einwohnerzahl zugeteilt, die das örtliche Aufkommen aus
dieser Endverbrauchssteuer besser ausdrückt als die formale
Anknüpfung einer Steuererhebung beim Unternehmer und damit
zugleich einen abstrakten Bedarfsmaßstab - die
gleichmäßige Pro-Kopf-Versorgung - benennt“ (S. 93
/ 94). Und weiter: „Davon abweichend kann der
Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen bis zu einem Viertel
unterdurchschnittlich mit Steuererträgen ausgestatteten
Ländern zugewiesen werden. Nach Zuteilung dieser
Ergänzungsanteile steht die eigene Finanzausstattung der
einzelnen Länder fest“ (S. 94) - so nach wie vor die
Rechtsprechung des höchsten Gerichts.
- Darüber
hinaus fordert - und erst auf dieser Stufe setzt der
Länderfinanzausgleich ein - Art. 107 Abs. 2 Sätze
1 und 2 GG eine - wie sich das Gericht ausdrückt -
„subsidiäre Korrektur dieser von der Verfassung
grundsätzlich gewollten Ertragsaufteilung, soweit sie auch
unter Berücksichtigung der Eigenstaatlichkeit der Länder
aus dem bundesstaatlichen Gedanken der Solidargemeinschaft
unangemessen ist. Dieser Finanzausgleich soll die
Finanzkraftunterschiede unter den Ländern verringern, aber
nicht beseitigen ... Er ist kein Mittel, um das Ergebnis der ...
primären Steuerverteilung durch ein neues System zu ersetzen,
das etwa allein vom Gedanken der finanziellen Gleichheit der
Länder geprägt ist, ihre ... Eigenverantwortung jedoch
nicht mehr berücksichtigt. Die Ausgleichspflicht ... fordert
nicht eine finanzielle Gleichstellung der Länder, sondern eine
ihren Aufgaben entsprechende hinreichende Annäherung ... Der
annähernde, nicht gleichstellende Finanzausgleich hat zur
Folge, daß der horizontale Finanzausgleich die Abstände
zwischen den 16 - ausgleichspflichtigen wie ausgleichsberechtigten
- Ländern verringern, nicht aber aufheben oder gar ins
Gegenteil verkehren darf“ (S. 95/96).
Schon an
dieser Stelle folgert das Bundesverfassungsgericht
zweierlei:
- Die
Finanzkraft der Länder umfasse grundsätzlich
„alle Finanzmittel, die ein Land zu haushaltspolitischen
Gestaltungen befähigen, beschränkt sich also nicht auf
das Steueraufkommen, sondern bezieht auch sonstige Finanzmittel ein
... Bei der Ermittlung der Finanzkraft können ... Einnahmen
unberücksichtigt bleiben, wenn ihr Volumen nicht
ausgleichserheblich ist. ... Diese Vorgaben hat der
maßstabgebende Gesetzgeber näher auszugestalten ...
Dabei muß er verläßliche, das Volumen der
Finanzkraft zuverlässig erfassende Tatbestände bilden,
die für alle mit der Gestaltung und der Kontrolle des
Finanzausgleichs beauftragten Organe in Bund und Ländern
verständlich und nachvollziehbar sind“ (S.
96/97).
- Um das
Finanzaufkommen für die jeweiligen Länder in
unterschiedlichen Größen und mit dem entsprechend
unterschiedlichen Haushaltsvolumina vergleichbar zu machen,
„ist die Bemessungsgrundlage der Finanzkraft auf objektive
von politischen Bedarfs- und Dringlichkeitsentscheidungen
unabhängige Finanzaufgaben zu beziehen; geboten ist ein
abstraktes Bedarfskriterium. Als solches bietet sich“ - so
die auffallende zurückhaltende Formulierung des Gerichts -
„die jeweilige Einwohnerzahl der Länder an, in
der die Finanzierungsaufgaben des demokratischen Rechtsstaates
sachgerecht zum Ausdruck kommen. Die Einwohnerzahl bietet die
Grundlage eines Finanzkraftvergleichs, die von ländereigenen
Prioritäts- oder Dringlichkeitsentscheidungen unabhängig
ist ... „
(S. 97).
- Schließlich ermächtigt Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG
den Bund, aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern
Zuweisungen zur Ergänzung ihres allgemeinen Finanzbedarfs zu
gewähren - die sog. Bundesergänzungszuweisungen.
Den Begriff der Leistungsschwäche definiert das Gericht anders
als den Begriff der Finanzkraft nach Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG: Er
erfordere „nicht einen bloßen Aufkommensvergleich,
sondern die Bewertung des Verhältnisses von Finanzaufkommen
und Ausgabenlasten der Länder. Deshalb dürfen die
Bundesergänzungszuweisungen nicht lediglich den horizontalen
Finanzausgleich mit Bundesmitteln fortsetzen. Sie erlauben vielmehr
eine finanzwirtschaftliche Bundesintervention, die Sonderlasten
einzelner Länder berücksichtigt und grundsätzlich
darin ihre Rechtfertigung, aber auch nach Höhe und Dauer ihre
Grenze findet“ (S. 98).
Wird mit Hilfe
von Bundesergänzungszuweisungen die Finanzkraft der
leistungsschwachen Länder allgemein angehoben, gelten die
Maßstäbe des horizontalen Finanzausgleichs.
„Deshalb können nur solche Länder Empfänger
dieser Bundesergänzungszuweisungen sein, die nach den
Ergebnissen des horizontalen Länderfinanzausgleichs in einem
Maße unter dem Länderdurchschnitt geblieben sind, das
unangemessen erscheint, aber aus Landesmitteln nicht ausgeglichen
werden kann“ (S. 98).
Dabei fallen
drei Linien der Argumentation auf:
- Ebenso wie
„Angemessenheit“ der gemeinsame Maßstab des
horizontalen und des vertikalen Ausgleichs nach Art. 107 Abs. 2
Sätze 1 und 2 GG einerseits und Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG
andererseits ist, bekräftigt das Gericht als gemeinsamen
Maßstab von Steuerverteilung und Finanzausgleich das
Nivellierungsverbot (S. 98 wie 95): Die
„Ergänzungszuweisungen haben das Nivellierungsverbot zu
beachten, dürfen die Finanzkraftreihenfolge unter den 16
Ländern nicht verändern und sind darüber hinaus zur
Gleichbehandlung aller Länder verpflichtet. Der Bund darf die
Ergänzungszuweisungen insbesondere nicht dazu benutzen,
leistungsschwachen Ländern eine überdurchschnittliche
Finanzkraft zu verschaffen“ (S. 98/99).
Das Gericht
verwandelt indessen diese kritische Bemerkung in eine
Priorität für die neuen Länder: „Eine
derartige allgemeine Anhebung der Finanzkraft leistungsschwacher
Länder kommt gegenwärtig insbesondere in Betracht, wenn
die Finanzkraft der neuen Länder im wiedervereinigten
Deutschland so weit vom Finanzkraftdurchschnitt entfernt ist,
daß eine angemessene Annäherung aus den Finanzmitteln
der alten Länder nicht erreicht werden kann, ohne daß
deren Leistungsfähigkeit entscheidend geschwächt
würde“ (S.99).
- Damit
eröffnet das Gericht zugleich - diese zweite Maßgabe
kann nicht präzise genug gelesen werden - eine Ausnahme von
der Regel, daß Obergrenze der vertikalen Intervention
durch den Bund der Durchschnitt der Finanzkraft der Länder -
also rechtlich gesprochen: deren Gleichbehandlung - ist:
„Entschließt sich der Gesetzgeber“ - so die
bezeichnende nochmalige Formulierung (S. 99 wie S. 98) -
„Sonderlasten einzelner Länder durch
Bundesergänzungszuweisungen mitzufinanzieren, so dürfen
diese Zuweisungen den leistungsschwachen Ländern eine
überdurchschnittliche Finanzkraft verschaffen, wenn und
solange außergewöhnliche Gegebenheiten vorliegen. Diese
unterliegen einer besonderen, den Ausnahmecharakter ausweisenden
Begründungspflicht. In Ausnahmefällen kann eine derartige
Bundesintervention deshalb auch dazu führen, daß die
Finanzkraft des begünstigten Landes die durchschnittliche
Finanzkraft nach dem horizontalen Finanzausgleich
übersteigt“ (S. 99).
- Das Gericht
wird noch deutlicher und bezieht sich dabei ausdrücklich auf
das erste der drei Urteile zum Finanzausgleich:
„Bundesergänzungszuweisungen dienen nicht dazu,
augenblicksbedingte finanzielle Notstände zu beheben, aktuelle
Projekte zu finanzieren oder finanziellen Schwächen
abzuhelfen, die eine unmittelbare und voraussehbare Folge von
politischen Entscheidungen eines Landes bilden.
Eigenständigkeit und politische Autonomie bringen es mit sich,
daß die Länder grundsätzlich für die
haushaltspolitischen Folgen autonomer Entscheidungen selbst
einstehen und eine kurzfristige Finanzschwäche selbst zu
überbrücken haben“ (S. 99/100). Und:
„Berücksichtigt der Gesetzgeber Sonderlasten, so
verpflichten ihn das föderative Gleichbehandlungsgebot
wiederum, diese Sonderlasten zu benennen und zu begründen.
Durch den tatbestandlichen Ausweis der Sonderlasten im
Maßstäbegesetz wird sichergestellt, daß die
ausgewiesenen und benannten Sonderlasten bei allen
lastenbetroffenen Ländern berücksichtigt werden,
daß die berücksichtigten Sonderlasten in angemessenen
Abständen auf ihren Fortbestand überprüft werden und
daß die Kontrolle durch Gerichtsbarkeit und
Öffentlichkeit einen deutlich greifbaren Anknüpfungspunkt
gewinnt“ (S. 100).
III.
Das
Fazit (S. 101 - 119) ist eindeutig. Das Gericht grenzt zum
einen seinen normativen Gegenstand von den finanzwirtschaftlichen
Verhältnissen und finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen ab,
mit denen sich auseinanderzusetzen es der Politik aufgibt (S. 84),
zum anderen seine richterliche Aufgabe von der Verantwortung der
demokratisch legitimierten Politik, für
„Rationalität“ der Finanzwirtschaft zu sorgen (S.
86, 88, 90/91, 92). Im Verhältnis zu den „Maximen“
- oder auch „verfassungsrechtlichen Vorgaben“ (S. 101)
-, die in der Kontinuität der bisherigen Rechtsprechung
bleiben, sind die Schlußfolgerungen des Gerichts durchaus als
innovativ zu bezeichnen. Ebenso wie das Gericht die Politik wieder
in ihre Rechte und Pflichten setzt, mobilisiert es den normativen
Gehalt der Verfassung und relativiert z.B. die in den früheren
Urteilen enthaltenen historisch-rechtlichen
Traditionsbestände, vor allem in Bezug auf die Stadtstaaten,
fast vollständig.
Die
wesentlichen Konsequenzen, die für die Ausformung des
Maßstäbegesetzes beachtlich sind, lassen sich kurz
zusammenfassen. Sie sind zusammen mit der Anmahnung
früherer Prüfaufträge nichts anderes als eine
Warnung an die Politik, das Urteil nicht erst zu
nehmen.
Art. 106
Abs. 3 Satz 4 GG
Den
Verfassungsauftrag zur Abstimmung der Deckungsbedürfnisse von
Bund und Ländern im Dienst eines billigen Ausgleichs fehle -
so die erste Schlußfolgerung - die gesetzliche
Konkretisierung und Ergänzung (S. 102/103). Unter Berufung auf
Stefan Korioth folgert das Gericht aus dem Gesichtspunkt
bundesstaatlicher Gleichheit für Bund und Länder, der
Gesetzgeber werde sich, „dem Gebot der Durchschaubarkeit und
Ausgewogenheit folgend, der Aufgabe stellen müssen,
Konkretisierungen vorzunehmen, die dazu beitragen, daß
politische Kompromisse in den Grenzen festgelegter Kriterien und
Verfahrensregeln gefunden werden“ (S. 103). Mit anderen
Worten: Das berühmt-berüchtigte
„Deckungsquoten-Verfahren“ ist transparent und
kontrollierbar auszugestalten (S. 103/104), und zwar ohne solche
verfassungsrechtlichen Krücken wie den Vorabausgleich in
§ 1 Abs. 1 Satz 1 FAG (Ausgleich für den
zusätzlichen Bundeszuschuß an die Rentenversicherung
zugunsten des Bundes) oder Art. 106 Abs. 3 Sätze 5 und 6 GG
(kinderbezogene Minderung des Einkommensteueraufkommens der
Länder bei der Festsetzung der
Umsatzsteueranteile).
Art. 107
Abs. 2 Satz 1 GG
Besonders die
verfassungsrechtlichen Grundsätze des horizontalen
Finanzausgleichs bedürfen - so die zweite
Schlußfolgerung - der Bildung gesetzlicher
Maßstäbe (S. 105 - 111), und zwar in drei
Richtungen:
- Der
„angemessene“ Ausgleich der Finanzkraft, den Art. 107
Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz GG fordert, verlange eine praktikable,
rationale Ausformung des Begriffs der „Finanzkraft“. Da
das Grundgesetz als Bezugspunkt die Einwohnerzahl vorgebe - wie das
Gericht zwar unter Berufung auf seine Rechtsprechung, aber
unverändert vage formuliert -, „bleiben bei der
Ermittlung der Finanzkraft Sonderbedarfe einzelner Länder
unberücksichtigt“ (S. 105/106). Die
Seehäfen-Klausel des § 7 Abs. 3 FAG bedürfe
einer Rechtfertigung; solle einem abstrakten Mehrbedarf Rechnung
getragen werden, habe der Gesetzgeber zu prüfen, „ob
ähnliche Mehrbedarfe existieren, die dann ebenfalls
berücksichtigt werden müßten“ (S.
106).
- Auch die
Berücksichtigung der Finanzkraft und des Finanzbedarfs der
Gemeinden nach Art. 107 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz GG
erfordere allgemeine Maßstäbe, „um dann
entscheiden zu können, welche der kommunalen Einnahmen ...
außer Betracht bleiben dürfen“ (S. 106) - also
nicht „ob“ Einnahmen außer Betracht bleiben oder
„wieviele“, sondern „welche“, so das
Gericht unmißverständlich unter Hinweis auf den
früheren Prüfauftrag zu den Konzessionsabgaben. Das
Gericht spezifiziert sogar und verlangt eine Definition
„ausgleichserheblicher“ Einnahmen (S. 107). Zwar
akzeptiert es noch einmal die hälftige Kürzung der
Steuereinnahmen durch § 8 Abs. 5 FAG, fordert aber den noch
unerledigten Prüfauftrag ein (S. 107). Zugleich kommentiert
das Gericht die in den letzten Jahren gestärkte
grundgesetzlich garantierte finanzielle Eigenverantwortung der
Gemeinden mit der Bemerkung, dies modifiziere die bisherige
Zweistufigkeit der Finanzverfassung - was immer damit gemeint
ist.
- „Überprüfungsbedürftig ist auch die
Einwohnergewichtung... Umfang und Höhe eines
Mehrbedarfs sowie die Art seiner Berücksichtigung dürfen
vom Gesetzgeber nicht frei gegriffen werden.“ (S.108), und
zwar weder auf der Länderebene noch auf der Gemeindeebene (S.
108/109). Umfang und Höhe müssen sich - wie das Gericht
zum dritten Mal nach 1992 und 1986 betont - „nach
Maßgabe verläßlicher, objektivierbarer Indikatoren
als angemessen erweisen“ (S. 108). Und es präzisiert:
Zum einen mache es die Einbeziehung der neuen Länder in den
Finanzausgleich erforderlich, die Finanzkraft der Stadtstaaten der
Finanzkraft dünn besiedelter Flächenstaaten
gegenüberzustellen (S. 108); zum anderen sei der
Prüfauftrag bezüglich des abstrakten Mehrbedarfes
größerer Gemeinden bei der Erledigung kommunaler
Aufgaben in § 9 Abs. 3 FAG mit Blick auf die dünn
besiedelten Länder „dringlicher“ geworden (S.
109).
Art. 107 Abs.
2 Satz 2 GG
Dezidiert
fordert das Gericht ferner eine Bestimmung der Voraussetzungen von
Ausgleichsansprüchen und -verbindlichkeiten, „die anhand
einheitlicher Maßstäbe die Angemessenheit des Ausgleichs
grundsätzlich systemimmanent sichert“ (S. 109 - 111). Es
blickt dabei besonders auf die Finanzkraftreihenfolge (S. 110) und
beanstandet Einzelregelungen (§ 10 Abs. 3 im Verhältnis
zu Abs. 1 FAG, § 10 Abs. 3 bis Abs. 5 FAG) als
widersprüchlich (S. 110) und unsystematisch (S. 111).
Besonders an dieser Stelle wird deutlich, daß und wo vor
allem das Gericht auf „Vereinfachung und verbesserte
Verständlichkeit“ der Gesetzgebung hinwirken will (S.
109 und schon 97).
Art. 107
Abs. 2 Satz 3 GG
Schließlich wendet sich das Bundesverfassungsgericht den
Bundesergänzungszuweisungen zu (S. 111 - 116). Die
verfassungsrechtliche Ermächtigung erlaube einen
„abschließenden ergänzenden Ausgleich aus
Bundesmitteln, der weder den horizontalen Finanzausgleich noch die
vertikale Steuerertragsverteilung ... ersetzen oder überlagern
darf. Die Bundesergänzungszuweisungen sollen ergänzende
Korrekturen ermöglichen, wenn die Steuerverteilung innerhalb
der Ländergesamtheit und auch der angemessene Ausgleich unter
den Ländern zu einer Finanzausstattung führen, die nach
dem bundesstaatlichen Prinzip solidarischen Einstehens
füreinander noch als änderungsbedürftig erscheint.
Dieser Zweck begrenzt auch den Umfang im Verhältnis zum
Volumen des horizontalen Finanzausgleichs“ (S. 111/112) - so
das Gericht noch einmal und unter Berufung auf das Urteil von 1992,
d.h. vor dem im wesentlichen von den Ländern geprägten
Kompromiß von 1993.
Sodann
argumentiert das Gericht - und diese Betonung fällt auf - mit
Zahlen, nämlich (per 1998) mit dem Verhältnis von 13,52
Mrd. DM Finanzausgleich : 25,65 Mrd. DM
Bundesergänzungszuweisungen (zu 1999: Anlage)und stellt
fest: „Dieses Verhältnis ist mit Rücksicht auf den
Sonderbedarf der neuen Länder - das Volumen der
Sonderergänzungszuweisungen nach § 11 Abs. 4 FAG macht
allein 14 Milliarden DM aus - als wiedervereinigungsbedingte
Ausgleichsregelung vorübergehend zu rechtfertigen. Angesichts
der Ergänzungsfunktion von Bundeszuweisungen bedarf diese
Entwicklung jedoch auf längere Sicht auch im Hinblick auf die
neuen Länder der Korrektur“ (S. 112/113).
Auch dies
konkretisiert das Gericht selbst in drei
Richtungen:
- „Die
Bundesergänzungszuweisungen dürfen im Tatbestand der
‚leistungsschwachen Länder' nicht lediglich an das
Ergebnis des horizontalen Finanzausgleichs anknüpfen und
diesen aus Bundesmitteln ergänzen, sondern setzen eine
eigenständige, vom horizontalen Finanzausgleich abgehobene
Bestimmung der Leistungsschwäche voraus“ (S.113). Das
Gericht beanstandet die Regelung der
Fehlbetragsergänzungszuweisungen in § 11 Abs. 2
FAG als den Anforderungen des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG nicht
genügend und stellt apodiktisch fest: „Im übrigen
wird das Maßstäbegesetz sicherstellen, daß das
nachrangige Instrument der Bundesergänzungszuweisungen nur als
Ergänzung, nicht als Ersatz des horizontalen Finanzausgleichs
angelegt ist“ (S. 113/114).
- Sodann
nochmals und noch deutlicher: Während aufgrund des
Nivellierungsverbotes Empfänger allgemeiner
Bundesergänzungszuweisungen nur solche Länder sein
können, die nach dem horizontalen Finanzausgleich unter dem
Länderdurchschnitt geblieben sind, können
Bundesergänzungszuweisungen, „die gerade der
Berücksichtigung von Sonderbedarfen dienen, zeitweise zu
Veränderungen der Finanzkraftreihenfolge führen
... Allerdings müssen ... außergewöhnliche
Gegebenheiten vorliegen, die einer besonderen, den
Ausnahmecharakter ausweisenden Begründungspflicht
unterliegen“ (S. 114/115).
- In diesem
Zusammenhang heißt es zum Ausgleich überproportionaler
Kosten politischer Führung und zentraler Verwaltung in
§ 11 Abs. 3 FAG ebenso dezent wie deutlich: „Dem Gesetz
läßt sich ein hinreichend einsichtiger Maßstab
nicht entnehmen“ (S. 115). Außerdem werden die
Sonder-Bundesergänzungszuweisungen für Bremen und
Saarland in § 11 Abs. 6 FAG nur mehr als
„vorübergehende Hilfe zur Selbsthilfe“ und nicht
mehr wie früher als Hilfe aus „extremer Notlage“
qualifiziert. Zugleich wird ihnen für die Zeit nach 2004 ein
Riegel vorgeschoben: „Die beiden begünstigten
Länder sind damit auf den Wegfall dieser Zuweisungen
vorbereitet, andere können auf das Auslaufen ... bauen“
(S. 116). Die Übergangsergänzungszuweisungen nach §
11 Abs. 5 FAG tauchen im übrigen nur noch beim Fonds
„Deutsche Einheit“ auf und werden vom Gericht
offenkundig - da ebenfalls 2004 auslaufend - als obsolet betrachtet
(S. 119).
IV.
Was sind nun
bei der Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern
die Aufgaben der Politik ? Eignet sich das Programm des Gerichts
als Marschroute für den Gesetzgeber ? Ist es überhaupt
akzeptabel ?
Um die Frage,
die Wieland beschäftigt, vorweg zu beantworten - im Ergebnis
mit Bull: Es geht im Kern um das Ausmaß der Freiheit -
besser: der Spielräume - von Auseinandersetzung und
Entscheidung der politischen Kräfte unter der geltenden
Verfassung im Allgemeinen und der geltenden Finanzverfassung im
Besonderen. Das Bundesverfassungsgericht schränkt meines
Erachtens nicht den Gesetzgeber ein, sondern rückt das
Zusammenwirken von Verfassungs- und einfacher Gesetzgebung und von
Politik und Recht in einer parlamentarisch-rechtsstaatlichen
Demokratie in die Balance, die ihr gebührt. Kurz gesagt: Die
Gesetzgebung ist an die Verfassung gebunden, solange sie nicht
diesen Rahmen selber ändert, und Verfassungsaufträge
geben einen Interpretationsspielraum, dessen Standards nicht nur
das Parlament, sondern auch die Verfassungsgerichtsbarkeit zu
messen hat:
„Das
Gesetz gestaltet in seiner formellen Allgemeinheit
rational-planmäßig die Zukunft, setzt eine gewisse
Dauerhaftigkeit der Regel voraus, erstreckt ihre Anwendung auf eine
unbestimmte Vielzahl künftiger Fälle, wahrt damit Distanz
zu den Betroffenen, wendet die Aufmerksamkeit des regelnden Organs
dem auch für die Zukunft verpflichtenden Maß zu und
wahrt die Erstzuständigkeit des Gesetzgebers bei der
Verfassungsinterpretation“ (S. 88).
Mit anderen
Worten: Das Bundesverfassungsgericht bleibt
„Zweitinterpret“, es sei denn, die Verfassung selber
wird geändert. Tragen die neuen Gesetze nicht, ist mit einem
erneuten Prozeß zu rechnen.
Die
Regierungskoalition hatte ursprünglich vor, eine
Enquete-Kommission für die Reform der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen einzusetzen. Das Verfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht und die Vorgehensweise der Länder
haben diesen Ansatz jedoch überholt. Es ist nun beabsichtigt,
einen (Sonder-) Ausschuß nach § 54 der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einzusetzen. Er
soll zunächst ein Maßstäbegesetz und sodann ein
Finanzausgleichsgesetz - wahrscheinlich auch verteilt auf diese und
die nächste Legislaturperiode - vorbereiten. Da in den
Länderkonferenzen das Einstimmigkeitsprinzip gilt, ist zu
erwarten, daß die Arbeiten der Finanzminister und der
Ministerpräsidenten lediglich „Eckpunkte“
hervorbringen, die mehr oder weniger große Schnittmengen der
Gemeinsamkeit zeigen. Der Bund wird um einer
größtmöglichen Einigungschance willen seine
Vorstellungen schrittweise konkretisieren, bevor ein Gesetzentwurf
vorgelegt wird. Vermutlich wird dies durch die Regierung geschehen,
doch in zeitlicher Verschränkung mit der Arbeit des
Parlaments.
Der
Ausschuß wird sich - auch um einer breiten parlamentarischen
Mehrheit willen - nicht nur mit dem normativen Stoff, sondern auch
mit dem zu regelnden Sachverhalt zu beschäftigen haben - eben
den „vorgefundenen finanzwirtschaftlichen Verhältnissen
und (verfügbaren) finanzwissenschaftlichen
Erkenntnissen.“ Es ist unabweisbar:
„Der
Gesetzgeber muß - unabhängig von wechselnden
Ausgleichsbedürfnissen und von konkreten Zuteilungs- und
Ausgleichssummen - langfristig anwendbare Maßstäbe
bestimmen, aus denen dann die konkreten, in Zahlen gefaßten
Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen abgeleitet werden
können“ (S. 84).
Ist dieser
doppelte Regelungsauftrag nur in einem „Blindflug“ zu
erfüllen - wie Wolfgang Renzsch sagt (7) -, oder
läßt sich mit der (nicht nur vom Grundgesetz
legitimierten, sondern ebenso rational begründbaren) Aufgabe
des Gesetzgebers in Einklang bringen, im Zeitpunkt der Gesetzgebung
auch die Folgen der Normen abzuschätzen, die er setzt, und sie
in seine Verantwortung aufzunehmen?
Dies
läuft zwar nicht auf eine Umkehrung der Zeitfolge
gegenüber der bisherigen Finanzausgleichsgesetzgebung hinaus,
die - wie Korioth sagt - in bewußter Interessen- und
Folgenabschätzung eine unmittelbare Normierung traf. Aber will
man nicht - und man kann auch gar nicht - auf Rechenoperationen
verzichten, wird man nur in einer kombinierten Folge von
zeitlichen Schritten und inhaltlicher Konkretisierung vorgehen
können, die Konfliktpotentiale nicht nur nicht provoziert,
sondern auch reduziert. D.h. in acht Punkten:
- Für die
abstrakten und konkreten Regeln sollten alle Möglichkeiten der
„Verständlichkeit“ und der
„Vereinfachung“ gesucht und genutzt
werden.
- Die einzelnen
Verteilungsstufen des geltenden Rechts bedürfen der
Überprüfung und des künftigen Rechts der
Begründung.
- Der
Gesetzgeber ist auch nicht gehindert, auf der ersten oder der
zweiten Stufe der Regelung die sonstigen Finanzbeziehungen
zwischen Bund und Ländern - d.h. auch die nicht zum (Umsatz-)
Zuteilungs- und Finanzausgleichssystem gehörenden
Gestaltungsinstrumente - in die Betrachtung einzubeziehen. Im
Gegenteil: dies kann als Chance dienen, das System zu entlasten.
Ebensowenig ist er gehindert, mit der Zeit ins Auge zu fassen, den
Erlaß und/oder die Änderung einfacher Gesetze mit einer
Fortentwicklung finanzverfassungsrechtlicher Bestimmungen zu
kombinieren.
- Die
zeitlich-inhaltliche Struktur der beiden Gesetzgebungsakte -
„langfristige“ /
„fortschreibungsfähige“ Regeln vs.
„kurzfristige“ / „periodisch
überprüfbare“ Summen - erlaubt gerade eine
gründliche Überprüfung, ob und inwieweit die -
politisch unstrittige - Anschlußregelung für den
Solidarpakt innerhalb und/oder außerhalb des Systems zu
treffen.
- Da Zweck der
Finanzverfassung die „aufgabengerechte
Finanzausstattung“ ist, wie Abschnitt X des Grundgesetzes
voraussetzt und Art. 106 Satz 4 Nr. 2 GG mit den Direktiven
unterstreicht, „eine Überbelastung der
Steuerpflichtigen“ zu vermeiden und „die
Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ zu wahren, ist
eine Debatte darüber unumgänglich, welche Aufgaben
der Staat wahrnehmen soll und wie sie sich auf die verschiedenen
Ebenen des Gemeinwesens verteilen sollen, einschließlich der
Sub-Ebene Gemeinden und der Supra-Ebene Europa. Dies wird nicht in
einer Art „big bang“ zu einer Neuordnung der Aufgaben-
und Finanzverteilung führen, kann jedoch
„Schneisen“ einer Reform eröffnen, die auch die
Eigenverantwortung von Ländern und Gemeinden
stärkt.
- Nicht
ausgewichen werden kann und darf einer Untersuchung
juristisch-ökonomischer Grundfragen, z.B. wie sich die
Gebietskörperschaften unter den Wirkungen der Finanzreform
1969 und der „kleinen“ Reform von 1993 entwickelt haben
und welchem Maßstab die „eigene“
Finanzausstattung in Zukunft folgen soll - einem rechtlichen oder
einem wirtschaftlichen Maßstab. So wie das
Bundesverfassungsgericht den Gesetzesbegriff im Sinne von
„Vorgriff“ materialisiert, ist auch
„Evaluation“ bisheriger Gesetzgebung und ihrer
Wirkungen nötig, besonders in bezug auf die regionale
Steuerverteilung und sogar die Effekte
„ungeschriebener“ Finanzströme, und so wie es die
normativen Ansprüche an die Gesetzgeber erhöht, so
muß die Politik als Verfassungs-/Gesetzgeber auch die
Ansprüche an sich selbst steigern (8).
- Nicht zu
übersehen sind auch die rechtlichen - rechtspolitisch
interessanten - Hinweise des Gerichts auf die
Wechselbeziehungen zwischen Haushaltswirtschaft - d.h. der
Ausgabenseite - und Finanzwirtschaft - d.h. der Einnahmenseite des
Budgets. In diesen Zusammenhang gehören auch die
innerstaatlichen Konsequenzen, die aus dem Stabilitäts- und
Wachstumspakt zu ziehen sind, der mit der Einführung der
einheitlichen europäischen Währung geschlossen worden
ist, und ebenso die Erfüllung des Gesetzgebungsauftrages von
1992, Vorsorge gegen Haushaltsnotlagen zu treffen. Nach dem
„bündischen Prinzip“, an dem das
Bundesverfassungsgericht festgehalten hat, ist präventive
Haushaltsnotlagenpolitik in allen drei Dimensionen - und
wechselseitig - ein auch wirtschafts- und europapolitisches Gebot,
nämlich unter den Ländern, zwischen Bund und Ländern
und auch zwischen der Ländergesamtheit und dem Bund, dem
„Treuhänder“ gesamtstaatlicher
Interessen.
- Damit stellt
sich die Frage nach dem Leitbild der Gesetzgebung. Auch wenn
das Bundesverfassungsgericht die ideologischen Positionen der
streitenden Ländergruppen umgangen und das eigene
Vorverständnis nur sparsam sichtbar gemacht hat - für den
demokratischen Gesetzgeber, der den Konsens, ja sogar den
Kompromiß suchen muß, ist es unumgänglich, eine
„rechtmäßige und zeitgemäße“ Idee
voranzustellen. Diese liegt offenkundig nicht mehr im bloßen
Konkurrenz- oder „kooperativen“ Föderalismus. Man
sollte versuchen, sich auf einen „aktivierenden“ das
Teil- und das Gesamtinteresse stärkenden Föderalismus zu
verständigen.
( ) Berlin,
Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern,
Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt,
Schleswig-Holstein; Baden-Württemberg, Bayern, Hessen,
Nordrhein-Westfalen; Sachsen, Thüringen ( ) Die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich und
die Aufgabe der Politik, Unveröff. Manuskript eines Vortrages
vor der Projektgruppe "Solidarpakt II" der SPD-Bundestagsfraktion,
Februar 2000 ( ) Der rationale Finanzausgleich - Ein
Gesetzgebungsauftrag ohnegleichen. Die Aufgabe des Gesetzgebers
nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, DÖV 2000, S.
305 - 314 ( ) Das Urteil umfaßt im amtlichen Umdruck 121
Seiten, davon S. 5 - 42 die Darstellung des FAG
(einschließlich des Textes), S. 43 - 51 die Tabellen, S. 52 -
81 den Vortrag der drei Antragsteller und der (Gegen-)
Antragsteller Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie
der Äußerungsberechtigten und S. 83 - 119 die
Ausführungen zur Begründetheit. Im Folgenden wird aus dem
Urteil nach dem Umdruck zitiert; vgl. jedoch auch die
Veröffentlichung im Internet (http://www.bverfg.de/). ( ) Das
Konzept eines Maßstäbegesetzes zum Finanzausgleich,
DVBl. 2000, S. 1310 - 1315 ( ) BVerfGE 72,330 - 423 (Abweichende
Meinung Niebler: 424 - 436), und 86,148 - 279; vgl. auch zu Art.
109 und 115 GG: BVerfGE 79, 311 - 357. ( ) Finanzausgleich und die
Modernisierung des Bundesstaates. Perspektiven nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts, Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.),
Materialien zur Verwaltungspolitik, Februar 2000 ( ) Vgl. Volker
Kröning, Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Ein
Vorschlag zur Stärkung der Leistungsanreize für
finanzschwache Länder, ZRP 1997, S. 442 - 444. Anlage:
Bundesstaatlicher Finanzausgleich 1999
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