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Volker Kröning
Mitglied des Deutschen Bundestages
Bundestagsadler
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Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern Eine Bremer Grundsatzposition aus aktuellem Anlaß
Vortrag vor der Juristischen Gesellschaft Bremen am 23. Mai 2000
Von Volker Kröning MdB

Mit kaum einem Thema wird die bundesdeutsche Öffentlichkeit mehr strapaziert als dem Föderalismus und seiner Reform... Es ist nicht nur ein Lieblingsthema der Medien und der Wissenschaft, sondern auch der Politik, zumindest der Ministerpräsidenten der Länder.

Die Geschichte der Bonner Republik schloss auf diesem Gebiet mit einem Beschluss der Regierungschefs der alten Länder ab, der von der Wiedervereinigung überrollt wurde. Stattdessen nahm man ihn als Prüfauftrag in Art. 5 des Einigungsvertrages von 1990 auf - eine gewagte Behandlung der neuen Länder, die bereits gegründet, jedoch noch nicht handlungsfähig waren...

Die durch den Beitritt der DDR zum Grundgesetz legitimierte Berliner Republik setzte zwar eine Gemeinsame Verfassungskommission von Bund und Ländern - zusammengesetzt aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates - ein, die bis 1994 eine „kleine Reform“ beschloß, aber nicht auf dem Gebiet der Finanzen. Art. 7 Abs. 1 des Einigungsvertrages hatte vorläufige Regelungen getroffen, und schon 1993 wurde das Finanzausgleichsgesetz (FAG) den Belangen des vergrößerten Gesamtstaates angepasst („Solidarpakt“), bezeichnenderweise im Rahmen des sog. Föderalen Konsolidierungsprogramms...

Der einstimmige Kompromiss hielt nicht lange. Die Einheit der Länder zerbrach unter mehrfachen Anforderungen - neben landespolitischen Profilierungsversuchen sind im wesentlichen die Lasten der inneren Einigung Deutschlands und die Befürchtungen zu nennen, die mit dem Zusammenwachsen Europas verbunden sind.

Kurz nachdem 1995 das FAG in Kraft getreten war, ... trat ein politisch-juristischer Doppel-Konflikt zu Tage, den zu entwirren Zeithistorikern überlassen bleiben muß. Ende 1998/ Anfang 1999 strengten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht an, das erst 1986 und 1992 über wesentliche Teile des Finanzausgleiches entschieden hatte. Fast gleichzeitig beschlossen die Regierungschefs von Ländern und Bund eine gemeinsame Kommission zur „Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“, die sich freilich wegen des zügig anberaumten Verhandlungstermins des Bundesverfassungsgerichts nicht konstituierte. Was sich dann im November/ Dezember 1999 ereignete, stellt die Staatspraxis vor fast unlösbare Verfahrensprobleme: Das Bundesverfassungsgericht verwies das Thema an die Politik zurück, und zugleich bekräftigten bzw. erweiterten die Regierungschefs ihre Prozedur. Sie beschlossen nämlich

„Vorschläge für eine Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung einschließlich der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern sowie der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 vorzulegen“.

Dieses Verfahren dauert an. Zwei Arbeitsgruppen („Neuordnung der föderalen Kompetenzordnung und der Finanzverfassung“ und „Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern einschließlich der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und der Anschlussregelung für den Solidarpakt“), die im April 2000 gebildet werden sollten, sind bisher nicht zustande gekommen. ... Ob es überhaupt gelingt, was man sich vorgenommen hat, nämlich die Ergebnisse der Arbeitsgruppen in einem Bericht zusammenzufassen und auf dieser Grundlage im Oktober 2000 eine Sonderkonferenz abzuhalten, wagt niemand vorherzusagen.

Längst ist das Thema 2 an die Finanzminister abgetreten worden. Zum Thema 1 liegt bisher nichts vor. Stattdessen haben sich die Ministerpräsidenten in die europapolitische Debatte eingeschaltet: Grund ist die Agenda der EU zur Vertiefung und Erweiterung der Gemeinschaft, Motiv vielleicht auch, die Verhandlungsmasse gegenüber dem Bundeskanzler zu erweitern.

Nachdem die Finanzminister am 10. Februar 2000 eine rechtliche und politische Bestandsaufnahme („Zwischenbericht“) vorgelegt hatten, die bereits vielfältige Differenzen bei der Umsetzung des Urteils ankündigte, liegen inzwischen „Eckpunkte“ zweier Ländergruppen vor, die einen Konsens über einen Gesetzentwurf, wie er 1992/93 gefunden wurde, fraglich erscheinen lassen... Es ist die bekannte sog. Arm/Reich-Konstellation. Beide Lager - 10:4:2 (1) - berufen sich auf einen Beschluss der Ministerpräsidenten vom 24. März 2000, der „Eckpunkte zur Weiterentwicklung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs“ festgelegt hat.

Die alles ist weit entfernt von der Realität. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat nämlich eine Situation geschaffen, die Stefan Korioth zutreffend "neu" und "überraschend" (2) nennt. Hans-Peter Bull spricht sogar von einem "Gesetzgebungsauftrag ohnegleichen" (3). Es lohnt sich, das Urteil zu lesen (I. - III.) und dann die Aufgaben der Politik zu bestimmen (IV.).

I.

Das Urteil liest sich wie ein Vademecum des Finanzausgleichs - seiner Defizite, seiner Anforderungen und eines Tableaus zum Abschluß 1998 (4). Das Gericht hat ausdrücklich auf eine „abschließende Würdigung einzelner Regelungen oder des Gesamtsystems des Finanzausgleichsgesetzes“ verzichtet (S. 120), ohne dies jedoch für die Zukunft auszuschließen. Seine so nicht erwartete Würdigung lautet, daß „die unverzichtbare Ordnungsfunktion der Finanzverfassung ... nur durch eine maßstabgebende Konkretisierung und Ergänzung der offenen Tatbestände des Grundgesetzes gewahrt werden kann“ (S. 119).

Mit anderen Worten: das Gericht hat an einer normativen Zwischenebene zwischen Finanzverfassung und Finanzausgleich angesetzt. Die Ausformung der finanzausgleichsrechtlichen Maßstäbe - beginnend mit der (vertikalen und horizontalen) Umsatzsteuerverteilung über den (horizontalen) Länderfinanzausgleich bis zu den (vertikalen) Bundesergänzungszuweisungen, die über den engen Namen des FAG hinaus allesamt in dem Gesetz geregelt sind - ist dem Gesetzgeber zugewiesen , so das Gericht ohne Umschweife (S.120). Doch zugleich legt das Gericht den Gesetzgeber an eine zeitliche Leine:

„Die Mängel der Maßstabbildung lassen eine zeitlich unbeschränkte Fortgeltung des Finanzausgleichsgesetzes nicht zu. Dessen schon vom Gesetzgeber selbst beabsichtigte Teilrevision für den Geltungszeitraum ab dem Jahr 2005 ... markiert einen auch verfassungsrechtlich erheblichen Zeitpunkt: Bis zum 31. Dezember 2004 gilt das Finanzausgleichsgesetz unter den im Tenor näher genannten Voraussetzungen fort. Soweit das Maßstäbegesetz nicht bis zum 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist, wird das Finanzausgleichsgesetz mit diesem Tag verfassungswidrig und nichtig. Nach Erlaß des Maßstäbegesetzes muß der Gesetzgeber auf dessen Grundlage das Finanzausgleichsgesetz bis zum 31. Dezember 2004 neu regeln. Sofern eine solche Neuregelung nicht am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, wird das Finanzausgleichsgesetz mit diesem Tag verfassungswidrig und nichtig.“ (S. 120 / 121).

Dies ist eine klare Interpretation des Tenors durch das Gericht selbst. Es sind also zwei Gesetze nötig. Joachim Wieland sieht in dem Maßstäbegesetz ein neues Phänomen des Staatsrechts und der Gesetzgebungslehre (5) und in dem Urteil zugleich eine Änderung der Interpretation der Verfassung weg von einer „Rahmenordnung, die eine „richtige“ Finanzverteilung als Ergebnis einer politischen Einigung der Träger verschiedener Interessen im Rahmen der Vorgaben der Art. 106 und 107 GG sah“ - wie in den beiden früheren Urteilen (6) - hin zu einer Sicht, wonach die Finanzverfassung „keine unmittelbar vollziehbaren Maßstäbe“ enthält, sondern den Gesetzgeber verpflichte, „das verfassungsrechtlich nur in unbestimmten Begriffen festgelegte Steuerverteilungs- und Ausgleichssystem entsprechend den vorgefundenen finanzwirtschaftlichen Verhältnissen und finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen durch anwendbare, allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe gesetzlich zu konkretisieren und zu ergänzen“ (S. 84).

Dieses Konzept einer zweistufigen Gesetzgebung mag man wissenschaftlich problematisieren; politisch ist es verbindlich - nämlich Regelung zunächst der abstrakten Maßstäbe und sodann der konkreten Folgen oder - wie das Gericht sagt: zunächst eine „auf langfristige Geltung angelegte, fortschreibungsfähige Maßstabbildung“ und sodann eine „kurzfristige, auf periodische Überprüfung angelegte (Regelung der) Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen“ (S. 87). Der Tenor des Urteils spricht davon, daß die Maßstabbildung „nach Maßgabe der Gründe“ zu erfolgen hat. Es nützt also nichts, das Fehlen einer „dogmatisch nachvollziehbaren Herleitung“ der Entscheidung zu kritisieren, wie es Wieland tut. Ich sehe in den Ausführungen des Gerichts zur Vorgängigkeit und Eigenständigkeit des Maßstäbegesetzes keine bloßen obiter dicta.

Dabei darf man allerdings nicht die Bindungswirkung des Urteils und die Bindungswirkung des Maßstäbegesetzes verwechseln. Unabhängig von der Zuordnung eines solchen Gesetzes zur Hierarchie der Rechtsquellen, die das Bundesverfassungsgericht vornimmt - Verfassungsrecht = Prinzipien, Maßstäbegesetz = Zuteilungs- und Ausgleichsmaßstäbe, Finanzausgleichsgesetz = in Zahlen gefaßte Rechtsfolgen (S. 86 / 87 und 84) - bleibt das Maßstäbegesetz eine Selbstbindung des Gesetzgebers, die er selber - jedoch auch nur er allein - korrigieren kann. Das Maßstäbegesetz zum Finanzausgleich erinnert an das Haushaltsgrundsätzegesetz, das auf Art. 109 Abs. 3 GG beruht. Dieses Gesetz konkretisiert zwar keine unbestimmten Rechtsbegriffe, ergänzt aber ebenso die Finanzverfassung, wie es das Gericht von dem Maßstäbegesetz verlangt. Es ist unstrittig, daß das Haushaltsgrundsätzegesetz selbst zu ändern ist, wenn der Bund durch die Bundeshaushaltsordnung oder durch ein Haushaltsgesetz von den selbst gesetzten Grundsätzen abweichen will. Keine andere Selbstbindung des Gesetzgebers meint das Gericht, so im Ergebnis auch Wieland.

Etwas anderes als das zeitliche Nachher ist das zeitliche Vorher, und etwas anderes als die Maßstabbildung ist die Abschätzung der Folgen. An dieser Stelle leistet sich das Gericht zwar einen Ausflug in die Philosophie (S. 87/88), wofür Juristen bekanntlich besonders empfänglich sind. Seine Betrachtungen zum gesetzlichen „Vorgriff auf die Zukunft“, den die Finanzverfassung verlange, zum Erfordernis eines auf Planung aufbauenden Gesetzes, zu Rationalität und Distanz und zur Erstzuständigkeit des Gesetzgebers bei der Verfassungsinterpretation (S. 88) mögen die Wissenschaft wundern und seine Kritik an „aktuellen Finanzierungsinteressen“ (von Bund und Ländern), an „Besitzständen und Privilegien“ (S. 89) die Politik ärgern.

Noch deutlicher aber als die „Vorherigkeit“ des Maßstäbegesetzes, die das Gericht verlangt und in der es mehr sieht als nur eine Art von „Vor-Rang“ und „Vor-Behalt“ des Gesetzes - wie es etwas blumig sagt -, ist die Forderung des Gerichts, durch das Maßstäbegesetz eine „institutionelle Verfassungsorientierung“ zu gewährleisten (S.89). Was das heißt, muß uns beschäftigen.

Dabei will ich den „Schleier des Nichtwissens“ nicht zerreißen, von dem das Gericht selber bezweifelt, ob er funktioniert (S.88 / 89), und auch nicht bei der Kritik des Gerichts an dem „freien Spiel der politischen Kräfte“ (S. 89) stehen bleiben. Auffallend ist freilich die scharfe Wendung des Gerichts gegen eine „nur vertragliche Verständigung über Tatbestände und Rechtsfolgen eines Finanzausgleichsgesetzes“ und insbesondere „eine Gesetzgebungspraxis, die das Finanzausgleichsgesetz faktisch in die Verantwortlichkeit des Bundesrates verschiebt"“(S. 90).

Für entscheidend halte ich, daß und wie das Gericht die „Maximen“ entfaltet, an die - so seine Formulierung - die Finanzverfassung das Maßstäbegesetz und das darauf aufbauende Finanzausgleichsgesetz auf den vier Stufen der Finanzverteilung bindet (S. 91 - 100), und daß es im übrigen den verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Horizont der gesamten Debatte ausgeweitet und zugleich abgesteckt. Denn außerhalb des Steuerzuweisungs- und Finanzausgleichssystems entfaltet auch die Bundesfinanzierung von bundesmitbestimmten Länderaufgaben Ausgleichswirkungen; weitere Bestimmungen (Art. 91 a und b, Art. 104 Abs. 4 und 3 sowie Art. 106 Abs. 8 GG) mindern Ausgabenlasten der Länder und erleichtern ihnen die Wahrnehmung ihrer Aufgaben (S. 100 / 101). Dies ist der normative Kern und Radius der Entscheidungsgründe.

Die Schlußfolgerungen (S. 101 - 119) stehen unter der Doppelüberschrift, daß die verfassungsrechtlichen Aufträge des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 und des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG - also vor allem auf den Stufen der Umsatzsteuerverteilung und des Länderfinanzausgleichs - noch nicht erfüllt seien (S. 102 - 111, besonders S. 102); sie enden mit dezidierten Ausführungen zu Zweck und Volumen der Bundesergänzungszuweisungen (S. 111 - 116 sowie S. 119) und zur systematischen Verbindung des Fonds „Deutsche Einheit“ mit dem Finanzausgleich (S. 117 - 119).

II.

Die verfassungsrechtlichen Maximen auf den vier Stufen der Finanzverteilung werden von dem Gericht knapp erläutert:

  1. Bei der Aufteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländergesamtheit nach Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG („vertikale“ Aufteilung) sei der Gesetzgeber verpflichtet, die „notwendigen“ von den im Haushalt veranschlagten Ausgaben zu unterscheiden, also „in einer Erforderlichkeits- und Dringlichkeitsbewertung von Ausgabenstrukturen der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern eine Grenze des Finanzierbaren vorzugeben“ (S. 91). Bund und Länder seien „in ihrer Haushaltswirtschaft, nicht in ihrer Finanzwirtschaft selbständig und voneinander unabhängig. Dementsprechend ist die Garantie der Haushaltsautonomie in Art. 109 Abs. 1 GG den Bestimmungen der Art. 105 - 107 GG über die Steuerzuteilung und den Finanzausgleich nachgeordnet. Bund und Länder müssen die in diesen Vorschriften ausgesprochenen Einschränkungen ihrer Finanzhoheit hinnehmen“ (S. 92). Die mehrjährige Finanzplanung stelle sicher - so klipp und klar Gericht -, „daß Bund und Länder ... jeweils dieselben Indikatoren zugrunde legen, deren Entwicklung ... über Jahre beobachten, aufeinander abstimmen und fortschreiben ... und in dem kontinuierlich fortgeschriebenen Kriterium der Notwendigkeit zugleich gewährleisten, daß nicht eine großzügige Ausgabenpolitik sich bei der Umsatzsteuerzuteilung refinanzieren könnte, eine sparsame Ausgabenpolitik hingegen verminderte Umsatzsteueranteile zur Folge hätte“ (S. 92).
  2. Für die Aufteilung des der Ländergesamtheit zustehenden Anteils an der Umsatzsteuer unter den Ländern nach Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG („horizontale“ Aufteilung) hat die Verfassung bereits den Maßstab der Einwohnerzahl festgelegt: „Grundsätzlich wird die Umsatzsteuer nach Maßgabe der Einwohnerzahl zugeteilt, die das örtliche Aufkommen aus dieser Endverbrauchssteuer besser ausdrückt als die formale Anknüpfung einer Steuererhebung beim Unternehmer und damit zugleich einen abstrakten Bedarfsmaßstab - die gleichmäßige Pro-Kopf-Versorgung - benennt“ (S. 93 / 94). Und weiter: „Davon abweichend kann der Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen bis zu einem Viertel unterdurchschnittlich mit Steuererträgen ausgestatteten Ländern zugewiesen werden. Nach Zuteilung dieser Ergänzungsanteile steht die eigene Finanzausstattung der einzelnen Länder fest“ (S. 94) - so nach wie vor die Rechtsprechung des höchsten Gerichts.
  3. Darüber hinaus fordert - und erst auf dieser Stufe setzt der Länderfinanzausgleich ein - Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG eine - wie sich das Gericht ausdrückt - „subsidiäre Korrektur dieser von der Verfassung grundsätzlich gewollten Ertragsaufteilung, soweit sie auch unter Berücksichtigung der Eigenstaatlichkeit der Länder aus dem bundesstaatlichen Gedanken der Solidargemeinschaft unangemessen ist. Dieser Finanzausgleich soll die Finanzkraftunterschiede unter den Ländern verringern, aber nicht beseitigen ... Er ist kein Mittel, um das Ergebnis der ... primären Steuerverteilung durch ein neues System zu ersetzen, das etwa allein vom Gedanken der finanziellen Gleichheit der Länder geprägt ist, ihre ... Eigenverantwortung jedoch nicht mehr berücksichtigt. Die Ausgleichspflicht ... fordert nicht eine finanzielle Gleichstellung der Länder, sondern eine ihren Aufgaben entsprechende hinreichende Annäherung ... Der annähernde, nicht gleichstellende Finanzausgleich hat zur Folge, daß der horizontale Finanzausgleich die Abstände zwischen den 16 - ausgleichspflichtigen wie ausgleichsberechtigten - Ländern verringern, nicht aber aufheben oder gar ins Gegenteil verkehren darf“ (S. 95/96).

Schon an dieser Stelle folgert das Bundesverfassungsgericht zweierlei:

  • Die Finanzkraft der Länder umfasse grundsätzlich „alle Finanzmittel, die ein Land zu haushaltspolitischen Gestaltungen befähigen, beschränkt sich also nicht auf das Steueraufkommen, sondern bezieht auch sonstige Finanzmittel ein ... Bei der Ermittlung der Finanzkraft können ... Einnahmen unberücksichtigt bleiben, wenn ihr Volumen nicht ausgleichserheblich ist. ... Diese Vorgaben hat der maßstabgebende Gesetzgeber näher auszugestalten ... Dabei muß er verläßliche, das Volumen der Finanzkraft zuverlässig erfassende Tatbestände bilden, die für alle mit der Gestaltung und der Kontrolle des Finanzausgleichs beauftragten Organe in Bund und Ländern verständlich und nachvollziehbar sind“ (S. 96/97).
  • Um das Finanzaufkommen für die jeweiligen Länder in unterschiedlichen Größen und mit dem entsprechend unterschiedlichen Haushaltsvolumina vergleichbar zu machen, „ist die Bemessungsgrundlage der Finanzkraft auf objektive von politischen Bedarfs- und Dringlichkeitsentscheidungen unabhängige Finanzaufgaben zu beziehen; geboten ist ein abstraktes Bedarfskriterium. Als solches bietet sich“ - so die auffallende zurückhaltende Formulierung des Gerichts - „die jeweilige Einwohnerzahl der Länder an, in der die Finanzierungsaufgaben des demokratischen Rechtsstaates sachgerecht zum Ausdruck kommen. Die Einwohnerzahl bietet die Grundlage eines Finanzkraftvergleichs, die von ländereigenen Prioritäts- oder Dringlichkeitsentscheidungen unabhängig ist ... „
    (S. 97).
  • Schließlich ermächtigt Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG den Bund, aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern Zuweisungen zur Ergänzung ihres allgemeinen Finanzbedarfs zu gewähren - die sog. Bundesergänzungszuweisungen. Den Begriff der Leistungsschwäche definiert das Gericht anders als den Begriff der Finanzkraft nach Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG: Er erfordere „nicht einen bloßen Aufkommensvergleich, sondern die Bewertung des Verhältnisses von Finanzaufkommen und Ausgabenlasten der Länder. Deshalb dürfen die Bundesergänzungszuweisungen nicht lediglich den horizontalen Finanzausgleich mit Bundesmitteln fortsetzen. Sie erlauben vielmehr eine finanzwirtschaftliche Bundesintervention, die Sonderlasten einzelner Länder berücksichtigt und grundsätzlich darin ihre Rechtfertigung, aber auch nach Höhe und Dauer ihre Grenze findet“ (S. 98).

    Wird mit Hilfe von Bundesergänzungszuweisungen die Finanzkraft der leistungsschwachen Länder allgemein angehoben, gelten die Maßstäbe des horizontalen Finanzausgleichs. „Deshalb können nur solche Länder Empfänger dieser Bundesergänzungszuweisungen sein, die nach den Ergebnissen des horizontalen Länderfinanzausgleichs in einem Maße unter dem Länderdurchschnitt geblieben sind, das unangemessen erscheint, aber aus Landesmitteln nicht ausgeglichen werden kann“ (S. 98).

    Dabei fallen drei Linien der Argumentation auf:

    • Ebenso wie „Angemessenheit“ der gemeinsame Maßstab des horizontalen und des vertikalen Ausgleichs nach Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG einerseits und Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG andererseits ist, bekräftigt das Gericht als gemeinsamen Maßstab von Steuerverteilung und Finanzausgleich das Nivellierungsverbot (S. 98 wie 95): Die „Ergänzungszuweisungen haben das Nivellierungsverbot zu beachten, dürfen die Finanzkraftreihenfolge unter den 16 Ländern nicht verändern und sind darüber hinaus zur Gleichbehandlung aller Länder verpflichtet. Der Bund darf die Ergänzungszuweisungen insbesondere nicht dazu benutzen, leistungsschwachen Ländern eine überdurchschnittliche Finanzkraft zu verschaffen“ (S. 98/99).

      Das Gericht verwandelt indessen diese kritische Bemerkung in eine Priorität für die neuen Länder: „Eine derartige allgemeine Anhebung der Finanzkraft leistungsschwacher Länder kommt gegenwärtig insbesondere in Betracht, wenn die Finanzkraft der neuen Länder im wiedervereinigten Deutschland so weit vom Finanzkraftdurchschnitt entfernt ist, daß eine angemessene Annäherung aus den Finanzmitteln der alten Länder nicht erreicht werden kann, ohne daß deren Leistungsfähigkeit entscheidend geschwächt würde“ (S.99).

    • Damit eröffnet das Gericht zugleich - diese zweite Maßgabe kann nicht präzise genug gelesen werden - eine Ausnahme von der Regel, daß Obergrenze der vertikalen Intervention durch den Bund der Durchschnitt der Finanzkraft der Länder - also rechtlich gesprochen: deren Gleichbehandlung - ist: „Entschließt sich der Gesetzgeber“ - so die bezeichnende nochmalige Formulierung (S. 99 wie S. 98) - „Sonderlasten einzelner Länder durch Bundesergänzungszuweisungen mitzufinanzieren, so dürfen diese Zuweisungen den leistungsschwachen Ländern eine überdurchschnittliche Finanzkraft verschaffen, wenn und solange außergewöhnliche Gegebenheiten vorliegen. Diese unterliegen einer besonderen, den Ausnahmecharakter ausweisenden Begründungspflicht. In Ausnahmefällen kann eine derartige Bundesintervention deshalb auch dazu führen, daß die Finanzkraft des begünstigten Landes die durchschnittliche Finanzkraft nach dem horizontalen Finanzausgleich übersteigt“ (S. 99).
    • Das Gericht wird noch deutlicher und bezieht sich dabei ausdrücklich auf das erste der drei Urteile zum Finanzausgleich: „Bundesergänzungszuweisungen dienen nicht dazu, augenblicksbedingte finanzielle Notstände zu beheben, aktuelle Projekte zu finanzieren oder finanziellen Schwächen abzuhelfen, die eine unmittelbare und voraussehbare Folge von politischen Entscheidungen eines Landes bilden. Eigenständigkeit und politische Autonomie bringen es mit sich, daß die Länder grundsätzlich für die haushaltspolitischen Folgen autonomer Entscheidungen selbst einstehen und eine kurzfristige Finanzschwäche selbst zu überbrücken haben“ (S. 99/100). Und: „Berücksichtigt der Gesetzgeber Sonderlasten, so verpflichten ihn das föderative Gleichbehandlungsgebot wiederum, diese Sonderlasten zu benennen und zu begründen. Durch den tatbestandlichen Ausweis der Sonderlasten im Maßstäbegesetz wird sichergestellt, daß die ausgewiesenen und benannten Sonderlasten bei allen lastenbetroffenen Ländern berücksichtigt werden, daß die berücksichtigten Sonderlasten in angemessenen Abständen auf ihren Fortbestand überprüft werden und daß die Kontrolle durch Gerichtsbarkeit und Öffentlichkeit einen deutlich greifbaren Anknüpfungspunkt gewinnt“ (S. 100).
    III.

    Das Fazit (S. 101 - 119) ist eindeutig. Das Gericht grenzt zum einen seinen normativen Gegenstand von den finanzwirtschaftlichen Verhältnissen und finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen ab, mit denen sich auseinanderzusetzen es der Politik aufgibt (S. 84), zum anderen seine richterliche Aufgabe von der Verantwortung der demokratisch legitimierten Politik, für „Rationalität“ der Finanzwirtschaft zu sorgen (S. 86, 88, 90/91, 92). Im Verhältnis zu den „Maximen“ - oder auch „verfassungsrechtlichen Vorgaben“ (S. 101) -, die in der Kontinuität der bisherigen Rechtsprechung bleiben, sind die Schlußfolgerungen des Gerichts durchaus als innovativ zu bezeichnen. Ebenso wie das Gericht die Politik wieder in ihre Rechte und Pflichten setzt, mobilisiert es den normativen Gehalt der Verfassung und relativiert z.B. die in den früheren Urteilen enthaltenen historisch-rechtlichen Traditionsbestände, vor allem in Bezug auf die Stadtstaaten, fast vollständig.

    Die wesentlichen Konsequenzen, die für die Ausformung des Maßstäbegesetzes beachtlich sind, lassen sich kurz zusammenfassen. Sie sind zusammen mit der Anmahnung früherer Prüfaufträge nichts anderes als eine Warnung an die Politik, das Urteil nicht erst zu nehmen.

    Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG

    Den Verfassungsauftrag zur Abstimmung der Deckungsbedürfnisse von Bund und Ländern im Dienst eines billigen Ausgleichs fehle - so die erste Schlußfolgerung - die gesetzliche Konkretisierung und Ergänzung (S. 102/103). Unter Berufung auf Stefan Korioth folgert das Gericht aus dem Gesichtspunkt bundesstaatlicher Gleichheit für Bund und Länder, der Gesetzgeber werde sich, „dem Gebot der Durchschaubarkeit und Ausgewogenheit folgend, der Aufgabe stellen müssen, Konkretisierungen vorzunehmen, die dazu beitragen, daß politische Kompromisse in den Grenzen festgelegter Kriterien und Verfahrensregeln gefunden werden“ (S. 103). Mit anderen Worten: Das berühmt-berüchtigte „Deckungsquoten-Verfahren“ ist transparent und kontrollierbar auszugestalten (S. 103/104), und zwar ohne solche verfassungsrechtlichen Krücken wie den Vorabausgleich in § 1 Abs. 1 Satz 1 FAG (Ausgleich für den zusätzlichen Bundeszuschuß an die Rentenversicherung zugunsten des Bundes) oder Art. 106 Abs. 3 Sätze 5 und 6 GG (kinderbezogene Minderung des Einkommensteueraufkommens der Länder bei der Festsetzung der Umsatzsteueranteile).

    Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG

    Besonders die verfassungsrechtlichen Grundsätze des horizontalen Finanzausgleichs bedürfen - so die zweite Schlußfolgerung - der Bildung gesetzlicher Maßstäbe (S. 105 - 111), und zwar in drei Richtungen:

    • Der „angemessene“ Ausgleich der Finanzkraft, den Art. 107 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz GG fordert, verlange eine praktikable, rationale Ausformung des Begriffs der „Finanzkraft“. Da das Grundgesetz als Bezugspunkt die Einwohnerzahl vorgebe - wie das Gericht zwar unter Berufung auf seine Rechtsprechung, aber unverändert vage formuliert -, „bleiben bei der Ermittlung der Finanzkraft Sonderbedarfe einzelner Länder unberücksichtigt“ (S. 105/106). Die Seehäfen-Klausel des § 7 Abs. 3 FAG bedürfe einer Rechtfertigung; solle einem abstrakten Mehrbedarf Rechnung getragen werden, habe der Gesetzgeber zu prüfen, „ob ähnliche Mehrbedarfe existieren, die dann ebenfalls berücksichtigt werden müßten“ (S. 106).
    • Auch die Berücksichtigung der Finanzkraft und des Finanzbedarfs der Gemeinden nach Art. 107 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz GG erfordere allgemeine Maßstäbe, „um dann entscheiden zu können, welche der kommunalen Einnahmen ... außer Betracht bleiben dürfen“ (S. 106) - also nicht „ob“ Einnahmen außer Betracht bleiben oder „wieviele“, sondern „welche“, so das Gericht unmißverständlich unter Hinweis auf den früheren Prüfauftrag zu den Konzessionsabgaben. Das Gericht spezifiziert sogar und verlangt eine Definition „ausgleichserheblicher“ Einnahmen (S. 107). Zwar akzeptiert es noch einmal die hälftige Kürzung der Steuereinnahmen durch § 8 Abs. 5 FAG, fordert aber den noch unerledigten Prüfauftrag ein (S. 107). Zugleich kommentiert das Gericht die in den letzten Jahren gestärkte grundgesetzlich garantierte finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden mit der Bemerkung, dies modifiziere die bisherige Zweistufigkeit der Finanzverfassung - was immer damit gemeint ist.
    • „Überprüfungsbedürftig ist auch die Einwohnergewichtung... Umfang und Höhe eines Mehrbedarfs sowie die Art seiner Berücksichtigung dürfen vom Gesetzgeber nicht frei gegriffen werden.“ (S.108), und zwar weder auf der Länderebene noch auf der Gemeindeebene (S. 108/109). Umfang und Höhe müssen sich - wie das Gericht zum dritten Mal nach 1992 und 1986 betont - „nach Maßgabe verläßlicher, objektivierbarer Indikatoren als angemessen erweisen“ (S. 108). Und es präzisiert: Zum einen mache es die Einbeziehung der neuen Länder in den Finanzausgleich erforderlich, die Finanzkraft der Stadtstaaten der Finanzkraft dünn besiedelter Flächenstaaten gegenüberzustellen (S. 108); zum anderen sei der Prüfauftrag bezüglich des abstrakten Mehrbedarfes größerer Gemeinden bei der Erledigung kommunaler Aufgaben in § 9 Abs. 3 FAG mit Blick auf die dünn besiedelten Länder „dringlicher“ geworden (S. 109).
    Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG

    Dezidiert fordert das Gericht ferner eine Bestimmung der Voraussetzungen von Ausgleichsansprüchen und -verbindlichkeiten, „die anhand einheitlicher Maßstäbe die Angemessenheit des Ausgleichs grundsätzlich systemimmanent sichert“ (S. 109 - 111). Es blickt dabei besonders auf die Finanzkraftreihenfolge (S. 110) und beanstandet Einzelregelungen (§ 10 Abs. 3 im Verhältnis zu Abs. 1 FAG, § 10 Abs. 3 bis Abs. 5 FAG) als widersprüchlich (S. 110) und unsystematisch (S. 111). Besonders an dieser Stelle wird deutlich, daß und wo vor allem das Gericht auf „Vereinfachung und verbesserte Verständlichkeit“ der Gesetzgebung hinwirken will (S. 109 und schon 97).

    Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG

    Schließlich wendet sich das Bundesverfassungsgericht den Bundesergänzungszuweisungen zu (S. 111 - 116). Die verfassungsrechtliche Ermächtigung erlaube einen „abschließenden ergänzenden Ausgleich aus Bundesmitteln, der weder den horizontalen Finanzausgleich noch die vertikale Steuerertragsverteilung ... ersetzen oder überlagern darf. Die Bundesergänzungszuweisungen sollen ergänzende Korrekturen ermöglichen, wenn die Steuerverteilung innerhalb der Ländergesamtheit und auch der angemessene Ausgleich unter den Ländern zu einer Finanzausstattung führen, die nach dem bundesstaatlichen Prinzip solidarischen Einstehens füreinander noch als änderungsbedürftig erscheint. Dieser Zweck begrenzt auch den Umfang im Verhältnis zum Volumen des horizontalen Finanzausgleichs“ (S. 111/112) - so das Gericht noch einmal und unter Berufung auf das Urteil von 1992, d.h. vor dem im wesentlichen von den Ländern geprägten Kompromiß von 1993.

    Sodann argumentiert das Gericht - und diese Betonung fällt auf - mit Zahlen, nämlich (per 1998) mit dem Verhältnis von 13,52 Mrd. DM Finanzausgleich : 25,65 Mrd. DM Bundesergänzungszuweisungen (zu 1999: Anlage)und stellt fest: „Dieses Verhältnis ist mit Rücksicht auf den Sonderbedarf der neuen Länder - das Volumen der Sonderergänzungszuweisungen nach § 11 Abs. 4 FAG macht allein 14 Milliarden DM aus - als wiedervereinigungsbedingte Ausgleichsregelung vorübergehend zu rechtfertigen. Angesichts der Ergänzungsfunktion von Bundeszuweisungen bedarf diese Entwicklung jedoch auf längere Sicht auch im Hinblick auf die neuen Länder der Korrektur“ (S. 112/113).

    Auch dies konkretisiert das Gericht selbst in drei Richtungen:

    • „Die Bundesergänzungszuweisungen dürfen im Tatbestand der ‚leistungsschwachen Länder' nicht lediglich an das Ergebnis des horizontalen Finanzausgleichs anknüpfen und diesen aus Bundesmitteln ergänzen, sondern setzen eine eigenständige, vom horizontalen Finanzausgleich abgehobene Bestimmung der Leistungsschwäche voraus“ (S.113). Das Gericht beanstandet die Regelung der Fehlbetragsergänzungszuweisungen in § 11 Abs. 2 FAG als den Anforderungen des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG nicht genügend und stellt apodiktisch fest: „Im übrigen wird das Maßstäbegesetz sicherstellen, daß das nachrangige Instrument der Bundesergänzungszuweisungen nur als Ergänzung, nicht als Ersatz des horizontalen Finanzausgleichs angelegt ist“ (S. 113/114).
    • Sodann nochmals und noch deutlicher: Während aufgrund des Nivellierungsverbotes Empfänger allgemeiner Bundesergänzungszuweisungen nur solche Länder sein können, die nach dem horizontalen Finanzausgleich unter dem Länderdurchschnitt geblieben sind, können Bundesergänzungszuweisungen, „die gerade der Berücksichtigung von Sonderbedarfen dienen, zeitweise zu Veränderungen der Finanzkraftreihenfolge führen ... Allerdings müssen ... außergewöhnliche Gegebenheiten vorliegen, die einer besonderen, den Ausnahmecharakter ausweisenden Begründungspflicht unterliegen“ (S. 114/115).
    • In diesem Zusammenhang heißt es zum Ausgleich überproportionaler Kosten politischer Führung und zentraler Verwaltung in § 11 Abs. 3 FAG ebenso dezent wie deutlich: „Dem Gesetz läßt sich ein hinreichend einsichtiger Maßstab nicht entnehmen“ (S. 115). Außerdem werden die Sonder-Bundesergänzungszuweisungen für Bremen und Saarland in § 11 Abs. 6 FAG nur mehr als „vorübergehende Hilfe zur Selbsthilfe“ und nicht mehr wie früher als Hilfe aus „extremer Notlage“ qualifiziert. Zugleich wird ihnen für die Zeit nach 2004 ein Riegel vorgeschoben: „Die beiden begünstigten Länder sind damit auf den Wegfall dieser Zuweisungen vorbereitet, andere können auf das Auslaufen ... bauen“ (S. 116). Die Übergangsergänzungszuweisungen nach § 11 Abs. 5 FAG tauchen im übrigen nur noch beim Fonds „Deutsche Einheit“ auf und werden vom Gericht offenkundig - da ebenfalls 2004 auslaufend - als obsolet betrachtet (S. 119).
    IV.

    Was sind nun bei der Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern die Aufgaben der Politik ? Eignet sich das Programm des Gerichts als Marschroute für den Gesetzgeber ? Ist es überhaupt akzeptabel ?

    Um die Frage, die Wieland beschäftigt, vorweg zu beantworten - im Ergebnis mit Bull: Es geht im Kern um das Ausmaß der Freiheit - besser: der Spielräume - von Auseinandersetzung und Entscheidung der politischen Kräfte unter der geltenden Verfassung im Allgemeinen und der geltenden Finanzverfassung im Besonderen. Das Bundesverfassungsgericht schränkt meines Erachtens nicht den Gesetzgeber ein, sondern rückt das Zusammenwirken von Verfassungs- und einfacher Gesetzgebung und von Politik und Recht in einer parlamentarisch-rechtsstaatlichen Demokratie in die Balance, die ihr gebührt. Kurz gesagt: Die Gesetzgebung ist an die Verfassung gebunden, solange sie nicht diesen Rahmen selber ändert, und Verfassungsaufträge geben einen Interpretationsspielraum, dessen Standards nicht nur das Parlament, sondern auch die Verfassungsgerichtsbarkeit zu messen hat:

    „Das Gesetz gestaltet in seiner formellen Allgemeinheit rational-planmäßig die Zukunft, setzt eine gewisse Dauerhaftigkeit der Regel voraus, erstreckt ihre Anwendung auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger Fälle, wahrt damit Distanz zu den Betroffenen, wendet die Aufmerksamkeit des regelnden Organs dem auch für die Zukunft verpflichtenden Maß zu und wahrt die Erstzuständigkeit des Gesetzgebers bei der Verfassungsinterpretation“ (S. 88).

    Mit anderen Worten: Das Bundesverfassungsgericht bleibt „Zweitinterpret“, es sei denn, die Verfassung selber wird geändert. Tragen die neuen Gesetze nicht, ist mit einem erneuten Prozeß zu rechnen.

    Die Regierungskoalition hatte ursprünglich vor, eine Enquete-Kommission für die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen einzusetzen. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und die Vorgehensweise der Länder haben diesen Ansatz jedoch überholt. Es ist nun beabsichtigt, einen (Sonder-) Ausschuß nach § 54 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einzusetzen. Er soll zunächst ein Maßstäbegesetz und sodann ein Finanzausgleichsgesetz - wahrscheinlich auch verteilt auf diese und die nächste Legislaturperiode - vorbereiten. Da in den Länderkonferenzen das Einstimmigkeitsprinzip gilt, ist zu erwarten, daß die Arbeiten der Finanzminister und der Ministerpräsidenten lediglich „Eckpunkte“ hervorbringen, die mehr oder weniger große Schnittmengen der Gemeinsamkeit zeigen. Der Bund wird um einer größtmöglichen Einigungschance willen seine Vorstellungen schrittweise konkretisieren, bevor ein Gesetzentwurf vorgelegt wird. Vermutlich wird dies durch die Regierung geschehen, doch in zeitlicher Verschränkung mit der Arbeit des Parlaments.

    Der Ausschuß wird sich - auch um einer breiten parlamentarischen Mehrheit willen - nicht nur mit dem normativen Stoff, sondern auch mit dem zu regelnden Sachverhalt zu beschäftigen haben - eben den „vorgefundenen finanzwirtschaftlichen Verhältnissen und (verfügbaren) finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen.“ Es ist unabweisbar:

    „Der Gesetzgeber muß - unabhängig von wechselnden Ausgleichsbedürfnissen und von konkreten Zuteilungs- und Ausgleichssummen - langfristig anwendbare Maßstäbe bestimmen, aus denen dann die konkreten, in Zahlen gefaßten Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen abgeleitet werden können“ (S. 84).

    Ist dieser doppelte Regelungsauftrag nur in einem „Blindflug“ zu erfüllen - wie Wolfgang Renzsch sagt (7) -, oder läßt sich mit der (nicht nur vom Grundgesetz legitimierten, sondern ebenso rational begründbaren) Aufgabe des Gesetzgebers in Einklang bringen, im Zeitpunkt der Gesetzgebung auch die Folgen der Normen abzuschätzen, die er setzt, und sie in seine Verantwortung aufzunehmen?

    Dies läuft zwar nicht auf eine Umkehrung der Zeitfolge gegenüber der bisherigen Finanzausgleichsgesetzgebung hinaus, die - wie Korioth sagt - in bewußter Interessen- und Folgenabschätzung eine unmittelbare Normierung traf. Aber will man nicht - und man kann auch gar nicht - auf Rechenoperationen verzichten, wird man nur in einer kombinierten Folge von zeitlichen Schritten und inhaltlicher Konkretisierung vorgehen können, die Konfliktpotentiale nicht nur nicht provoziert, sondern auch reduziert. D.h. in acht Punkten:

    1. Für die abstrakten und konkreten Regeln sollten alle Möglichkeiten der „Verständlichkeit“ und der „Vereinfachung“ gesucht und genutzt werden.
    2. Die einzelnen Verteilungsstufen des geltenden Rechts bedürfen der Überprüfung und des künftigen Rechts der Begründung.
    3. Der Gesetzgeber ist auch nicht gehindert, auf der ersten oder der zweiten Stufe der Regelung die sonstigen Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern - d.h. auch die nicht zum (Umsatz-) Zuteilungs- und Finanzausgleichssystem gehörenden Gestaltungsinstrumente - in die Betrachtung einzubeziehen. Im Gegenteil: dies kann als Chance dienen, das System zu entlasten. Ebensowenig ist er gehindert, mit der Zeit ins Auge zu fassen, den Erlaß und/oder die Änderung einfacher Gesetze mit einer Fortentwicklung finanzverfassungsrechtlicher Bestimmungen zu kombinieren.
    4. Die zeitlich-inhaltliche Struktur der beiden Gesetzgebungsakte - „langfristige“ / „fortschreibungsfähige“ Regeln vs. „kurzfristige“ / „periodisch überprüfbare“ Summen - erlaubt gerade eine gründliche Überprüfung, ob und inwieweit die - politisch unstrittige - Anschlußregelung für den Solidarpakt innerhalb und/oder außerhalb des Systems zu treffen.
    5. Da Zweck der Finanzverfassung die „aufgabengerechte Finanzausstattung“ ist, wie Abschnitt X des Grundgesetzes voraussetzt und Art. 106 Satz 4 Nr. 2 GG mit den Direktiven unterstreicht, „eine Überbelastung der Steuerpflichtigen“ zu vermeiden und „die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ zu wahren, ist eine Debatte darüber unumgänglich, welche Aufgaben der Staat wahrnehmen soll und wie sie sich auf die verschiedenen Ebenen des Gemeinwesens verteilen sollen, einschließlich der Sub-Ebene Gemeinden und der Supra-Ebene Europa. Dies wird nicht in einer Art „big bang“ zu einer Neuordnung der Aufgaben- und Finanzverteilung führen, kann jedoch „Schneisen“ einer Reform eröffnen, die auch die Eigenverantwortung von Ländern und Gemeinden stärkt.
    6. Nicht ausgewichen werden kann und darf einer Untersuchung juristisch-ökonomischer Grundfragen, z.B. wie sich die Gebietskörperschaften unter den Wirkungen der Finanzreform 1969 und der „kleinen“ Reform von 1993 entwickelt haben und welchem Maßstab die „eigene“ Finanzausstattung in Zukunft folgen soll - einem rechtlichen oder einem wirtschaftlichen Maßstab. So wie das Bundesverfassungsgericht den Gesetzesbegriff im Sinne von „Vorgriff“ materialisiert, ist auch „Evaluation“ bisheriger Gesetzgebung und ihrer Wirkungen nötig, besonders in bezug auf die regionale Steuerverteilung und sogar die Effekte „ungeschriebener“ Finanzströme, und so wie es die normativen Ansprüche an die Gesetzgeber erhöht, so muß die Politik als Verfassungs-/Gesetzgeber auch die Ansprüche an sich selbst steigern (8).
    7. Nicht zu übersehen sind auch die rechtlichen - rechtspolitisch interessanten - Hinweise des Gerichts auf die Wechselbeziehungen zwischen Haushaltswirtschaft - d.h. der Ausgabenseite - und Finanzwirtschaft - d.h. der Einnahmenseite des Budgets. In diesen Zusammenhang gehören auch die innerstaatlichen Konsequenzen, die aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zu ziehen sind, der mit der Einführung der einheitlichen europäischen Währung geschlossen worden ist, und ebenso die Erfüllung des Gesetzgebungsauftrages von 1992, Vorsorge gegen Haushaltsnotlagen zu treffen. Nach dem „bündischen Prinzip“, an dem das Bundesverfassungsgericht festgehalten hat, ist präventive Haushaltsnotlagenpolitik in allen drei Dimensionen - und wechselseitig - ein auch wirtschafts- und europapolitisches Gebot, nämlich unter den Ländern, zwischen Bund und Ländern und auch zwischen der Ländergesamtheit und dem Bund, dem „Treuhänder“ gesamtstaatlicher Interessen.
    8. Damit stellt sich die Frage nach dem Leitbild der Gesetzgebung. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die ideologischen Positionen der streitenden Ländergruppen umgangen und das eigene Vorverständnis nur sparsam sichtbar gemacht hat - für den demokratischen Gesetzgeber, der den Konsens, ja sogar den Kompromiß suchen muß, ist es unumgänglich, eine „rechtmäßige und zeitgemäße“ Idee voranzustellen. Diese liegt offenkundig nicht mehr im bloßen Konkurrenz- oder „kooperativen“ Föderalismus. Man sollte versuchen, sich auf einen „aktivierenden“ das Teil- und das Gesamtinteresse stärkenden Föderalismus zu verständigen.

      ( ) Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein; Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen; Sachsen, Thüringen ( ) Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich und die Aufgabe der Politik, Unveröff. Manuskript eines Vortrages vor der Projektgruppe "Solidarpakt II" der SPD-Bundestagsfraktion, Februar 2000 ( ) Der rationale Finanzausgleich - Ein Gesetzgebungsauftrag ohnegleichen. Die Aufgabe des Gesetzgebers nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, DÖV 2000, S. 305 - 314 ( ) Das Urteil umfaßt im amtlichen Umdruck 121 Seiten, davon S. 5 - 42 die Darstellung des FAG (einschließlich des Textes), S. 43 - 51 die Tabellen, S. 52 - 81 den Vortrag der drei Antragsteller und der (Gegen-) Antragsteller Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie der Äußerungsberechtigten und S. 83 - 119 die Ausführungen zur Begründetheit. Im Folgenden wird aus dem Urteil nach dem Umdruck zitiert; vgl. jedoch auch die Veröffentlichung im Internet (http://www.bverfg.de/). ( ) Das Konzept eines Maßstäbegesetzes zum Finanzausgleich, DVBl. 2000, S. 1310 - 1315 ( ) BVerfGE 72,330 - 423 (Abweichende Meinung Niebler: 424 - 436), und 86,148 - 279; vgl. auch zu Art. 109 und 115 GG: BVerfGE 79, 311 - 357. ( ) Finanzausgleich und die Modernisierung des Bundesstaates. Perspektiven nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Materialien zur Verwaltungspolitik, Februar 2000 ( ) Vgl. Volker Kröning, Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Ein Vorschlag zur Stärkung der Leistungsanreize für finanzschwache Länder, ZRP 1997, S. 442 - 444. Anlage: Bundesstaatlicher Finanzausgleich 1999