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Volker Kröning
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Volker Kröning MdB

Verteidigungspolitik auf Orientierungssuche

Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) von Bundesminister Peter Struck vollziehen eine überfällige Anpassung an die sicherheitspolitische Realität - auch mit der erklärten Absicht, der Bundeswehr zur Weiterentwicklung ihrer Reform eine tragfähige Planungsbasis zu geben: Die Orientierung von Politik und Planung an internationalen Einsätzen als „Kernaufgaben“ unserer Streitkräfte erscheint nun eindeutiger als zuvor.

An der Allgemeinen Wehrpflicht wird festgehalten, gerade weil sie auch angesichts künftiger Herausforderungen ein Optimum an Umfang und Qualität des Personalaufkommens verspricht. Und schließlich: Die Diskrepanz zwischen den finanziellen Möglichkeiten des Bundes und dem Mittelbedarf der bisherigen Streitkräfteplanung wird offen ausgesprochen - um Optionen zu begründen, die zum einen der Materialbeschaffung größere Spielräume geben (Stichwort: Verringerung des Personalumfanges) und die zum anderen die Finanzierungsansprüche an den Gesamthaushalt mildern (Stichwort: Rollenspezialisierung unter den Verbündeten).

Zum Aufgabenprofil der Bundeswehr: Differenzierungsbedarf

Es ist „in Zeiten wie diesen“ grundsätzlich richtig, die Einsatzkräfte der Bundeswehr - abgesehen von der Überwachung des nationalen Luftraumes und der Hoheitsgewässer - eindeutig auf internationale Missionen zu beziehen. Zugleich sagen die VPR mit Recht, dass es weiterhin der Sicherheitsvorsorge für unser eigenes Territorium bedarf - mit anderen Mitteln und Strukturen: So sollten in der Tat Wehrdienstleistende und Reservisten im Falle massiver terroristischer Bedrohung im Rahmen bestehender Gesetze zum Objektschutz herangezogen werden. Und ebenso steht das Reservistenpotential, das nur die Wehrpflicht in der notwendigen Größe und Qualität generieren kann, zum (Wieder-) Aufbau der Landesverteidigung zur Verfügung, falls sich die sicherheitspolitische Großwetterlage gravierend verschlechtern sollte.

Probleme ergeben sich allerdings, wenn es um Zuschnitt und Anforderungsprofil von internationalen Einsätzen der Bundeswehr geht. Nach den Richtlinien, die sich offenbar den populären Gedanken zu eigen machen, das ein Konfliktgeschehen irgendwo auf der Welt letztlich immer auch uns tangieren könnte, „lässt sich Verteidigung geografisch nicht mehr eingrenzen“. Das macht den Eindruck, als strebe man im Verein mit den Verbündeten eine globale Reichweite für den Einsatz der eigenen Streitkräfte an. Aus der Tatsache, dass über die Art der wahrzunehmenden internationalen Einsätze in den Richtlinien wenig zu erfahren ist, könnte man schließen, es gehe um eine Form von Omnipotenz nach US-amerikanischem Muster, die deutsche Streitkräfteplaner unter Einbeziehung der Entwicklung in anderen europäischen Ländern im Sinne haben.

Dieser Verdacht wird auch nicht durch die mehrfache Festlegung der VPR entkräftet, dass deutsche Truppen nur im Rahmen von Operationen verwendet werden, die von NATO, EU und Vereinten Nationen autorisiert sind. Der Kontext der entsprechenden Formulierung deutet nämlich darauf hin, dass jeweils eine der genannten Institutionen als Legitimationsquell für einen internationalen Einsatz herhalten soll. Erinnern wir uns: Im Frühjahr 1999 - gegen Ende der von der NATO gegen Rest-Jugoslawien geführten Kampagne - erklärte die Bundesregierung, dies sei eine Ausnahme gewesen; künftig wolle man nicht ohne das Plazet des VN-Sicherheitsrates handeln.

Doch auch mit einer eindeutigen Bindung militärischer Aktionen an die Vorgaben eines kollektiven Sicherheitssystems - NATO und EU sind nämlich nach eindeutiger völkerrechtlicher Auffassung keine solchen Systeme - ist noch nicht die Frage beantwortet, ob Ubiquität mit militärischen Mitteln in unserem Interesse liegt. Dazu bleibt nüchtern zu notieren: Wir sind, wenn es um die Einflussnahme insbesondere auf entfernt liegende Konfliktherde ging, immer gut damit gefahren, Diplomatie, wirtschaftliche Möglichkeiten im Sinne ehrlichen Makelns und auch technisch-logistische Hilfeleistungen einzusetzen.

Falsch - und übrigens auch unvereinbar mit unseren notorisch knappen Ressourcen - wäre es, wenn wir uns angewöhnen würden, entfernte Krisen und Konflikte in einer Weise zu unserer Sache zu machen, dass sie militärisch relevant erscheinen. Auch woanders gibt es regionale Sicherheitssysteme. Sie befinden sich zum Teil noch im Aufbau oder - wie in Afrika - in der Krise. Diese Ansätze dürfen nicht durch Eingriffe aus dem Norden erstickt werden.

Es geht vielmehr um die beharrlich-behutsame Förderung der Problemlösungsfähigkeit vor Ort - oder, global: nicht um die Dominanz der Reichen, sondern um stabile Multipolarität. Um dies zu erreichen, sind Truppen in der Regel kein angemessenes Mittel. Eher kommt es auf den Transfer von Know-how und Hilfe beim Aufbau der politischen Infrastruktur regionaler Sicherheitsregimes an.

Europäische Verteidigungspolitik könnte sich damit auf ihren Beitrag zur Stabilisierung des alten Kontinents und seiner Peripherie beschränken. Allerdings würden besonders zu begründende Ausnahmen die Regel bestätigen: Man denke etwa an Evakuierungsmissionen oder die Trennung von Bürgerkriegsparteien, um der akuten Gefahr eines Genozids auf anderen Erdteilen zu begegnen.

Generell scheint die deutsche bzw. europäische Verteidigungspolitik gut beraten, wenn sie sich nicht in militärische Unternehmungen hineinziehen lässt (und auch nicht dafür rüstet), die zu vörderst Bestrafungscharakter haben und bei denen nicht das Ziel, zur Stabilität in der fraglichen Region beizutragen, im Vordergrund steht. Andernfalls würde das kompromittiert, wofür bisher deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik weithin stehen: Vermittlung und friedliche Konfliktlösung.

Zum Festhalten an der Wehrpflicht: Konkretisierungsbedarf

Gegen modische Tendenzen halten die VPR an der Allgemeinen Wehrpflicht fest. Dies ist gut, weil angemessen. Für die Wehrpflicht sprechen zahlreiche Argumente, von denen einige unter aktuellen Bedingungen besonders wichtig erscheinen: Nur mit diesem Rekrutierungsinstrument sind Jugendliche in ausreichender Zahl und Eignung mit den Streitkräften in Kontakt zu bringen. Man kann nicht deutlich genug darauf hinweisen, dass ab Ende dieser Dekade die Musterungsjahrgänge zu schwach sein werden, um eine reine Freiwilligenarmee hinreichender Stärke auf dem Arbeitsmarkt anwerben zu können!

Und auch darauf, dass die freiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden als „Salz in der Suppe“ der Auslandskontingente gelten und dass über zwei Fünftel des Führungspersonals aus den Reihen der Wehrpflichtigen gewonnen werden. In den selben Zusammenhang gehört der Aspekt der Sicherheitsvorsorge im eigenen Land durch ein relativ großes Reservistenpotential. Und last, but not least gilt unverändert das Argument der Einbindung der Streitkräfte in die demokratische Gesellschaft!

Doch ist in den Richtlinien auch von einer „Anpassung“ der Wehrpflicht die Rede. Es ließe sich höchst konstruktiv darüber diskutieren, wenn - ja, wenn - in den VPR irgendetwas über den angedeuteten, offenbar angestrebten Veränderungskurs zu erfahren wäre. Doch da dies nicht so ist, kommen die VPR ihrer Richtlinienfunktion nicht nach, oder man ist intern schon ein Stück weiter - was nicht zu einem demokratischen Prozess passt.

Dieses Defizit ermuntert geradezu zu systematischem Raten: Ist der Präsenzumfang der Streitkräfte nicht zu groß für die Ressourcendecke, von der auf Jahre weiter auszugehen ist? Muss der Umfang nicht drastisch vermindert werden - und zwar unter Festhalten an den das Budget relativ gering belastenden Wehrdienstleistenden? Kann der Wehrdienst - wenn die Wehrdienstleistenden ohne längere Verpflichtung nur für einfache Sicherungsaufgaben vorgesehen sind - nicht erheblich verkürzt werden und muss er nicht gar verkürzt werden, um beim vorübergehend starken Angebot an jungen Männern nach der Mitte dieser Dekade krasse Wehrungerechtigkeit vermeiden zu können?

Wer die Antworten auf diese Fragen systematisch miteinander verknüpft, landet übrigens bei einem Personalmodell, das einen Präsenzumfang von 240.000 bis 250.000 Soldatinnen und Soldaten (heute 290.000) sowie 40.000 Wehrdienstleistenden mit sechsmonatiger Dienstdauer, 30.000 bis 40.000 Wehrdienstleistenden mit freiwilliger längerer Verpflichtung und maximal 180.000 Berufs- und Zeitsoldaten vorsieht.

Zur Frage der Materialbeschaffung: Entscheidungsbedarf

Anzuerkennen ist, dass die VPR die Bundeswehr ohne Vorbehalt in den Rahmen der Mittelfristigen Finanzplanung stellen und damit die vermutlich noch lang anhaltende Ressourcenknappheit des Bundes respektieren. Und richtig ist die Einsicht, dass bei Fortschreibung des gültigen Personal- (vor allem: Umfangs-) Modells aus der Zeit des Ministers Scharping die Personalkosten den Investitionsanteils des Verteidigungsbudgets zunehmend einengen werden: Während der Personalkostenanteil gegenwärtig bei 52 Prozent liegt, wird er in wenigen Jahren - wenn nicht gehandelt wird - gegen 55 Prozent hochlaufen. Da bei den Betriebsausgaben angesichts fortdauernder Auslandsengagements und nur begrenzten Rationalisierungspotentials kaum etwas zu holen ist, kann die notwendige „Umschichtung“ innerhalb des Budgets, von der die Richtlinien sprechen, nur auf dem Wege einer substantiellen Verringerung der Präsenzstärke erfolgen - und zwar ohne Erhöhung des Anteils der relativ teuren Berufs- und Zeitsoldaten. Nur dann gibt es wieder mehr Spielräume für die technische Modernisierung der Streitkräfte. Die Autoren der Richtlinien scheinen dies durchaus zu sehen, doch wird auf die Möglichkeit einer Umfangsreduzierung nur schamhaft verwiesen; es ist, als warte man auf den „großen Befreiungsschlag“.

Ein anderer Weg, aus der Finanzierungsmisere heraus zu kommen, liegt darin, die Beschaffungsvorhaben stärker zu „priorisieren“: also nur das auszuwählen, was wirklich gebraucht wird. Dies zu bestimmen, ist eine Funktion des Konzepts der „Kernaufgaben“, die im wesentlichen durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr definiert sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Aufgaben grundsätzlich im internationalen Verbund wahrgenommen werden - was eine potentiell kostensparende Arbeitsteilung mit den Verbündeten, d.h., Rollenspezialisierung nahelegt. Klar wird indessen aus den Richtlinien nicht, worauf sich unsere Streitkräfte am Ende spezialisieren sollen und welche Strukturelemente folgerichtig entfallen könnten. Auch hier bleibt erheblicher Diskussions- und Entscheidungsbedarf!

Am Ende begegnet uns noch eine heilige Kuh: Europäische Rüstungskooperation. Üblicherweise wird sie mit dem Argument eingeführt, dass sie über größere Produktionszahlen zu niedrigeren Systemkosten bei hoher Qualität verhilft. Doch dem steht entgegen, belegt durch gründliche Expertisen des Bundesrechnungshofes, dass eine ganze Reihe von europäischen Großvorhaben in Produkten resultierten (oder resultieren werden), die im Hinblick auf Preisgestaltung und technologischen Standard zweifelhaft sind. Man sollte nicht vergessen: Viel Innovatives und Preiswertes gibt es auch in deutschen Landen! Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass europäische Rüstungskooperation zu Lasten deutscher Interessen politisch überfrachtet wird und die Abnehmer der Produkte in mancherlei Beziehung die Zeche zahlen müssen.

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