1984 - Neudefinition des parlamentarischen Selbstverständnisses
1984 ist die Parteispendenaffäre einer der Auslöser für eine grundsätzliche Kritik am politischen System und seinen Vertretern.
In diesem Jahr wird aufgedeckt, daß CDU, CSU, FDP und SPD zum Teil auf Umwegen über gemeinnützige Organisationen unversteuerte Zuwendungen entgegennehmen, ohne die Namen der Großspender zu veröffentlichen. Damit verstoßen sie offenkundig gegen die Gesetze.
Im Falle des Großspenders Flick kommt sogar der Verdacht auf, Minister hätten sich bestechen lassen und der Flick-Gruppe einen enormen Steuervorteil zugeschanzt. Im Juni 1984 tritt Otto Graf Lambsdorff (FDP) wegen entsprechender Vorwürfen als Bundeswirtschaftsminister zurück. Ein Gerichtsurteil spricht ihn und seinen Vorgänger Hans Fridrichs (FDP) zwar 1987 vom Vorwurf der Bestechung frei. Beide werden jedoch wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu Geldstrafen verurteilt.
Viele Bürger beklagen die mangelnde Transparenz der Politik und die fehlende "Bürgernähe" der Parlamentarier. Die geäußerten Vorwürfe münden am 20. September 1984 in der ersten großen Selbstverständnisdebatte des Bundestages. Dabei betonen die Abgeordneten zunächst ihre Unabhängigkeit und Verantwortung im Sinne des Grundgesetzes. Dort heißt es, die Abgeordneten "sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" Artikel 38). Wie kann diese persönliche Verantwortung stärker zur Geltung gebracht werden? Wie frei sind die Abgeordneten, wie weit werden sie nicht eingeschränkt durch die Fraktionen und den sogenannten "Fraktionszwang"?
Die Abgeordneten nehmen die Kritik ernst. Vor allem muß der Bundestag eine Antwort auf die Frage finden, wie man die Wirksamkeit der Parlamentsarbeit in der Öffentlichkeit vermitteln kann. Wie können die Winkel und Werkzeuge in der Werkstatt der Demokratie für jeden einsichtbar gemacht werden? Wie kann sich der Bürger darüber informieren, was hinter den Kulissen geschieht?
Gleichzeitig wird Parlamentsreform zur ständigen Aufgabe.
Am 23. Mai 1984 wird Richard von Weizsäcker zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Wie sein Vorgänger Karl Carstens zeichnet sich auch Weiszäcker durch die Fähigkeit aus, integrierend zu wirken und gleichzeitig wichtige Denkanstöße zu geben. Diese Fähigkeit spiegelt sich besonders am 8. Mai 1985 in seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes.
ZeitPunkte: Daten und Fakten der 10. Wahlperiode (1983-1987)